Der Machtbegriff bei Foucault

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Einleitung

Michel Foucault ist wohl einer der meist diskutierten Denker des 20. Jahrhunderts. Dies sicherlich auch weil Foucault ein so umfangreiches Werk hinterlassen hat, welches nur schwer als Ganzes zu begreifen ist. Eine Bibliographie, die noch vor seinem Tod erschienen ist verzeichnete 729 Titel. Mein Thema dieser Arbeit ist der Begriff der Macht bei Foucault. Da aber Foucault keine explizite Theorie der Macht erarbeitete, sondern stets nur das Wirken der Macht in einer Kultur und historischen Epoche analysierte, spielt die Macht in seinem gesamten Werk ein zentrale Rolle. Daher habe ich mich im Wesentlichen auf zwei seiner Werke konzentriert an welchen man keinesfalls vorbeikommt wenn man den foucaultschen Machtbegriff verstehen will: "Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses" und "Der Wille zum Wissen". Wobei speziell das Erstere eine Vertiefung der Machtanalytik bei Foucault darstellt. Ich werde zuerst einige kurze Daten zu Foucault anführen, obwohl dies überhaupt nicht im Sinne von Foucault selbst ist, nach ihm sollte das Denken einer Person im Mittelpunkt stehen und nicht die Person selbst. Anschließend werde ich noch ein wenig über die Methodik und die Systematik Foucaults sprechen um anschließend das Thema dieser Arbeit zu erläutern. Hierbei möchte ich mich, wie bereits erwähnt zuerst an "Überwachen und Strafen" orientieren. Nach einer kurzen Einführung ins Werk werden zuerst die Technologien zur Disziplinierung (Disziplinen) erläutert. Diese sollen dann anhand dem Beispiel Schule vertieft werden. Im Anschluss daran soll die gleichwohl zentrale wie auch »revolutionäre« These der Produktivität von Macht zur Sprache kommen. Diese wiederum soll mit dem Begriff der Bio-Macht vertieft werden, welcher von Foucault in der "Wille zum Wissen" erarbeitet wurde. Abschließend möchte ich noch auf die Kritik an Foucault kurz eingehen, doch diese ist beinahe so umfassend wie Foucaults Werk selbst daher werde ich mich nur mit einem Kritikpunkt auseinander setzen.


Biographisches

Michel Foucault wird 1926 in Poitiers, Vienne geboren. Er absolviert ein Philosophiestudium in Paris und wird ab 1946 Schüler von Louis Althusser, parallel dazu studiert er Psychologie. 1951 legt er das Staatsexamen in Philosophie ab, 1952 folgt ein Diplom in Psychologie. 1954 erscheint seine erste größere Veröffentlichung, "Psychologie und Geisteskrankheit" ("Maladie mentale et psychologie"). Seine Dissertation erscheint 1961 unter dem Titel "Wahnsinn und Gesellschaft" ("Folie et déraison. Histoire de la folie à l'âge classique"). Er thematisiert dort die Geschichte des Wahnsinns und der Diagnose Geisteskrankheit - man ist der Diagnose nach geisteskrank oder nicht geisteskrank. 1962 folgt eine Professur in Clermont-Ferrand. 1966 erscheint "Die Ordnung der Dinge" ("Les mots et les choses") womit er seinen ersten großen Erfolg erzielen kann. Darauf folgt 1969 seine Arbeit "Archäologie des Wissens" ("L'archéologie de savoir"). Ab 1970 ist er Professor für 'Geschichte der Denksysteme', ein eigens für ihn eingerichteter Lehrstuhl am Collège de France in Paris. Er engagiert sich politisch, so auch speziell für die Rechte von Gefangenen. Er gründet zu diesem Zweck zusammen mit Jean-Marie Domenach und Pierre Vidal-Naquet die Groupe d'Information sur les Prisons (Gruppe zur Information über Gefängnisse). 1975 erscheint in der Folge sein Buch "Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses" ("Surveiller et punir. La naissance de la prison"). Ab dieser Phase seines Werkes setzt er sich vertieft mit der Beziehung zwischen Macht und Wissen auseinander. 1976 macht er sich an sein letztes großes Forschungsprogramm, "Sexualität und Wahrheit" ("Histoire de la sexualité") und veröffentlicht deren ersten Band, "Der Wille zum Wissen" ("La volonté de savoir"). Danach folgt eine längere Publikationspause, in der er in seinen Forschungen immer weiter in der Geschichte zurückgeht, um den Etablierungsprozess des Prinzips des 'Menschen des Begehrens' zu verfolgen. Erst 1984 erscheinen die Bände zwei und drei von "Sexualität und Wahrheit", "Der Gebrauch der Lüste" ("L'usage des plaisirs") und "Die Sorge um sich" ("Le souci de soi"), die die antike Philosophie als Lebensform reformulieren. 1984 stirbt Foucault in der Folge von Aids in Paris.


