Die Jugendsünde: Unterschied zwischen den Versionen

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Als Korrektiv zur skizzierten Tendenz wird im Folgenden die Wissensdefinition der Fachphilosophie einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dabei ist klar, dass sich alternative Auffassungen von Wissen finden lassen. „Sie wußte, was ihr bevorsteht“ ist kaum ins platonische Schema zu pressen. Wissen im Sinn des Sich-Auskennens hat nur einen entfernten Bezug zur Rechfertigung und Wahrheit. Die Steigerung der Produktivität durch verbessertes Wissen kommt ebenfalls ohne Theorie der Behauptungssätze aus. Als anschaulichen Test des traditionellen Leitverständnisses, angewandt auf die Wissensgesellschaft, werde ich analytische Hintergründe eines Zeitungsberichtes diskutieren. Er spielt in der Geschäftswelt und soll die Bühne für einen Auftritt von Wahrheit abgeben, der ihre alten Ingredienzien in einem neuen Ambiente bündelt. Zuvor ein Rückblick auf die herkömmliche Platzverteilung.
 
Als Korrektiv zur skizzierten Tendenz wird im Folgenden die Wissensdefinition der Fachphilosophie einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dabei ist klar, dass sich alternative Auffassungen von Wissen finden lassen. „Sie wußte, was ihr bevorsteht“ ist kaum ins platonische Schema zu pressen. Wissen im Sinn des Sich-Auskennens hat nur einen entfernten Bezug zur Rechfertigung und Wahrheit. Die Steigerung der Produktivität durch verbessertes Wissen kommt ebenfalls ohne Theorie der Behauptungssätze aus. Als anschaulichen Test des traditionellen Leitverständnisses, angewandt auf die Wissensgesellschaft, werde ich analytische Hintergründe eines Zeitungsberichtes diskutieren. Er spielt in der Geschäftswelt und soll die Bühne für einen Auftritt von Wahrheit abgeben, der ihre alten Ingredienzien in einem neuen Ambiente bündelt. Zuvor ein Rückblick auf die herkömmliche Platzverteilung.
  
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Der traditionelle Schwerpunkt philosophischer Erörterungen über Wissen liegt auf der Verbürgtheit von Annahmen, die wir über die Welt treffen. Das Interesse entzündet sich am Unterschied zwischen Sätzen, die jemand in Debatten einbringen kann, und einem Zustand, der sie inhaltlich bestätigt. Gegenbegriffe zu Wissen sind Gerücht, Vormeinung, Hypothese; eine entscheidende Rolle in der Abgrenzung spielt die Wahrheit. In dieser Hinsicht muss Wissen wahres Wissen sein, das folgt einfach aus der Begriffsbestimmung. Natürlich gibt es Auffassungen, die als gesichert gelten und sich als falsch erweisen. Sie zählen nach dieser Sprachregelung nicht zum Wissen. („Ich habe mich getäuscht.“) Angenommen, wir definieren Verbrennungsmotoren in Abhebung von Elektromotoren und lagern sie nach diesem Prinzip im Depot. Wenn wir in der ersten Ansammlung ein Exemplar finden, das in die zweite gehört, gilt das nicht als „elektrischer Verbrennungsmotor“, sondern als Irrtum.
 
Der traditionelle Schwerpunkt philosophischer Erörterungen über Wissen liegt auf der Verbürgtheit von Annahmen, die wir über die Welt treffen. Das Interesse entzündet sich am Unterschied zwischen Sätzen, die jemand in Debatten einbringen kann, und einem Zustand, der sie inhaltlich bestätigt. Gegenbegriffe zu Wissen sind Gerücht, Vormeinung, Hypothese; eine entscheidende Rolle in der Abgrenzung spielt die Wahrheit. In dieser Hinsicht muss Wissen wahres Wissen sein, das folgt einfach aus der Begriffsbestimmung. Natürlich gibt es Auffassungen, die als gesichert gelten und sich als falsch erweisen. Sie zählen nach dieser Sprachregelung nicht zum Wissen. („Ich habe mich getäuscht.“) Angenommen, wir definieren Verbrennungsmotoren in Abhebung von Elektromotoren und lagern sie nach diesem Prinzip im Depot. Wenn wir in der ersten Ansammlung ein Exemplar finden, das in die zweite gehört, gilt das nicht als „elektrischer Verbrennungsmotor“, sondern als Irrtum.

