Die Redekunst (OSP)

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Gorgias 447d - 448a

SOKRATES: Schön, Kallikles. Aber ob er sich wohl möchte mit uns ins Gespräch geben? Denn ich will gern von ihm erfahren, was doch die Kunst des Mannes eigentlich vermag, und was das ist, was er ausbietet und lehrt. Was er uns sonst zeigen will, mag er, wie du auch sagst, ein andermal tun.

KALLIKLES: Nichts besser als ihn selbst fragen, Sokrates. Auch gehörte ja das mit zu seiner Ausstellung; denn er hieß nur eben Alle drinnen fragen, was einer nur wollte, und auf Alles verhieß er zu antworten.

SOKRATES: Sehr wohl gesprochen. Frage ihn also, Chairephon.

CHAIREPHON: Was soll ich ihn fragen?

SOKRATES: Was er ist.

CHAIREPHON: Wie meinst du das?

SOKRATES: Wie wenn er nun einer wäre, der Schuhe verfertigte, er dir dann gewiß antworten würde, er wäre ein Lederarbeiter. Oder verstehst du nicht, was ich meine?

CHAIREPHON: Ich verstehe und will ihn fragen. Sage mir doch, Gorgias, ist es wahr, was Kallikles sagt, daß du dich erbietest zu beantworten, was dich einer nur fragt?

GORGIAS: Es ist wahr, Chairephon. Auch jetzt hatte ich mich eben dazu erboten, und ich sage dir, Niemand hat mich mehr etwas Neues gefragt seit vielen Jahren.


448e - 449b

SOKRATES: Weil du, da Chairephon dich fragt, in welcher Kunst Gorgias ein Meister wäre, seine Kunst zwar rühmst, als ob Jemand sie tadelte, was sie aber ist doch nicht beantwortet hast.

POLOS: Habe ich denn nicht geantwortet, sie wäre die vortrefflichste?

SOKRATES: Ja wohl. Aber niemand hat ja gefragt, was des Gorgias Kunst wert wäre, sondern was sie wäre, und wie man den Gorgias deshalb nennen müsse. Wie du nun, was dir vorhin Chairephon vorlegte, ihm kurz und gut beantwortet hast, eben so sage doch auch jetzt, welches seine Kunst ist, und wie wir ihn zu nennen haben? Oder vielmehr Gorgias, sage du uns selbst, wie wir dich nennen müssen als Meister welcher Kunst?

GORGIAS: Der Redekunst, Sokrates.

SOKRATES: Einen Redner also müssen wir dich nennen?

GORGIAS: Und zwar einen vollkommenen, Sokrates, wenn du mich, was ich zu sein mich rühme, wie Homer sagt, nennen willst.

SOKRATES: Das will ich freilich.

GORGIAS: So nenne mich demnach.

SOKRATES: Sagen wir nicht auch, du vermögest auch Andre dazu zu machen?

GORGIAS: Dazu erbiete ich mich ja, nicht nur hier, sondern auch anderwärts.


449d, e

SOKRATES: Wohl gesprochen. Antworte mir nun auch eben so wegen der Redekunst, auf welches unter allen Dingen bezieht sie sich doch als Wissenschaft?

GORGIAS: Auf Reden.

SOKRATES: Auf was für Reden aber, Gorgias? Etwa auf die, welche den Kranken erklären, bei welcher Lebensweise sie genesen könnten?


451a - 452a

SOKRATES: Wohlan denn, so bringe mir nun auch die Antwort, nach der ich fragte, zu Ende. Denn da die Redekunst von diesen Künsten eine ist, welche sich gar viel der Rede gebrauchen, es aber auch noch andere von derselben Art gibt, so versuche doch zu sagen, woran denn diejenige ihr Geschäft durch Reden vollendet, welche die Redekunst ist? So wie wenn mich jemand nach irgend einer Kunst von den eben angeführten fragte: O Sokrates, was ist denn die Zahlenkunst? ich ihm sagen würde wie du vorhin: eine von den ihr Geschäft durch Reden vollbringenden, und wenn er mich weiter fragte: Woran denn! ich sagen würde: Am graden und ungraden wie groß jedes sei. Fragte er aber wieder: Und welche Kunst nennst du denn die Rechenkunst, ich ihm sagen würde: Auch sie ist eine von den Alles durch Reden vollbringenden. Und wenn er weiter fragte: Woran denn? Ich sagen würde, wie es in der Volksversammlung heißt, Alles Andere wie zuvor, bei der Rechenkunst wie bei der Zahlenkunde, nur soviel ist sie unterschieden, daß die Verhältnislehre auch betrachtet wie Gerades und Ungerades unter sich und gegen einander sich verhält der Größe nach. Und wenn Jemand nach der Sternkunde fragte, und auf meine Erklärung, daß auch diese alles durch Reden vollbringe, spräche: Aber die Reden der Sternkunde, worauf beziehn sich die? Ich sagen würde: Auf die Bewegung der Gestirne und der Sonne und des Mondes, wie sie sich gegeneinander verhalten an Geschwindigkeit.

GORGIAS: Und ganz recht sprachst du, Sokrates.

SOKRATES: Wohlan, eben so tue also auch du, Gorgias! Die Redekunst ist doch eine von den Alles durch Reden ausführenden und vollbringenden. Nicht wahr?

GORGIAS: So ist es.

SOKRATES: Sage also von den worauf doch gehenden ist sie eine? Welches unter allen Dingen ist doch dasjenige eigentlich, worauf die Reden sich beziehen, deren die Redekunst sich bedient?

GORGIAS: Die wichtigsten, o Sokrates, unter allen menschlichen Dingen, und die herrlichsten.

SOKRATES: Aber auch dies, Gorgias, ist ja wieder zweifelhaft und noch gar nichts bestimmtes. Du hast ja wohl, denke ich, bei Gastmählern Leute jenes Trinklied singen gehört, worin sie aufzählen das Beste sei die Gesundheit, und das zweite in Schönheit einherzugehn und das dritte wie der Dichter des Trinkliedes meint, reich sein ohne Falsch.

GORGIAS: Wohl habe ich das gehört. Aber wozu führst du es an?

SOKRATES: Weil dir nun gleich die Meister in dem was das Trinklied gelobt hat, werden in den Weg treten, der Arzt und der Turnmeister und der Erwerbsmann; und der Arzt zuerst würde sagen: O Sokrates, Gorgias hintergeht dich, denn nicht seine Kunst geht auf das wichtigste Gut für die Menschen, sondern die meinige. Wenn ich ihn nun fragte: Und wer bist du, daß du das sagst?



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