Das Ganze des Denkens Foucaults - Systematik, Methodik

Eine Darstellung der Systematik Foucaults ist wahrlich kein einfaches Unterfangen, denn Foucault selbst befand sich stets in einem Spannungsverhältnis zwischen Rationalismus und der dazugehörigen systematischen Strenge einerseits und einer intellektuellen Sensibilität, die sich in der Vielstimmigkeit der Phänomene verliert, andererseits. Foucault war wesentlich an der Vorbereitung und Fortentwicklung des Poststrukturalismus und der Postmoderne beteiligt. Ob Foucault selbst aber als Vertreter dieser Denkrichtungen gilt, ist nicht eindeutig zu sagen. Im Gegensatz zu poststrukturalistischen und postmodernen Philosophen wie Deleuze oder Lyotard war der Philosoph Foucault auch Gesellschaftstheoretiker und Historiker. Seine Philosophie ist eine der Sozial- und Kulturgeschichte. In diesem Sinne stellt er die Frage was es heißt, heute Mensch zu sein vor dem Hintergrund des Menschenverständnisses vergangener Zeiten. Ein Begriff um welchen sich die gesamten Werke Foucaults bewegen ist die Macht. Macht stellt für Foucault ein Entwicklungs- und Integrationsprinzip unserer Gesellschaft dar und beschreibt insofern ein praktisches Prinzip. Dieses Praktische Prinzip hat eine Bedeutung für das Wissen als theoretisches System. Die Macht wirkt auf unser Wissen ein. Foucault versteht diese beiden Begriffe als Gegenstände eines fundamentalen Willensprinzips. "Der Wille zum Wissen" ist ein Wille zur Macht. Dieser philosophische Grundsatz formulierte Foucault im Sinne von Nietzsche, welcher in seinem Denken einen großen Einfluss auf Foucault hatte. Wir neigen dazu unsere gegenwärtige Ordnung des Wissens und der Macht als Inbegriff des Menschseins zu halten, doch Foucault entlarvt dies durch seine historische Reflexion als Täuschung.

„Die geschichtsphilosophische Reflexion auf das historische Unbewußte enthüllt jedoch diese anthropologische Verallgemeinerungen, so wie sie aus unserer alltäglichen Existenz erwachsen, als Illusion, weil sie sie im Hinblick auf ganz andere, vielleicht sogar gegensätzliche Auffassungen vom Menschen zu anderen Zeiten und an anderen Orten relativiert. Das menschliche Subjekt im Bedingungskreis der Macht- und Wissensgeschichte – so etwa ließe sich Foucaults vollständige Problemstellung umreißen.“ (Fink-Eitel, 1992, S. 9)

Zu jedem der Begriffe hat Foucault eine andere Herangehensweise: die Macht anhand der Genealogie, das Wissen mit Hilfe der Archäologie und das Subjekt in Hinblick auf die Ethik. Doch Foucaults Werk ist nicht ausreichend bestimmt, wenn man ihn auf die Begriffe Geschichte, Macht, Wissen und Subjekt beschränken würde, denn sein eigentliches Thema ist die Sexualität als besondere historische Erfahrung. Macht, Wissen und Subjekt sind bestimmende Faktoren für diese Erfahrung: „die Formierung der Wissen, die sich auf sie beziehen; die Machtsysteme, die ihre Ausübung regeln; und die Formen, in denen sich die Individuen als Subjekte dieser Sexualität (an)erkennen können und müssen.“ (Foucault, 1986, S. 10) In diesem Sinne bezeichnet das Thema Sexualität als besondere historische Erfahrung unter den drei Achsen des Wissens, der Macht und der Subjektivität den Gegenstandsbereich der Philosophie Foucaults. Die eingangs erwähnte Vielschichtigkeit von Foucault macht eine einfache Darstellung seines Denkens unmöglich doch genau darin liegt auch die Faszination Foucault: „Strukturalismus und surrealistische Poetik, positive, wissenschaftliche Systematik und Ästhetizismus – es ist wohl diese spannungsreiche Verbindung, der sich die Faszination des Michel Foucault verdankt.“ (Fink-Eitel, 1992, S. 21)


Überwachen und Strafen

Wie bereits erwähnt war Michel Foucault politisch engagiert, so kämpfte er unter anderem gegen Rassismus, Ausbeutung und sexuelle Diskriminierung. In den frühen siebziger Jahren setzte er sich für die Verbesserung von Haftbedingungen ein. Zu diesem Zweck gründete er eine Gruppe zur Information über die Gefängnissituation in Frankreich (Groupe D‘Information sur les Prisons). Foucault wird dadurch auf die Institution Gefängnis aufmerksam und publiziert 1975 sein machtanalytisch wichtiges Werk "Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses" ("Surveiller et punir. La naissance de la prison"). Wie der Untertitel verrät möchte Foucault durch die Rekonstruktion von neuzeitlichen Strafformen die „Geburt des Gefängnisses“ nachzeichnen und somit auch den Weg von der Souveränitätsgesellschaft hin zur Disziplinargesellschaft. Im 18. Jahrhundert wurde noch über verschiedenste Arten der Strafe nachgedacht, zum Beispiel Verbannung und öffentliche Strafarbeit. Das Gefängnis setzt sich aber als alleinige Form der Strafe durch. Ein Faktum, welches für diese Entwicklung spricht, ist ein struktureller Wandel der sich auf der Ebene von sozialen Praktiken vollzogen hat. Das Gefängnis entspricht diesem Wandel, hin zur Disziplinarmacht am vollkommensten. Die moderne Macht, deren Charakter Foucault in "Überwachen und Strafen" heraus arbeitet, zeigt sich aber nicht nur anhand der Strafpraxis Gefängnis, sondern sie durchzieht die gesamte Gesellschaft und deren Institutionen:

