Benutzer:Patrick Lang/SS09-BD-E11-19 06 09

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Prüfungsmodalitäten

Ich begrüße Sie zu dieser letzten Vorlesung in diesem Semester. Nächste Stunde 10 Uhr, findet hier die schriftliche Prüfung statt. Die Prüfung läuft so ab, dass Sie einen Text von mir bekommen werden. In diesem Text aus der Literatur werden zu dem Themenkomplex, den ich ihnen vorgetragen habe, Positionen vertreten und ich erwarte mir von Ihnen dass Sie diesen Text, vor dem Hintergrund dessen, was sie hier gehört haben, sachkundig kommentieren, kritisieren, weiter ausführen. Die Idee dahinter ist die, dass diese Veranstaltung nicht so sehr darauf aus ist Ihnen möglichst viele Fakten über die Themen mitzuteilen, die dann zu Fragen werden, sondern hauptsächlich dazu dienen soll, ihnen Möglichkeiten vorzustellen mit den entsprechenden Themen kreativ umzugehen. Solche Herhausforderungen, solche Gedanken – von denen sicher viele in der Alltagsdiskussion in der Mediendiskussion immer wieder zu finden sind – zu identifizieren, entsprechend aufzuarbeiten und philosophisch kompetent zu verarbeiten.


Übersicht über diese letzte Sitzung

Die Aufgabe dieser letzten Sitzung besteht darin, jetzt auf der einen Seite einige von den Strängen zusammenzuknoten, die ich Ihnen dargelegt habe und auch, das ist ein-, zweimal schon angesprochen worden in der Diskussion, Ihnen eine Position vorzustellen die jetzt nicht direkt in der Philosophiegeschichte drinnen steckt und auch zu erkennen gibt, was meine eigene Auffassung, meine Vorschläge im Zusammenhang mit diesem Themen wären. Es ist ja nicht so, dass ich mit Positionen unbedingt gespart hätte im Rahmen des bisher gesagten, aber es ist wahrscheinlich sinnvoll hier auch noch mal einen Schlussakzent zu setzen. Ich habe allerdings, das muss ich gleich sagen bevor Sie meinen, dass ich mich jetzt frei bewege und nicht mehr auf klassische Philosophen beziehe, zur Basis dessen was ich Ihnen hier vortrage, erstmal noch und wieder einen klassischen Philosophen genommen. Nämlich Wittgenstein, der mir hilft dabei. Es ist auch nicht so, dass ich zu Datenbanken schon Sachen geschrieben hätte, die nichts mit diesen klassischen Philosophen zu tun hätten aber das werde ich Ihnen vielleicht noch einmal in der Literatur nächste Woche als Link zur Verfügung stellen. Ich glaub für den Duktus dieser Vorlesung, die doch stark mit solchen großen „Philosophen“ zu tun hatte, ist es einfach besser das auch an der Stelle von Wittgenstein zu erörtern und ich greife jetzt noch mal zurück zu dieser endgültigen Verknotung auf die Einleitung der vergangenen Vorlesung [1] die, wenn Sie sich erinnern ja darauf hingewiesen hat, dass ich zwei Hauptlinien verfolgt habe.


Zwei Hauptlinien der Vorlesung

Das eine ist die Linie, die die Vertreter des humanistischen Bildungsideals als die von außen heran gekommene Katastrophe darstellen, das ist also, wenn ich es mal in Sciencefiction Termini ausdrücken kann, die Theorie der externen Aliens, die die Kultur ruiniert haben. Und diese externen Aliens sind aus dieser Sicht diejenigen, die seit dem Einbrechen der Logik, seit dem Wiener Kreis, seit dem Positivismus, seit den Datenbankingenieuren infrage gestellt haben, was das entsprechende klassische Bildungsideal ist und die Auseinandersetzung, der Machtkampf besteht. ich habe damit begonnen, wenn Sie sich erinnern ganz am Anfang, zum Beispiel zwischen den Bürokraten, zwischen den EU-Managern, die die Bildung kommerzialisieren, die die Bologna-Architektur einklagen, die das alles nur mehr verrechenbar und verwaltbar machen gegen das alte Bildungsideal. Das sind sozusagen die externen Katastrophenszenarien die da gespielt werden. Und dann gibt es als zweites, wenn ich beim Sciencefiction Inventar bleibe, dann gibt es auch den Genre der internen Aliens. Also es bricht aus dem Organismus des Menschen plötzlich eine Fehlgeburt hervor, die dann die Frage stellt was ist denn in mir geheimnisvolles verborgen was da herauskommt und was das Leben dramatisch infrage stellt. Und das ist die Linie, die ich ihnen begonnen habe, also angedeutet habe bei Hegel und Heidegger darzustellen. Das sind Theoretiker, die der Auffassung sind die Misere des Bildungsbegriffs – über die kein Zweifel besteht – geht zurück auf einen Keim der angelegt ist im Bildungsbegriff selber. Das heißt da brauchen wir niemanden von außerhalb des Weltalls, sondern wir müssen die Aufgabe so sehen, dass das eine in der griechisch abendländischen Tradition angelegte Tendenz ist, die letztlich dazu geführt hat dass wir in der Situation sind. Und was bleibt uns, also mit Battleship Galactica auswandern in einen anderen Bereich, in eine andere Form von Denken, von Existenz wie immer. Das sind – ich sage es schon mit einer gewissen Pointe – die dramatischen Situationseinschätzungen und Schlussfolgerungen, die sich in dieser Dramatik durchaus – das möchte ich doch sagen, ich habe es Ihnen nur am Rande immer wieder mal angedeutet – von den wichtigsten philosophischen Prononciationen wie zum Beispiel den Brief über den Humanismus [2] bis in das wöchentliche Feuilleton der deutschen Qualitätszeitungen, die das immer wieder noch neu diskutieren, unter diesen Voraussetzungen ziehen. Davon distanziere ich mich aber jetzt in dieser letzten Stunde.


