Das bewusste Veto

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Textgrundlage

Benjamin Libet: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert. Frankfurt 2005. S. 159ff

Inhaltsverzeichnis


Benjamin Libet: Handlungsabsicht

1. Die Versuchsanordnung
2. Zwei Gruppen von Anfangszeiten des BP
3. Die Ereignisfolge in der "Jetzt-Handeln"-Situation
4. Das bewusste Veto
5. Haben wir einen freien Willen?

Auszug

Der Befund, dass der Willensprozess unbewusst eingeleitet wird, führt zu der Frage: Gibt es irgendeine Rolle für den bewussten Willen beim Vollzug einer Willenshandlung?' Der bewusste Wille (W) erscheint 150 ms vor der motorischen Handlung, auch wenn er dem Beginn der Gehirnaktivität (BP) um mindestens 400 ms folgt. Das gestattet ihm möglicherweise, das Endergeb­nis des Willensprozesses zu beeinflussen oder zu steuern. Ein In­tervall von 150 ms würde der bewussten Funktion genügen, um das Endergebnis des Willensprozesses zu beeinflussen. (Tatsäch­lich stehen für eine solche Wirkung nur 100 ms zur Verfügung. Die letzten 50 ms vor der Muskelaktivierung ist die Zeit, die der primäre motorische Kortex braucht, um die motorischen Nervenzellen im Rückenmark und durch sie die Muskeln zu aktivieren. In diesen letzten 50 ms wird die Handlung vollen­det, ohne dass sie von der übrigen Gehirnrinde gestoppt werden kann.)

Der bewusste Wille könnte entscheiden, dass der Willenspro­zess sich vollenden und zu einer motorischen Handlung führen soll. Oder er könnte den Prozess blockieren bzw. ein »Veto« einlegen, so dass keine motorische Handlung stattfindet.

Das Unterdrücken eines Handlungsdrangs ist eine allgemeine Erfahrung, die wir alle schon gemacht haben. Sie tritt besonders dann auf, wenn die geplante Handlung als sozial inakzeptabel angesehen wird oder nicht im Einklang mit der eigenen Gesamt­persönlichkeit oder mit den eigenen Werten steht. Wir konnten in der Tat experimentell zeigen, dass die Unterdrückung einer geplanten Handlung sogar noch in den letzten 100-200 ms vor dem erwarteten Handlungszeitpunkt möglich war. Hier han­delte es sich um einen begrenzten Test. Für ein spontanes Veto konnte er nicht durchgeführt werden, weil es in diesem Fall keine Muskelaktivierung gibt, die den Computer elektrisch dazu veranlasst, die vorangehenden Sekunden der elektrischen Aktivi­tät auf der Kopfhaut aufzuzeichnen. Deshalb waren wir tech­nisch darauf eingeschränkt, die Unterdrückung einer Handlung zu untersuchen, die zu einer im Voraus festgelegten Zeit ausge­führt werden sollte. Die Versuchsperson wurde gebeten, sich zu einer bestimmten »Uhrzeit«, etwa bei der 10-sec-Markierung, auf eine Handlung vorzubereiten. Die Versuchsperson sollte jedoch diese erwartete Handlung unterdrücken, wenn die Uhr 100-200 ms vor der festgesetzten Zeit erreichte. Ein beträchtli­ches BP entwickelte sich in den 1-2 Sekunden vor dem Veto in Übereinstimmung mit dem Bericht der Versuchsperson, dass sie eine Handlungserwartung spürte. Dieses BP wurde jedoch bei 100 bis 200 ms vor der festgesetzten Zeit flach, da die Versuchsper­son die Handlung unterdrückte und keine Reaktion des Muskels auftrat. Ein Beobachter schickte zu der Zeit, zu der die Handlung stattfinden sollte, ein auslösendes Signal an den Computer. Damit wurde zumindest gezeigt, dass eine Person eine erwartete Handlung innerhalb von 100-200 ms vor der für die Handlung festgesetzten Zeit unterdrücken kann.

Diese Ergebnisse führen zu einer anderen Sicht der Rolle des bewussten Willens und der Willensfreiheit bei einem Willens­prozess, der zu einer Handlung führt. Wenn wir unsere Ergeb­nisse auf andere Willenshandlungen extrapolieren, leitet der bewusste Wille unsere freien Willenshandlungen nicht ein. Stattdessen kann er das Ergebnis oder den tatsächlichen Vollzug der Handlung steuern. Er kann der Handlung gestatten, sich zu vollenden, oder er kann sie unterdrücken, so dass keine Handlung stattfindet. Wenn er dem Willensprozess gestattet, sich in Richtung auf das Hervorbringen einer motorischen Handlung zu vollenden, dann könnte darin auch eine aktive Rolle für den bewussten Willen liegen. Der bewusste Wille könnte das Fortschreiten des Willensprozesses zur Handlung ermöglichen; er wäre dann nicht bloß ein passiver Beobachter.

Wir können Willenshandlungen so auffassen, dass sie mit unbewussten Initiativen beginnen, die aus dein Gehirn »hervorsprudeln«. Der bewusste Wille würde dann eine Auswahl zwi­schen diesen Initiativen treffen und entscheiden, welche davon sich im Handeln niederschlagen soll, welche unterdrückt oder abgebrochen werden sollen, so dass es nicht zur motorischen Handlung kommt. Ich bespreche die gesamten Implikationen für den freien Willen im nächsten Abschnitt.

Robert Doty hat sich gefragt, ob die unbewussten Initiativen des Gehirns so häufig sind, dass sie den bewussten Willen mit der Überwachung dessen, welche Initiativen unterdrückt werden sollen, auf Trab halten. Wir wissen jedoch nicht, wie häufig die Initiativen für Willenshandlungen »hervorsprudeln«. Sie könnten relativ selten auftreten. Auf jeden Fall könnten unbe­wusste Prozesse jedoch Informationen über die Akzeptierbarkeit einer bestimmten Initiative bereitstellen. Diese unbewussten Prozesse würden sich während der 400 ms nach dem Beginn von BP II entwickeln. (Siehe den folgenden Abschnitt »Hat das bewusste Veto einen vorausgehenden unbewussten Ursprung?«) Der bewusste Vetoprozess braucht nur dann für ein mögliches Handeln alarmiert werden, wenn diese unbewussten Prozesse eine Initiative als potentiell inakzeptabel kennzeichnen.

Bewußt gesetzte Handlungen sind relativ selten. Oft verstreichen mehrere Minuten ohne dieselben. Wenn ich morgens aufstehe, setze ich zwar bewußt den Akt des Aufstehens (der oft schwer genug fällt), jedoch danach erfolgt das Morgen-Zeremoniell mehr oder weniger unbewußt, mit tagtäglich in gleichbleibender Monotonie wiederholten Bestandteilen. Zum Glück funktioniert das so, denn es wäre sehr lästig, müßten wir z.B. beim Zähneputzen jede Bewegung bewußt setzen. Den größten Teil unseres Handlungsprogramms spulen wir subcortical ab; wir müssen uns nicht darauf konzentrieren und können uns z.B. trotz Zubereitung des Frühstücks voll auf das Hören des Morgenjournals konzentrieren. Noch seltener werden bewußt initiierte Handlungen abgebrochen. Vielleicht kommt so etwas im Schnitt nur einmal am Tag vor. Meiner Meinung nach genügt es zur Wahrung unserer Freiheit vollkommen, wenn wir nur in diesen Ausnahmesituationen Herr unserer Entscheidungen sind.--Bergerml 15:27, 16. Nov 2006 (CET)

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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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