„Daß das Zellengefängnis mit seinem Zeitrhytmus, seiner Zwangsarbeit, seinen Überwachungs- und Registrierungsinstanzen, seinen
Normalitätslehrern, welche die Funktionen des Richters fortsetzen und vervielfältigen, zur modernen Strafanlage geworden ist - was ist daran verwunderlich? Was ist daran verwunderlich, wenn das Gefängnis den Fabriken, den Schulen, den Kasernen, den Spitälern gleicht, die allesamt den Gefängnissen gleichen?“. (Foucault, 1976, S. 292)


Der Körper und seine Disziplinierung

Foucault beginnt sein Werk mit einer ausführlichen Schilderung einer öffentlichen Hinrichtung im Jahre 1757. François Damiens verübte ein erfolgloses Attentat auf Ludwig XV, dafür wurde er in der Öffentlichkeit brutal gefoltert, gevierteilt und verbrannt. Mit diesem grausamen Akt soll der symbolische Körper des Königs in seiner Autorität wieder hergestellt werden. Diese szenische, öffentliche Zurschaustellung der Macht birgte aber stets die Gefahr der Solidarisierung des beiwohnenden Publikums mit dem Täter. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierte sich daher eine Bestrafung die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Die Zurichtung und Bedeutung des Körpers änderte sich zur Gänze. Nicht mehr die symbolische Wiederherstellung königlicher Souveränität steht im Zentrum, sondern im Zuge des aufkommenden Kapitalismus und der Bevölkerungsexplosion, geht es nun um die Herstellung von effektiv einsetzbaren, das System tragende und somit ertragreiche Individuen. (vgl. Kögler, 2004, S. 85) Der Körper findet sich nun stets im Feld des Politischen wieder, da die Machtverhältnisse ständig auf ihn einwirken, „...sie umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn zu Arbeiten, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen“. (Foucault, 1976, S. 37) Diese politische Besetzung des Körpers ist an seinen ökonomischen Nutzen gebunden, daher spricht Foucault von der „politischen Ökonomie des Körpers“. Der Körper wird nun nicht mehr durch seine Hinrichtung verschwendet, sondern er wird effektiv genutzt. Doch um den Körper effektiv ökonomisch zu nutzen, sollte er nicht nur produktiv, sondern immer auch unterworfen sein. Zu diesem Zweck werden die Disziplinen eingesetzt. Dies sind Technologien, die durch Strukturierung und Konformisierung von Körperverhalten bestimmte Verhaltensweisen und Individualtypen erzeugen. Das Verhalten der Individuen wird durch einen genauen Zeitrhytmus, durch die Kontrolle von Gesten, Haltungen, Sitzweisen etc. geregelt. (vgl. Kögler, 2004, S. 85) Foucault nennt hier verschiedenste Techniken er unterscheidet dabei zwischen Techniken die auf den Körper bezogen sind und der Disziplin als Kunst der guten Abrichtung:


„Die gelehrigen Körper“

„Die Kunst der Verteilungen“ - Hierbei wird die Verteilung der Individuen im Raum behandelt. Dies erfolgt durch die „Klausur“ (die bauliche Abschließung eines Ortes von allen anderen Orten), die „Parzellierung“ (jedem Individuum seinen Platz und auf jeden Platz ein Individuum), die „Zuweisung von Funktionsstellen“ (genaue Festlegung des Platzes) und durch den „Rang“ (dem Platz in einer Klassifizierung).

„Die Kontrolle der Tätigkeit“ - Dabei geht es um die Zeitplanung um die Anpassung des Körpers an zeitliche Imperative. Um eine bestmögliche Ausschöpfung der Zeit zu erreichen spielen Bewegungsabläufe, eine effiziente Körperhaltung, und die Zusammenschaltung von Körper und Objekt (zum Beispiel dem Gewehr oder dem Arbeitsgerät) eine wesentliche Rolle. „Es geht darum, aus der Zeit immer noch mehr verfügbare Augenblicke und aus jedem Augenblick immer noch mehr nutzbare Kräfte herauszuholen“. (Foucault, 1976, S. 198)

„Die Organisation von Entwicklungen“ - Sie wird zur Erfassung der Zeit von Einzelexistenzen, zur Reglementierung der Verhältnisse der Zeiten, Körper und Kräfte verwendet. Sie dient zur ständigen Steigerung der Rentabilität des Zeitflusses.

„Die Zusammensetzung der Kräfte“ - „Die Disziplin ist nicht mehr bloß eine Kunst der Verteilung von Körpern und der Gewinnung und Anhäufung von Zeit, sondern die Kunst der Zusammensetzung von Kräften zur Herstellung eines leistungsfähigen Apparates.“ (Foucault, 1976, S. 212)


„Die Mittel der guten Abrichtung“

„Die hierarchische Überwachung“ - Für die Durchsetzung von Disziplinen ist die Einrichtung des zwingenden Blickes erforderlich. Demnach wäre der perfekte Disziplinarappart derjenige, der ständig und mit einem einzigen Blick alles durchdringen und sehen könnte. Der hierarchische Blick muss sich so integrieren, dass er die Leistung der Individuen steigert. „...die Überwachung beruht zwar auf Individuen, doch wirkt sie wie ein Beziehungsnetz von oben nach unten und bis zu einem gewissen Grade auch von unten nach oben und nach den Seiten. Dieses Netz hält das Ganze und durchsetzt es mit Machtwirkungen, die sich gegenseitig stützen: pausenlos überwachte Überwacher.“ (Foucault, 1976, S. 228)

„Die normierende Sanktion“ - Alles was nicht konform geht, jede Abweichung von der Regel wird sanktioniert und festgehalten. Diese Normalisierungsmacht zwingt einerseits zur Homogenität anderseits wirkt sie aber auch individualisierend da sie Abstände misst, Niveaus bestimmt, Besonderheiten fixiert und die daraus resultierenden Unterschiede nutzbringend aufeinander abstimmt.

