Diskussion:Telepräsenz (PhÜD)

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Telepräsenz und "entfernte Nachbarschaft"

Bisher wurden im Rahmen der “Tele-Präsenz” räumliche und zeitliche Aspekte behandelt. Mein Anliegen in diesem Eintrag ist, eine moralische Konnotation von “Nähe” zur Diskussion beizutragen, die mit der Erweiterung der technischen Möglichkeiten einhergeht.

Was ein Dorf als solches auszuzeichnen scheint ist eine Art “Nachbarschaft”. Im Sinn der bisher erörterten “Tele-Präsenz” möchte ich diese wie folgt beschreiben: Nachbarschaft ist ein Zustand zwischen enger Vertrautheit, wie etwa zu Familienmitgliedern, und Distanz, wie etwa zu einem Menschen, mit dem einen nichts verbindet. Die Spannung im Ausdruck “globales Dorf” liegt meiner Meinung nach darin, dass der Begriff “Nachbarschaft”, der hier konnotiert zu sein scheint, hier hoffnungslos überbeansprucht wird. Welcher Mensch ist dermaßen “upgraded”, dass er die Welt, die ihm plötzlich zugänglich ist, auch zu schultern vermag? Selbst trivialste moralische Imperative wie “Liebe die Nächsten wie dich selbst” werden subvertiert, indem die Kognitionsfähigkeit des Menschen durch die Globalität hoffnungslos überlastet wird (vgl. Jansen et al. 2012 15ff). Ein “globales Dorf”, im Sinn einer “Nachbarschaftlichkeit” scheint es aufgrund dieser Überforderung nicht realiter geben zu können, denn es fehlt der Blick von oben auf die gesamte Weltgemeinschaft und dementsprechend ist nicht zu erwarten und auch nicht zu verlangen, dass ein Individuum sich seiner globalen Vernetzungen vollkommen bewusst sein kann (vgl. Coeckelbergh 2011).

Von diesem Einwand gegen die Möglichkeit einer “weltumfassende Nachbarschaftlichkeit” möchte ich übergehen zu technischer Mediation: Prinzipiell scheint es meiner Meinung nach eine unterstützenswerte Überzeugung zu sein, dass die aktuellen Übertragungs- oder Transzendierungstechniken einen Zustand ermöglichen, der eine “als-ob-Nachbarschaft” vorstellbar macht. Gleichzeitig möchte ich behaupten, dass diese “Nachbarschaftlichkeit” durch genau dieselben Technologien verkompliziert, wenn nicht sogar verunmöglicht wird.

Um diese Behauptung zu verdeutlichen möchte ich ein Beispiel vorstellen: In demselben Maße wie es möglich geworden ist, eine Zielperson von einem mehrere tausend Kilometer entfernten Punkt der Erde aus zu observieren oder, wie im Fall der UAVs, auch zu eliminieren, wird “Nähe”, im Sinn der “Nachbarschaft”, verunmöglicht.

Wie bekommt ein Anwesender den Abschuss einer Zielperson in seiner (physischen) Nähe mit? Der Knall eines im Gefecht detonierenden Sprengkörpers ist dermaßen laut, dass er Trommelfelle zerreißen kann. Die Explosion zerfetzt einen Körper und lässt blutige Klumpen übrig. Gerade wenn Zivilisten sich in der Nähe befinden, hört man Schreie, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, man sieht fassungslose Gesichter und spürt die Panik, die das Ereignis auslöst. Besonders, wenn der Angriff im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel kommt. Ich kann mir vorstellen, dass man als Zeuge eines solchen grauenhaften Spektakels irgendwann aufhört, gen Himmel zu blicken, um keinen Schlag von oben herauszufordern.

Was von dem bekommen die Steuernden der UAVs mit? Die Onomatopoesie “Splash!”, die der sensor operator von sich gibt, wenn eine Detonation erfolgt ist, zerreißt kein Trommelfell, Die Auflösung der Kameras, durch die das Geschehen überwacht wird, ist nicht hoch genug, um mehr als nur Pixelhaufen erkennen zu lassen. Die Schreie, die Verzweiflung, die Überraschtheit, die Panik, die Angst; nichts von alledem ist für die Beobachter erfahrbar.

Noch weniger erfährt eine sich irgendwo anders auf dem Globus befindliche Person, die die Vorgänge nur aus den Medien kennt. Der Sachverhalt wird zu einem Punkt auf der Landkarte, der mit meist plakativen Vorstellungen verbunden ist. Diese Vorstellungen basieren, sogar noch mehr wie die der UAV-Pilotin, auf einer Reduktion des Sachverhalts auf bestimmte Aspekte. Die Bilder in den Massenmedien sind “sauberer” als die, die ein physisch Anwesender wahrnimmt.

Ich möchte behaupten, dass diese Reduktion dazu beiträgt, dass von einem “sauberen Krieg” zu sprechen Methode wird. Auch wenn unter “sauberer Krieg” gemeinhin verstanden wird, dass weniger Kriegsverbrechen vor Ort begangen werden (Misshandlungen, Folter, Vergewaltigungen, usw.), die mit zum Grausigsten gehörten, was bisherige Kriege angeht, und dass weniger Zivilisten getötet werden, weil die Technologien es zulassen, fast schon wie mit einem Skalpell zu operieren, gehört auch der oben genannte Aspekt mit dazu, ist vielleicht sogar der dominierende.

