Diskussion:Ausbildungsformen der Wissensgesellschaft

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In Ergänzung der Gedanken zur letzten Seminarsitzung. Was kann und soll das Ziel eines Seminars sein?

Zum Können:

Von der Anlage verstehe ich unter einem Seminar eine Erarbeitungs- und Diskussionslehrveranstaltung, in deren Verlauf verschiedene Themen, kanalisiert von der LV-Leiterin(m/w), besprochen, vorgetragen und diskutiert werden. Um an einer Diskussion teilzunehmen benötige ich also Kenntnisse, Meinungen und vielleicht sogar Anschauungen über das behandelte Thema. Es setzt also ein Können voraus. Will frau über Kant sprechen, setzt dies eine gewisse Involviertheit in das Werk Kants voraus - zum besseren Verständnis wird auch historisches Wissen beitragen. Wenn dieses Wissen nicht vorhanden ist, befindet man sich in einem Seminar definitiv in einer "Hol-Schuld", das heißt man wird genötigt, sich das Wissen und die Fach-Termini anzueignen. Bei manglender Neugierde kann man sich eventuell besser in einer VO/UE wiederfinden. Da die Curricula Seminare verpflichtend vorschreiben, sollte man jedoch diese nicht mit rein körperlicher Präsenz und "Seminararbeitchen" erledigen, sondern dem Seminar durchaus einen besonderen Stellenwert der (Aus-)Bildung zumessen. Daher

Zum Sollen:

Für mich stellen sich gute Seminare als Kreisprozesse dar. Wenn gleich die gängige universitäre Praxis dem nicht oft entspricht, möchte ich diese Idee dennoch kurz - als Utopie - bedenken. Als Kontrast zum Kreisprozess könnte man sich eine LV denken, die teleologisch geführt wird, wobei teleologisch aus der Perspektive des Hörers zu sehen. Gerne werden dazu, eine Entlehnung aus der angloamerikanischen Tradition, Lernziele festgelegt:
"Ziel dieses Seminars ist..." oder " Am Ende dieser Lehrveranstaltung werden sie...können!" Diese Sätze klingen vertraut und wiegen uns in der Sicherheit, dass wir in der Hand eines Profis sind, wo wir, unsere Aufmerksamkeit und Mitarbeit vorausgesetzt, sicher sein können, nach Ablauf der vorgeschrieben "Präsenzzeit" in der sicherlich kompetenten "Aura" der Vortragenden(m/w), unsere eigene Kompetenz zu verbessern. Vertraut ist uns auch, dass unsere nunmehr erworbene Kompetenz, durch Bescheinigung in Form einer Zahl auf einem Papier, auch für die Nachwelt überliefert ist.
So wichtig und notwendig diese Vorgehensweise für unser, speziell österreichisches, Zusammenleben und darüber hinaus für Einführungsveranstaltungen ist, so irritierend würde sie für ein Seminar "Ausbildungsformen der Wissensgesellschaft" wirken.
Gerade die Partizipation, statt Anwesenheit, und die Reflexivität des Themas, legen die Idee eines Kreisprozesses nahe. Protokolle können sowohl beschrieben (im Sinne von: etwas über sie aussagen) werden, als auch selbst die Beschreibungen enthalten und damit die Beschreibung und Kommunikation beeinflussen. Doch ist das nur ein Aspekt. Durch das Durchgehen könnte man sich nachher auf einer neuen Stufe des erklärenden Verständnisses wieder finden, doch davor sei gewarnt, die eigene Epistemologie könnte erschüttert werden.
Dass dies gegen die landläufige Orthodoxie von Didaktik verstößt, ist ebenso evident, wie tief verwurzelt in der abendländischen Erziehung. Heinz von Förster schreibt in einem anderen Zusammenhang, allerdings gegen eine ähnliche Orthodoxie gerichtet, folgendes:

"Als die Kybernetiker über Partnerschaft in der Zirkularität des Beobachtens und Kommunizierens nachdachten, betraten sie eindeutig verbotenes Land [sic! Anm. d.V.]. Im allgemeinen Fall eines zirkulären geschlossenen Systems impliziert A B, B impliziert C, und (o Schreck!) C impliziert A! Im reflektiven Fall impliziert A B, und (Schock!) B impliziert A! Und nun der Pferdefuß des Teufels in seiner reinsten Form, der Form der Autoreferenz: A impliziert A (Skandal!)." Förster, Heinz von: Ethik und Kybernetik zweiter Ordnung, in Watzlawick, Paul; Nardone, Giorgio: Kurzzeittherapie und Wirklichkeit, Eine Einführung, 2003


