Der Basistext von Akio Yokoyama: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Akio Yokoyama ===
 
=== Akio Yokoyama ===
  
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Was immer die Quelle des jeweils neuen Seins bleibt, das heißt das Jetzt bzw. die
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Was immer die Quelle des jeweils neuen Seins bleibt, heißt das Jetzt bzw. die
 
Gegenwart. Die Schwierigkeit, die Lebendigkeit des Jetzt, die lebendige Gegenwart zu
 
Gegenwart. Die Schwierigkeit, die Lebendigkeit des Jetzt, die lebendige Gegenwart zu
begreifen, weist sich darin aus, daß sie seit das antike Griechenland, besonders seit
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begreifen, weist sich darin aus, daß sie seit dem antiken Griechenland, besonders seit
Aristoteles, traditionell negativ" bestimmt war und ist.
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Aristoteles, traditionell "negativ" bestimmt war und ist.
  
Jean-François Lyotard spricht in seinem Aufsatz über Barnett Newman vom Augenblick" als
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Jean-François Lyotard spricht in einem Aufsatz vom "Augenblick" als
Zeit, die negativ extrahiert wird zwischen zwei Werken Marcel Duchamps, dem Großen Glas
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Zeit, die negativ extrahiert wird zwischen zwei Werken Marcel Duchamps, dem ''Großen Glas''
und Etant donnés. Bei diesen handle es sich um die Enthüllung der Braut, die Entblößung
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und ''Etant donnés''. Bei diesen handle es sich um "die Enthüllung der Braut, die Entblößung
des obszönen Körpers". Dennoch: In der Verzögerung im Glas' hat es sich noch nicht  
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des obszönen Körpers". Dennoch: "In der Verzögerung im Glas' hat es sich noch nicht  
 
ereignet, in den Büschen, hinter dem Guckloch, ist es schon eingetreten". Duchamp  
 
ereignet, in den Büschen, hinter dem Guckloch, ist es schon eingetreten". Duchamp  
organisiere also  den Raum der Braut gemäß dem noch nicht' und den Raum von Etant donnés  
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organisiere also  "den Raum der Braut gemäß dem 'noch nicht' und den Raum von Etant donnés  
nach dem  bereits nicht mehr'"<sup>1</sup>.
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nach dem  'bereits nicht mehr'"<sup>1</sup>.
  
 
Die Unerblickbarkeit des entscheidenden Ereignisses, die wesentliche Unfähigkeit
 
Die Unerblickbarkeit des entscheidenden Ereignisses, die wesentliche Unfähigkeit
unserer Sehekraft, die Lyotard den Anachronismus des Blickes" nennt, ist nicht
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unserer Sehkraft, die Lyotard den "Anachronismus des Blickes" nennt, ist nichts
anders als der Augenblick" zwischen den Werken als ausgezeichnetes Bild des
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Anderes als der "Augenblick" zwischen den Werken als ausgezeichnetes Bild des
 
traditionell verstandenen Jetzt. Hier ist die grundsätzliche Unmöglichkeit festgestellt
 
traditionell verstandenen Jetzt. Hier ist die grundsätzliche Unmöglichkeit festgestellt
von dem, was der Autor nach dem Thema des Künstlers als Weiblichkeit" bezeichnet,
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von dem, was der Autor nach dem Thema des Künstlers als "Weiblichkeit" bezeichnet,
und zwar von der Epiphanie" des Anderen, von der Begegnung oder Berührung mit
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und zwar von der "Epiphanie" des Anderen, von der Begegnung oder Berührung mit
 
ihm, d.i. von dem  Ereignis", weil uns die Zeit dafür, das Jetzt, von vornherein nicht
 
ihm, d.i. von dem  Ereignis", weil uns die Zeit dafür, das Jetzt, von vornherein nicht
gegeben ist. Wir können hier höchstens nur mit eigenen Vorstellungen in Anamnese"
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gegeben ist. Wir können hier höchstens nur mit eigenen Vorstellungen in "Anamnese"
und Erwartung" über das Unerhörte erzählen', d.h. sie sukzessiv verbinden, um die
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und "Erwartung" über das Unerhörte 'erzählen', d.h. sie sukzessiv verbinden, um die
 
Mitte, die ihnen einen Sinn gibt, zu konstruieren.
 
Mitte, die ihnen einen Sinn gibt, zu konstruieren.
  
 
Lyotard stellt Duchamp dann einen anderen Künstler gegenüber, der gegen den
 
Lyotard stellt Duchamp dann einen anderen Künstler gegenüber, der gegen den
Anachronismus" der ursprünglichen Zeit ­ dieser ist aber ihr uns doch vertrauter
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Anachronismus der ursprünglichen Zeit -­ dieser ist aber ihr uns doch vertrauter
Charakter: ihre Vergänglichkeit oder der Übergangscharakter des Jetzt ­ nach der
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Charakter: ihre Vergänglichkeit oder der Übergangscharakter des Jetzt -­ nach der
"Epiphanie" sucht: Newman. Die Kunst Newmans, so schreibt Lyotard, ein Versuch,
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"Epiphanie" sucht: Barnett Newman. Die Kunst Newmans, so schreibt Lyotard, ein Versuch,
den Augenblick" als Zeitempfindung" in einem Bild zu realisieren. Hier geht es um
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den "Augenblick" als "Zeitempfindung" in einem Bild zu realisieren. Hier geht es um
 
