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Ein paar Gedanken zu Andreas K.
Stargate. Es gibt eine Episode von Startrek, in der das Raumschiff auf einen Planeten stößt, den "Nachkommen Platos" bewohnen. Ich nehme die nächste Woche mit. Es macht aber erst Sinn, das zu diskutieren, wenn wir bei der von Platon vorgeschlagenen Gesellschaftsordnung sind.
Ich finde es wichtig, nachzuzeichnen, auf welche Weise wir zum Rechtspositivismus und von dort zur Unterscheidung zwischen Rechtlichkeit und Gerechtigkeit gekommen sind. In Platos Dialog ist der Ausgangspunkt ein typisch zynischer Machtmensch (Thrasymachus). Der kommt mit der - für wohl-sozialisierte Staatsbürgerinnen schockierenden - These, dass Gerechtigkeit eine Erfindung der herrschenden Klasse ist. Daran ist nun folgendes interessant: auch und gerade in dieser These gibt es einen Unterschied zwischen Rechtlichkeit und Gerechtigkeit. "Unglücklicherweise" sind halt die Rechtlichen die Dummen und diejenige, die Einsicht in die echte Beschaffenheit der Gerechtigkeit haben erkennen sie als Herrschaftsinstrument.
Daraus entsteht die Frage: mit welchem Recht nennen sie so ein Instrument "Gerechtigkeit"? Das ist ein typisch philosophisches Thema. Angenommen, es gilt nicht entweder/oder (schwarz oder weiß, tod oder lebendig) - gibt es dann noch weitere Möglichkeiten? Derselben Art? "Kann ich etwas schon/noch einen Menschen nennen, wenn ...?" Durch den Zynismus des Thrasymachus wird eine Frage aufgeworfen, die im Vergleich zur Rechtsbegründung durch Tradition und Herkunft "aufklärerisch" ist. Sokrates macht sich diese Provokation zu Nutze, um seine eigene Agenda zu verfolgen.
Die Schwammigkeit der Begriffe ist unumgänglich. Es ist allerdings eine Betrachtungsweise, die schon aus einer bestimmten Interessenlage resultiert. "Ich hätte gerne 6 Eier" - Hühnereier, Wachteleier, Taubeneier, Bioeier, Schokoladeeier ... Der Sprachausdruck ist in einen jeweiligen praktischen und inferentiellen Kontext eingebettet. Das ist auch unsere Aufgabe im Seminar: rund um die platonischen Erwägungen über "gerecht" die relevanten Handlungs- und Argumentationszusammenhänge aufzuspüren.
--anna 12:55, 18. Nov. 2008 (CET)
Kephalos leitet über zur Gerechtigkeit
Also möchte ich mich zunächst damit beschäftigen, unter welchen Umständen die Gerechtigkeitsdiskussion in der Politeia begonnen hat. Warum muss man über Gerechtigkeit reden?
- Der Freundeskreis rund um Sokrates sah sich den Festzug an. Anschließend gingen sie zu Polemarchos nach Hause. Dann kommt man sich ein bisschen vor, wie in ein Altersheim gestellt:
- 328c: "Polemarchos Vater Kephalos war anwesend; er kam mir sehr gealtert vor." Kephalos freut sich, dass er auch mal wieder besucht wird. Er rechtfertigt sich, selbst nicht dorthin zu gehen, wo die Leute normalerweise ins Gespräch kommen (Marktplatz) - denn er sei schon alt und körperlich nicht mehr wirklich in der Lage dazu. Er setzt zu einer Verallgemeinerung an:
- 328d: "Je mehr mir all die übrigen Freuden im Körper absterben, um so mehr wachsen Lust und Freude an guter Unterhaltung." Sokrates sagt nun sinngemäß: Ja natürlich komme ich gern, denn von den alten Leuten müssen wir lernen, sie haben die meiste Erfahrung. Nun, wie gehts dir dabei, alt zu sein? Findest du es eine Plage?
- Im Prinzip laufen die Fragen und Antworten darauf hinaus, was einem als alter Mann im Leben als wichtig und bedeutsam vorgekommen ist, im Unterschied zu den jugendlichen Perspektiven? Kurzum: Es ändert sich einiges doch das ist durchaus ein Vorteil, weil man von vielen (triebhaften) Bedrängungen, von den die Jungen befallen sind, befreit ist. (329d: Das Wort des Sophokles: Man ist von fielen rasenden Herren frei). Kephalos meint eine Weisheit erkannt zu haben: Mäßigkeit - dann ist sowohl die Jugend als auch das hohe Alter unbeschwerlich.
- Sokrates bohrt durch die Provokation nach, dass man ja behaupten könne, das hohe Alter wäre für Kephalos deswegen so unbeschwerlich, weil er einen gewissen Reichtum besitze.
