Determinismus und Kausalität - ein Diskussionsbetrag (FiK)
HBl: Determinismus und Kausalität - ein Diskussionsbetrag zum Thema "Freiheit im Kopf".
Die bisherige Diskussion über die Libet-Experimente hat sich vorwiegend mit der Dekonstruktion von einigen jener Voraussetzungen befaßt, die bei einer Rede von Determinismus in den bestimmten Versuchsmethodiken der Neurophysiologie , bzw. experimentellen Psychiatrie explizit oder implizit in Anspruch genommen werden. Der zentrale Begriff des Determinismus und der damit eng verbundene Begriff von Kausalität wurden bisher nicht in differenzierterer Weise betrachet. Von Determinismus wird allgemein dann gesprochen, wenn eine Abfolge von Ereignissen unter bestimmten Bedingungen als unter strenger Gültigkeit von physikalisch verstandenen Naturgesetzen stehend aufgefaßt wird. Aus der Verwendung des Begriffs folgt damit zwangsläufig die mehr oder weniger weitreichende Zustimmung zur Anwendbarkeit von prinzipiell physikalisch fundierten Gesetzen unter naturwissenschaftlicher Methodik. Dann verlagert sich allerdings die Diskussion auf den Begriff der Kausalität und der Kausalgesetze. Wenn Freiheit nicht kompatibel mit Determinismus ist, dann offenbar auch nicht mit lückenloser Kausalität.
Eine Beschränkung des Kausalitätsbegriffs auf Naturgesetzlichkeit ist, wenn man an seine philosophiegeschichtliche Entwicklung denkt, nicht selbstverständlich; vorher war - bis Hume und Kant - einerseits von Ursächlichkeiten, andererseits von Wesenseigentümlichkeit, bzw. Entelechien gesprochen worden; davon scheint noch die kontemporane Diskussion berührt zu sein. Denn die Kognitionstheorie auf ihrer letztlich physikalischen und physikalisch-chemisch gedanklichen Basis steht in der physikalischen Weltsicht einer dem Beobachter ontologisch vorgegebenen und objektiv erkennbaren Welt, nur dann ist naturgesetzliche Kausalität denkbar. Dem steht die subjektphilosophische Sichtweise der Gegenwart diametral entgegen, welche die Gegenstandskonstitution und daraus notwendigerweise folgend die Konstitution von in Verbindung zu bringenden Ereignissen in einer unklar und in verschiedenen Denkvarianten verstandenen Weise (Ding an sich, Viabilität des radikalen Konstruktivismus, Treffen einer Unterscheidung in der Systemtheorie) ganz oder teilweise dem Subjekt überträgt. Das wird von der Freiheit-im-Kopf-Diskussion widergespiegelt - neurophysiologische Daten scheinen der objektiven Welt anzugehören, Willensmanifestationen dem Subjekt allein zuschreibbar zu sein. Der Unterschied beider Sichtweisen ist aber nur scheinbar unüberwindlich groß, wie mit diesem Diskussionsbeitrag gezeigt werden soll.
Die stets vorausgesetzten Postulate Determinismus kann in zwei Weisen verstanden werden: entweder als ontologisch begründete Vorherbestimmung und daraus folgend ausnahmslose prinzipielle Vorhersagbarkeit von Ereignissen; oder als erkenntnisphilosophisches Vertrauen in die zumindest prinzipielle vollständige Beschreibbarkeit aller Erscheinungen der Welt, gleichbedeutend mit der Voraussetzung eines geordneten Kosmos. Beide Varianten sind offenbar starke metaphysische Postulate. Sie werden nicht widerlegt, wenn in der Erfahrung unter definierten Ausgangsbedingungen Ereignisse scheinbar zufällig, d.h. mit mathematischen Funktionen nicht eindeutig prädizierbar erfolgen. Einerseits kann ein metaphysisches Postulat grundsätzlich nicht empirisch widerlegt werden, zum anderen kann Meßungenauigkeit oder Unvermögen, eine geeignete mathematische Formulierung zu treffen, dafür verantwortlich sein. (Es wird hier - als Beispiel - an mögliche deterministische Formulierungen der Quantentheorie mittel verborgener Variablen erinnert, welche die Quantenunschärfe wegerklärt.) Es ist festzuhalten: die Behauptung eines Determinismus, der alle Ereignisse, damit auch Manifestationen eines freien Willens steuert, ruht auf einer unbeweisbaren metaphysischen Grundannahme.
