Die Jugendsünde

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Wahrheiten, Falschheiten, Nebensächlichkeiten

Herbert Hrachovec

Der Titel der vorliegenden Publikation verknüpft Philosophie, soziologische Systemtheorie und Ökonomie. Die „Zeiten des Wissens“ beziehen sich auf die sogenannte „Wissensgesellschaft“, in der nicht-materielle Faktoren (Innovation, Patente, Geschäftsmodelle) die herkömmlichen Kalkulationen der Volkswirtschaft ergänzen oder gar ersetzen. Der Wissenschaftsbereich ist, zweitens, von Niklas Luhmann als ein soziales Interaktionsfeld beschrieben worden, dessen Sätze binär durch wahr/falsch qualifiziert werden. Das bringt, und darin liegt der philosophische Bezug, die klassische Erkenntnistheorie in Verlegenheit. Seit Platons Menon und Theaitetos orientiert man sich nämlich dort an einer handlichen Definition des Wissens als „gerechtfertigter, wahrer Glaube“1 . Das Genus ist die allgemeine intentionale Einstellung, die differentia specifica liegt in der Rechtfertigung und Wahrheit. Dieses Verständnis verträgt sich schlecht mit Luhmanns Ansatz, der Wissenschaft als Kommunikationsform sieht, die wahr und falsch zur Kennzeichnung ihrer Besonderheit verwendet. In der platonischen Tradition entsteht Wissen durch begründende Bestätigung persönlicher Ansichten. Systemtheoretisch handelt es sich um auto-selektiv erzeugte sprachliche Zusammenhänge einer Institution. Aus dieser Zusammenstellung erklärt sich die pointierte Formulierung, mit der Manfred Füllsack die Publikation einleitet. Wenn der Sprachzusammenhang die Kenntnisse einer sozialen Gruppe erfasst und wenn die Gruppe darüber eine Wissenschaft ausbildet, liegt die Qualifikation wissenschaftlicher Sätze darin, „wahres Wissen“ zu sein. So unterscheiden sie sich z.B. von Politik und Wirtschaft. Aber diese Demarkation produziert eine zweite Seite, nämlich diejenigen Sätze, die unter dem Blickpunkt Wissenschaft betrachtet und nicht anerkannt werden. Es handelt sich um die Kehrseite ihrer Positivität, um „falsches Wissen“. Wie gelangt Falschheit in die Wissenschaften? M. Füllsack beschreibt sie mit Blick auf das Wirtschaftssystem als unproduktiv. „Wahrheit in der Zeit des Wissens“ steht unter ökonomischer Hegemonie. Sie betrifft die Code-Praxis der Wissenschaften und damit den Charakter der Wahrheit als Auszeichnung nutzbringender Kommunikationazusammenhänge.

Die unter diesem Vorzeichen gesammelten Beiträge operieren mehrheitlich mit einem entsprechend weiten Wahrheitsbegriff. In unterschiedlichen Kontexten wird die Einschränkung auf elementare, gesicherte Einzelerkenntnisse, die gern als Fundament des Wissens ausgegeben wurden, kritisiert und durch ein holistisches Programm ersetzt. Der Wirbel, mit dem Hegel über isolierte Feststellungen herfährt (Th. Auinger), der poly-kulturelle Wettstreit um Beachtung (M. Füllsack) und die mehrschichtig verzweigte narrative Präsentation der sozio-psychologischen Effekte des Wahrheitsgebots (E. Laquièze-Waniek) verfolgen Spuren des Themas in aktuellen Debatten.

Die Feststellung des wandelbaren Begriffes „Wahrheit“ in eine überschaubare, fachspezifische Umgebung kommt dabei, so scheint es mir, zu kurz. Derartige Liberalisierungen lassen sich mit der Anstrengung vergleichen, den Sinn von „Frühstück“ von der Restriktion auf „Kaffe (oder Tee) und Semmeln“ zu befreien. Erstens, so könnte gegen diese Beschränkung eingewandt werden, bieten Frühstücksbuffets eine beinahe uneingeschränkte Vielfalt von Nahrungsmitteln; zweitens an manchen Stellen rund um die Uhr; und drittens wird in einigen Fällen kein Unterschied zwischen Mahlzeiten im Lauf des Tages gemacht. Es besteht, darüber hinaus, keine Notwendigkeit, überhaupt eine Kategorie „Frühstück“ vorzusehen. Gut, dann gilt allerdings auch: Wer es dennoch unternimmt, sollte ein Kernverständnis des Terminus ausweisen, sonst macht die Variation keinen Spaß. Ohne ein typisches „Frühstück“ fehlt die Pointe in der begrifflichen Erweiterung dieser Mahlzeit.

Als Korrektiv zur skizzierten Tendenz wird im Folgenden die Wissensdefinition der Fachphilosophie einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dabei ist klar, dass sich alternative Auffassungen von Wissen finden lassen. „Sie wußte, was ihr bevorsteht“ ist kaum ins platonische Schema zu pressen. Wissen im Sinn des Sich-Auskennens hat nur einen entfernten Bezug zur Rechfertigung und Wahrheit. Die Steigerung der Produktivität durch verbessertes Wissen kommt ebenfalls ohne Theorie der Behauptungssätze aus. Als anschaulichen Test des traditionellen Leitverständnisses, angewandt auf die Wissensgesellschaft, werde ich analytische Hintergründe eines Zeitungsberichtes diskutieren. Er spielt in der Geschäftswelt und soll die Bühne für einen Auftritt von Wahrheit abgeben, der ihre alten Ingredienzien in einem neuen Ambiente bündelt. Zuvor ein Rückblick auf die herkömmliche Platzverteilung.

Falsches Wissen

Levi’s Jeans

Beispielsweise

Denkökonomie


<root><h level="3" i="1">=== Kontext ===</h>

Besser Wissen (Vorlesung Hrachovec, 2006/07)</root>