- Kephalos bestätigt. Wohl stimmt das, aber Reichtum allein reicht dafür sicher nicht. (330a: Das Wort des Themistokles: Vorteilhafte Umstände (Geburtsort) sind keine hinreichende Bedingung für Berühmtheit)
- 330d: "Was hältst du für das höchste Gut, in dessen Genuss dich der Reichtum gesetzt hat?" Die kurze Antwort: Man kann in Ruhe und ohne Angst sterben, weil man es als vernünftiger Mensch so anstellen kann, dass man keinen Menschen etwas schuldet. (331a: Beim Wort des Pindar kommt das erste Mal "gerecht" vor: "Wer gerecht und ehrfürchtig sein Leben lebt,[...]")
- Sokrates fasst nun das Statement Kephalos zusammen und nimmt es als erste These über die Gerechtigkeit: Wahrheit und Rückerstattung des Empfangenen. Jedoch sogleich stellt er diese These in Frage (das haben wir schon diskutiert): Ist es allgemein so, dass man alles Empfangene zurückgeben muss? Gibt es nicht Fälle, wo es gerechter ist, das Empfangene nicht zurückzugeben (Waffen im Wahnsinn zurückfordern 331c).
Lässt Platon mit gutem Grund Kephalos über seine (eigenen und gehörten) Lebensweisheiten sprechen? Die nahe liegende Vermutung ist: Denjenigen über die wichtigen Dinge im Leben zu befragen, der schon lange gelebt hat. Kephalos ist alt, hat ein erfolgreiches Leben geführt und ist der Meinung, dass man vernünftig, ordentlich und gemäßigt sein soll. Damit ist er eine Person, der man zuhören kann. Er gibt als Stellvertreter der alten, weisen Männer die Legitimation, über Gerechtigkeit zu sprechen, denn bei der Frage, was ihm im Leben wichtig ist, kommt er ganz natürlich zu einer Festlegung dessen, was gerecht ist.
Das Ganze ist natürlich erstmal nur eine Einstimmung in den ab jetzt beginnenden Diskurs (der Gerechtigkeit anders bestimmt), doch er bietet Gelegenheit nachzufragen, warum es notwendig ist über Gerechtigkeit zu sprechen. Meine schlussfolgernden Fragen: Kann man vertreten zu sagen, dass:
- die Rolle des Kephalos jemanden darstellt, der Experte ist im Leben; der weiß, was ein erfolgreiches, evt. glückliches Leben ausmacht, nämlich gerecht und ehrfürchtig zu sein?
- die Rolle des Kephalos die legitimierende Instanz für die Notwendigkeit des Gerechtigkeitsdiskurs darstellt?
Denn wie wir gesehen haben, wird im Rechtspositivismus die Auffassung vertreten, dass die philosophischen Debatten über Gerechtigkeit nicht nötig sind für die Frage des Rechts und damit der Frage, was innerhalb eines Staates legal ist. Wofür also diese Debatten? Wenn man meinen obigen Feststellungen zustimmt, fällt die Antwort von Platon, zumindest wenn man sich die obigen Stellen (und mit diesen kommt er ja direkt auf die Frage: Was ist Gerechtigkeit?) ansieht, etwas dürftig aus:
- Der Experte des Lebens, der der die meiste Zeit hatte, seine Erfahrungen zu sammeln und seine Einstellungen zu überdenken, also der alte Mann kommt in der Befragung durch Sokrates zu der Weisheit, dass es wichtig ist, gerecht und ehrfürchtig zu sein. Kephalos Befragung ergibt sozusagen eine Evidenz, die noch vor dem Start einer intensiven Studie über Gerechtigkeit erhoben wird.
- Nochmals radikaler formuliert: Wir müssen uns Gerechtigkeit näher ansehen, weil der alte Mann ganz natürlich und noch gar nicht bedacht darauf, welche Worte er verwendet, zum Thema Gerechtigkeit kommt? Die Frage: "Wie sollen wir leben?" / "Was sollen wir tun?" wird als die Frage: "Was ist Gerechtigkeit?" gefasst.
- Man könnte natürlich auch sagen, dass die Einleitung kein schweres Gewicht wiegt in Bezug auf die Frage, warum es angebracht ist, sich über Gerechtigkeit zu unterhalten. Behandelt Plato dann überhaupt diese Frage explizit oder ergibt sie sich im Diskurs über Gerechtigkeit? Das brigt dann natürlich die Gefahr einer self-fulfilling prophecy.
Soweit zu meinen (vielleicht) provokanten Schlussfolgerungen nach der Lektüre dieser Einleitungsstellen, die für mich noch VOR der Debatte über Gerechtigkeit anfallen, ich befürchte aber erst MIT dieser Debatte beantwortet werden können. --Andyk 17:53, 18. Nov. 2008 (CET)