„Die Prüfung“ - Sie kombiniert die normierende Sanktion mit der hierarchischen Überwachung und errichtet über den Individuen eine Sichtbarkeit, mit Hilfe derer man sie differenziert behandeln kann. Daher ist die Prüfung in allen Disziplinaranstalten auch so stark ritualisiert. Die Prüfung macht mit Hilfe der administrativen Dokumentation aus jedem Individuum einen „Fall“. Sie macht die Individualität dokumentierbar.

Die Disziplinen steigern einerseits die Kräfte des Körpers (im Hinblick auf den ökonomischen Nutzen) und andererseits schwächen sie ihn (um ihn politisch fügsam zu machen). Die moderne Macht arbeitet subtil. Überzeugungen werden durch eine Kombination von externer Einschließung und körperzentrierter Verhaltenskontrolle mittels dauernder Überwachung, Überprüfung und Beurteilung des Verhaltens internalisiert. Diese Internalisierung findet am Körper statt, in Form von habituellen Übungen. Dadurch wird die Trennlinie zwischen gedanklicher Überzeugung und praktischen Verhaltensmuster unscharf. (vgl. Kögler, 2004, S. 85) Die Internalisierung erfolgt einerseits durch direkte Einwirkung auf die Bewegungsabläufe, sie kann aber auch indirekt erfolgen, indem der Körper durch die Lokalisierung und Überwachung im Raum kontrolliert wird. Der Einzelne wird dazu angehalten sich selbst zu überwachen. „Die moderne Macht funktioniert also in der Tat durch den gezielten Einsatz körperzentrierter Praktiken, wobei diese entweder den Körper direkt formen oder ihn aber indirekt zum Objekt der (Selbst) Kontrolle machen“. (Kögler, 2004, S. 85f.)


Der Panoptismus

Im Sinne einer hierarchischen Überwachung tragen auch die Architektur und Raumaufteilung zur Organisation der Einzelnen bei. So ist Jeremy Benthams „Panopticon“ das idealtypische, gleichsam zur Architektur geronnene Modell der Disziplinarmacht. Es handelt sich um ein Bauwerk, in welchem Einzelzellen in konzentrischen Kreisen um einen zentralen Beobachtungsturm angebracht sind. Dadurch können alle Gefangenen vom zentral gelegen Wächter beobachtet werden, dieser wiederum bleibt unsichtbar. Daher kann der Beobachtungsturm unbesetzt bleiben und die Gefangenen müssen sich dennoch so verhalten, als ob sie unter Beobachtung stehen. Durch die kreisförmige Anbringung der Zellen ist zudem jede Zelle durch andere Zellen einsichtig. Die Gefangenen überwachen sich daher selbst. Diese spezielle Form von Architektur und Raumaufteilung durchzieht die gesamte Disziplinargesellschaft und ihre Institutionen, die Fabriken, die Schulen, die Kasernen und viele mehr. „Isolierung, totale Organisation und Kontrolle, völlige Transparenz und ständige Selbstüberwachung bei Unsichtabrkeit des alles kontrollierenden Machtzentrums: dies ist die Utopie der Disziplinarmacht.“ (Fink-Eitel, 1992, S. 76) Dies scheint auf eine geradezu perfekte Weise das Panopticon zu erfüllen. Foucault benennt daher das Prinzip der ständigen Überwachung und Selbstüberwachung Panoptismus.


Einschließungsmilieu Schule

Wenn Foucault von Institutionen spricht, dann spricht er von Einschließungen und für ihn sind alle Einschließungen, ob Schule, Gefängnis, Krankenhaus etc. qualitativ jeweils miteinander vergleichbar und auch gleichwertig. Die Schule stellt innerhalb der Disziplinargesellschaft eine Institution unter vielen dar, wobei ihr sicherlich ein wichtiger Aspekt zukommt, nämlich sie übernimmt die Aufgabe das Individuum an ein Leben heranzuführen, welches durch eine Kette von Institutionen geprägt ist. Denn das Disziplinarsubjekt durchläuft während seines Lebens eine Vielzahl von Institutionen und dies meist ohne große Unterbrechungen, eine Institution folgt der andern. Die Schule selbst stellt dabei eines der ersten Glieder dieser Kette dar, welches aber auf die nachkommenden Institutionen vorbereitet. So ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Student während er sich in einer Lehrveranstaltung befindet ohne große Anstrengung ruhig sitzen kann, denn darauf wurde er in der vorangegangenen Institution, der Schule vorbereitet. Vor diesem Hintergrund dient die Institution Schule als wichtiges Instrumentarium für die Disziplinargesellschaft. Hier einige Beispiele für deren Disziplinierung:


Die Kunst der Verteilung

Jedes Schulgebäude ist eine bauliche Abschließung bei der die Schüler unter sich bleiben, besonders deutlich wird dies am Beispiel Internat. Innerhalb der Klassen hat jeder Schüler seinen Platz. Diese Parzellierung findet wiederum auf einer andern Ebene statt, welche den Schüler nach seinen Leistungen räumlich einteilt und klassifiziert, zum Beispiel in Leistungsgruppen.