die Augenblicklichkeit der Empfindung, die auch Kant kannte<sup>2</sup>. Diese Empfindung ­
 
die Augenblicklichkeit der Empfindung, die auch Kant kannte<sup>2</sup>. Diese Empfindung ­
das ,was Lyotard auch als Dringlichkeit des Jetzt" bezeichnet<sup>3</sup> - ist die ursprüngliche
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das ,was Lyotard auch als "Dringlichkeit des Jetzt" bezeichnet<sup>3</sup> - ist die ursprüngliche
Zeit, denn der Beginn", der Ursprung der Zeit, ist nicht anders als das Staunen
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Zeit, denn der "Beginn", der Ursprung der Zeit, ist nichts Anderes als "das Staunen
darüber, daß etwas ist, mehr als nichts"<sup>4</sup>. Die Präsenz", die das  Staunen" als ihre
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darüber, daß etwas ist, mehr als nichts"<sup>4</sup>. "Die Präsenz", die dieses Staunen als ihre
Qualität hat, ist der Augenblick, der das Chaos der Geschichte unterbricht und daran
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Qualität hat, ist "der Augenblick, der das Chaos der Geschichte unterbricht und daran
erinnert oder nur sagt, daß etwas da ist', bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung
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erinnert oder nur sagt, daß 'etwas da ist', bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung
hat"<sup>5</sup>. Dieser Beginn ist, so Lyotard, ein Widerspruch". Er findet zwar in der Welt"
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hat"<sup>5</sup>. Dieser Beginn ist, so Lyotard, "ein Widerspruch". Er findet zwar "in der Welt"
statt, aber er ist nicht von dieser  Welt", weil er sie erzeugt, er kommt aus der
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statt, aber er ist "nicht von dieser  Welt", "weil er sie erzeugt, er kommt aus der
 
Vorgeschichte oder aus einer Geschichtslosigkeit"<sup>6</sup>; zum Beispiel so wie eine Linie, die
 
Vorgeschichte oder aus einer Geschichtslosigkeit"<sup>6</sup>; zum Beispiel so wie eine Linie, die
auf der leeren Fläche gezogen ist, gehört zu einem Bild, das als Ergebnis von diesem
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auf der leeren Fläche gezogen ist, zu einem Bild gehört, das als Ergebnis von diesem
Strich nachträglich entstand, hat deshlb doch in der Vorgeschichte" dieses Bildes
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Strich nachträglich entstand, deshlb doch in der "Vorgeschichte" dieses Bildes
ihren Geburtsort.
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ihren Geburtsort hat.
  
Wie Lyotard mit Worten Thomas B. Hesses sagt, ist der Inhalt" des Newmanschen
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Wie Lyotard mit Worten Thomas B. Hesses sagt, ist der "Inhalt" des Newmanschen
Werkes insgsamt "die künstlerische Schöpfung" selbst<sup>7</sup>, denn er ist das
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Werkes insgesamt "die künstlerische Schöpfung" selbst<sup>7</sup>, denn er ist das
 
Augenblickliche"<sup>8</sup>, das der Beginn ist. Newmans Werk hat seine Vorgeschichte d.h. sein
 
Augenblickliche"<sup>8</sup>, das der Beginn ist. Newmans Werk hat seine Vorgeschichte d.h. sein
 
Außen, das auch sein Grund ist, in sich. Der Augenblick ist also  das Bild", das Ur-Bild
 
Außen, das auch sein Grund ist, in sich. Der Augenblick ist also  das Bild", das Ur-Bild
im Sinne dessen, daß es selbst die Zeit" ist<sup>9</sup>. Das traditionelle Bild der Zeit, der Jetzt-
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im Sinne dessen, daß es selbst "die Zeit" ist<sup>9</sup>. Das traditionelle Bild der Zeit, der Jetzt-
 
Zeit, das, wie gesehen, beide Werke Duchamps darstellen, ist das eines Wirklichen
 
Zeit, das, wie gesehen, beide Werke Duchamps darstellen, ist das eines Wirklichen
 
bzw. das eines Substanziellen: d.i. das Schema-Bild, das reine Bild der Notion
 
bzw. das eines Substanziellen: d.i. das Schema-Bild, das reine Bild der Notion
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zusammengehangen  - verwirklicht wird. Im Ur-Bild  des  Augenblickes ist hingegen
 
zusammengehangen  - verwirklicht wird. Im Ur-Bild  des  Augenblickes ist hingegen
 
dieses  Schema-Bild zerrissen  zwischen  dem Jetzt, das  durch  unsere  Geschichte
 
dieses  Schema-Bild zerrissen  zwischen  dem Jetzt, das  durch  unsere  Geschichte
hinduruch bleibt, um sie erst als ein Wandel zu ermöglichen, und der Vorgeschichte,
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hinduruch bleibt, um sie erst als einen Wandel zu ermöglichen, und der Vorgeschichte,
die im Bild als Spur bleibt und es offen läßt ins Außen unseres Jetzt, so daß hier erst
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die im Bild als Spur bleibt und es offen läßt ins Außen unseres Jetzt, so daß sich hier erst
die Zeit als ursprüngliche Ungleichzeitigket manifestiert.
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die Zeit als ursprüngliche Ungleichzeitigkeit manifestiert.
  
