Christlich (CP)

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Philosophie als Lebensform. Antike und moderne Exerzitien der Weisheit, Frankfurt/Main 2002

vgl. Vorlesung 07.01 von Klaus Puhl (DRV)

Der Tod des Sokrates stellt das Grundereignis dar, in welchem der Platonismus wurzelt. Besteht das Wesen des Platonismus nicht eigentlich in der Behauptung, daß der letzte Grund des Seienden das Gute ist? Ein Neuplatoniker des IV. Jahrhunderts drückt dies folgendermaßen aus: »Wenn alles Seiende aufgrund der Gutheit existiert und am Guten teilnimmt, dann transzendiert das erste Gute notwendigerweise das Sein. Das beste Zeichen hierfür ist Folgendes: Die wertvollen Seelen verachten das Sein im Hinblick auf das Gute jedesmal, wenn sie sich für das Vaterland, die Freunde oder die Tugend in Gefahr begeben. « 

Sokrates setzte sich im Namen der Tugend dem Tode aus. Er wollte lieber sterben als auf die Forderungen seines Gewissens verzichten. Er zog also das Gute dem Sein vor, das Gewissen und das Denken dem körperlichen Leben. Hierin besteht nun aber die eigentliche philosophische Entscheidung, jedenfalls wenn es stimmt, daß sie den Lebenswillen des Körpers den höheren Ansprüchen des Denkens unterordnet. »In der Tat also (. . .)« , sagt Sokrates im >Phaidon<, »trachten die richtig Philosophierenden danach zu sterben, und tot zu sein ist ihnen unter allen Menschen am wenigsten furchtbar.« 

Der Tod, von dem hier die Rede ist, stellt eine geistig vorgenommene Trennung von Seele und Körper dar: »Und wird nicht das eben die Reinigung sein, (. . .) daß man die Seele möglichst vom Leibe absondere und sie gewöhne, sich von allen Seiten her aus dem Leibe für sich zu sammeln und zusammenzuziehen und soviel als möglich, sowohl gegenwärtig wie hernach, für sich allein zu bestehen, befreit wie von Banden von dem Leibe?<< Solcherart stellt sich die platonische geistige Übung dar. Aber sie muß richtig verstanden werden und darf vor allem nicht vom philosophischen Tod des Sokrates getrennt werden, der als nahe bevorstehend den »Phaidon« beherrscht. Die Trennung von Körper und Seele, von der hier die Rede ist, hat, wie auch ihre Vorgeschichte gewesen sein mag, absolut nichts mehr mit einem Zustand von Trance oder Muskelstarre zu tun, in welchem der Körper sein Bewußtsein verliert und auf Grund dessen die Seele in einen Zustand übernatürlicher Hellseherei gerät. Alle Darlegungen im »Phaidon«, die der zitierten Stelle vorangehen und auf sie folgen, verdeutlichen sehr gut, daß es sich für die Seele darum handelt, sich zu befreien und sich aller an die körperlichen Sinne gebundenen, sinnlichen Leidenschaften zu entledigen, um geistige Unabhängigkeit zu erreichen.

Tatsächlich kann man sich die geistige Übung besser vorstellen, wenn man sie als Bemühung versteht, die darauf abzielt, sich von dem parteiischen, leidenschaftsbedingten, an den Körper und die Sinne gebundenen Gesichtspunkt frei zu machen und sich zu einem universalen und normativen Gesichtspunkt des Denkens aufzuschwingen, um sich den Forderungen des Logos und der Norm des Guten zu unterwerfen. Sich im Sterben üben bedeutet, sich zu üben, in seiner Individualität und seinen Leidenschaften abzusterben, um die Dinge aus der Perspektive der Universalität und der Objektivität zu sehen. Selbstverständlich setzt eine solche Übung Konzentration des Denkens auf sich selbst, Übungen in der Meditation und im inneren Dialog voraus.