Die Kontrolle der Tätigkeit

Die zeitliche Einteilung ist ein wesentliches Element jedes Unterrichts. So sind Stundenpläne, die Dauer von Unterrichtsstunden, Pausen usw. genauestens geregelt. Der Schüler hat eine reglementierte Körperhaltung einzunehmen, welche dann Auswirkungen auf seine Leistungen hat. Die folgende Beschreibung stammt zwar aus dem Jahr 1828, doch sie zeigt sehr schön die Verknüpfung von Körperhaltung und Leistung, welche auch heute noch Gültigkeit hat.

„Um gut zu schreiben, ist es notwendig, daß man sich in einer bequemen und in der dazu passenden Lage befinde. Man muß den Körper gerade halten, ein wenig nach der linken Seite geneigt und nur ein wenig vorgebeugt, und zwar so, daß, wenn man den Ellenbogen auf den Tisch setzen würde, das Kinn sich auf die Faust stützen könnte, vorausgesetzt, daß die Beschaffenheit des Auges dies gestattet. Das linke Bein muß unter dem Tische um etwas weiter vorgestreckt werden als das rechte. Die Leichtigkeit im Schreiben sowohl als die Gesundheit der Kinder macht es notwendig, daß sie sich mit der Magengegend nicht an den Tisch anlehnen. Der rechte Arm muß vom Körper etwa drei Fingerbreiten entfernt sein und vom Tische beiläufig fünf Fingerbreiten abstehen, der linke Ellenbogen auf dem Rande des Tisches und die Hand auf dem Papiere ruhen.“
(De la Salle, 1828. In: Foucault, 1976, S. 196)


Die normierende Sanktion

In der Schule hat sich eine Mikro-Justiz der Zeit (Verspätung, Abwesenheit,...), der Tätigkeit (Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit,...), des Körpers (unkorrekte Körperhaltung) und der Sexualität (Unanständigkeit, Schamlosigkeit,...) entwickelt. Als Sanktion wird jener Bereich bevorzugt, welcher unter des Übens, des Intensivierens oder des wiederholten Lernens fallen.


Die Prüfung

Die Prüfung stellt das Kernstück einer jeden Schule dar und ist eine Kombination aus überwachendem Blick und der normierenden Sanktion. „Sie ist ein normierender Blick, eine qualifizierende, klassifizierende und bestrafende Überwachung.“ (Foucault, 1976, S. 238) Im Sinne einer Klassifizierung durch die Prüfung entscheidet sie auch den weiteren Werdegang eines Schülers, indem sie sein Individuum sichtbar macht.


Produktivität der Macht

Moderne Macht ist nicht einfach damit zu charakterisieren, daß sie auf Ausschließung, Unterdrückung, Ausgrenzung und Negation beruht, sondern sie ist auch wesentlich zur Produktion von Erfahrungen imstande. „Man muß aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ‘ausschließen’, ‘unterdrücken’, ‘verdrängen’, ‘zensieren’, ‘abstrahieren’, ‘maskieren’, ‘verschleiern’ würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches.“ (Foucault, 1976, S. 250) Wenn von einem rein negativen Bild der Macht die Rede ist, so geht man stets von einer impliziten Annahme eines ursprünglichen und reinen Grundes der menschlichen Natur beziehungsweise der Wahrheit aus, welche eben durch die Macht unterdrückt, verdrängt usw. wird. Foucault stützt sich aber nicht auf eine Wahrheit oder ursprünglichen Natur des Menschen, sondern man muß die Produktion solcher »natürlichen« Identitäten vielmehr selbst als einen durch Machtpraktiken gesteuerten Prozess begreifen. (vgl. Kögler, 2004, S. 88) Die moderne Macht hat einen individualisierenden Charakter und insofern ist ihr Produkt das moderne Individuum. Die Macht produziert, wie bereits erwähnt die »gelehrigen Körper« aber über dies hinaus produziert sie auch eine individuelle Innenwelt. Dies veranschaulicht Foucault wieder anhand des Panoptismus, wobei nicht so sehr die Kontrolle und Überwachung im Vordergrund steht, sondern dessen individualisierende Funktion, welche sich durch eine Internalisierung moderner Disziplinarmacht vollzieht.

„Falsch wäre es demnach, hier nur das Kontrollprinzip geschlossener Institutionen zu sehen; längst hat sich der ›Panoptismus‹ in die versteckten Winkel unserer Lebenswelt, unserer Gefühle und Gedanken, unserer Identitäten hinein fortgebildet. Tatsächlich sind wir nach Foucault, insofern wir uns als individuell verantwortliche und durch ein normiertes Gewissen ausgestattete Subjekte verstehen, in dieser normierten Individualität nichts als : ein Produkt moderner Macht.“ (Kögler, 2004, S. 89)

Foucault ändert seine Auslegung bezüglich der Selbstkonstitution durch Macht. In den siebziger Jahren versteht er seine These im Sinne einer Entstehung von individuellem Selbstverständnis aufgrund der spezifischen Überwachungssituation. In den achtziger Jahren hingegen meint Foucault, daß das subjektive Selbstverständnis nicht als solches durch die disziplinierende Überwachung geschaffen wird, sondern nur eine ganz bestimmte Form des selben. Der Mensch ist demnach zur reflexiven Selbstbeziehung fähig, doch diese wird von den Machtfunktionen kolonisiert. (vgl. Kögler, 2004, S. 89f.)