Der Augenblick bedeutet nicht anders als diese Ungleichzeitigkeit, weil in ihr die
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Der Augenblick bedeutet diese Ungleichzeitigkeit, weil in ihr die
Gleicharitigkeit des Mannigfaltigen, die Kant anspricht, wenn er vom Begriff einer
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Gleichartigkeit des Mannigfaltigen, die Kant anspricht, wenn er vom "Begriff einer
Größe" spricht<sup>12</sup>, d.h. die Gleicharitigkeit von Anschauungen überhaupt, und
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Größe" spricht<sup>12</sup>, d.h. die Gleichartigkeit von Anschauungen überhaupt, und
konsequenterweise auch alle Erscheinungen, die als Aggregate (Menge vorher
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konsequenterweise auch alle Erscheinungen, die als "Aggregate (Menge vorher
 
gegebener Teile)" angeschaut werden<sup>13</sup>, unmöglich werden, so daß man nur noch sagen
 
gegebener Teile)" angeschaut werden<sup>13</sup>, unmöglich werden, so daß man nur noch sagen
oder besser daüber staunen kann, daß etwas ist, mehr als nichts". Dieser einfache
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oder besser daüber staunen kann, "daß etwas ist, mehr als nichts". Dieser einfache
 
Beginn ist aber als der Augenblick nicht negativ bestimmt, sondern eksessiv positiv,
 
Beginn ist aber als der Augenblick nicht negativ bestimmt, sondern eksessiv positiv,
mehrfältig' determiniert, so daß diese Falten den Horizont des Jetzt überschreiten.
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'mehrfältig' determiniert, so daß diese Falten den Horizont des Jetzt überschreiten.
  
Das Jetzt zwischen Noch-nicht-jetzt" und Nicht-mehr-jetzt" ist doch auch eine
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Das Jetzt zwischen "Noch-nicht-jetzt" und "Nicht-mehr-jetzt" ist doch auch eine
 
Variante des Ur-Bildes der ursprünglichen Zeit aber im Sinne der Form, nach der
 
Variante des Ur-Bildes der ursprünglichen Zeit aber im Sinne der Form, nach der
 
Anschauungen  als  das  gleichartig  Mannigfaltige  gegeben sind. Wenn das Werk
 
Anschauungen  als  das  gleichartig  Mannigfaltige  gegeben sind. Wenn das Werk
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Gleichheit des Sinnes gewährt, unterschieden nachweisen. Als imaginärer Fokus ist
 
Gleichheit des Sinnes gewährt, unterschieden nachweisen. Als imaginärer Fokus ist
 
der Beginn der Geschichte ihr Sinn selbst, so daß wir hier die Vorgeschichte, in der
 
der Beginn der Geschichte ihr Sinn selbst, so daß wir hier die Vorgeschichte, in der
etwas da ist, bevor das, was da ist, eine irgendeine Bedeutung hat, nie erreichen. Im
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etwas da ist, bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat, nie erreichen. Im
 
Blick auf ihn werden alle Differenzen getilgt, indem sie als zufällige Eigenschaften
 
Blick auf ihn werden alle Differenzen getilgt, indem sie als zufällige Eigenschaften
 
einem identisch Bleibenden, dem Sinn, zugeschrieben werden.
 
einem identisch Bleibenden, dem Sinn, zugeschrieben werden.
  
 
Es ist aber verständlich, daß Bernhard Waldenfels Lyotards Ansicht über Newman
 
Es ist aber verständlich, daß Bernhard Waldenfels Lyotards Ansicht über Newman
kritisiert und auf die Gefahr, eine bestimmte Grenzkunst" zu kanonisieren"
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kritisiert und auf die Gefahr, "eine bestimmte Grenzkunst" zu "kanonisieren"
aufmerksam macht<sup>14</sup>, denn diese Kritik gälte, wenn sich Lyotards Konzept des
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aufmerksam macht<sup>14</sup>, denn es ist schwierig, im klaren
Erhabenen" in der Darstellung, die nichts dastellt", der Kant als deren Beispiel das
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Unterschied zu diesem metaphysischen Grenzpunkt die Vorgeschichte zu zeigen; diese Kritik könnte gelten, wenn sich Lyotards Konzept des "Erhabenen" in der "Darstellung, die nichts dastellt", der Kant als deren Beispiel das
Verbot von Bildern durch das mosaische Gesetz" gibt<sup>15</sup>, als das jenes Zeit-Bildes, das
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"Verbot von Bildern durch das mosaische Gesetz" gibt<sup>15</sup>, als das jenes Zeit-Bildes, das
nur den imaginären Fokus darstellt, entlarven würde ­ es ist schwierig, im klaren
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nur den imaginären Fokus darstellt, entlarven würde.
Unterschied zu diesem metaphysischen Grenzpunkt die Vorgeschichte zu zeigen.
 
  
Der Einspruch von Waldenfels ist m.E. widerlegbar, indem wir uns­ für die Absicht
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Der Einspruch von Waldenfels ist m.E. widerlegbar, indem wir uns­ - für die Absicht
Newmans selbst glit doch wahrscheinlich seine  Kritik Lyotards   Grundstellung
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Newmans selbst glit doch wahrscheinlich seine  Kritik - Lyotards Grundstellung
klarmachen. Das Erhabene, das sich der Meinung sowohl Kants als Lyotards nach nur
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klarmachen. Das Erhabene, das sich der Meinung sowohl Kants als auch Lyotards nach nur
in der negativen Darstellung" zeigt, verlangt von uns zwar das Verbot von Bildern",
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in der "negativen Darstellung" zeigt, verlangt von uns zwar das "Verbot von Bildern",
aber dieses Verbot bedeutet für Lyotard nur das von der figurativen" Darstellung<sup>16</sup>.
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aber dieses Verbot bedeutet für Lyotard nur das von der "figurativen" Darstellung<sup>16</sup>.
Lyotard stellt fest, daß die Werke Newmans tatsächlich kein Ereignis erzählen', daß
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Lyotard stellt fest, daß die Werke Newmans "tatsächlich kein Ereignis 'erzählen', daß
 
sie sich nicht figurativ auf Szenen aus Erzählungen beziehen"<sup>17</sup>.
 
sie sich nicht figurativ auf Szenen aus Erzählungen beziehen"<sup>17</sup>.
  
