D. Unabänderlichkeit versus Zwangsläufigkeit (FiK)

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Wir sollten daher in Fällen der beschriebenen Art, wie z.B. der Wurfbahn eines Schneeballs, nicht von einer Zwangsläufigkeit des Verhaltens sprechen, als vielmehr nur von >Läufigkeit< oder dem Verlauf der Bahn, der nicht anders ist, als er ist. Er ist in diesem Sinn unabänderlich so. Werden die bestimmenden Ursachen dessen, was geschieht, nicht geändert, so geschieht es unabänderlich. Unabän­derlichkeit sollte jedoch nicht verwechselt oder gleichgesetzt werden mit Zwangsläufigkeit: Die erste sagt nur, daß etwas nun einmal nicht anders ist als so, wie es ist; die zweite, daß etwas zwingend so und nicht anders ist. Wie kann man diesen Unterschied noch näher beschreiben?

Bemerkenswerterweise kennt auch der normale Sprachgebrauch im Zusammenhang mit unseren Handlungen denselben Unterschied: Ein >unabänderlich< gefaßter Beschluß oder Wille kann sehr wohl frei sein; während ein >zwangsläufig< gefaßter Beschluß eben alles andere nur nicht frei ist. Im ersten Falle meinen wir zu einem Zeitpunkt vor Ausführung des Beschlossenen, daß kein Grund zu einer Revision bestehe und deshalb genau die Determinanten, die den Beschluß begründen, ohne weitere Ergänzungen oder Abstri­che erhalten bleiben sollen. Ähnlich ist nun in der Natur das Unab­änderliche das, was sich ohne Änderung nicht anders vollzieht als genau so, während das Zwangsläufige seinen Verlauf auch bei gewis­sen Änderungen noch durchsetzt. Unabänderlich war es beispiels­weise, daß der Damm nach drei Tagen unablässigen Regens brach; aber die Wogen mußten danach zwangsläufig das Dorf unter sich begraben.

Wenn man alles genauestens in Erwägung zöge, was in der Welt passiert und dabei die Ursachen des Geschehens exakt mit all ihren Wirkungen ins Verhältnis setzte, würde man immer entdecken, daß es unabänderlich so geschieht. Aber eben nicht zwangsläufig und deshalb auch nicht notwendig. Zwangsläufig ist etwas also dann, wenn es auch unter etwas veränderten Umständen noch so läuft, wie es läuft. Daß es hingegen, wenn man nichts abändert, unabän­derlich so geschieht, erstaunt wenig und kann nicht als notwendig gelten, sofern man dies von irgendeiner anderen Modalität des Ge­schehens zu unterscheiden wünscht.

Nichts zu ändern an dem, was geschieht, bedeutet, daß sich alles genau so und aus den Ursachen heraus vollzieht, aus denen es sich vollzieht. Hier ist alles berücksichtigt und findet alles seinen Nie­derschlag, was immer eine Rolle zu spielen hat. Die Unabänderlich­keit gilt unangesehen der Dinge und ihrer Besonderheiten im Ver­gleich und im Verhältnis zueinander. Anders die Zwangsläufigkeit: Sie ist relativ darauf, daß das eine ein Ding von der und der Art, das andere aber ein anderes ist: Nach dem Dammbruch wird das Dorf zwangsläufig von den Wogen begraben - auch wenn der Damm etwas niedriger oder höher und der Regen etwas stärker oder schwä­cher, die Häuser etwas größer oder kleiner gewesen wären. Das Verhältnis von Dorf zu Wogen ist so, daß keine Chance besteht, nicht begraben zu werden. Wenn freilich das Dorf ein Berg wäre, dann sähe die Sache anders aus.

Ganz entgegen dem ersten Anschein ist also die Unabänderlich­keit der Verläufe in der Natur eine rein objektive und gegen alles völlig gleiche Zuordnung der Ursachen zu ihren Wirkungen, egal, welche es sind. Zwangsläufigkeit dagegen ist intensional verfärbt: Je nachdem, um welche Sorte von Dingen und Begebenheiten es sich handelt (auf die wir uns beziehen), vollzieht sich manches zwangs­läufig an ihnen und anderes nicht. Zwangsläufig drehen die Räder sich langsamer, wenn die Bremsbacken greifen, aber nicht zwangs­läufig blockieren sie, sondern nur unabänderlich, nachdem der Untergrund nicht so rauh war wie trockener Teer.



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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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