Die möglichen Gegenpositionen zum Determinismus sind entweder einerseits die Annahme einer sich ungeregelt ereignenden oder einer unbeschreibbaren Welt oder aber, andererseits, die Gegebenheit einer das erkennende Subjekt zwar affizierenden, auf dessen Handlungen reagierenden und widerständigen, aber grundsätzlich unerkennbaren Welt. Um dieser Welt entgegenzutreten werden mehr oder weniger freie Modelle konstruiert, die klarerweise aus ihren eigenen Voraussetzungen unbeweisbar sind (und auch weder beweisbar sein wollen, noch sein müssen, solange sie brauchbare handlungsrelevante Vorhersagen ermöglichen). Prädiktibilität (als der zum Determinismus erkenntnistheoretisch korrespondierende Begriff) ist somit eine Frage des gewählten Weltmodells und natürlich unbeweisbar.
Das physikalische Weltmodell Dieses Modell ist in der Gegenwart maßgebend, aus seiner Sicht ist der Begriff der Kausalität zu verstehen und wird der Begriff der Determiniertheit bestimmt. Hier ist - was ungewöhnlich klingen mag - gleich zu Beginn auf die weitgehende Aufweichung des klassischen Kausalbegriffs in der Chemie und deren Reduktionsstufe Physik zu verweisen. Klassische Auffassung von Kausalität ergab sich aus dem 2. Newton-schen Axiom (in seiner Ausformung als System von Differentialgleichungen der Bewegung durch Euler), derzufolge alle mechanischen Erscheinungen durch Kräfte (im Verein mit Randbedingungen) als Ursache von Beschleunigungen dargestellt werden können; die Auffassung der Kraft, in der sich Ursächlichkeit und Kausalität augenfällig verwirklichen sollte, wurde durch Einführung des Maxwell-schen Feldbegriffs (elektromagnetischen Feld und Gravitationsfeld) bereits verschwommen und zugunsten der allgemeineren Vorstellung eines Funktionszusammenhangs zwischen Erscheinungen bald ganz aufgegeben; diese mathematische Beschreibungsweise der Erscheinungen ist formal deterministisch. Ihre praktische Rechtfertigung (und es gibt nach dem oben Gesagten keine andere) hängt an ihrer Tauglichkeit zur Prädiktion. Das Lösungsverhalten dieser Gleichungssysteme kann allerdings, wie seit jeher bekannt, intraktabel oder chaotisch sein, m.a.W. gibt es Phänomenbereiche ohne befriedigende Prädiktionsmöglichkeit. Sind sie indeterminiert?
Das umfängliche Theoriensystem der Thermodynamik, das Grundlage der Beschreibung aller chemischen Erscheinungen ist, nimmt zwar Determiniertheit seiner vorausgesetzten Elementarprozesse, d.h. der Teilchenbewegungen in Anspruch, verzichtet aber auf deren Einzelbeschreibungen zugunsten einer Gesamtaussage über die Summe aller Bewegungen, die methodisch nur mit Methoden der mathematischen Statistik möglich ist. An Voraussetzungen wird hier das Ergodentheorem, das Gleichwertigkeit der zeitlichen und räumlichen Verwirklichungen aller Verteilungen der Teilchen eines Systems auf alle möglichen Anordnungen im Zustandsraum fordert und das nicht in Allgemeinheit mathematisch bewiesen ist. Als eine der vielen Konsequenzen des Beschreibungsverzichts der thermodynamischen Theorie trägt die von Prigogine und anderen theoretisch begründete Erklärung von Erscheinungen in selbstorganisierenden dissipativen Systemen, die spontane Ausbildung von Ordnung, insofern entscheidende Zufallsmomente in sich, als von der irreversiblen Thermodynamik durch ihren partiellen Beschreibungsverzicht Verzweigungspunkte (Bifurkationen) in den Entwicklungstrajektorien dieser Systeme offengelassen und der Zufallswahl überlassen werden müssen. Solche Systeme sind auch sehr wahrscheinlich in den Hirnstrukturen repräsentiert.
In der klassischen Theorie der Thermodynamik wird die Unterscheidbarkeit von Vergangenheit und Zukunft des Systems vorausgesetzt; welche erst erlaubt, von einer Richtung des Entropiezuwachses zu sprechen. Diese Unterscheidung wird aber vom Verstand eingebracht, durch sie wird Thermodynamik begründet, nicht umgekehrt begründet diese die Zeit. Wenn aber Zeit unabdingbar mit Ereigniskausalität verbunden ist, der ursächlich notwendigen Folge eines Ereignis auf ein vorangehendes verursachendes, so ist letztere also vom Verstand eingebracht und kann ihrerseits Verstand als kausale, gesetzmäßige und zeitliche Abfolge von Verarbeitungsschritten nicht ohne Zirkularität begründen. Und natürlich ist Verstand wiederum Voraussetzung gewollter Entscheidungen.