Die vermeintliche “Sauberkeit” scheint dazu zu führen, dass Sachverhalte verharmlost werden, die, machte man sich ein umfassenderes Bild, nur unberechtigerterweise verharmlost werden können. Es scheint, als könne man bei allem mitmachen, solange die Sache in dem beschriebenen Sinn “sauber” ist, so wie etwa die Deutsche Bundesregierung, die den US-Amerikanern erlaubt, von der Militärbasis Ramstein aus, also auf deutschem Territorium, Verarbeitungsprozesse ablaufen zu lassen, die essentiell für Einsätze der UAVs sind. Auf diesen Sachverhalt angesprochen wird auf die starke Bündnispartnerschaft zwischen den USA und Deutschland verwiesen (Deutscher Bundestag - Drucksache 18/2794 10). Man stelle nur Sachtechnik zur Verfügung, ohne dass von deutschem Boden aus Einsätze gesteuert oder befehligt werden (ebd. 8). Der Oberbefehlshaber der Air Force in Europa (USAFE), Gen. Frank Gorenc, spricht von der großen Unterstützung Europas, die notwendig ist, um zeitnah und jederzeit zum Einsatz bereit sein zu können ([1]). Das zeugt von einem Vertrauen der Deutschen Bundesregierung dem Bündnispartner gegenüber, das schier unerschütterlich wirkt. Dieses Vertrauen fußt aber, so scheint es, nur darauf, dass lediglich die unaufregende Lautmalerei “Splash!” und ein pixeliges Video zirkulieren und keine Säcke mit Leichenteilen.Wenn alles sauber ist, ist der Komplize der “Bündnispartner”. Warum verursacht der Sachverhatl der Mittäterschaft nicht mehr Unbehagen in der Regierung und der Bevölkerung? Meiner Meinung nach liegt es daran, dass die Option zu wissen, was sich da genau abspielt, welche nur durch eine Reduktion erreichbar wird, auf die selten bis nie hingewiesen wird, vergaukelt, dass dadurch eine Nähe erzeugt werden kann zu den Ereignissen, die, wie eingangs erwähnt, eigentlich nicht erreichbar ist. Die Bilder erzeugen gerade soviel Empathie in den Medienkonsumenten, um genug Nähe vorzugaukeln, damit der Wunsch nach weiterem Konsum der Medien erzeugt wird, aber zu wenig Nähe, um den Sachverhalt wirklich adäquat erfahrbar zu machen.

Dass eine “Nachbarschaft” im oben beschriebenen Sinn des “globalen Dorfes” erzeugt wird, scheint eine Illusion zu sein. Während durch die Möglichkeiten des Zeigens der Sachverhalte in großer Distanz vorgegaukelt werden soll, dass es sich bei den Gezeigten um “entfernte Nachbarn” handelt, scheint doch eher - ich bitte um Verzeihung für das etwas banale Wortspiel - Nachbarschaft entfernt, also verunmöglicht zu werden. Die vermeintlich vermittelte Nähe wird durch die Vermittlung proportional wieder zurückgenommen. Die Spannung, die im Ausdruck “globales Dorf” liegt, scheint genau in diesem Zustand des Wollens von Nähe bei gleichzeitiger Verkomplizierung oder gar Ausschließung der Nähe durch die Habhaftwerdung durch Reduktion, die notwendig ist, um der Sachverhalte kognitiv habhaft zu werden, zu bestehen.

Nun könnte man den Einwand machen, dass eine bessere Auflösung der Kameras, mehr den Sachverhalt betreffende Informationen, dabei helfen könnten, die Spannung aufzulösen und ein echtes “Nachbarschaftsgefühl” entstehen zu lassen. Im Moment gibt es z. B. Pläne für ein Fluggerät namens “Soalr Eagle” ([2]), das für sehr lange Zeit in der Luft bleiben kann und für eine hochauflösende Kamera namens “Argus” ([3]).

Doch: kann dadurch wirklich das Gefühl der “Nachbarschaftlichkeit” erzeugt werden? Ist nicht das Verhältnis solange asymmetrisch - und damit einer Nachbarschaft unzuträglich - solange auf der einen Seite des Zaunes alles von oben überblickbar ist, die Eindrücke jedoch, die sich dadurch ergeben, notwendigerweise für den Konsum in der beschriebenen Weise reduziert werden müssen, während auf der anderen Zaunseite nicht gesehen wird, wer einen sieht, dafür allerdings kein Überblick mehr möglich ist wegen des Chaos, das vor Ort herrscht? Darf Krieg einseitig dermaßen “verharmlost” werden? Ist es nicht zuträglicher für eine “Nachbarschaft”, wenn das Grauen, unter dem die Nachbarin leidet, für den Beobachter schier unerträglich wird? Sind nicht alle Überzeugungen, Meinungen, Initiativen auf der “sauberen” Seite zwar lobhaft, wenn trotz der verharmlosenden Reduktion so gehandelt wird, als-ob das Grauen wirklich erfahrbar wäre, diese Erfahrbarkeit allerdings ein Betrug zu sein scheint? Müsste man dem Diktum Nietzsches folgend, dass der Abgrund zurückblickt (Nietzsche 1968 98), sich nicht dem Blick des Ungeheuers Krieg stellen, um von einer wirklich Nachbarschaft, einem wirklich “gloabeln Dorf” sprechen zu können? Ist dieses sich-dem-Blick-Stellen nicht schon vorab verkompliziert durch die Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit, Ereignisse auf globaler Ebene hinreichend verarbeiten zu können? Zerreißt die Spannung die zusammengesetzten Begriffe “globales Dorf” und “distante Nachbarschaft”?

Literatur:

Coeckelbergh, Mark - Infromation Technology, Moral Anxiety, and the Implosion of the Public Spehre: A preliminary Discussion of the MacLuhanian Problem of Responsibility; https://moodle.univie.ac.at/pluginfile.php/2052809/mod_resource/content/1/76.pdf

Deutsche Bundesregierung (2014) - Drucksache 18/2794: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Niema Movassat, Sevim Dağdelen, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/027/1802794.pdf

Jansen, Stephan/Stehr, Nico/Schröter, Eckhard []Hrsg.] (2012) - Positive Distanz: Multidisziplinäre Annäherungenan den wahren Abstand und das Abstandwahren in Theorie und Praxis; Springer; Wiesbaden

Nietzsche, F. (1968) - Jenseits von Gut und Böse; de Gruyter; Berlin

Euphon (Diskussion) 14:30, 14. Apr. 2016 (CEST)

Medien und Übersetzungen

Von Walter Benjamin kann man erfahren, dass die Aufgabe der Übersetzerin darin liegt, nicht nur das “Gemeinte”, sondern auch die “Art des Meinens” zu übertragen [[4]], also das Wie des Meinens; mit Wittgenstein könnte man sagen: die “Lebensform”. Benjamin zufolge sei es angebracht, wortwörtlich zu übersetzen, um auf die Unterschiede der Weisen des Meinens in der jeweiligen Sprache aufmerksam zu machen. Schlechte Übersetzungen seien jene, die bloße die Mitteilung übertragen.