Version vom 7. März 2007, 11:22 Uhr

Wahrheiten, Falschheiten, Nebensächlichkeiten

Herbert Hrachovec

Der Titel der vorliegenden Publikation verknüpft Philosophie, soziologische Systemtheorie und Ökonomie. Die „Zeiten des Wissens“ beziehen sich auf die sogenannte „Wissensgesellschaft“, in der nicht-materielle Faktoren (Innovation, Patente, Geschäftsmodelle) die herkömmlichen Kalkulationen der Volkswirtschaft ergänzen oder gar ersetzen. Der Wissenschaftsbereich ist, zweitens, von Niklas Luhmann als ein soziales Interaktionsfeld beschrieben worden, dessen Sätze binär durch wahr/falsch qualifiziert werden. Das bringt, und darin liegt der philosophische Bezug, die klassische Erkenntnistheorie in Verlegenheit. Seit Platons Menon und Theaitetos orientiert man sich nämlich dort an einer handlichen Definition des Wissens als „gerechtfertigter, wahrer Glaube“1 . Das Genus ist die allgemeine intentionale Einstellung, die differentia specifica liegt in der Rechtfertigung und Wahrheit. Dieses Verständnis verträgt sich schlecht mit Luhmanns Ansatz, der Wissenschaft als Kommunikationsform sieht, die wahr und falsch zur Kennzeichnung ihrer Besonderheit verwendet. In der platonischen Tradition entsteht Wissen durch begründende Bestätigung persönlicher Ansichten. Systemtheoretisch handelt es sich um auto-selektiv erzeugte sprachliche Zusammenhänge einer Institution. Aus dieser Zusammenstellung erklärt sich die pointierte Formulierung, mit der Manfred Füllsack die Publikation einleitet. Wenn der Sprachzusammenhang die Kenntnisse einer sozialen Gruppe erfasst und wenn die Gruppe darüber eine Wissenschaft ausbildet, liegt die Qualifikation wissenschaftlicher Sätze darin, „wahres Wissen“ zu sein. So unterscheiden sie sich z.B. von Politik und Wirtschaft. Aber diese Demarkation produziert eine zweite Seite, nämlich diejenigen Sätze, die unter dem Blickpunkt Wissenschaft betrachtet und nicht anerkannt werden. Es handelt sich um die Kehrseite ihrer Positivität, um „falsches Wissen“. Wie gelangt Falschheit in die Wissenschaften? M. Füllsack beschreibt sie mit Blick auf das Wirtschaftssystem als unproduktiv. „Wahrheit in der Zeit des Wissens“ steht unter ökonomischer Hegemonie. Sie betrifft die Code-Praxis der Wissenschaften und damit den Charakter der Wahrheit als Auszeichnung nutzbringender Kommunikationazusammenhänge.

Die unter diesem Vorzeichen gesammelten Beiträge operieren mehrheitlich mit einem entsprechend weiten Wahrheitsbegriff. In unterschiedlichen Kontexten wird die Einschränkung auf elementare, gesicherte Einzelerkenntnisse, die gern als Fundament des Wissens ausgegeben wurden, kritisiert und durch ein holistisches Programm ersetzt. Der Wirbel, mit dem Hegel über isolierte Feststellungen herfährt (Th. Auinger), der poly-kulturelle Wettstreit um Beachtung (M. Füllsack) und die mehrschichtig verzweigte narrative Präsentation der sozio-psychologischen Effekte des Wahrheitsgebots (E. Laquièze-Waniek) verfolgen Spuren des Themas in aktuellen Debatten.

Die Feststellung des wandelbaren Begriffes „Wahrheit“ in eine überschaubare, fachspezifische Umgebung kommt dabei, so scheint es mir, zu kurz. Derartige Liberalisierungen lassen sich mit der Anstrengung vergleichen, den Sinn von „Frühstück“ von der Restriktion auf „Kaffe (oder Tee) und Semmeln“ zu befreien. Erstens, so könnte gegen diese Beschränkung eingewandt werden, bieten Frühstücksbuffets eine beinahe uneingeschränkte Vielfalt von Nahrungsmitteln; zweitens an manchen Stellen rund um die Uhr; und drittens wird in einigen Fällen kein Unterschied zwischen Mahlzeiten im Lauf des Tages gemacht. Es besteht, darüber hinaus, keine Notwendigkeit, überhaupt eine Kategorie „Frühstück“ vorzusehen. Gut, dann gilt allerdings auch: Wer es dennoch unternimmt, sollte ein Kernverständnis des Terminus ausweisen, sonst macht die Variation keinen Spaß. Ohne ein typisches „Frühstück“ fehlt die Pointe in der begrifflichen Erweiterung dieser Mahlzeit.

Als Korrektiv zur skizzierten Tendenz wird im Folgenden die Wissensdefinition der Fachphilosophie einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dabei ist klar, dass sich alternative Auffassungen von Wissen finden lassen. „Sie wußte, was ihr bevorsteht“ ist kaum ins platonische Schema zu pressen. Wissen im Sinn des Sich-Auskennens hat nur einen entfernten Bezug zur Rechfertigung und Wahrheit. Die Steigerung der Produktivität durch verbessertes Wissen kommt ebenfalls ohne Theorie der Behauptungssätze aus. Als anschaulichen Test des traditionellen Leitverständnisses, angewandt auf die Wissensgesellschaft, werde ich analytische Hintergründe eines Zeitungsberichtes diskutieren. Er spielt in der Geschäftswelt und soll die Bühne für einen Auftritt von Wahrheit abgeben, der ihre alten Ingredienzien in einem neuen Ambiente bündelt. Zuvor ein Rückblick auf die herkömmliche Platzverteilung.