Im >Staat< spielt Platon darauf noch einmal mit Bezug auf die individuellen Leidenschaften an. Die Tyrannei der Begierde offenbart sich seiner Meinung nach besonders im Traum: »(. . .) das Tierische und Wilde aber (in uns), (...) du weißt, wie es dann (im Traum), als von aller Scham und Vernunft gelöst und entblößt, zu allem fähig ist. Denn es unternehmen, sich mit der Mutter vermischen zu wollen (. . .), macht ihm nicht das mindeste Bedenken, oder mit irgendeinem anderen, sei es Mensch, Gott oder Tier, oder sich mit irgend etwas zu beflecken, und keiner Speise glaubt es sich enthalten zu müssen, und, mit einem Wort, von keinem Unsinn und keiner Unverschämtheit bleibt es zurück.« Um diese Tyrannei abzuschütteln, greift man auf eine geistige Übung gleicher Art zurück wie die schon im »Phaidon« geschilderte: »Wenn hingegen einer, (...), gesund mit sich selbst umgeht und besonnen und sich zum Schlaf begibt, nachdem er das Vernünftige in sich aufgeregt hat und mit schönen Reden und Untersuchungen bewirtet und zum Bewußt-sein seiner selbst gekommen ist, das Begehrliche aber hat er weder in Mangel gelassen noch überfüllt, damit es sich hübsch ruhig verhalte (... ), und nachdem er ebenso auch das Zornartige besänftigt hat (... ), nachdem er zwei Triebe beschwichtigt und nur den dritten in Bewegung gesetzt hat, in welchem das Denken wohnt, so sich zur Ruhe begibt, weißt du wohl, daß der in solchem Zustande mit der Wahrheit vorzüglich Verkehr hat und dann am wenigsten ruchlose Gesichter in Träumen zum Vorschein kommen?«

An dieser Stelle sei mir ein kurzer Exkurs erlaubt. Die Philosophie als »Übung im Sterben« vorzustellen, stellte eine Entscheidung von außerordentlicher Bedeutung dar. Der Gesprächspartner des Sokrates im »Phaidon« weist sofort darauf hin: Dies gebe eher Anlaß zum Lachen, und die Laien hätten Recht, wenn sie die Philosophen als »sterben Wollende« behandelten, die, wenn sie zum Tode verurteilt würden, ihr Schicksal völlig zu recht verdient hätten. Für denjenigen jedoch, der die Philosophie ernst nimmt, beinhaltet diese platonische Formulierung eine tiefe Wahrheit. Sie hat übrigens ein starkes Echo in der abendländischen Philosophie gefunden; sogar Gegner des Platonismus wie Epikur und Heidegger haben dieses Thema wieder aufgenommen. Angesichts dieser Formulierung erscheint alles frühere und heutige philosophische Geschwätz ziemlich leer. »Weder die Sonne noch den Tod kann man unverwandt anschauen.« Allein die Philosophen gehen dieses Wagnis ein; hinter ihren verschiedenen Todesvorstellungen zeichnet sich eine einzige Tugend ab: die Klarsichtigkeit. Nach Ansicht Platons kann derjenige, der schon von der Unsterblichkeit des Denkens gekostet hat, nicht in Angst versetzt werden, wenn man ihm das sinnliche Leben entreißen will.


Hugo Rahner: Griechische Mythen in christlicher Deutung. Rhein-Verlag, Zürich 1945

vgl. Zusammenfassung von Michael Palomino (1994 / 2003 / 2005 / 2010)


Die zweite Erkenntnis barg sich in den Bildern von der Seelenheilenden Blume. Nie war der Hellene nur ein Mensch des Diesseits, und nie bloß ein Liebhaber der marmornen Schönheit des Körpers. Er wußte um das Grundgesetz aller wahren Humanität, und Platon, der größte der Griechen, hat das am schärfsten gesehen: daß die Seele nur heil wird am Göttlichen, weil sie gottentsprungen und gottessüchtig ist. Nie kann sie nur aus sich sie selbst werden. Sie bedarf einer göttlichen Botschaft und einer göttlichen Hilfe. Denn eine Schwinge des Geistes ist geheimnisvoll gebrochen, und ein Pferd des Seelengespanns zieht dämonisch zum Abgrund: so steht es für immer im Phaidros.

Die christliche Botschaft des Logos kam diesen Ahnungen vom Himmel her entgegen. Sie hat sie überhöhend bestätigt mit ihrem urmächtigen Wissen vom dämonengewirkten Sündenfall. Aber sie hat sie auch bewahrt vor einer sublimen Verachtung des Fleisches durch die Kunde, daß in der Menschwerdung Gottes und in der Vergöttlichung des Menschenleibes am Ende der Tage der dunklen Wurzel unseres Geschlechts ein göttlich lichtes Haupt geschenkt werde. Damit ist das irdische Leben der gähnen-den Sinnlosigkeit entrissen, aus der alle Krankheit der Seele wuchert.