Die Rolle der Humanwissenschaften

Eine Konstitution des Individuums kann nur im Zusammenhang mit der Humanwissenschaft erfolgen. Es gibt eine untrennbare Verknüpfung von Macht und Wissen. So liefern einerseits die Humanwissenschaften das nötige Wissen zur Disziplinierung der Individuen, doch umgekehrt bedienen sich die diversen wissenschaftlichen Disziplinen am einzelnen Disziplinarsubjekt, indem sie es kategorisieren, analysieren, prüfen usw. . Ja, der disziplinierte Einzelne ist sogar unersetzlich für die Humanwissenschaft. „Das isolierte, berechenbare, weil sich selbst überwachende Disziplinarsubjekt ist die Voraussetzung für die Entstehung der Humanwissenschaften.“ (Fink-Eitel, 1992, S. 78) Das Verhältnis von Wissen und Macht spielt bei einem weiteren zentralen Begriff Foucaults eine wesentliche Rolle, bei der »Bio-Macht«.


Bio-Macht

In "Der Wille zum Wissen" erarbeitet Foucault den Begriff der Bio-Macht, dieses Werk stellt wiederum den ersten Band des Forschungsunternehmens "Sexualität und Wahrheit" (Histoire de la sexualité) dar. Der deutsche Gesamttitel war von Foucault so gewollt, da es ihm nicht um eine Geschichte der sexuellen Verhaltensweisen ging, sondern darum wie die Sexualität zum Gegenstand des Wissens wurde.

Zu Beginn von "Überwachen und Strafen" wird die bereits erwähnte Hinrichtung des Attentäters Damiens geschildert, welche deutlich zeigt, daß sich die Macht in der Aufklärung als ein Zugriff auf das Leben, im Sinne des Rechts es zu beenden vollzieht. „Der Souverän übt ein Recht über das Leben nur aus, indem er sein Recht zum Töten ausspielt – oder zurückhält. Er offenbart seine Macht über das Leben nur durch den Tod, den er zu verlangen imstande ist.“ (Foucault, 1977, S. 162) Insofern könnte hier die Formel »Sterben machen und leben lassen« gelten. Die moderne Macht hingegen konzentriert sich nicht als gebieterisches Recht über Leben und Tod, sondern sie zeigt sich als eine »positive« auf das Leben gerichtete Zugriffsweise. Die negative „Abschöpfung“, so Foucault, ist nicht mehr der hauptsächliche Charakter der Macht, „sondern nur noch ein Element unter anderen Elementen, die an der Anreizung, Verstärkung, Kontrolle, Überwachung, Steigerung und Organisation der unterworfenen Kräfte arbeiten: diese Macht ist dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, beugen oder zu vernichten.“ (Foucault, 1977, S. 163) Die moderne Macht geht mit dem Leben ganz neu um, indem sie das Leben in seiner Realität fördert, formt, abrichtet, zur Entwicklung anhaltet etc. .(vgl. Kögler, 2004, S. 93) Was diese Entwicklung der Macht vielleicht am besten beschreibt zeigt Foucault mit folgenden Worten: „Man könnte sagen, das alte Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen , wurde abgelöst von einer Macht, leben zu machen oder in den Tod zu stoßen.“ (Foucault, 1977, S. 165) Die Bio-Macht bei Foucault beschreibt demnach eine Macht die auf das Leben gerichtet ist. Diese Macht agiert auf zwei Ebenen, der makrosoziologischen (die Gesamtgesellschaft betreffenden) und auf der mikrosoziologischen (das Individuum betreffenden) Ebene. Hinsichtlich des Handelns und Erlebens des Einzelnen gilt das Modell des »Körpers als Maschine«: „Seine Dressur, die Steigerung seiner Fähigkeiten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit und seiner Gelehrigkeit, seine Integration in wirksame und ökonomische Kontrollsysteme – geleistet haben all das die Machtprozeduren der Disziplinen: politische Anatomie des menschlichen Körpers.“ (Foucault, 1977, S. 166) Zur gleichen Zeit hat sich die Idee des Gattungskörpers als das zu kontrollierende und zu beeinflussende Objekt der Macht gebildet: „Die Fortpflanzung, die Geburten- und die Sterblichkeitsrate, die Gesundheitsniveaus, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit allen ihren Variationsbedingungen wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrollen: Bio-Politik der Bevölkerung.“ (Foucault, 1977, S. 166) Die Disziplinarmacht richtet in den Mikropraktiken der Institutionen wie Schule, Armee, Fabrik, Spital etc. das Individuum über den Körper systemkonform ab. Die Bio-Politik hingegen entfaltet durch Demographie, ökonomische Analysen und Verwaltungsmodelle eine Praxis der Einflussnahme auf die Bevölkerung im Ganzen. (vgl. Kögler, 2004, S. 95)