Medien sind Vermittler und das Vermittelte ist immer eine Übersetzung. Ein Sachverhalt an einem bestimmten Ort wird von Mitarbeiterinnen von Medieninstitutionen in Texte und Bilder verwandelt. Diese werden, in elektrische Signale transformiert und durch Empfangsgeräte wieder rückverwandelt und von verschiedenen Beteiligten unter mehr oder weniger großem Zeitdruck selektiert und editiert, dann erneut in elektrische Signale verwandelt, die, unter Mithilfe von verschiedensten Institutionen und Technologien, an Endgeräte übertragen werden und schlussendlich den Bildschirm im Wohnzimmer zum Leuchten bringen, Es ist naheliegend, dass durch den Anspruch, den Sachverhalt für die Konsumenten zugänglich zu machen, das Gemeinte in der Art dasselbe geblieben ist, wie die Übersetzung von “Brot” in “pain”. Gerade dies macht aber nach Benjamin eben eine schlechte Übersetzung aus, da das Wie des Meinens, die Assoziationen, welche die jeweiligen Wörter “Brot” im Deutschen und “pain” im Französischen herausfordern, genauso wie das Aufblitzen der realen Höllenfeuerrakete und das Aufblitzen auf dem Bildschirm, zerfetzte Trommelfelle und Leiber und Onomatopoesien und Pixelhaufen, keine Berücksichtigung finden, unsichtbar gemacht wird.

Eine Vermittlung ist nicht unbedingt eine Übersetzung im Benjaminschen Sinn. Die Radio- oder TV Livereportage will und kann ein Ereignis nicht in dem Sinn übersetzen, dass es 1:1 wiedergegeben wird. Das unterscheidet sich davon, dass der Gebrauch des Terminus "pain" in vielen Fällen genau derselbe sein soll, wie jener von "Brot".
Es ist zwar richtig, dass in einer Übertragung auch die Besonderheit des Mediums beachtet werden sollte, wie die Weise des Meinens beim Übersetzen. Aber die Kenntnisnahme der technischen Spezifika des Vermittlungsprozesses ist zu unterscheiden vom Wissen davon, dass das Übertragene andere Konnotationen hat, als das zu Übertragende.
Darum würde ich die Art des Meinens auch nicht mit der Wittgensteinschen Lebensform parallelisieren. Worte zwischen zwei Sprachspielen zu korrelieren kann auf doppelte Weise verstanden werden. Einmal als Angabe eines möglichst passenden Äquivalents ("Übersetzung"), dann aber auch ohne diesen Anspruch, sozusagen als Export. Das wären z.B. Fremdworte ("peer review", "grunge") oder Performativa ("stop", "o.k."). Davon zu unterscheiden sind dann noch übertragene Verhaltensweisen. Wenn z.B. im Dezember in Zentralafrika "Leise rieselt der Schnee" gesungen wird.

--anna (Diskussion) 16:57, 10. Mai 2016 (CEST)

So wie ich den Text von Benjamin verstehe, ist der springende Punkt der, dass eine wortgetreue Übersetzung nicht akzeptabel ist, weil sie abträglich für das Verstehen ist - eine Amerikanerin kann mit der Phrase: “don`t buy the cat in the bag” nichts anfangen -, die freie Übersetzung allerdings ebenfalls nicht wünschenswert, weil “die Katze im Sack kaufen” und “to buy a pig in a poke” Unterschiede einebnet und deswegen zur wortwörtlichen Übersetzung geraten wird, die zwar daneben gehen muss, weil es sich immer um eine Diskontinuität, einen Sprung handelt - der bei der freien Übersetzung unsichtbar gemacht wird -, was nur durch die wortwörtliche Art der Übersetzung hervorgehoben wird. Es geht also gerade darum zu zeigen, dass eien 1:1-Übersetzung in keinem Falle möglich ist, der eine einigermaßen wünschenswerte Übersetzung darstellen soll. Selbst in den Fällen, in denen “Brot” genau “pain” bezeichnet, ist das eigentlich nicht so, weil immer alternative Arten des Meinens mitgedacht werden müssen, auch wenn alles trivial und unroblematisch aussieht.
Die Medien liefern natürlich auch keine adäquaten Übersetzungen; mir ist daran gelegen diesen offensichtlichen Fakt vor Augen zu führen, weil ich beobachte, dass er immer wieder hervorgehoben werden sollte, weil er so offensichtlich ist, dass man ihn gern übersieht.
Diese Beobachtung führt mich zum Begriff “Lebenform” bei Wittgenstein. Würden Sie mir zustimmen, dass der Begriff “Lebensform” auch nichtsprachliche Muster enthält (z. B.: Grußformen, Ostensivrelation) und dass die gemeinte “Lebensform” nicht unebdingt eine menschliche Lebensform (Hoffen, Beten) sein muss, sondern auch eine technische sein kann? Dann könnte man einen Vergleich machen wie: Der abduzierte Arm und die dem Gegenüber gezeigte palmare Handseite fordert dieses dazu auf, auf den Gruß zu reagieren, genauso wie eine Temposchwelle einen Autofahrer dazu auffordert, langsamer zu fahren. Auch wenn eine Beobachterin nicht weiß, worum es in den beiden Beispielen jeweils geht (es keine Erklärung in Form z. B. eines Verkehrsschildes gibt), sieht sie alles was sich absspielt; sie benötigt eigentlich nicht mehr Informationen, kann aber dennoch komplett im Dunklen tappen. Wer nicht im Dunklen tappt, übersieht dieses und es scheint derjenigen, als gäbe es keine Diskontinuitäten, keine Sprünge, als hätte das Übertragende eben keine Wirkung auf das zu Übertragende.
Die Frage, die sich für mich stellt ist: Welche Rolle spielt das Medium? Und mit meiner Interpretation von Benjamin und Wittgenstein möchte ich antworten: Weder macht es keinen Unterschied, noch ist der Unterschied einer der Art nach; Das Medium ist keine autonome, der “menschlichen Lebnsform” externe Entität; es darf nicht rein technikdeterministisch gesehen werden. Aber trotzdmem ist es mit etwas beschäftigt, das ein Mensch nicht bewerkstelligen würde: Es überwindet große Diskontinutitäen und für Menschen nicht vollziehbare Sprünge im Übertragungsprozess.
Mein Anliegen ist es, diese seltsame Rolle des Übertragenden als nichtsprachliche, aber trotzdem artikulierte/artikulierbare Lebensform im Sinne Wittgensteins zu sehen, die dem Benjaminschen dreiteiligen Überlegungen zum Begriff der “Übersetzung” ähnlich operiert (eine wortgetreue Übersetzung ist aufgrund der Sprünge, Diskontinuitäten und Spannungen innerhalb der Lebensformen nicht zu haben; eine freie Übersetzung vermag es nicht, die Sprünge und Diskontinuitäten miteinander in Beziehung zu setzen; die wortwörtliche Übersetzung macht die Spannungen ersichtlich; sie übersetzt, und übersetzt nicht).
Jetzt habe ich nochmal genauer zu beschreiben versucht, worum es mir geht, aber ich nehme Ihre Einwände zur Kenntnis und sehe ein, dass ich mit meiner Interpretation das Risiko eingehe, den hervorgehobenen Autoren, mir selbst und der Leserin einen Bärendienst zu erweisen. Denn mein Schluss muss lauten, dass zwar ein Unterschied zwischen den technischen Spezifika der Übertragung und dem Wissen um die Differenz zwischen Übertragenem und Übertragendem besteht, dass aber trotzdem eine enge Relation zwischen beidem besteht, dass eines nicht ohne das andere zu haben ist. Bei Benjamin ist dieser Punkt offensichtlich, aber die in Die Aufgabe des Übersertzers formulierte Medientheorie ist nur wenig ausformuliert. Der riskante Punkt meiner Interpretation ist dort, wo ich annehme, dass Wittgensteins Konzept der “Lebensform” hier weiterhelfen kann.