An diese fast humoristische Darstellung errinnerten mich die Argumentationen der letzten Seminarsitzung. Noch einprägsamer formuliert es Georg Christoph Lichtenfels fast 200 Jahre vorher. In seiner Kritik am "Chinesentum" läßt er den ehrenwerten Mandarin Wang-o-Tang folgendes zusammenfassen: (Diese Ausführungen entstammen der Homepage von Professor Franz Martin Wimmer Bilder von China in Europa (Franz Martin Wimmer)):

"...Jetzt philosophiert man, wie man lackiert nach Rezepten. Oder so wie wir Musikanten haben und keine Musiker mehr, so haben wir auch nur bloß Philosophanten und Physikanten, und keine Philosophen und keine Physiker mehr." Lichtenfels, Georg Christoph: Von den Kriegs- und Fast-Schulen der Schinesen, neben einigen andern Neuigkeiten von daher (1796). In: Hsia, Adrian (Hg.): Deutsche Denker über China. Frankfurt/M.: Insel 1985, S. 103-116, S. 112f

Es bleibt auf Kreisprozesse zu hoffen, damit weiterhin Pädagogen und Philosophen und nicht Pädanten und Philosophanten unsere Universität verlassen.

--Koe 12:51, 2. Nov 2005 (CET)


Zum Seminarziel und zur Vorgangsweise

Auch Kreisprozesse schließen nicht aus, dass sie um ein konkretes Thema kreisen. Und das Thema lautet laut Vorlesungsverzeichnis "Ausbildungsformen der Wissen(sgesell)schaft". Als ich mich entschloss, dieses Seminar zu besuchen, hatte ich eine vage Vorstellung davon, worum es hier gehen könnte. Dass wir uns stundenlang mit Protokoll- Headern beschäftigen, war für mich - und offenbar für die meisten anderen Teilnehmer - nicht zu erwarten. Auch wenn das Ziel nur sehr grob, nämlich in Form des Titels, bekannt ist, so meine ich, dass wir uns nicht auf das Ziel zubewegen, ja es nicht einmal umkreisen. Gerade wenn kein konkretes Ziel vorgegeben ist, sollten die Teilnehmer dieses (oder den Kreisprozess) mitgestalten. Ich gebe zu, dass die bisherigen Beiträge des Teams (und auch meine) nicht ausreichten, doch da kann Moderation helfen. Nicht allerdings, wenn sich letztere auf Vorwürfe und auf die Aufforderung beschränkt, einen E-Mail Header zu analysieren, und andererseits nicht eimal die vereinbarten Protokolle einfordert.

Die Wissensgesellschaft ist ja eine Folge der Dienstleistungsgesellschaft. Und in letzterer nimmt man zu Problemen, die Andere besser lösen können (wie E-Mail- Fehlermeldungen), kompetente Dienstleistung in Anspruch.

Raimund Hofbauer

  • Die Inhaltsvorgaben waren in der Tat schmal und wechselnd. Aber mittlerweile gibt es doch einige Unterlagen.
  • Protokolle einfordern: good point.
  • Nachdrücklicher Widerspruch zur Dienstleistungsgesellschaft. Soll ich mit dem Taxi fahren, weil der Taxler besser Auto fährt als ich? Soll ich mir von jemandem anderen die Zeitung erklären lassen, weil sie politisch gebildeter ist? Soll immer nur meine Frau kochen? --anna 16:04, 7. Nov 2005 (CET)

Nachdrückliche Befürwortung der Dienstleistungsgesellschaft (Dienstleistung macht inzwischen 2/3 unserer Wirtschaftsleistung aus):

  • soll ich künftig Wissen nicht mehr aus Vorträgen/Vorlesungen (auch gestreamt) bzw. interaktiven Veranstaltungen (Seminare/Workshops) beziehen sondern ausschließlich aus Büchern (Ware) bzw. Internet (immaterielles Wirtschaftsgut, hat - soferne nicht interaktiv - auch Warencharakter)?
  • Soll ich nicht mit dem Taxi fahren, wenn ich mich fahruntauglich fühle oder wenn dies ökonomischer ist als ein eigener PKW (was bei Großstädtern, die "in die Ferien" fliegen, oft der Fall ist), oder gar Öffis benutzen (auch die sind Dienstleistung, obendrein billiger und ökologischer)
  • Soll ich politisch Gebildetere nicht zu einem Zeitungsartikel befragen?
  • Soll ich meine Steuererklärung nicht vom Steuerberater erstellen lassen und mir damit mehr ersparen, als dieser kostet (vor Allem wenn er in Indien sitzt)?
  • Soll künftig ich kochen und meine Frau Holzhacken (übrigens zählt beides nicht zur Dienstleistung, da nicht am Markt angeboten)
Alle oben angeführten Fragen setzen ein Grundverständnis voraus, dass oben eingefordert wurde. Nur ein Beispiel:

  • Soll ich nicht mit dem Taxi fahren, wenn ich mich fahruntauglich fühle oder wenn dies ökonomischer ist als ein eigener PKW (was bei Großstädtern, die "in die Ferien" fliegen, oft der Fall ist), oder gar Öffis benutzen (auch die sind Dienstleistung, obendrein billiger und ökologischer)
Die Beurteilung der eigenen Fahruntauglichkeit benötigt als Referenz ein Normensystem. Ich muss also schon wissen wie sich Fahrtauglichkeit "anfühlt" um zu entscheiden. Selbiges benötigt man auch für weitere Dienstleistungungen. Nun galt es dieses Verständnis auf akademischer Ebene einzufordern. Eine Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit um einen kompetenteren, externen Spezialisten zu beauftragen. Die Hypothese war, dass es sich um eine kategorische Kapitulation vor einem etwaigen Problembewusstsein handelt. Was sich empirisch von 16:15 bis 17:45 durchaus bestätigen ließ.

Letzteres führt zur Betrachtung nicht pekuniär abgegoltener Leistungen in der Gesellschaft (echte Nachbarschaftshilfe, soziale Dienste, Open Source/Free Software samt WIKI etc.). Der Lohn ist oft "nur" Anerkennung, manchmal Umwegrentabilität, mehr oder weniger Reziprozität. Derartiges Engagement von Wissensvermittlern (Lehrer, Content Provider), von Kollegen und (zunächst) Fremden über Kommunikationsmedien sind wesentliche "Ausbildungsformen der Wissensgesellschaft".

Stimmt- ich würde Wissensvermittler aber auch mit der Vermittlung von skills assoziert sehen, was die Kenntnis technischer ( im weitesten Sinne) Sachverhalte einschließt und manchmal voraussetzt. Die Grenze ist hier verwischt.--Koe 21:57, 8. Nov 2005 (CET)

Raimund Hofbauer, 7.11.05

Zum Artikel "Hermeneutik einer Fehlermeldung"

Da ich Sorge habe, das die begonnene - meines Erachtens fruchtbare - Diskussion dieses Artikels nim Plenum nicht fortgesetzt wird, gebe ich folgende Comments zu Kapitel 5 (das übrigens ohne Kenntnis der technischen Details aus Kapitel 1 bis 3 verständlich ist):

- Privatheit von E-Mail (6. Absatz): nicht nur E-Mails sondern auch Telefonate werden abgehört und Briefe geöffnet, wenngleich dies im Privatbereich eine richterliche Zustimmung erfordert, firmenintern ist hingegen keine Genehmigung erfoderlich.

- lateinische Texte (9. Absatz): es ist nicht richtig, dass die Lektüre eines lateinischen Textes durch die für die Sache zuständige Person erfolgt. So lässt ein Großteil der Lokalhistoriker die mittelalterlichen lateinischen Urkunden von Kollegen, den Archivaren oder externen Dienstleistern übersetzen. Dass sich die Kenntnis der Übertragunsprotokolle grundsätzlich von Sprachkenntnis unterscheidet, wurde bereits von anderer Seite festgestellt. Außerdem handelt es sich ja gerade bei E-Mail Headern oder Fehlermeldungen nicht um Content (wie bei den erwähnten Urkunden), ja nicht einmal um Leseanweisungen (wie die mittelalterlichen Abbrevationen), sondern lediglich um Transporthinweise, die im Falle von Briefen auf den Umschlägen vermerkt sind (zB "retour, Adressat unbekannt"). Weiters änderten sich die erwähnten Sprachen im Laufe eines Jahrtausends weniger als die elektronischen Transporthinweise innerhalb eines Jahres. Wer will bzw. kann da schon mitlernen? Und zuletzt fehlt den Fehlermeldungstexten jeglicher ästhetische Wert.

- Vergleich von E-Mail mit Funkkontakt (drittletzter Absatz): Da E-Mails grundsätzlich adressiert werden, gleichen sie keinesfalls Verteildiensten wie Fernwärme oder Fernsehen (Broadcast), sondern Postsendungen (große Verteiler entsprechen Massensendungen). Hingegen kann das Web eher mit Verteildiensten verglichen werden, denn da besteht Holschuld.

- Philosophische Methoden (Schlussatz): die vier philosophischen Zugänge betreffen nicht nur Fehlermeldungen bei E-Mails sondern die kompletten "Ausbildungsformen der Wissensgesellschaft", insbesondere jene, die sich durch Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnik aber auch in der Kommunikationssoziologie neu etablieren. Sie sind provokativ und wohl auch nur beispielhaft zu verstehen. Darüber zu diskutieren, wäre interessant.

Raimund Hofbauer