Das Dispositiv der Sexualität

"Überwachen und Strafen" untersuchte vorrangig die nicht-diskursive Machtpraxis der Disziplinierung. In "Der Wille zum Wissen" stehen aber, wie der Titel verrät, diskursive wissenserzeugende Praktiken im Vordergrund. Foucault führt noch einen weiteren Begriff ein, den des Dispositivs. Dispositive sind machtstrategische Verknüpfungen von Diskursen und Praktiken oder von Wissen und Macht. Ein solches Dispositiv bezeichnet die Sexualität. Foucault wehrt sich, wie bereits erwähnt gegen die bloße Repressionstheorie, die nur den unterdrückenden Aspekt der Macht sieht. In diesem Sinne sieht er auch die Theorie, der durch Macht unterdrückten Sexualität als zu kurz gefasst. Foucault erläutert deshalb die produktive Leistung der Macht durch vier große Komplexe, die sich zu einem umfassenden Dispositiv der Sexualität zusammenschließen: Pädagogisierung des kindlichen Sexes, Hysterisierung des weiblichen Körpers, Psychiatrisierung der perversen Lust und Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens. Das Kind, die Frau, der Perverse und das Paar stellen Individualtypen dar, die alle in Bezug auf Sexualität als dem Ursprung ihrer Identität beziehungsweise Wahrheit klassifiziert wurden. Diese Analyse der Indvidualtypen zeigt, dass die Sexualität eine wesentliche Rolle in modernen Machtstrategien spielt. Und sie zeigt auch, dass die Repressionstheorie zu kurz greift, denn die Sexualität wird durch die Macht nicht unterdrückt, sondern vielmehr thematisiert. Die Sexualität ist nicht so sehr unterdrückt worden, sondern vielmehr von je her einem »produktiven Geständniszwang« ausgesetzt worden. Sie wurde daher auch nicht verboten oder verheimlicht, sondern umgekehrt in all ihren Details ans Licht gezerrt. So hatten im Mittelalter die Gläubigen in einer Art »Hermeneutik des Begehrens« ihre geheimsten sexuellen Regungen zu beichten. Im 18. Jahrhundert weckten dann bevölkerungspolitisch-administrative Maßnahmen das Interesse für Gesundheit, Lebensdauer, Fruchtbarkeit der Bevölkerung usw., für Daten also die die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Sexualität lenkten. Die Sexualität rückte dann wenig später in Institutionen der Pädagogik, der Medizin und der Psychiatrie in den Mittelpunkt des Interesses und wurde durch diese Institutionen mit ihren dazugehörigen Wissenschaften einem Prozess zunehmender »Diskursivierung« unterworfen. In diesem Sinne hat man „den Diskurs an den Sex angeschlossen“ (Foucault, 1977, S. 34) und nicht wie es die Repressionstheorie umgekehrt behauptet, versucht den Sex aus den Diskursen auszuschließen. (vgl. Fink-Eitel, 1992, S. 82f.) „Wir versprechen uns von einer aus den Zugriffen der Repression befreiten Sexualität Befreiung und Glück und bemerken nicht, daß das wovon wir uns Befreiung und Glück erhoffen, nichts weiter ist als ein Produkt jener Macht, die wir bekämpfen wollen.“ (Fink-Eitel, 1992, S. 83) Die Sexualität als Produkt der Macht macht auch die bereits angesprochene Internalisierung durch Macht plausibel. Der Bezug zur Sexualität erlaubt es die Dimension der Selbsterfahrung von Subjekten in Verbindung mit Machtprozessen zu sehen, somit auch die Einflussnahme der Macht auf die Innenwelt jedes Einzelnen. Denn Foucault ist überzeugt, dass die Sexualität nicht allein nur Objekt der Bio-Macht ist, sondern, wenn auch von dieser letztlich abhängig, jene Dimension ist, in der die Subjekte selbst die Wahrheit über sich zu erfahren gedenken. Die Internalisierung des Machtwillens vollzieht sich nun auf die Weise, dass die in den Machtpraktiken permanent thematisierten und analysierten Sexualfunktionen als Ausdruck eines tiefer liegenden Grundes, dem »Begehren« oder dem »Sex an sich« interpretiert werden. (vgl. Kögler, 2004, S. 97) Die Sexualität stellt also jene natürliche Identität des Menschen dar, durch welche die Macht nicht unterdrückt, sondern erst hervorgebracht wird.


Kritische Auseinandersetzung mit Foucault

Foucaults Machtbegriff gibt genügend Anlass zur Kritik. Insofern wird Foucault von Sozialwissenschaftler, Philosophen und Feministinnen gleichermaßen kritisiert. Die Kritik reicht von dem Einwand, Foucault würde Wahrheit auf Macht reduzieren (Habermas, Taylor, McCarthy, Bernstein,...) bis hin zu dem Vorschlag, Foucault als den Theoretiker des Fordismus zu historisieren, da seine Antworten auf Phänomene wie die Globalisierung oder Deregulierung im aktuellen Postfordismus nicht mehr zureichend seien (Fraser). Bei dieser Fülle von Kritik möchte ich daher eine Reduktion auf einen einzigen aber wesentlichen Kritikpunkt vornehmen (welcher ein gemeinsamer Nenner der gesamten Kritik an Foucault darstellt), die Unmöglichkeit des Widerstandes gegen die foucaultsche Macht. Da eine ausführliche Schilderung der Kritik sowie auch deren Erwiderung sehr umfangreich ausfallen und eine Kenntnis des gesamten Werks Foucaults voraussetzten würde, möchte ich hier nur eine skizzenhafte Erarbeitung des genannten Kritikpunktes ausführen. Hierzu möchte ich mich an Hans-Herbert Kögler (Professor für Philosophie an der University of North Florida, Jacksonville) orientieren. Macht ist bei Foucault scheinbar gleichbedeutend mit dem Seinsgrund schlechthin: Machtpraktiken erzeugen die individuelle Innenwelt, sie schaffen Wissens- und Erfahrungsräume und sie organisieren die politischen sowie wirtschaftlichen Systeme gemäß ihrer Logik. (vgl. Kögler, 2004, S. 99) Unter diesen Bedienungen foucaultscher Macht ist es aus Sicht der Kritiker undenkbar der Macht Widerstand zu leisten und sie zu überwinden. Genau diese Frage nach dem Widerstand erweckte aber im Grunde bei Foucault selbst stets großes Interesse. So schrieb er "Überwachen und Strafen" aus dem Engagement heraus, eine Verbesserung der Haftbedingungen zu erreichen. Die Annahme foucaultsche Macht mit dem Seinsgrund schlechthin gemein zu setzten, geht von einem Dualismus von Handlungs- und Systemtheorie aus. „Handlungstheoretische Erklärungsmodelle setzen dabei an der Fähigkeit der Subjekte an, sich autonom über die Maximen ihres Handeln und Denkens zu definieren und an diesen ihren Handlungspläne in der sozialen Lebenswelt auszurichten.“ (Kögler, 2004, S. 101) Systemtheoretische Erklärungsmodelle hingegen „verstehen das Handeln der Subjekte nun nicht von diesen selber her, sondern sehen es als integriert in größere, an bestimmten Funktionen orientierte soziale Zusammenhänge.“ (Kögler, 2004, S. 101) Die Kritiker gehen nun davon aus, dass der Machtbegriff von Foucault im Sinne einer Systemtheorie zu verstehen ist, welche sie der Handlungstheorie gegenüberstellen. Wahrlich die Annahme einer Systemtheorie lassen Individuen als nicht autonom erscheinen und machen daher auch einen Widerstand gegen ein System undenkbar. Doch ist eine Kritik im Sinne dieses Dualismuses Überhaupt weiterführend?