Euphon (Diskussion) 17:40, 26. Mai 2016 (CEST)

Auf die von Benjamin vorgeschlagene Herangehensweise wurde von Seiten der Übersetzer ablehnend reagiert und genauso ablehnend stehe ich der Schlussfolgerung gegenüber, dass die Fernseher in den Wohnzimmern explodieren sollten, um eine “wortwörtliche” Übertragung zu gewährleisten. Worauf ich allerdings mit dem Gesagten hinweisen möchte ist, dass Benjamin einen Gedanken formuliert hat, der für die oben vorgestellte Problemstellung relevant sein könnte: Auch wenn die Unterschiede von der schlechten Übersetzung unsichtbar gemacht werden, weil es manchmal nicht anders geht, sollte doch niemals vergessen werden, was da eigentlich unsichtbar gemacht wird. Denn in der Differenz stecken normative Ansprüche, die in dem Maße ignoriert werden, in dem die Übersetzung einfach als solche hingenommen wird.

Zu behaupten, dass die Welt eine Bühen sei, ist in der Hinsicht die zynische Devise derer, die die Augen des Publikums auf das Bühnenbild lenken wollen, um vom Theater abzulenken.

Euphon (Diskussion) 12:53, 1. Mai 2016 (CEST)

Die Frage nach der Rolle von technischen Artefakten und technischen Medien

Im Folgenden stelle ich vier Gruppen von Sichtweisen vor, wie man Technologien und damit die Rolle von technischen Medien, oder technische Artefakte im Allgemeinen, bestimmen kann. Es handelt sich um sehr heterogene Gruppen und es gibt natürlich Interrelationen und Überschneidungen, aber für eine grobe Einteilung reicht die Vierfalt:

1. Technologien in phänomenaler Hinsicht sind autonom, wachsen uns über den Kopf, weil wir uns nicht mehr vorstellen können was wir herstellen können; technischer Fortschritt ist unvermeidbar; die Menschen können sie nicht mehr kontrollieren, oder laufen Gefahr sie nicht mehr kontrollieren zu können; sie beeinflussen die menschliche Gesellschaft in kleinerem oder größerem Ausmaß. Ein Beispiel für eine solche Sichtweise ist die Aussage: “Waffen töten Menschen.”

2. Technologien in noumenaler Hinsicht sind immer Kulturtechniken; sie unterliegen einem Plan, der von Menschen gemacht wird; sie sind bloß Instrumente für menschliche Handlungsorientierungen; sie sind Teile des menschlichen Diskurses und der Kommunikation; sie sind kontrollierbar und können für eine Anwendung wie für eine andere eingesetzt werden, wenn der Plan geändert wird. Ein Beispiel für diese Perspektive ist die Aussage: “Menschen töten Menschen (mit Hilfe von Waffen).”

3. Technologien in holisitischer Hinsicht sind aufs Engste mit der phylo- und ontogenetischen Entwicklung der Menschen verbunden; sie sind Bestandteile von Handlung(sorientierung)en an denen sie gemeinsam mit Menschen Anteil haben; sie sind die Lebenserhaltungssysteme der Menschen; sie sind nicht bloß politischen, ökonomischen, oder ethischen Überlegungen unterworfen, sondern bestimmen diese mit. Ein Beispiel für diese Perspektive ist die Aussage: “Nicht Menschen oder Waffen für sich allein genommen töten, sondern Assoziationen und Insitutionen wie etwa die Scharfschützin, die beim US-amerikanischen Militär arbeitet.”

4. Technologien in dualistischer Hinsicht sind unterschieden von Menschen, stehen aber mit diesen in einem engen reflexiven, rekursiven Ermöglichungszusammenhang; sie sind entweder Verkörperungen der Gesellschaft oder Ursachen für die Veränderung von Gesellschaft; sie sind in einem Wechselverhältnis aus Resourcen und Routinen mit Menschen verstrickt. Ein Beisiel für diese Sicthweise ist die Aussage: “Menschen und Waffen töten Menschen.”