Als Folgerung alles dessen kann man also sagen, daß Willensfreiheit, soll sie als eine Grundlage des Humanums gelten, jedenfalls im physikalischen Modell keine Fundierung und keine Widerlegung hat. Aber das wird wahrscheinlich ohnehin niemanden wundern. Wenn man sie fordert, weiß man nicht, ob es sie geben muß, sofern man das physikalische Weltmodell als unverzichtbar hochhält.
Dieses Weltmodell würde es zulassen, daß man wie Penrose, allerdings entgegen Sachargumenten, die Beschreibungsindeterminiertheit der Quantenunsicherheit (oder irgend eine andere zufällige Ursachenauslösung wie radioaktiven Zerfall) zur Erklärung von handlungsauslösenden Hirnaktivitäten ins Spiel bringt. Es wäre das aber keine Lösung des Problems einer solcherart erreichten Willensfreiheit, weil sie in Wirklichkeit nur Willenszufälligkeit bedeuten würde.
Die zeitliche Diskrepanz der Erscheinens von Aktionspotential und bewußtem Entschluß Gefühlsmäßig werden sich manche Diskutanten dennoch nur ungern einem dominierend hermeneutischen Denken anvertrauen wollen. Es bleibt dann die Tatsache, daß hirnphysiologische experimentelle Beobachtungen als eine zeitliche Vorgängigkeit von mit wie auch immer definierten Willensäußerungen verbundenen physiologischen Phänomenen vor den ausgeführten Willensmanifestationen aufgefaßt werden. Damit ist zumindest die lebensweltliche Gefühlslage gekränkt und eine Suche nach befriedigenderen Erklärungen aufgetragen. Es kann an dieser Stelle aber nicht um scharfsinnigere Interpretationen des Experiments gehen, obwohl sie sich anbieten, denn dieser Bereich ist besser der Kompetenz des Experimentators zu überlassen. (Ein Beispiel: würde das eigentliche entscheidungsauslösende Hirnareal ein anderes sein als jenes, von welchem das Bereitschaftspotential abgenommen wird und würde zwischen beiden ein signalverzögerndes Element angeordnet sein, nicht aber vom entscheidungsauslösenden zum muskelaktivierenden Areal, so wäre die Zeitumkehr der Signalanfänge erklärbar; das könnte aber nur aus der Hirnanatomie plausibel gemacht werden).
Alternative oder modifizierte Erklärungen müssen von gemeinsam anerkannten Voraussetzungen ausgehen. Zu diesen zählt die kaum beeinspruchte Theorie der Funktionsweise des Gehirns als einer Ansammlung von hochvernetzten Modulen, welche in der in Grundmodellen hinreichend verstandenen Weise neuronaler Netzwerke funktionieren und dabei Abläufe, d.h. Umwandlungen von großen informationstragenden Zuständen verwirklichen. Es ist festzuhalten, daß die Extrapolation des modellierten oder beobachteten Verhaltens der relativ einfachen Grundmodelle auf die realistische sehr hohe Anzahl von Elementen (Neuronen) und deren sehr hohe Vernetzung (nach den zugänglichen Informationen) noch nicht geleistet ist; die daraus herrührende Unsicherheit wird in der veröffentlichten Diskussion nicht ernstgenommen oder - als asylum ignorantiae - im Gegenteil sogar zur Erklärung der allerhöchsten rätselhaftesten Verstandesleistungen vorgeschlagen. Wenn Kenntnis der Funktionsweise des Gehirns in der Diskussion in Anspruch genommen wird, so deswegen unberechtigt; die neue Dimension, die durch Hochkomplexität der Elementaroperationen hinzutritt oder hinzutreten kann, wird ignoriert.
Tatsächlich sind die Formulierungen in Interviews des Neurophysiologen Wolf Singer bemerkenswert unverbindlich und bauen eigentlich auf jene Kenntnis der Funktion von Hirnarealen, bzw. Hirnmodulen auf, wie sie schon vor den letzten neurophysiologischen Durchbrüchen bekannt und nicht in Frage gestellt waren. Äußerungen Singers sind hier relativ vage und scheinen eher in der sekundären Berichterstattung schärfer formuliert.. (Als Beispiel Wolf Singer: Ein neues Menschenbild? Frankfurt: Suhrkamp 2003. S.16 auf die Interviewfrage nach dem Humangenom als Schlüssel des menschlichen Verhaltens: "Biologische Bedingtheiten zu leugnen wäre töricht. Genauso töricht wäre es allerdings, die kulturellen Bedingtheiten zu leugnen." S.32 auf die Interviewfrage, ob Singer behauptet, daß der "Freie Wille" lediglich eine Illusion ist: "Ich würde mich auf die Position zurückziehen, daß es zwei voneinander getrennte Erfahrungsbereiche gibt, in denen Wirklichkeiten dieser Welt zur Abbildung kommen. [...] Daß die Inhalte des einen Bereichs aus den Prozessen des anderen hervorgehen muß ein Neurobiologie als gegeben annehmen. [...] Insofern muß, aus der Dritte-Person-Perspektive betrachtet, das, was die Erste-Person-Perspektive als freien Willen beschreibt, als Illusion definiert werden.". S. 50 auf die Interviewfrage: [...] wenn es um die Frage geht, ob das Gehirn dem Menschen eine freie Entscheidung ermöglichen kann. "Fragen dieser Tragweite lassen sich mit naturwissenschaftlichen Verfahren nicht entscheiden. Ich gehe davon aus, daß das Gehirn uns die Möglichkeit gibt, mit Absicht und damit also frei zu handeln."). In den Äußerungen scheint die offenbleibende Lücke einer Plausibilitätskette vielleicht geringer, eine Kette naturgesetzlicher Verursachung gibt es jedenfalls erst in Fragmenten.