Falsches Wissen

Der traditionelle Schwerpunkt philosophischer Erörterungen über Wissen liegt auf der Verbürgtheit von Annahmen, die wir über die Welt treffen. Das Interesse entzündet sich am Unterschied zwischen Sätzen, die jemand in Debatten einbringen kann, und einem Zustand, der sie inhaltlich bestätigt. Gegenbegriffe zu Wissen sind Gerücht, Vormeinung, Hypothese; eine entscheidende Rolle in der Abgrenzung spielt die Wahrheit. In dieser Hinsicht muss Wissen wahres Wissen sein, das folgt einfach aus der Begriffsbestimmung. Natürlich gibt es Auffassungen, die als gesichert gelten und sich als falsch erweisen. Sie zählen nach dieser Sprachregelung nicht zum Wissen. („Ich habe mich getäuscht.“) Angenommen, wir definieren Verbrennungsmotoren in Abhebung von Elektromotoren und lagern sie nach diesem Prinzip im Depot. Wenn wir in der ersten Ansammlung ein Exemplar finden, das in die zweite gehört, gilt das nicht als „elektrischer Verbrennungsmotor“, sondern als Irrtum.

„Falsches, unwahres Wissen hat keinen Wert“, die These Manfred Füllsacks in der Tagungsankündigung, ist also erklärungsbedürftig. Offenbar handelt es sich um einen Sprachgebrauch, in welchem Wissen anders ausgezeichnet wird, als durch unumstößliche, konkludente Rechtfertigungsprozesse. Das Zitat verweist auf eine unkonventionelle Verhältnisbestimmung zwischen Wissen und Wahrheit, die den 2. Teil des Begriffspaares unkonventionell bestimmt. Einfach Wahrheit, so ist die Implikation, reicht nicht. Dazu ist der klassische Begriff zu problematisch geworden. Wahrheit ist zulässig, wenn sie einen Wert verbürgt (Verläßlichkeit, Kontengenzbewältigung, Ansehen ...). Wissen, das in diesem Sinn wertvoll ist, hängt eigentlich nicht an Wahrheit, sondern bloß am (Wahrheits-)Nutzen. Die Falschheit einer Auffassung disqualifiziert sie nicht vom Wissen, sondern bloß von diesen erwünschten Begleiterscheinungen. Wenn Wahrheit an der Zweckmäßigkeit hängt, ist Falschheit nicht mehr die Antipode zu Wissen, sondern Ausdruck für eine Behinderung von Erfolgsaussichten.

Die Formulierung Füllsacks ist unter diesem Gesichtspunkt keine Kontradiktion. „Falsches Wissen“ heißt dann so etwas wie: dieses Wissen ist hier nicht am Platz. Eine Elektromechanikerin hat das falsche Wissen zur Behebung eines Zylinderschadens. In dieser Interpretation ist der anstößige Ausdruck mit der konventionellen Wissensdefinition vereinbar1 . Die Zertifizierung einer Meinung ist weniger wichtig, als ihre Wirksamkeit, auch abgesehen von externer Bestätigung. Aus einem Pool von Wissen – das heißt intern kohärenter Überlebensstrategien auto-poietischer Lebewesen – wird wahren Wissen spezifiziert. Der Vorgang beruht auf der Prüfung einer gewissen Effektivität, wie sie in ökonomischen Zusammenhängen verbreitet ist2 . Ein einprägsames Beispiel effektiver Designation im Spätkapitalismus sind Markenzeichen, welche die Identität einer Firma im Konkurrenzfeld signalisieren. Ihr Wettbewerbsvorteil resultiert aus einem „Wissen“, das ohne die Perspektive der Wahrheit auskommt. Zum immateriellen Wert eines Unternehmens gehört der Wiedererkennungsfaktor seiner Erzeugnisse. „Er weiss, welches Katzenfutter er zu kaufen hat.“ „Er weiss es nicht“ heißt: es fehlt ihm an Wissen. (Oder sogar: Er kauft falsch.) Das ist kein Fall von klassischem Irrtum.

Eine Entflechtung der unterschiedlichen Verwendungsweisen des Terminus ist sicher hilfreich. Andererseits macht sich der Bedeutungspluralismus die Sache allzu einfach. Wissen als eine Art Verankerung in der Welt und als eine kontextbezogene, sozio-ökonomische Orientierungskategorie („das Wissen der Schafzüchter“) fallen nicht unbezogen auseinander. Um die Verbindung abzutesten betrachte ich die Kontroverse über ein Markenzeichen. Sie schärft den Blick dafür, dass erkenntnistheoretische Reflexionen, die ausserhalb des Fachpublikums esoterisch scheinen mögen, eng mit dem weniger strikten Wissensbegriff verknüpft sind, den wir in Formulierungen wie „Sie weiß, dass dieses Logo für Qualität steht“ verwenden. In dieser Analyse wird sich der Unterschied zwischen Falschheit und „falschem Wissen“ klären.


<root><h level="3" i="1">=== Kontext ===</h>

Besser Wissen (Vorlesung Hrachovec, 2006/07)</root>

Levi’s Jeans

Beispielsweise


<root><h level="3" i="1">=== Kontext ===</h>

Besser Wissen (Vorlesung Hrachovec, 2006/07)</root>