Seitdem das Abendland der göttlichen Botschaft nicht mehr glaubend sich auftut, und seitdem der Mensch des bloßen Wissens und des gesetzlosen Könnens nur mit sich selbst spricht, ist schwärendes Siechtum im Land der Seelen. Alle Raison und alle Aufgeklärtheit werden die scheinbar so jenseitig ungreiflichen und doch so gegenwärtigen Tatsachen nicht weg haben können, die da sind Gott und Daimon: sie kehren als seelenfressende Mächte wieder. Heilung ist nur gegeben im Glauben. Nur der himmlische Mensch ist ein irdischer Mensch, alle anderen sind Torso oder ausgehauener Wurzelstock. Human wird der homo nur in Gott. Das hat ein tief-blickender Seelenarzt in die Worte geprägt, die trefflich aussprechen, was wir mit den Symbolen der Seelenheilung verhüllend an-gedeutet haben: «Die Aufgabe, den Menschen in seiner Würde zu bewahren, heißt, den Boden der offenen Welt der Menschen verlassen, auf dem wir alle so sicher zu stehen glauben.» Und in dem mythischen Bild vom Stab des greisen Menschen, das die Sphinx der Griechen verkündete, lehrt er die gleiche Einsicht: «Erst gelehnt auf den Stab eines jenseits unserer Menschenwelt liegenden Grundes ist das Menschenbild vollkommen.» (G. Bally)


Die dritte Erkenntnis reift wie eine edle Frucht aus den beiden ersten. Der aus dem Mysterium wiedergeborene und im Glauben zum Seelenheil gelangte Mensch ist schon jetzt heimgekehrt in den Port des Ewigen. Dort hat er von nun an seine statio tranquilla, den ruhig unerschütterten Standort. Denn schon seine Geburt aus dem Mysterium ist zugleich die <Ankunft im Hafen>. Und seine schmerzlich langsame Heilung ist, trotz allen Gefahren, eine der Landung bereits gewisse Seefahrt des Lebens. Das aber ist die wundersame Sicherheit des Christen, die alle scheinbare Tragik des ungesicherten Lebens aufhebt. In Wahrheit ist ja schon jetzt alles glückselig zu Ende, in einem jugendfrischen Neubeginn. Und weil dies so ist, darum kann der Christ, schon jetzt ein göttlich Zurück-blickender, alles Irdische in der Verklärung schauen und umarmen. Alle geliebten Dinge dieser Welt gehören ja schon zu seiner <neuen Erde>, vom Weidenzweig bis zum Sonnenball, von Homer bis zu Platon. Die ganze Schöpfung ist sein Mysterium geworden, und die Geschichte des Geistes ist auf seinem Schiff in die ewige Geborgenheit eingefahren. Der am Holz Gebundene ist der Freie. Er verfügt über die Blumen und die Sterne, über Hellas und über die Welt, mit der paulinischen Geste des Besitzenden: Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes.


Rahner, Karl u.a.: Sacramentum Mundi. Theologisches Lexikon. Jörg Splett: Unsterblichkeit

Philosophiegeschichtlich

In der Aufnahme der orphischen Tradition gibt Platon dem abendländischen U.denken das Fundament, indem er die Seele als jenes bestimmt, das in der „Trennung von Leib und Seele” die Auflösung des Leibes überdauert. Dabei ist Seele nicht bloß als Teil des Menschen verstanden: „Die Seele: das ist der Mensch” (Platon: Alkibiades A 129 E, 130 C). Die U. der Seele begründet Platon aus dem allgemeinen Kreislaufgeschehen der Natur, verbunden mit seiner Anamnesislehre (der Präexistenz der Seele entspricht ihre Postexistenz), entscheidender aus der Einfachheit der Seele (die darum sich nicht auflösen könne) und aus ihrer Fähigkeit zur Erfassung der Ideen, d. h. ewiger Gehalte des Wahren, Guten und Schönen (da nur Gleiches von Gleichem erkannt werden kann, muß die Seele ideengleich sein), schließlich aus ihrem Wesen als Lebensprinzip (Phaidon; das letzte Argument ist auch das des Phaidros [245 C — 246 A]).

Die aristotelische Form-Materie-Konzeption (/ Hylemorphismus), die eine engere Einheit von Leib und Seele vertritt, erschwert auf der anderen Seite die Annahme der U.; Aristoteles kennt sie nur für den überpersönlichen vous. Beide Konzeptionen verbinden sich in vielfacher Weise bei den folgenden Philosophien. Dabei wird im christlichen Denken Platon bestimmend (/Platonismus; vgl. Augustins U.-beweis aus dem Wahrheitsvermögen der Seele [ / Augustinismus] ). Zugleich tritt die theologische (und ethische) Begründung in den Vordergrund. Die Aristotelesrezeption belebt zwar die eigentlich philosophische Diskussion, aber in der Absage an den Averroismus durch Albertus Magnus und Thomas und auf dem Lateranense V (D 738) wird der aristotelische Hylemorphismus zugleich platonisch interpretiert (/Aristotelismus).