Jede der vier Sichtweisen hat ihre Schwächen: Die Punkte 1. und 2. stellen asymmetrische Verhältnisse dar, in denen entweder Technologie oder die menschliche Gesellschaft in den Vordergrund gestellt wird. Problematisch ist die Einseitigkeit, die der jeweiligen Perspektive zugrundeliegt. 3. und 4. sind demgegenüber symmetrisch angelegt; Relationen verlaufen in beide Richtungen. Problematisch beim dritten Punkt ist, dass eine “Lebensform” (wie im oberen Einwand vorgestellt, nicht mit Wittgenstein konnotiert) angenommen werden muss, die sich durch technologische und nicht-technologische Aspekte betreffende Sachverhalte gleichermaßen hindurch zieht, was die Bestimmung der Rolle der technischen Artefakte mehr verdunkelt als erhellt. Problematisch beim vierten Punkt ist, dass jede Bestimmung technologischer Artefakte (also auch technischer Meiden) in zweipoligem Verhältnis belassen werden muss, was dazu führt, dass immer nur zwischen einem und dem anderen hin- und hergegangen werden kann, ohne beide in ihrer gemeinsamen Rolle beschreiben zu können, ohne eine einheitliche Rollenzuschreibung vornehmen zu können.

Wie eingangs erwähnt handelt es sich bei jedem der vier Punkte um sehr heterogene Assoziationen und wenn man den jeweiligen Bereichen einzelne Autoren zuordnen würde, dann würde sich zeigen, dass es bei vielen Autoren in bestimmten Hinsichten zu Überschneidungen und Interrelationen zwischen zwei oder mehreren von den vier Bereichen kommt.

Was ich sagen möchte ist, dass, vorausgesetzt meine oberflächliche Einteilung umfasst alle Möglichkeiten, wie in der einschlägigen Literatur Fragen nach der Bestimmung der Rolle der Technologien beantwortet werden, es bisher keine Möglichkeit gibt, die Frage nach dieser Rolle zufriedenstellend zu beantworten - und dass mich das stört…

Meiner Meinung nach könnte man sich der Bestimmung der Rolle von Artefakten und technischen Medien zumindest indirekt annähern. Indirekt gesehen ist, so möchte ich behaupten, die Rolle von technischen Artefakten und technischen Medien immer mit einer Art von Übersetzung verbunden; es geht in Bezug auf Technologien immer um eine Übersetzungsleistung zwischen Komponenten, die ohne einen Zusammenhang (wie eben einen in Technologien hergestellten) nichts zu verbinden scheint. In der Weise man zum Beispiel fragt, was denn die “wortwörtliche” von der “wortgetreuen” Übersetzung genau unterscheidet, kann man auch Fragen, wie Technologien einen Zusammenhang zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Aspekten herstellen. Wie übersetzt man und übersetzt gleichzeitig nicht? In eine ähnliche Richtung geht meiner Meinung nach die Frage: Wie erhält man den Dualismus aufrecht, wie er im vierten Punkt beschrieben worden ist, und stellt diesen auf eine holisitische Basis, wie sie im dritten Punkt kurz vorgestellt wurde? (Die Punkte 1. und 2. sind meiner Meinung nach aufgrund ihrer jeweiligen Einseitigkeit zu vernachlässigen.)

Euphon (Diskussion) 19:30, 9. Jun. 2016 (CEST)


Die normative Ebene

Es scheint geboten, sich der Frage, die im obersten Eintrag aufgeworfen wurde, indirekt anzunähern. Aus der Frage warum nicht gesehen wird, wenn gesehen wird und welche Rolle technische Artefakte und Medien dabei spielen, möchte ich die Frage machen: Inwiefern können wir uns in der Funktion des technischen Artefakts oder technischen Mediums täuschen?

Funktion heißt hier, was das Artefakt sinnlich anbietet, bezieht sich also auf dessen Affordanz. Die Funktion eines technischen Artefakts oder eines technischen Mediums ist das, was dieses mit ihm zu tun nahelegt, oder manchmal rigide vorgibt. Als Kleinkind lernt man solche Funktionen dadurch kennen, indem man mit technischen Artefakten und technischen Medien umgeht und indem zwischen verschiedenen Manifestationen derselben Funktion Zusammenhänge verstanden werden. Ein Beispiel dafür ist eine Sandschaufel, ein Löffel und ein Bagger. Die Handhabung wird spielerisch durch den Umgang mit der Schaufel gelernt, die Funktionsähnlichkeiten mit dem Esslöffel hat. Beide legen den Umgang mit sich nahe: das Kleinkind merkt, dass es den Daumen in Richtung der Aufladefläche anlegen sollte, in welchem Winkel es die Schaufel am besten bringt, damit die Ladung nicht herunterfällt, usw. Solche Funktionsähnlichkeiten können sich auch auf den nicht-haptischen Umgang mit Artefakten beziehen, wie etwa bei einem Bagger, den das Kleinkind im Kinderbuch und auf der Straße erkennen lernt und Relationen zur Schaufel und zum Löffel herstellt.

Interessant hieran ist, dass Kleinkinder, so möchte ich zumindest behaupten, dadurch dass sie den Umgang mit natürlichen Gegenständen, Artefakten und ebenso technischen Artefakten und technischen Medien erlernen, einen wesentlich klareren Blick für die Funktionen von Artefakten haben als Erwachsene. Und das, obwohl in diesem Alter die Kenntnis wesentlicher gesellschaftlicher Zusammenhänge, wie die Kenntnis der Funktion in der Alltagsrealität der Erwachsenen, noch nicht vorausgesetzt werden kann. Ein Kleinkind weiß zum Beispiel ganz genau, dass ein Fernseher zur Unterhaltung da ist, ebenso ein Tablet-PC oder ein Radio. Das Kind muss nicht den Inhalt verstehen, der durch die Medien transportiert wird; zuerst sieht es den Papa vor dem Fernseher lachen oder sich ärgern und entdeckt später selbst den Bildschirm für sich, erkennt im Fernsehen seinersetis wieder ein Fernsehgerät, vor dem eine andere Familie sitzt, so wie in dem Kinderbuch, das es kennt, und stellt die Verbindung zwischen diesen Aspekten her.