 
Erzählen ist das einzige Verhalten, das dem erlaubt ist, der zwischen beiden Werken
 
Erzählen ist das einzige Verhalten, das dem erlaubt ist, der zwischen beiden Werken
Duchamps steht, so daß ihm der Blick auf den entschedenden Augenblick und die
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Duchamps steht, so daß ihm der Blick auf den entscheidenden Augenblick und die
Möglichkeit der Begegnung mit dem Anderen prizipiell entzogen sind. Dieses Erzählen
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Möglichkeit der Begegnung mit dem Anderen prinzipiell entzogen sind. Dieses Erzählen
 
ist ein Aufzählen von möglich zu Erzählenden über das Ereignis in jenem Horizont des
 
ist ein Aufzählen von möglich zu Erzählenden über das Ereignis in jenem Horizont des
Jetzt, so daß es als Zählen des Gleicharitigen (jetzt-das, jetzt-das...)   grenzlos
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Jetzt, so daß es als Zählen des Gleichartigen (jetzt-das, jetzt-das...) grenzenlos
fortschreitet. Die Grenze ist dabei nur der Anspruch auf die Widerspruchlosigkeit.
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fortschreitet. Die Grenze ist dabei nur der Anspruch auf die Widerspruchslosigkeit.
 
Daher steht schon am Beginn der metaphysischen Geschichte der Sinn, die Identität
 
Daher steht schon am Beginn der metaphysischen Geschichte der Sinn, die Identität
 
eines jeweiligen Was.
 
eines jeweiligen Was.
  
Ein Bild" von Newman  will hingegen, so Lyotard, selbst das Ereignis  sein,  der
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Ein Bild" von Newman  will hingegen, so Lyotard, "selbst das Ereignis  sein,  der
 
Augenblick, der geschieht"<sup>18</sup>. Dieses Geschehen wird erst dann möglich, wenn das Bild
 
Augenblick, der geschieht"<sup>18</sup>. Dieses Geschehen wird erst dann möglich, wenn das Bild
 
jene Zeit selbt ist, in der auch der Beginn  wird', indem es seine Vorgeschichte in sich
 
jene Zeit selbt ist, in der auch der Beginn  wird', indem es seine Vorgeschichte in sich
hat. Der Augenblick, als Zeit des Zwischen ist hier nicht mehr zwischen Noch-nicht-
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hat. Der Augenblick, als Zeit des Zwischen ist hier nicht mehr zwischen "Noch-nicht-
jetzt" und Nicht-mehr-jetzt", d.h. zwischen möglichen gleichartigen Jetzten, sondern
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jetzt" und "Nicht-mehr-jetzt", d.h. zwischen möglichen gleichartigen Jetzten, sondern
 
zwischen zwei  (oder mehr) Welten, die wir sozusagen nie  auf einen gemeinsamen
 
zwischen zwei  (oder mehr) Welten, die wir sozusagen nie  auf einen gemeinsamen
 
Nenner bringen können: das Mannigfaltige, das früher als das Eine ist.
 
Nenner bringen können: das Mannigfaltige, das früher als das Eine ist.
  
 
In diesem Sinne zeigt das Bild Newmans als seinen Inhalt das, was schlechthin groß
 
In diesem Sinne zeigt das Bild Newmans als seinen Inhalt das, was schlechthin groß
ist, was Kant das mathematisch-Erhabene"  nennt. Dieser Inhalt ist keine Größe
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ist, was Kant "das mathematisch-Erhabene"  nennt. Dieser Inhalt ist keine Größe
(quantum) im Sinne, daß Vielheit des Gleicharitigen zusammen Eines ausmacht".
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(quantum) im Sinne, daß "Vielheit des Gleichartigen zusammen Eines ausmacht".
Diese Größenbestimmung der Erscheinungen kann keinen absoluten Begriff  von
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Diese Größenbestimmung der Erscheinungen kann "keinen absoluten Begriff  von
 
einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern"<sup>19</sup>. Das Erhabene
 
einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern"<sup>19</sup>. Das Erhabene
ist schlechthin (nicht bloß komparativ) groß" und übertrifft daher unseres Vermögen
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ist "schlechthin (nicht bloß komparativ) groß" und übertrifft daher unseres Vermögen
der Größenschätzung der Dinge der Sinnewelt, d.h. die Voraussetzung der Möglichkeit
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der Größenschätzung der Dinge der Sinnenwelt, d.h. die Voraussetzung der Möglichkeit
der synthetischen Erkenntnis a priori, die Axiome der Anschauung" darstellen. Um
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der synthetischen Erkenntnis a priori, die "Axiome der Anschauung" darstellen. Um
das Unendliche als ganz gegeben, als ein Ganzes zu denken, ist es nicht genug, die
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das Unendliche als ganz gegeben, als ein Ganzes zu denken, ist es nicht genug, "die
sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" zusammenzubefassen. Im
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sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" zusammen zu befassen. Im
Augenblick,  in  dem  das  gleicharitig   Mannifaltige  auf  seine  Vorgeschichte  stoßt,
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Augenblick,  in  dem  das  gleichartig   Mannifaltige  auf  seine  Vorgeschichte  stößt,
überfällt uns das Staunen darüber, daß etwas ist, mehr als nichts. Es ist nicht anders
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überfällt uns das Staunen darüber, daß etwas ist, mehr als nichts. Es ist nichts Anderes
als Gefühl des Erhabenen.
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als das Gefühl des Erhabenen.
  