War in der Renaissance die U. ein Streitpunkt zwischen Platonikern und Skeptikern wie unter den Aristotelikern zwischen Averroisten und Alexandristen, so wird sie, vor allem nach Leibniz, das „Zentraldogma” der Aufklärung, jedenfalls der deutschen. In der französischen (Voltaire, Enzyklopädie) wie in der englischen (D. Hume) melden sich eher Skepsis und Absage (im Gegenzug die Wirkung Swedenborgs in Deutschland, gegen dessen „Träume” Kant polemisiert). Kant verwirft theoretisch die traditionellen Beweise als „Paralogismen”, postuliert die U. aber ethisch-praktisch, weil die Heiligkeit als das Wesensziel des Menschen nur in unendlichem Fortschritt zu erreichen sei und weil die sittliche Weltordnung eine Entsprechung von Tugend und Schicksal verlange. Für Fichte ist die U. schon hier in der Wahrheitsannahme als „seliges Leben” gegeben, dessen Fortgang nur als Wandel zu noch vollkommenerer Liebe verstanden wer-den kann. Gegenüber dem mehr gefühlsbestimmten Menschheits- oder Persönlichkeitsdenken eines Herder oder Goethe wie den theosophisch beeinflußten Spekulationen des späten Schelling wird in der Folge Hegel wirksam, genauer jene Auslegung seiner doppeldeutigen Position, die sie als Leugnung der U. des Einzelnen angesichts der Geschichte des Weltgeistes interpretiert. Diesem Linkshegelianismus wie den Vertretern eines groben (vor allem biologisch geprägten) / Materialismus treten die Rechtshegelianer und der spekulative Theismus entgegen. In der Philosophie der Gegenwart ist zwar der /Tod ein beherrschendes Thema, aber mit Beweisen für die U. befaßt man sich ebensowenig wie mit Gottesbeweisen (ob man die U. nun abweist, offenläßt oder annimmt).

Theologisch

Das biblisch-theologische Stichwort der hier gemeinten anthropologischen Frage ist nicht U., sondern /Auferstehung des Fleisches. So ist im AT die bloße Fortdauer in der Scheol (Fortdauer nicht der Seele als eines Teils, noch weniger des Menschen, der die Seele ist, sondern nur seines „Schattens"), die man ja als U. bezeichnen könnte, völlig bedeutungslos gegenüber dem verlorenen Diesseitsleben wie gegenüber der sich herausbildenden Hoffnung auf die Ruferweckung durch Gott. Kommen schon im „Spätjudentum” griechische Gedanken zur Wirkung, so übernimmt die Patristik, wie gesagt, ausdrücklich die platonische Konzeption und verbindet sie mit den jüngeren atl. und ntl. Auferstehungsaussagen.

Doch wie die hylemorphistischen Definitionen des / Leib-Seele-Verhältnisses durch das Lehramt keine Dogmatisierung des aristotelischen Philosophems bedeuten, so sind die lehramtlichen Äußerungen über die /Eschatologie (D 530) und gegen den Averroismus (D 738) nicht die Erhebung eines bestimmten philosophischen U.verständnisses zur Glaubenslehre, sondern vielmehr in der Abweisung einer Fehlinterpretation der Glaubenslehre die naheliegen Weise der Selbstartikulation dieses Glaube in einer bereitstehenden phil. Terminologie.

Die heutige evangelische Theologie hat diese Übernahme weithin abgelehnt. D EKL (III 1579 f.) (H. Engelland) nennt di Gründe der Ablehnung: „Um der Gottheit Gottes willen, der allein U. hat' (1 Tim 6, 1 vgl. 1 Kor 15, 53)”; „um der Sünde willen die nicht im Körper, sondern in der Seele entsprungen ist; „um der Einheit des Menschl willen”. Doch meldet sich (vgl. RGG3 1177f.) auch eine gemäßigtere Position. Tatsächlich ist mit dem U.glauben nicht notwendig ein Leib-Seele-/Dualismus verbunden. Es wäre zu entfalten, wie die klassischen Beweise aus der Unzerstörbarkeit eines geistig einfachen Wesens und aus der Notwendigke ewiger Sanktionen nur in bestimmter Weise die immanente (und als solche transzendierende) Grunderfahrung der /Freiheit selbt artikulieren. Sie macht diese Selbsterfahrun in der Erfahrung des unbedingten Anspruchs der / Wahrheit wie des / Guten.