Das Kleinkind bemerkt, dass der Fernseher dazu da ist, um Emotionen zu vermitteln; dass man ein wenig lachen will, sich ein wenig ärgern, sich gruseln oder aufregen. Dieser klare Blick ist damit zu vergleichen, dass den Begriff “Arbeit” schon Kleinkinder verstehen können, obwohl sie nicht wissen, worum es da genau geht. Genauso wie sich der Begriff “Arbeit” mit der Zeit verdeutlicht, differenziert er sich auch immer mehr aus und wird dadurch komplizierter, weil man durch Übung versteht, was der Begriff bedeutet, und ebenso komplexer, weil das, was mit dem Begriff verbunden ist, sich als immer vielschichtiger erweist. In dem Maße, in dem der Begriff Arbeit klarer wird, ufert er ins Unüberblickbare aus, verliert seine klaren Konturen und Grenzen. Meine These ist, dass sich der Umgang und die angebotenen Funktionen durch Wiederholung in der Gewohnheit (damit ist nicht unbedingt nur ein “Abstumpfen” gemeint) in der Art verändern, dass Funktionszusammenhänge verwechselt werden. Und das manchmal in großen Stil.

Um zu beschreiben, was ich mit diesem “verschwommene Blick” meine, möchte ich ein Beispiel für eine solche Fehlleistung der Funktionskenntnisnahme vorstellen: das Radio. Der Irrtum besteht darin zu glauben, dass das Radio seine Wirkungskraft weitgehend verloren hätte, dass es obsolet geworden wäre, wie der Umstand, dass man alle fünfzehn Minuten aufsteht, um eine Schallplatte zu wechseln.

Der Begriff “Disc Jockey” kommt ursprünglich aus der Radiowelt. Die Funktion des DJs wurde aber bald “verschwommen”, dann nämlich, als der DJ in Tanzcafes, Diskotheken und Clubs - im Endeffekt, funktional gesehen, nichts anderes als von Architekten entworfene Lautsprecher - Einzug hielt. Die Event- und Clubkultur ist mittlerweile ein lukrativer Markt geworden und die Klientemenge ist beträchtlich. Wenn angenommen wird, dass die Funktion - man hört ein von DJs zusammengestelltes Musikprogramm - im Eventbereich dieselbe ist wie die des Radios, ist die Aussage, dass das Radio an Bedeutung verloren hätte, nicht überzeugend. Es ist ein Irrtum zu behaupten, dass es sich bei der boomenden Eventkultur um etwas anderes handelt, als es die Funktion des Radios vorsieht. Verursacht wird der Irrtum durch die Gewohnheit, die durch Wiederholung dazu bringt, Funktioen aus den Augen zu verlieren und Differenzierungen hervorzuheben - so wie das Kleinkind im Heranwachsen den diffizielen Unterschied zwischen dem Neigungswinkel der Beladungsfläche einer Schaufel, dem etwas spitzeren Winkel des Löffels und der beweglichen Schaufel des Baggers bemerkt, sich bald aber nur noch für die technischen Spezifika des Fahrzeugs oder für ästhetische oder ökonomische Aspekte des Löffels interessiert. Je mehr Bestandteile Funktionszusammenhängen in immer differenzierterer Weise hinzugefügt werden, desto mehr gerät die Funktion selbst aus den Augen. Es ist, als wollten wir uns auf eine Fluchtlinie konzentrieren, aber das Aufblitzen von immer mehr Ablenkungen lässt uns diese aus den Augen verlieren.

Der vermehrte Umgang mit technischen Artefakten und technischen Medien und die damit verbundenen Differnzierungen verstecken deren Funktionen, obwohl sie offen zutage liegen. Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten, komme ich auf sie zurück: Inwiefern können wir uns in puncto Funktion von technischen Artefakten und technischen Meiden täuschen? Indem wir zum Beispiel die Funktion des Fernsehens vor Augen führen: wer fernsieht um sich zu informieren verkennt die Funktion des Fensehens, die darin besteht, Emotionen zu vermitteln; sich gruseln, sich freuen, sich aufregen, usw. Wer sich ärgert oder fürchtet, der tut das nicht, wegen dem was er oder sie sieht, sondern weil es die Funktion des Massenmediums “Fernsehen” nahelegt. Wer glaubt sich zu informieren verkennt, dass die Funktion des Fernsehens als Unterhaltungsmedium sich nie geändert hat, auch wenn Differenzierungen das nahe zu legen scheinen. Dass es Wissenschaftssendungen, Berichterstattungen, Themenabende, usw. gibt, ist kein Gegenargument, sondern dient zur Veranschaulichung der Differenzierungen, die aber immer noch der ursprünglichen Funktion der Unterhaltung unterstellt sind. Gleiches lässt sich auch über die Verwendung des Fernsehens zu Propagandazwecken sagen.

Vom Fernsehen und von Schallplatten und vom Radio zu sprechen scheint (ungeachtet der Comeback-Welle, die das Radio in Form von Podcasts und internetradios und die Vinyl-Schallplatte im Moment erleben) anachronistisch zu sein. Wenn die Funktion des Internets in den Fokus gerückt wird wird, dann zeigt sich zwar, dass diese sich gehörig verändert zu haben scheint, auf den zweiten Blick wird aber ersichtlich, dass es sich bei den Veränderungen nur um Differenzierungen handelt, dass aber das Gefüge, welches das Internet bildet, einem - wie ursprünglich angelegt - militärischen an Autorität in nichts nachsteht, da Zugänge und Strukturen nicht von der Mehrheit, sondern von einigen wenigen (z. B.: Providern), von ökonomischen Aspekten, Bereitstellung von Zugangsgeräten, usw. bestimmt werden. Auch im Fall des Internets versteckt die Gewohnheit des Umgangs mit ihm, gepaart mit vermeintlichen demokratischen Möglichkeiten, die im Endeffekt aber nur Ausdifferenzierungen der Grundfunktion sind und dieser deswegen ungeordnet bleiben, dessen eigentlich autoritäre Funktion.

Die im ersten Eintrag beschriebene Sachlage, dass auf den Bildschirmen nur Pixelhaufen zu sehen sind, die Onomatopoesien das wirkliche Geschehen nicht transportieren, und dass darin eine normaitve Herausforderung besteht, möchte ich mit mit diesem Verstecken in Zusammenhang stellen. Geboten ist, die Funktion der technischen Artefakte und technischen Medien in Betracht zu ziehen und nicht nur das, was dabei hilft, die Funktion zu verbergen. Geboten ist, es als zumindest fragwürdig zu empfinden, etwa politische Überzeugungen auf die Basis dessen zu stellen, was durch technische Artefakte und technische Medien wie etwa dem Fernsehen vermittelt wird, da diese Überzeugungen dann auf dem Umgang mit etwas beruhen, dessen Funktion die Unterhaltung ist. Der Blick für solche Spannungen ist die Ausgangsbasis für die moralische Belange betreffende Frage danach, wie es uns überhaupt möglich ist, unsere Überzeugungen nicht auf Vermittlungen zu stützen, deren Funktion nicht als Basis moralischer oder politischer Überlegungen dienen kann.