 
Das, was in  der Erfahrung  des Erhabenen geschieht, ist das Mißlingen der
 
Das, was in  der Erfahrung  des Erhabenen geschieht, ist das Mißlingen der
 
Zusammenfassung durch die Einbildungskraft, im Scheitern der Synthesis der
 
Zusammenfassung durch die Einbildungskraft, im Scheitern der Synthesis der
Reproduktion mag die Welt in ein formloses Chaos auseinanderfallen.  Würde ich aber
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Reproduktion mag die Welt in ein formloses Chaos auseinanderfallen.  Daher sagt Kant: "Würde ich aber
die vorhergehende...immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduzieren,
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die vorhergehenden (die ersten Teile der Linie, die vorhergehenden teile der Zeit, oder die nacheinander vorgestellten Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduzieren,
indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde ich niemals eine ganze Vorstellung, und
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indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung, und
 
keiner aller vorgennanten Gedanken, ja gar nicht einmal die  reinsten und ersten
 
keiner aller vorgennanten Gedanken, ja gar nicht einmal die  reinsten und ersten
Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können"<sup>20</sup>. Aber wie Heidegger
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Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können"<sup>20</sup>. Heidegger
sagt, Wenn also in  einem  gegebenen  Felde  des  Sehens  eine  Mannigfaltigkeit  von
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meint aber, "Wenn also in  einem  gegebenen  Felde  des  Sehens  eine  Mannigfaltigkeit  von
 
Farben wild durcheinanderwirbelt und nicht die Spur von irgendeiner Ordnung
 
Farben wild durcheinanderwirbelt und nicht die Spur von irgendeiner Ordnung
 
aufweist, auch dann hat dieses Gegebene, dieses Gewühl von Empfindungen - wie man
 
aufweist, auch dann hat dieses Gegebene, dieses Gewühl von Empfindungen - wie man
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Gewühl, das  psychisch  abläuft  -, auch dieses Durcheinanderwirbeln  gegebener
 
Gewühl, das  psychisch  abläuft  -, auch dieses Durcheinanderwirbeln  gegebener
 
unbestimmter Gegenstände hat den Charakter  mannigfaltig', also eine Bestimmtheit,
 
unbestimmter Gegenstände hat den Charakter  mannigfaltig', also eine Bestimmtheit,
eine Artikulation"<sup>21</sup>. Das, was hier nur noch  mannigfaltig' gennant werden kann, ist
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eine Artikulation"<sup>21</sup>. Das, was hier nur noch  'mannigfaltig' gennant werden kann, ist
nicht anders als die Zeit, in der alle Erscheinungen sind. Das Erhabene ist in diesem
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die Zeit, in der alle Erscheinungen sind. Das Erhabene ist in diesem
 
Sinne auch die Zeitempfindung.
 
Sinne auch die Zeitempfindung.
  
 
Das Werk  Newmans als  Bild  der Zeitempfindung ist, weil es das Unendliche als
 
Das Werk  Newmans als  Bild  der Zeitempfindung ist, weil es das Unendliche als
seinen  Inhalt  in sich  hat,  selbständig.  Diese Selbstständigkeit ist  wohl  anders als
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seinen  Inhalt  in sich  hat,  selbständig.  Diese Selbständigkeit ist  wohl  anders als
autonomy", die Clement Greenberg in einem Text, an dessen Anfang Kant als der
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autonomy", die Clement Greenberg in einem Text, an dessen Anfang Kant als "the first real
erste echte Madernist" bezeichnet ist, der modernistischen Malerei zukommen läßt,
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Modernist" bezeichnet ist, der modernistischen Malerei zukommen läßt,
 
denn er schreibt dort deutlich, daß es wichtig sei, alle Besitze, die sie mit anderen
 
denn er schreibt dort deutlich, daß es wichtig sei, alle Besitze, die sie mit anderen
 
Kunstbereichen, besonders mit Bildhauerei gemeinsam habe, aufzuheben, und, daß ,
 
Kunstbereichen, besonders mit Bildhauerei gemeinsam habe, aufzuheben, und, daß ,
 
obwohl sie im Endeffekt immer abstrakter werde, es sekundär sei, das Darstellende
 
obwohl sie im Endeffekt immer abstrakter werde, es sekundär sei, das Darstellende
und das Literarische auszuschließen<sup>22</sup>. Die self-critique", die Greenberg als Wesen
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und das Literarische auszuschließen<sup>22</sup>. Die "self-critique", die Greenberg als Wesen
 
vom Modernismus sieht - deshalb ist Kant aufgerufen worden - im Fall der Malerei die
 
vom Modernismus sieht - deshalb ist Kant aufgerufen worden - im Fall der Malerei die
 
