Diskussion:Das Demokratiedilemma (OSP)

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Version vom 19. Oktober 2008, 20:53 Uhr von Andyk (Diskussion | Beiträge) (Freund oder Kalkül?)
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Da Hans Blumenberg an anderer Stelle schon genannt ist, erscheint es mir interessant hier einen Zusammenhang zwischen Rhetorik und Wahrheit zu erwähnen, den er in einem seiner Bücher aufzeigt (ich habe im Moment leider nicht im Kopf welches Buch das war). Es ist keineswegs die Ebene des die Dualität Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit konterkarierenden Schattenspiels, die die Redekunst als Übung einnimmt, sondern vielmehr eine Form Wahrheit zu qualifizieren.

Montage oder doxische Erfahrung?

Ein anderer Ansatz könnte hier natürlich auch die Beleuchtung des Remixens als Aufbruch unleistbarer Eindeutigkeit sein. Der Bedeutung eines Gesagten nachzugehen, die jemandem "im Munde umgedreht" wurde, projiziert möglicherweise eine Scheinobjektivität auf die Sprache (oder das Besprochene) oder beruft sich zumindest auf eine habituelle Klarheit, die meiner Meinung nach nicht gegeben ist, schon garnicht z.B. in einem Wahlkampf.

Seltsam dass noch kein Politiker den Weg über die Theorie versucht hat, eine Rede über das Reden, ein Metawahlprogramm oder die Thematisierung von Strukturen. Meistens bleibt sowas ja auf einer Ebene der Wahrhaftigkeit und des Anschwärzens hängen: etwa das Klagen über das "politische Klima" oder ein Pochen auf Einhaltung mancher Gepflogenheiten.

So gesehen ist ja das Montieren von Aussagen anderer Personen auch wieder interessant. --Richardd 23:08, 9. Okt. 2008 (CEST)

Falls wir nun, fuhr ich fort, seiner Rede gegenüber die unsrige Punkt um Punkt entfalten, wie viele Vorteile andererseits das Gerechtsein hat, und dann wieder er, und dann wieder wir, so wird man die Vorteile zusammenzurechnen und zu messen haben, die wir beide an beidem angegeben haben, und wir werden dann irgendwelche Richter zur Entscheidung nötig haben, wenn wir aber, wie vorhin, bei der Untersuchung den Weg der gegenseitigen Verständigung einschlagen, so werden wir selbst zugleich Richter und Redner sein. (Politeia, 348 a,b)

Besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Darstellung der Redekunst im Gorgias und der sokratischen dialogischen Praxis selbst? Liegt in der auffassenden und wendenden Unwissenheit ein Hang zur Sinnmontage? --Richardd 09:28, 10. Okt. 2008 (CEST)

So wie ich das Problem exponiere führt die Linie über Fachwissen ==> demokratische Freiheit ==> Sophisten ==> zur Wahrheitsfrage. Das ist eine Variante des üblichen Weges, den Gegensatz zwischen pragmatischen Lebensformen und dem (hohen) Ziel der Philosophie aufzubauen. In diesem Zusammenhang hat die Rhetorik oft einen schlechten Ruf, was wiederum zum Anlass einer Rehabilitierung genommen werden kann. (Man könnte das Thema im Rahmen meines Eingangsbeispiels gut an Barack Obama diskutieren.) Abgesehen davon, wie man dem "konterkarierenden Schattenspiel" gegenübersteht: so wird nun einmal eine historisch maßgebliche Form der Philosophie eingeführt. --anna 07:28, 17. Okt. 2008 (CEST)

ad Thrasymachos im peer review

Das finde ich interessant. Hab mir vor einigen Tagen dieselbe Stelle gekennzeichnet. In der Reclam-Ausgabe findet sich folgende Übersetzung:

"Wenn wir nun", sagte ich, "Rede gegen Rede setzen und dabei die Vorteile des gerechten Lebens anführen, und wenn er dann antwortet und wir ihm, dann werden wir die Vorteile zählen müssen und abmessen, wieviel wir ein jeder anführen, und dazu brauchen wir wohl etliche Richter zur Entscheidung. Wenn wir jedoch wie früher uns jeweils während der Untersuchung verständigen, sind wir zugleich Richter und Sprecher."

Ich hab es mir so paraphrasiert: "Wir halten während der Analyse Dialog!"