„Es fragt sich freilich, ob diese an den klassischen Begriffen von Handlungs- und Systemtheorie orientierte Kritik nicht gerade durch das Festhalten an diesem klassischen Dualismus das besondere – und das die besondere Widerstandstheorie ausmachende – Profil der Foucaultschen Machttheorie gerade verfehlt. Foucault sucht nämlich durch den Begriff der »Praktiken«, den er möglicherweise nicht systematisch genug eingeführt hat, die in seinen Augen naive Entgegensetzung freier, selbstbestimmter und über allgemeine Bedürfnisse verfügender Subjekte auf der einen und anonymen, übersubjektiven und sich dem Willen und Bewußtsein der Individuen notwendig entziehenden Systemen auf der andern Seite gerade zu unterlaufen. Individuen werden vielmehr als sozial konstituierte Subjekte verstanden, die nur aus der sie selbst immer mitbestimmenden sozialen Situation heraus : überhaupt handeln und sich selbst definieren können.“ (Kögler, 2004, S. 102)

Macht soll nicht als eine ontologische Größe gesehen werden, sondern

„Vielmehr existiert Macht nur im Plural vielfältiger, kontextuell bestimmter Praktiken. Subjekte finden sich immer schon in sozialen Praktiken vor, die als solche intersubjektiv, also auf das Verhältnis der Aktoren zueinander, ausgerichtet sind. Dieses praktische Eingebettetsein bedeutet, daß weder totale Herrschaft, also die völlige Dominanz von Handlungssubjekten, möglich ist, noch aber, daß ein absolutes, reines, oder sich unmittelbar selbst gegebenes Subjekt existiert.“ (Kögler, 2004, S. 193)

Indem Macht also in einer Vielzahl von sozialen Praktiken existiert ist es ihr auch nicht möglich eine Herschaftsposition einzunehmen. Foucault unterscheidet daher, wenn auch erst in den 1980er Jahren, zwischen Herrschaft und Macht. Macht besteht in einer »wettkampfmäßigen« (agonalen) intersubjektiven Beziehung der gegenseitigen Einflussnahme, Herrschaft hingegen in einer Kontrolle dieser »wettkampfmäßigen« Verhältnisse. (vgl. Kögler, 2004, S. 193)


Kurze Bibliographie zu Foucault

Wie bereits eingangs erwähnt umfasst Foucaults Werk an die 729 Titel, daher werde ich hier nur einige wichtige Publikationen nennen.

1961: Histoire de la folie à l'âge classique - Folie et déraison. (Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt am Main 1993.)

1963: Naissance de la clinique - une archéologie du regard médical. (Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Frankfurt am Main, 1988.)

1966: Les mots et les choses - Une archéologie des sciences humaines, Paris. (Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main, 1974)

1969: L'archéologie du savoir, Paris. (Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main, 2002.)

1971: L'ordre du discours, Paris. (Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main, 1991.)

1975: Surveiller et punir - la naissance de la prison, Paris. (Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main, 1977.)

1976: Histoire de la sexualité, vol. 1: La volonté de savoir, Paris. (Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt am Main 1983.)

1984: Histoire de la sexualité, vol. 2. L´usage des plaisirs, Paris. (Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2, Frankfurt am Main, 1989.)

1984: Histoire de la sexualité, vol. 3. Le souci de soi, Paris. (Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3, Frankfurt am Main, 1989.)

1994: Dits et Ecrits, Paris, Gallimard, 1994, 4 volumes. (Schriften, Frankfurt am Main, 2001 ff., 4 Bände.)

1996: Il faut défendre la societé, Paris, Gallimard, 1996. (In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt am Main,1999.)


Literaturverzeichnis

Fink-Eitel, Hinrich: Foucault zur Einführung. Hamburg, 1989.

Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. In: Sexualität und Wahrheit I. Frankfurt am Main, 1977.

Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main, 1976.

Kögler, Hans-Herbert: Foucaults Machtbegriff: Eine Definition in sieben Stichpunkten. In: Kögler, H.H.: Michel Foucault. 2. Auflage. Stuttgart, 2004.


Zurück zu: Foucault