Selbstbegrenzung auf die Fläche, ergab aber  letztendlich  Werke,  die  selber  nichts
 
Selbstbegrenzung auf die Fläche, ergab aber  letztendlich  Werke,  die  selber  nichts
Anderes als Ereignis sind. Daher schreibt über Kant auch Lyotard  folgendes, er
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Anderes als Ereignis sind. Daher schreibt über Kant auch Lyotard  folgendes, "er
 
kündigt die abstraktionistischen und minimalistischen Auswege an, durch die die
 
kündigt die abstraktionistischen und minimalistischen Auswege an, durch die die
 
Malerei dem figurativen  Gefängnis  zu  entkommen  versucht"<sup>23</sup>. Die  Kreativität  der
 
Malerei dem figurativen  Gefängnis  zu  entkommen  versucht"<sup>23</sup>. Die  Kreativität  der
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1 Jean-François Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens,
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1 Jean-François Lyotard, Der Augenblick, Newman. In: Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens,
 
Merve Verlag, Berlin, 1986, S.7f.
 
Merve Verlag, Berlin, 1986, S.7f.
  
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9 a.a.O. S.7
 
9 a.a.O. S.7
  
10 Vgl. Kant, KdrV. A143/B183. Auch vgl. Heidegger, Kant und das Prpblem der Metaphysik. S.103
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10 Vgl. Kant, KdrV. A143/B183. Auch vgl. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik. S.103
  
 
11 Kant, a.a.O. A218/B266
 
11 Kant, a.a.O. A218/B266

Aktuelle Version vom 5. April 2005, 08:36 Uhr

Zeit und Kunst

Akio Yokoyama


Was immer die Quelle des jeweils neuen Seins bleibt, heißt das Jetzt bzw. die Gegenwart. Die Schwierigkeit, die Lebendigkeit des Jetzt, die lebendige Gegenwart zu begreifen, weist sich darin aus, daß sie seit dem antiken Griechenland, besonders seit Aristoteles, traditionell "negativ" bestimmt war und ist.

Jean-François Lyotard spricht in einem Aufsatz vom "Augenblick" als Zeit, die negativ extrahiert wird zwischen zwei Werken Marcel Duchamps, dem Großen Glas und Etant donnés. Bei diesen handle es sich um "die Enthüllung der Braut, die Entblößung des obszönen Körpers". Dennoch: "In der Verzögerung im Glas' hat es sich noch nicht ereignet, in den Büschen, hinter dem Guckloch, ist es schon eingetreten". Duchamp organisiere also "den Raum der Braut gemäß dem 'noch nicht' und den Raum von Etant donnés nach dem 'bereits nicht mehr'"1.

Die Unerblickbarkeit des entscheidenden Ereignisses, die wesentliche Unfähigkeit unserer Sehkraft, die Lyotard den "Anachronismus des Blickes" nennt, ist nichts Anderes als der "Augenblick" zwischen den Werken als ausgezeichnetes Bild des traditionell verstandenen Jetzt. Hier ist die grundsätzliche Unmöglichkeit festgestellt von dem, was der Autor nach dem Thema des Künstlers als "Weiblichkeit" bezeichnet, und zwar von der "Epiphanie" des Anderen, von der Begegnung oder Berührung mit ihm, d.i. von dem Ereignis", weil uns die Zeit dafür, das Jetzt, von vornherein nicht gegeben ist. Wir können hier höchstens nur mit eigenen Vorstellungen in "Anamnese" und "Erwartung" über das Unerhörte 'erzählen', d.h. sie sukzessiv verbinden, um die Mitte, die ihnen einen Sinn gibt, zu konstruieren.

Lyotard stellt Duchamp dann einen anderen Künstler gegenüber, der gegen den Anachronismus der ursprünglichen Zeit -­ dieser ist aber ihr uns doch vertrauter Charakter: ihre Vergänglichkeit oder der Übergangscharakter des Jetzt -­ nach der "Epiphanie" sucht: Barnett Newman. Die Kunst Newmans, so schreibt Lyotard, ein Versuch, den "Augenblick" als "Zeitempfindung" in einem Bild zu realisieren. Hier geht es um die Augenblicklichkeit der Empfindung, die auch Kant kannte2. Diese Empfindung ­ das ,was Lyotard auch als "Dringlichkeit des Jetzt" bezeichnet3 - ist die ursprüngliche Zeit, denn der "Beginn", der Ursprung der Zeit, ist nichts Anderes als "das Staunen darüber, daß etwas ist, mehr als nichts"4. "Die Präsenz", die dieses Staunen als ihre Qualität hat, ist "der Augenblick, der das Chaos der Geschichte unterbricht und daran erinnert oder nur sagt, daß 'etwas da ist', bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat"5. Dieser Beginn ist, so Lyotard, "ein Widerspruch". Er findet zwar "in der Welt" statt, aber er ist "nicht von dieser Welt", "weil er sie erzeugt, er kommt aus der Vorgeschichte oder aus einer Geschichtslosigkeit"6; zum Beispiel so wie eine Linie, die auf der leeren Fläche gezogen ist, zu einem Bild gehört, das als Ergebnis von diesem Strich nachträglich entstand, deshlb doch in der "Vorgeschichte" dieses Bildes ihren Geburtsort hat.