Ich finde, dass das Verfahren, das hier vorgeschlagen wird, noch etwas radikaler als das Peer Review ist, da Sokrates ja kein externer Gutachter, sondern ein im Gespräch involvierter Freund oder Kollege ist, der im Moment, während das "Endprodukt" sich sozusagen noch in der Produktion befindet, die Aussagen Thrasymachos' durch Fragen erschüttert. Und dann formuliert Thrasymachos die Aussage anders, um auf die Fragen Sokrates einzugehen - denn er will ja Recht behalten. Sokrates zeigt ihm dann, durch welche Folge von Aussagen (die er alle bejahen musste) man genau zu der gegenteiligen Aussage, die Thrasymachos vertrat, kommen kann und Thrasymachos muss seine ursprüngliche Überzeugung fürs Erste aufgeben. Ist ein tolles Verfahren und z.B. einem Wiki, wo das Endprodukt auch immer wieder in Frage gestellt werden kann, nicht ganz unähnlich.--Andyk 23:18, 12. Okt. 2008 (CEST)

Du hast genau das beschrieben worin meiner Meinung nach das Interessante an der Sache liegt. Hier gibt es einen Inhalt "in progress". Der Dialog integriert mehrere Perspektiven und Standpunkte und hebt sie im Laufe (natürlich unter der Bedingung einer sokratischen Leitung) des Dialogs auf. Fragwürdig ist halt eben, ob eine Öffnung der Inhalte zur freien Bearbeitung immer in solche pseudo konstruktiven Prozesse gerät, bzw. ob ein konsensuelles Vorgehen überhaupt angestrebt wird. Möglicherweise soll ein bestimmter Widerspruch oder eine Dekontextualisierung ja garnicht zur integrierten Wahrheit führen, sondern viel eher als bloße Form herhalten. Gibt es hier zwei unterschiedliche Formen der Neuordnung? Ich finde es noch immer problematisch, ein - ich nenne es jetzt einmal "bloß formelles" - bloß formelles Vorgehen vollkommen auszuschließen. Mit formellem Vorgehen meine ich eine Sprechart, die sich der sokratischen Vereinnahmung oder der dialogischen Praxis überhaupt widersetzt. Ich komme mit der Sache irgendwie nicht ganz klar. --Richardd 08:49, 13. Okt. 2008 (CEST)

Wenn es nur nach diesem Zitat geht, handelt es sich tatsächlich um ein Gespräch und nicht um einen "review". Aber man muss berücksichtigen, dass Thrasymachos im ersten Buch der Politeia als geradezu rabiater Rechthaber beschrieben wird, der Sokrates in die Defensive drängt und unwirsch gegen ihn polemisiert. Und zweitens muss man sehen, dass das sokratische Gesprächsverfahren, das Andyk so treffend beschreibt, - der "elenchos" - aus der Gerichtspraxis kommt. Es hat (auch) den Charakter des jemanden einer Sache Überführens. Jedenfalls handelt es sich nicht um ein "unverbindliches Gespräch". Dann ist aber die Frage: woher bezieht es sein Ziel und wie kann man sich ihm nähern.
Das ist auch der Punkt, wenn Richardd von einer "sokratischen Leitung" spricht. Nach dem Befund der frühen Dialoge führt diese "Leitung" immer in die Ratlosigkeit. Sie ist darauf angelegt, falsche Sicherheiten zu dekonstruieren, aber sie bringt keine eigenen Resultate. Das ist die platonische Zusatzperspektive und Richardd merkt mit Recht an, dass es alles andere als ausgemacht ist, ob das konstruktiv wird. --anna 07:44, 17. Okt. 2008 (CEST)

Bist du Freund und/oder Kalkül?

Ja, das Argument scheint mir einerseits schlüssig (jetzt verstehe ich auch deine Bemerkung, Richardd etwas besser). Sicherlich kann man nicht nur von einem lockeren Gespräch reden, denn wenn es um etwas Wichtiges geht, will man an den Argumenten selbst prüfen, was schlüssig ist und was nicht. Trotzdem kann es sozusagen "unter Freunden" stattfinden. Was mir aufgefallen ist, ist Folgendes: Trasymachos spricht Sokrates in meiner Erinnerung mit sowas wie "mein einfältiger Sokrates" an, während Sokrates immer noch "mein Freund" sagt. Vielleicht lehne ich mich da zu weit hinaus, wenn ich behaupte, dass der Versuch unternommen wird, auch noch diese kühle Gerichtverhandlungsmethode in einen freundlichen Kontext zu bringen, in der man manchmal zwangsläufig die Rolle des Richters annehmen muss, dann aber wieder (und vielleicht gerade aufgrund der Aporie, die im Zusammenhang mit der 'Gerichtsverhandlung' entstanden ist) zurückkehrt und ein Bier miteinander trinkt. Was haltet ihr davon?--Andyk 20:53, 19. Okt. 2008 (CEST)