Nun kann man intervenieren und erstens fragen, ob ein Artefakt überhaupt nur eine Funktion haben kann und zweitens einwerfen, dass wie Artefakte verwendet werden, unterschieden sein kann von der ursprünglich gedachten Funktion; dass sich Funktionen ändern können.

1. Ein Beispiel für einen solchen Einwand ist der PC. Beim Computer scheint es sich um etwas zu handeln, das mehrere Funktionen anbietet, das für verschiedenste Anwendungen geeignet ist. Woran mir liegt ist zu sagen, dass bei aller Vielfalt des Gebrauchs und der verschiedenen Produktsemantiken doch eine Funktion immer zu dominieren scheint: ein PC ist und bleibt ein Rechenapparat. Man kann zwar auf die Idee kommen, mit einer Plastikschaufel einen Nagel in einen Balken treiben zu wollen, aber man müsste die Schaufel modifizieren (Metall statt Plastik, die Schaufelfläche robuster gestalten, damit sie nicht bricht, den Stiel verlängern, damit man eine größere Hebelwirkung für dne Schlag hat, usw.), d. h., einem Hammer immer ähnlicher machen, damit das Projekt effizient angegangen werden kann. Man kann auch mit einem Fahrrad einen Nagel einschlagen, aber es zeigt sich schnell, dass die Aufgabe leichter wird, je mehr das Werkzeug nicht mehr nach Fahrrad und eher nach Hammer aussieht. Auch wenn also nicht nur ein Hammer zum Nageleinschlagen verwendet werden kann, so muss doch jedes Artefakt, das kein Hammer ist, Funktionsähnlichkeiten mit diesem besitzen, die sich graduell mit der Verwendbarkeit verstärken. Das ist mit “Funktion die sich anbietet” gemeint.

Die Frage, die sich im Anschluss daran stellt ist, wer schreibt den Artefakten diese Funktion ein? Sind hier ausschließlich Naturgesetze, rein physikalische Determinanten, am Werk? Werden Funktionen ge- oder erfunden? Das betrifft die “Autorschaft” und deswegen die zweite Frage.

2. Die Funktion eines technischen Artefakts oder eines technischen Mediums ändert sich, wenn sich die Autorenschaft ändert. “Autoren” sind nicht nur Ingeneurinnen und Designer, sondern Benutzerinnen, gesetzgebende Instanzen, politische, ökonomische oder auch ökologische Faktoren. Ein Hochrad wäre an und für sich im Gegensatz zum Fahrrad, wie es heute geläufig ist, das, krafteffizientere Fortbewegungsmittel, Vollgummireifen wären eigentlich weniger anfällig für Pannen und trotzdem ist die Entwicklung des Fahrrads von diesen Linien abgewichen, weil Kontroversen dafür gesorgt haben, dass bestimmte Funktionen in abgeänderter Form erfüllt werden sollen. Diese Abweichungen können so weit führen, dass ein Artefakt seine Funktion vollständig verlieren kann. Dann kommt es zu einem Umschlag der Funktionsähnlichkeiten, der dazu führen kann, dass eine ursprüngliche Funtion gar nicht mehr wahrgenommen wird. Ein PC, der keinen Strom hat, erfüllt nur mehr die Funktion eines Türstoppers. Diese Funktion war dem Gerät schon vorher inhärent, allerdings wurde sie übertrumpft von der Rechenfunktion, die im Vordergrund sand, als der Stromanschluss noch gegeben war.

Die beiden Fragen können, zusammengefasst in die nach der “Autorenschaft”, durch den Hinweis auf einen Prozess beantwortet werden, in dem Funktionen sich anbieten und zu Ausdifferenzierungen im Gebrauch führen und in dem Ausdifferenzierungen Funktionen bestimmen. Ein isoliert betrachtetes technisches Artefakt stellt eine Art "Bohrkern" dar, anhand dessen sich die Schichten untersuchen lassen, die der Prozess übereinander schiebt.

In ähnlicher Art und Weise, so möchte ich zur Diskussion stellen, ist eine sprachliche Proposition ein "Bohrkern" für Vedeutungsschichten. An den zweiten Eintrag anschließend, möchte ich den Blick für die sich nahelegende Funktion mit der “wortwörtlichen” Übersetzung in Zusammenhang bringen und die Ebene der Verkomplizierungen, der Komplexität - und gleichzeitig des immer besseren Umgangs damit durch Gewohnheit - mit der “wortgetreuen”. Der “freien” Übersetzung entspricht ein Umschlag in den Funktionen.

Eine normative Perspektive auf technische Artefakte und technische Medien, die sich auf dieses Modell der dreifachen Übersetzungsmöglichkeit beruft, kann 1. die Funktion des untersuchten Artefakts bestimmen helfen, 2. die Abweichungen von dieser Funktion ebenso wie den Grund für diese Abwiechung (Gewohnheit, die die Differenzierungen einebnet) identifizieren helfen und 3. zeigen helfen, wenn technischen Artefakten und technischen Medien andere, als die eingeschriebene Funktion zugeschrieben werden.