Wie Lyotard mit Worten Thomas B. Hesses sagt, ist der "Inhalt" des Newmanschen Werkes insgesamt "die künstlerische Schöpfung" selbst7, denn er ist das Augenblickliche"8, das der Beginn ist. Newmans Werk hat seine Vorgeschichte d.h. sein Außen, das auch sein Grund ist, in sich. Der Augenblick ist also das Bild", das Ur-Bild im Sinne dessen, daß es selbst "die Zeit" ist9. Das traditionelle Bild der Zeit, der Jetzt- Zeit, das, wie gesehen, beide Werke Duchamps darstellen, ist das eines Wirklichen bzw. das eines Substanziellen: d.i. das Schema-Bild, das reine Bild der Notion Substanz10, in dem aber kein wirkliches Ereignis erblickbar ist, sondern immer nur ein mögliches, das ab und zu ­ mit, so lautet das zweite Postulat des empirischen Denkens überhaupt11, den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammengehangen - verwirklicht wird. Im Ur-Bild des Augenblickes ist hingegen dieses Schema-Bild zerrissen zwischen dem Jetzt, das durch unsere Geschichte hinduruch bleibt, um sie erst als einen Wandel zu ermöglichen, und der Vorgeschichte, die im Bild als Spur bleibt und es offen läßt ins Außen unseres Jetzt, so daß sich hier erst die Zeit als ursprüngliche Ungleichzeitigkeit manifestiert.

Der Augenblick bedeutet diese Ungleichzeitigkeit, weil in ihr die Gleichartigkeit des Mannigfaltigen, die Kant anspricht, wenn er vom "Begriff einer Größe" spricht12, d.h. die Gleichartigkeit von Anschauungen überhaupt, und konsequenterweise auch alle Erscheinungen, die als "Aggregate (Menge vorher gegebener Teile)" angeschaut werden13, unmöglich werden, so daß man nur noch sagen oder besser daüber staunen kann, "daß etwas ist, mehr als nichts". Dieser einfache Beginn ist aber als der Augenblick nicht negativ bestimmt, sondern eksessiv positiv, 'mehrfältig' determiniert, so daß diese Falten den Horizont des Jetzt überschreiten.

Das Jetzt zwischen "Noch-nicht-jetzt" und "Nicht-mehr-jetzt" ist doch auch eine Variante des Ur-Bildes der ursprünglichen Zeit aber im Sinne der Form, nach der Anschauungen als das gleichartig Mannigfaltige gegeben sind. Wenn das Werk Newmans keine Kopie dieses metaphysischen Zeit-Bildes sein soll, dann soll sich sein Inhalt, der Augenblick, als von focus imaginarius, der jedem Differenten eine Gleichheit des Sinnes gewährt, unterschieden nachweisen. Als imaginärer Fokus ist der Beginn der Geschichte ihr Sinn selbst, so daß wir hier die Vorgeschichte, in der etwas da ist, bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat, nie erreichen. Im Blick auf ihn werden alle Differenzen getilgt, indem sie als zufällige Eigenschaften einem identisch Bleibenden, dem Sinn, zugeschrieben werden.

Es ist aber verständlich, daß Bernhard Waldenfels Lyotards Ansicht über Newman kritisiert und auf die Gefahr, "eine bestimmte Grenzkunst" zu "kanonisieren" aufmerksam macht14, denn es ist schwierig, im klaren Unterschied zu diesem metaphysischen Grenzpunkt die Vorgeschichte zu zeigen; diese Kritik könnte gelten, wenn sich Lyotards Konzept des "Erhabenen" in der "Darstellung, die nichts dastellt", der Kant als deren Beispiel das "Verbot von Bildern durch das mosaische Gesetz" gibt15, als das jenes Zeit-Bildes, das nur den imaginären Fokus darstellt, entlarven würde.

Der Einspruch von Waldenfels ist m.E. widerlegbar, indem wir uns­ - für die Absicht Newmans selbst glit doch wahrscheinlich seine Kritik - Lyotards Grundstellung klarmachen. Das Erhabene, das sich der Meinung sowohl Kants als auch Lyotards nach nur in der "negativen Darstellung" zeigt, verlangt von uns zwar das "Verbot von Bildern", aber dieses Verbot bedeutet für Lyotard nur das von der "figurativen" Darstellung16. Lyotard stellt fest, daß die Werke Newmans "tatsächlich kein Ereignis 'erzählen', daß sie sich nicht figurativ auf Szenen aus Erzählungen beziehen"17.

Erzählen ist das einzige Verhalten, das dem erlaubt ist, der zwischen beiden Werken Duchamps steht, so daß ihm der Blick auf den entscheidenden Augenblick und die Möglichkeit der Begegnung mit dem Anderen prinzipiell entzogen sind. Dieses Erzählen ist ein Aufzählen von möglich zu Erzählenden über das Ereignis in jenem Horizont des Jetzt, so daß es als Zählen des Gleichartigen (jetzt-das, jetzt-das...) grenzenlos fortschreitet. Die Grenze ist dabei nur der Anspruch auf die Widerspruchslosigkeit. Daher steht schon am Beginn der metaphysischen Geschichte der Sinn, die Identität eines jeweiligen Was.

Ein Bild" von Newman will hingegen, so Lyotard, "selbst das Ereignis sein, der Augenblick, der geschieht"18. Dieses Geschehen wird erst dann möglich, wenn das Bild jene Zeit selbt ist, in der auch der Beginn wird', indem es seine Vorgeschichte in sich hat. Der Augenblick, als Zeit des Zwischen ist hier nicht mehr zwischen "Noch-nicht- jetzt" und "Nicht-mehr-jetzt", d.h. zwischen möglichen gleichartigen Jetzten, sondern zwischen zwei (oder mehr) Welten, die wir sozusagen nie auf einen gemeinsamen Nenner bringen können: das Mannigfaltige, das früher als das Eine ist.