ad Sokrates unbezahlt

Hier und in Bezug auf das, was weiter oben gesagt wurde, wird das Greifen unterschiedlicher Wissensbildungsbegriffe bzw. Bildungsbegriffe sichtbar. Der jeweilige Bildungsbegriff wirkt sich im unterschiedlichen Verständnis einer möglichen "Wissensproduktion" aus. Liegt das Vorwärtskommen im neuzeitlichen Zweifeln und Auslöschen? In einem konsensuellen, dialogischen Dreischritt? In einer letztlich produktiven Verzweiflung? Möglicherweise im Aufscheinen einer metaphysischen Idee? Jedenfalls scheint mir bei der obengenannten Stelle (Thrasymachos im peer review) die Vermengung eines traditionell sokratisch, idealen Weges mit einem hermeneutischen Weg stattzufinden ... Auf der Basis eines jeden dieser Wissensbegriffe lässt sich dann natürlich ein unterschiedlicher "Wert" des Wissens, der Information konstruieren. --Richardd 15:26, 16. Okt. 2008 (CEST)

Das sind tatsächlich wesentliche Formen der gedanklichen Auseinandersetzung. So, wie wir diskutieren, befinden wir uns in einem Remix dieser Methoden. Es ist aber zur Orientierung hilfreich, sie in idealtypischer Einfachheit zu fassen:
  • Sophistik
  • Elenchos
  • paideia, Dialektik
  • Hermeneutik
--anna 07:51, 17. Okt. 2008 (CEST)


ad Methoden der Wissensproduktion

Ich übertrage hier Ausschnitte aus Benutzer Diskussion:Andyka/Mitschriften/WS08-OSP-E02-10 10 08 weil sie sich gut an den vorigen Punkt anschließen lassen.


Rekursionen

Was mir beim Transkribieren gerade aufgefallen ist: Es ist ganz interessant und auf der anderen Weise etwas ungewöhnlich, eine Tätigkeit auf etwas anzuwenden, was man selbst getan hat und über das jemand anderer redet und worauf man dann noch einmal seine eigene Tätigkeit anwendet. Man kommt sozusagen in eine Schleife, wo man seiner eigenen Tätigkeit auf der inhaltlichen Seite wieder begegnet. ... --Andyk 16:19, 16. Okt. 2008 (CEST)

Andyk trägt zur Vorlesung bei, indem er sie strukturierend verschriftlicht. Der Inhalt der Vorlesung ist u.a. diese Form von Kooperation. Indem ich das hervorhebe, produziere ich Gedanken auf der Basis der gedanklichen Tätigkeit von Andyk. Die Methodenfrage ist nun, wie man diese Schleife beurteilen kann/soll. Es gibt ja "Endlosschleifen" und langweilige Gespräche, "bei denen nichts herauskommt". --anna 08:15, 17. Okt. 2008 (CEST)

Darüber habe ich im Zuge der Vorlesungen von Prof. Hrachovec auch schon des öfteren nachgedacht. Ich muss dabei auch immer an ein kleines Buch von Jacques Derrida denken "As if i were dead / Als ob ich tot wäre", wo Derrida an einem Seminar über sich selbst teilnimmt. Ebenso das Buch über Derrida von Bennington und Derrida selbst. Das Paraphrasieren, Remixen ... ist ja eigentlich ein Grundelement von Derridas Philosphie --> Stichwort Differance. ... --Richardd 16:44, 16. Okt. 2008 (CEST)

Tja. Zu Bennington habe ich einmal eine Rezension geschrieben. Sie beginnt so:
Das Buch, von dem hier zu berichten ist, besteht aus drei sehr unterschiedlichen Beiträgen. Der erste treibt Personenkult, der zweite Personenkult und der dritte Personenkult. Zusammengenommen geben sie ein gutes Bild davon, was an Jacques Derrida wichtig und was entbehrlich ist.
Das ist mein Warnsignal vor dem Drehen endloser Schleifen. --anna 08:15, 17. Okt. 2008 (CEST)


Naja, ganz so kritisch würde ich dem Buch nicht entgegentreten, obwohl ich die meisten Punkte der Rezensionen nachvollziehen kann... --Richardd 09:09, 17. Okt. 2008 (CEST)