Alles zusammengenommen kann man als Ergebnis dieser Überlegungen nur sagen, daß für die Behauptung eines naturgesetzlicher Ablaufs der Informationsverarbeitung im Gehirn, die zu prädizierbaren definierten entscheidungshältigen Aktivierungszuständen und daraus zu Handlungen führt, auf der Grundlage der bisherigen Informationsarmut und der gewagten enormen Sprünge in der Interpretation des bisher Bekannten verfrüht ist.
Vielleicht sollte man Kausalität hier ganz anders verstehen Vielleicht ist es überhaupt ein falscher Weg, sich allein auf Ereigniskausalität in der informationstragenden Abfolge der Hirnzustände zu stützen. Die Arbeitsweise neuronaler Netze, also ihrer Module und ihres Zusammenspiels ist in extremer Weise ganzheitlich insofern, als die von vorangehenden Aktivitäten hinterlassenen Reste, genauer Spuren nicht der Aktivierungen sb, sondern sondern ihrer Verarbeitungen als Erleichterung oder Erschwerung der Signalweitergabe von Element zu Element, d.h. Neuron zu Neuron, dauerhaft fixiert werden. Auch wenn es rhetorische Übertreibung ist, daß alles mit allem im Gehirn wechselwirkend verknüpft sei, so hängt doch zweifellos ein erreichter informationstragender Aktivierungszustand des Gehirns und sein Zustandekommen, bzw. seine Weiterverarbeitung von einer sehr großen Zahl von Spuren vorangegangener Aktivitäten ab. Kausalität in der seit dem 19.Jahrhundert und in der Gegenwart üblichen Verständnisweise ist die Bedingtheit eines Ereignisses durch ein oder durch wenige vorangehende Ereignisse unter der Bedingung der Identität vieler oder aller anderen wesentlichen Umstände. Eine in solchem Maße holistisch zu nennende Abhängigkeit eines Aktivitätsereignisses im Gehirn von so vielen anderen im Gehirn kann schlechthin kein kein Anwendungsfall von Kausalität mehr sein, der Begriff wird hier in überschwänglicher Weise überspannt.
Man kann die Situation mit der großen Theorie der Thermodynamik vergleichen, welche vor die Unmöglichkeit gestellt, ein sehr großes Kollektiv von Teilchen elementweise beschreiben zu sollen auf das Detail der Beschreibung verzichtet hat. Im Verzicht der kognitionstheoretischen Beschreibung, die Spuren je vorangehender Aktivitäten in jedem Neuron zu erfassen und in eine Prädiktion eingehen zu lassen, kann ein Analogfall gesehen werden. Man mag hier (in einem etws hinkenden, weil linear vereinfachenden Vergleich) an die Leibniz-sche Monade als den vollständigen, nie vom Menschen in Gänze zu erfassenden Begriff des Individuums denken. Aber erst diese Vollständigkeit würde das Individuum ganz charakterisieren.
Es besagt noch wenig, aus abgenommenen Hirnstromaktivitäten oder anderen hirnverursachten Beobachtungen vorauszusagen, der Proband werde auf eine ihm gezeigte Entität in bestimmter Weise reagieren, es wäre das ein Atom seiner Identität, die sich aus allen seinen vorangehenden Lebensäußerungen zusammensetzt. Auch Singer oder roth könnten die Neigung zu einer Straftat in einem Probanden nicht mit einer Einzelelektrode ableiten. Was gilt, ist das Ganze aus allen Elementen, wenn auch in abgestuften Gewichtungen und wahrscheinlich unwißbar in seiner Vielheit..
Vielleicht ist die Frage nach der Determination des menschlichen Willens und nach der Kausalität, die sie bedingt, einfach falsch gestellt?
Diese Seite steht im Kontext von Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)
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