Dialektik der sinnlichen Gewissheit (ThsG)

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Hegel gewinnt aus der Konstellation zweier Wissensformen den Beginn einer dialektischen Entwicklung. Seine Argumentation enthält zentrale Einsichten über die semantische Funktion elementarer Sprachausdrücke. Allerdings beruht sie auf einer kaum nachvollziehbaren Rekonstruktion des gewöhnlichen Sprachgebrauches. Damit wird Hegels Gedankengang stark beeinträchtigt. Drei Punkte sind angesprochen:

  1. Hegels Entstellung der Alltagssprache
  2. Hegels Hinweis auf die Allgemeinheit im Sprachgebrauch
  3. Der Fehlstart der Dialektik


(1) Ausgangspunkt ist ein Satz, mit dem sich die sinnliche Gewissheit ausspricht. Nach Hegel lautet er "Das Jetzt ist die Nacht" respektive "Das Hier ist der Baum". So etwas sagt niemand. Es muss heissen "Jetzt ist Nacht", "Hier ist ein Baum". Die beiden deiktischen Ausdrücke lassen sich (zumindest auf dieser Stufe) nicht Substantialisieren. Auch die Frage "Was ist das Diese" mutet Otto eine sachfremde Perspektive zu. Nach Hegels Vorgabe operiert er mit "das Diese" in den Gestalten "das Jetzt" und "das Hier". Nach heutigem Verständnis handelt es sich bei "dies", "jetzt" und "hier" um singuläre bezeichnende Terme, die sich auf Dinge, Zeitpunkte und Orte beziehen. "Jetzt ist Nacht" ist wahr, wenn zu einem gegebenen Zeitpunkt festgestellt werden kann, dass Nacht ist.

(2) Auf der Grundlage dieser verzerrten Analyse entwickelt Hegel einen in der leitenden Absicht korrekten Gedankengang. Deiktische Ausdrücke lassen sich nicht so "vereinzeln", dass man an Sätzen, die sie enthalten, umstandslos festhalten könnte. Wer verstanden hat, unter welchen Umständen es zutrifft, dass im Moment Nacht ist, kann auch darauf verpflichtet werden, das Urteil zu einem anderen Zeitpunkt zu revidieren. Die Fähigkeit, deiktische Ausdrücke richtig zu gebrauchen, schließt die Einbeziehung alternativer Standpunkte ein. Solche Termini machen nur innerhalb eines Systems Sinn, insofern kann man sagen, dass bereits das erste Auftreten eines solchen Ausdrucks den Ausblick auf Allgemeines impliziert.

(3) Hegels idiosynkratische Rekonstruktion der Ausgangsbehauptung Ottos zwängt ihn in einen dialektischen Prozess, der durch die Einsicht in die Allgemeinheit auch singulärer deiktischer Aussagen nicht gedeckt ist. Die Korrigierbarkeit von "Jetzt ist Nacht" beruht darauf, dass kompetente Sprecherinnen mit diesem Satz so verfahren, dass sie seine Bewertung auf unterschiedliche Zeitpunkte abstellen. Nur wer verstanden hat, dass "jetzt" in solchen Sätzen verschiedene urteilsrelevante Tageszeiten designiert, beherrscht den Gebrauch dieses Terminus. Daraus macht Hegel, dass der Gegenstand der sinnlichen Gewissheit zum Unwesentlichen der sinnlichen Gewissheit geworden sei:

... denn das Allgemeine, zu dem er geworden ist, ist nicht mehr ein solches, wie er für sie wesentlich sein sollte, sondern sie ist jetzt in dem Entgegengesetzten, nämlich dem Wissen, das vorher das Unwesentliche war, vorhanden. (PhdG 86)

Das Allgemeine, das Hegel hier moniert, ist im Gebrauch deiktischer Ausdrücke tatsächlich angelegt. Ottos Sprachgebrauch mischt Partikularität mit Universalität, das Fehlen dieser Durchmischung kennzeichnet eine Vorform von sprachlicher Mitteilung. Dann ist zu klären, warum Hegel die Rolle Ottos so unterbestimmt, dass er die genannte Erkenntnis aus ihr entwickeln kann. Zusätzlich ist zu beachten, dass Hegel Ottos Wissen als ein Verhältnis zwischen Ich und Gegenstand auffasst. Aus der dialektisch zugespitzten Dramatisierung des Gebrauches situationsbezogener Sätze im Rahmen einer Subjekt/Objekt-Erkenntnisbeziehung lässt sich ein "Umschlag" gewinnen, in dem "die Wahrheit" dann "auf der anderen Seite" eines dialektischen Verhältnisses liegt. Die Analyse der deiktischen Ausdrücke führt zur Einsicht, dass sie nur innerhalb eines raum-zeitlich relationalen Systems funktionieren können. Was darüber hinausführt, ist nicht durch die vorgelegten Analysen gedeckt.





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