Unter der Voraussetzung, dass Technologie als eine Art Übersetzung angesehen werden kann, möchte ich die drei eben vorgestellten Arten der Übersetzung auf das Beispiel der Drohnen anwenden. Übersetzt wird der Wunsch jemanden umzubringen. Das Resultat der Übersetzung ist ein Leichnam. Diese beiden Aspekte des Übersetzungsprozesses haben nichts gemein, außer dass sie durch Technologie in Relation gesetzt werden. Die Funktion der Drohen (wortwörtliche Perspektive) ist die Überwachung. Die Beschaffenheit der Drohne sorgt dafür, dass sie lange in der Luft bleiben kann und einigermaßen gute Aufnahmen vom überflogenen Gebiet liefern. Dass sie Dinge transportieren kann (seien es Raketen oder Pakete) betrifft die Ebene der wortgetreuen Übersetzung, d. h., diese Zusatzfunktionen dürfen die ursprüngliche Funktion nicht verunmöglichen, auch wenn sie diese modifizieren. Eine freie Überetzung liegt vor, wenn das Wrack eines UAV als Beweismittel verwendet wird, um zu zeigen, dass sich das Fluggerät an einem Ort befunden hat, an dem es sich nicht hätte befinden dürfen, oder - und das ist wohl einer der heikelsten Punkte - wenn Überwachung nicht mehr nur nicht als primäre (wie in der wortgetreuen Sichtweise) Funktion gesehen wird, sondern wenn dieser Aspekt vollkommen verschütt geht, wie die Unterhaltungsfunktion des Fernsehens vom Glauben daran, informiert zu werden, versteckt wird. Am Beispiel der Drohnen- sowie der Fernsehnutzung zeigt sich, dass normative Fragen dort aufkommen, wo die Untersuchung eines technischen Artefakts oder technischen Meidums, das als “Bohrkern” das (sic!) Geschichte veranschaulicht, das seine Funktion ausmacht (ein ständiges wechselwirkendes Bestimmen der Anwendung durch die Funktion und der Funktion durch die Anwendung), Diskrepanzen aufzeigt, die durch den Umstand, dass Gewohnheit in der Anwendung zu Differenzierungen führt, die aber gleichzeitig durch ebendiese Gewohnheit versteckt werden, problematisch werden.

Problematisch an UAVs ist, dass ihre eigentlich asymmterische Funktion (Überwachung) derart “frei” übersetzt wird, dass eine symmetrische Präventions-, oder eher Vergeltungsmaßnahme daraus wird. Verantwortlich für diese Art der Übersetzung ist, so denke ich, die Gewohnheit, die einerseits zur Verharmlosung der Überzeugungen um die Funktion des Fluggerätes durch Differenzierungen (Paketdrohnen) führt und die andererseits diese Differenzierungen gleich wieder verbirgt, indem ihre Funktion sich als eine andere einschleift, die ihr nicht mehr entspricht (politisch, juristisch, ökonomisch, ökologisch, humanistisch, logistisch, usw. zu bevorzugendes “Befriedungsgerät”, ausschließliche Verwendung als Paketliefergerät, o. ä.).

Euphon (Diskussion) 14:03, 21. Jun. 2016 (CEST)

Appendix: Zwei kurz beschriebene Beispiele:

1. Auch wenn, wie eben behauptet wurde, Unterhaltungsmedien als Grundlage für politische Standpunkte nicht geeignet scheinen, können trotzdem zum Beispiele Filme eine Grundlage für philosophische Überlegungen darstellen.

Es gibt einige Filme, in denen es um die Drohnenthematik geht, aber einen davon möchte ich in Bezug auf das oben Gesagte besonders hervorheben. Es handelt sich dabei um den Film Eye in the Sky aus dem jahr 2015. Es geht, kurz zusammengefasst, um eine Militäroperation, bei der mit Hilfe von Predator-Drohnen eine Gruppe von Terroristen eliminiert werden soll. Der Großteil des Films handelt von dem Dilemma, dass sich in der Abschusszone Zivilisten befinden, im Speziellen ein junges Mädchen, dass genau vor dem Unterschlupf der Bösen Brot verkauft. Bemerkenswert an dem Film - wenn man über einige unglaubwürdige Gimmicks und Situationen hinwegsieht und das Narrativ als Abstraktion betrachtet - ist, dass gezeigt wird, wieviele Skrupel vorherrschen und wieviel “Überzeugungsarbeit” geleistet werden muss, damit die Drohne eben nicht mehr ihre eigentliche Rolle als Überwachungsgerät erfüllt und stattdessen zum Tötungsgerät wird. Gezeigt werden verschiedene Stationen innerhalb der Institutionen und die Kommunikationen der beteiligten Institutionen untereinander, zudem Undercover-Agenten in der Nähe des Abschusszieles. Die Handlung ist nun, dass von allen Beteiligten Informationen, Einschätzungen, Befehlsketten, Risikoanalysen, Kameraaufnahmen vor Ort, usw. eingebracht werden, die im Endeffekt dazu führen, dass die Drohne ihre todbringende Fracht entweder in Richtung des Terroristenhauses feuert, oder nicht - oder eben: ob die Drohne weiterhin ein Überwachungsgerät bleibt, oder ob diese Funktion ausgesetzt und in eine andere, die der Tötung, verwandelt werden soll. Spannend daran finde ich, wieviel Druck und Überzeugungsarbeit, wieviele Informationen, Einschätzungen und Berichte notwendig sind, um die Funktion des UAVs zu ändern. So als sei, wie oben angedeutet, eigentlich ganz klar, dass es sich bei dem UAV um ein Überwachungsgerät handelt, das nur unter ganz bestimmten Umständen “zweckentfermdet” werden sollte.

2. Ein zweites Beispiel betrifft die beiden Arten der Übersetzung, die ich angesprochen habe. Wenn ein Verbrennungsmotor entwickelt wird, dann ändert sich die Funktion durch die Vorgaben, die gemacht worden sind. Das betrifft zum Beispiel den Schadstoffausstoß. Eine Art der Übersetzung ist, einen neuen Motor zu entwickeln, der schadstoffarm arbeitet. Eine andere Art ist, einen Katalysator zu bauen, der den Motor selbst nicht betrifft (, wohl aber dessen Leistung). Die Übersetzungen sind sich darin ähnlich, dass sie eine unter bestimmten Vorgaben gewünschte Funktion in ein Produkt, den Motor, übersetzen sollen. Unterschieden sind die beiden Übersetzungen darin, dass die erste die Vorgaben “getreu” überträgt, weil sie eine modifizierte Idee des Verbrennungsmotors darstellt, während die zweite die Vorgabe: “Schadstoffausstoß minimieren” sozusagen “wortwörtlich” übersetzt und dabei das Konzept des Motors selbst unangetastet bleibt. (Eine freie Übersetzung wäre etwa ein Pedalantrieb, da dann der Vorgabe der Schadstoffarmut entsprochen wird, allerdings das Konzept des “Motors” anthropomorphisiert.)

Euphon (Diskussion) 18:48, 19. Jul. 2016 (CEST)