In diesem Sinne zeigt das Bild Newmans als seinen Inhalt das, was schlechthin groß ist, was Kant "das mathematisch-Erhabene" nennt. Dieser Inhalt ist keine Größe (quantum) im Sinne, daß "Vielheit des Gleichartigen zusammen Eines ausmacht". Diese Größenbestimmung der Erscheinungen kann "keinen absoluten Begriff von einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern"19. Das Erhabene ist "schlechthin (nicht bloß komparativ) groß" und übertrifft daher unseres Vermögen der Größenschätzung der Dinge der Sinnenwelt, d.h. die Voraussetzung der Möglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori, die "Axiome der Anschauung" darstellen. Um das Unendliche als ganz gegeben, als ein Ganzes zu denken, ist es nicht genug, "die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" zusammen zu befassen. Im Augenblick, in dem das gleichartig Mannifaltige auf seine Vorgeschichte stößt, überfällt uns das Staunen darüber, daß etwas ist, mehr als nichts. Es ist nichts Anderes als das Gefühl des Erhabenen.

Das, was in der Erfahrung des Erhabenen geschieht, ist das Mißlingen der Zusammenfassung durch die Einbildungskraft, im Scheitern der Synthesis der Reproduktion mag die Welt in ein formloses Chaos auseinanderfallen. Daher sagt Kant: "Würde ich aber die vorhergehenden (die ersten Teile der Linie, die vorhergehenden teile der Zeit, oder die nacheinander vorgestellten Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduzieren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung, und keiner aller vorgennanten Gedanken, ja gar nicht einmal die reinsten und ersten Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können"20. Heidegger meint aber, "Wenn also in einem gegebenen Felde des Sehens eine Mannigfaltigkeit von Farben wild durcheinanderwirbelt und nicht die Spur von irgendeiner Ordnung aufweist, auch dann hat dieses Gegebene, dieses Gewühl von Empfindungen - wie man unklar zu sagen pflegt, wobei man dann nicht weiß, ob es Gegebene ist, oder ein Gewühl, das psychisch abläuft -, auch dieses Durcheinanderwirbeln gegebener unbestimmter Gegenstände hat den Charakter mannigfaltig', also eine Bestimmtheit, eine Artikulation"21. Das, was hier nur noch 'mannigfaltig' gennant werden kann, ist die Zeit, in der alle Erscheinungen sind. Das Erhabene ist in diesem Sinne auch die Zeitempfindung.

Das Werk Newmans als Bild der Zeitempfindung ist, weil es das Unendliche als seinen Inhalt in sich hat, selbständig. Diese Selbständigkeit ist wohl anders als autonomy", die Clement Greenberg in einem Text, an dessen Anfang Kant als "the first real Modernist" bezeichnet ist, der modernistischen Malerei zukommen läßt, denn er schreibt dort deutlich, daß es wichtig sei, alle Besitze, die sie mit anderen Kunstbereichen, besonders mit Bildhauerei gemeinsam habe, aufzuheben, und, daß , obwohl sie im Endeffekt immer abstrakter werde, es sekundär sei, das Darstellende und das Literarische auszuschließen22. Die "self-critique", die Greenberg als Wesen vom Modernismus sieht - deshalb ist Kant aufgerufen worden - im Fall der Malerei die Selbstbegrenzung auf die Fläche, ergab aber letztendlich Werke, die selber nichts Anderes als Ereignis sind. Daher schreibt über Kant auch Lyotard folgendes, "er kündigt die abstraktionistischen und minimalistischen Auswege an, durch die die Malerei dem figurativen Gefängnis zu entkommen versucht"23. Die Kreativität der modernistischen Malerei schöpft sich aus der der Zeit.


Fußnoten:

1 Jean-François Lyotard, Der Augenblick, Newman. In: Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Merve Verlag, Berlin, 1986, S.7f.

2 Vgl. Kant, KdrV. A167ff./B209f.

3 Lyotard, a.a.O. S.11

4 Vgl. a.a.O. S.18

5 a.a.O. S.20

6 a.a.O. S.12f.

7 a.a.O. S.12

8 a.a.O. S.13

9 a.a.O. S.7

10 Vgl. Kant, KdrV. A143/B183. Auch vgl. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik. S.103

11 Kant, a.a.O. A218/B266

12 Vgl. Kant, a.a.O. A142f./B182, A162f./B202f.

13 Kant, a.a.O. A163/B204

14 Vgl. Bernhard Waldenfels, Ordnungen des Sichtbaren, in: Gottfried Boehm (Hrg.), Was ist ein Bild? Wilhelm Fink Verlag, München, 1994. S.243f.

15 Vgl. Lyotard, a.a.O. S.17f.

16 Vgl. a.a.O. S.18

17 a.a.O. S.14

18 a.a.O. S.8

19 Kant, KdU. S81

20 Kant, KdrV. A102

21 Heidegger, GA21-286f.

22 Clement Greenberg, Modernist Painting, in: The Collected Essays and Criticism. Vol.4, The University of Chicago Press, Chicago/ London, 1993. P.88

23 Lyotard, a.a.O. S.18




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