Rückgriff auf den Tractatus

Ich bringe Ihnen keine Antwort darauf, wie sie sich da orientieren sollen, sondern ich beginne noch mal mit einem Rückgriff auf den Tractatus und das was Wittgenstein im Tractatus gemacht hat. Das in der besonderen Hinsicht dass ich Ihnen ja schon ausgeführt habe, dass es zwischen Platon und dem Tractatus eine sehr starke Affinität gibt. Das habe ich im Zusammenhang mit Aussagesätzen und Weltstruktur, Weltordnung argumentiert [3]. Hier will ich es ein bisschen Modularisieren, in eine etwas andere Richtung bringen, die auch erkennbarer etwas zu tun hat mit dem Bildungsbegriff. Diese Richtung würde ich so einleiten und so motivieren dass ich Sie darauf aufmerksam mache, dass es für Wittgenstein, in der frühen Phase und dann auch späteren Phasen einen interessanten anknüpfungswürdigen Begriff gibt und dieser Begriff heißt Lebensform.


Lebensform vs. Lebensformen

Lebensform ist nun etwas, was Ihnen nicht als erstes einfallen wird, wenn sie über Bildung und Datenbanken sprechen. Aber mir scheint es hilfreich und wichtig zu sein sich da einmal genauer zu erkundigen und die Sache genauer anzusehen. Und ich glaube man kann zeigen, dass das, was in der Wittgensteindiskussion unter dem Titel Lebensform läuft wesentliche wichtige Aspekte beiträgt zu dem Thema Bildung und Datenbanken, von dem ich geredet habe. Eine erste äußere Annäherung diesbezüglich kann so ausschauen, dass Sie sich erinnern an Formulierungen von der Art und Weise „reiß dich zusammen“, „gib deinem Leben eine Form“, „versuch mal an dieser Stelle eine Gestalt in dein Leben zu bringen“. Lebensform ist ein Begriff, der steht dafür, dass eine Person einen Halt gefunden hat: Diesen Halt gefunden hat, aber jetzt nicht am Haltegriff und auch nicht unbedingt an irgendeiner einzelnen Überzeugung, sondern dass der Halt, den diese Person hat, darin besteht dass sie sich einer bestimmten Habitualität, Ritualisierung einen eingespielten Ganzen von Gewohnheiten, gesellschaftlichen Praktiken einordnet. Also der Halt, den man hat in der Familie oder der Halt, den man hat im Sprotclub oder der Halt, den man hat in der wissenschaftlichen Existenz hat. Das ist nicht etwas, was sozusagen einfach zu benennen wäre, wo man nicht sagen kann, das hängt daran dass ich am Samstag zum Fußballspiel gehe oder so etwas, sondern das hängt in einer sozial verteilten Praktik von Gesprächsthemen, von Einschätzungssystemen, von Handlungsoptionen, in denen man da drinnen ist. Das hat, was ich jetzt gesagt habe, sehr was kolloquiales, ist auch so gemeint und das interessante ist jetzt zu sehen, dass das wenn man unter den Aspekt Lebensform anspricht, wenn man sagt, das ist eine Form, die das Leben hat, dann kommt man schon relativ nahe an diese Idee, die im Rahmen des Bildungsdiskurses ein wichtiger Punkt ist. Nämlich wenn sie jetzt Form ein bisschen platonisch sehen, wenn Sie es nicht als einen neutralen und viel verwendbaren Begriff sehen, sondern wenn Sie noch ein bisschen was durchhören von „dem Leben eine Form gegeben“ – das ist nicht nur ein guter Ratschlag, sondern das ist auch eine Wert besetzte Vorstellung, eine „gute Form geben“, eine „richtige Form geben“, eine Form, nach der es sich lohnt zu leben –, dann ist dieser Formgebungsprozess etwas, das sehr gut in die platonische Entwicklung der Selbstwerdung, des sich Orientierens an den Ideen in sich hat.


Der platonische Bezug

Und wenn ich das sage muss ich notgedrungen, und das ist jetzt das interessante, was mich von der platonischen Auseinandersetzung geradewegs in die Auseinandersetzung um die wittgensteinschen Lebensform- Überlegungen hineinbringt, dann muss ich auch das Folgende sagen. Dann habe ich mit dem platonischen Bezug auch mitübernommen, die Diskrepanz, die wir diskutiert haben zwischen den Schaulustigen, zwischen denen, die hier und dort sind, die sich alles mögliche interessante anschauen, die aber, wie wir der Länge und Breite festgestellt haben, nicht in der Lage sind, die Challenge, der Ideen geleiteten Selbstgestaltung zu übernehmen. Das war die Richtung, die uns in die Philosophie und in die Bildung gebracht hat. Diese Richtung führt dazu, dass wir nicht verlorengehen zwischen verschiedensten Ausprägungen des menschlichen Lebens, was immer halt grad angesagt ist, sondern dass wir ein Prinzip haben, das wir etwa haben, das jenseits der Tagesaktualität, wie man heute sagt, liegt und in der Lage ist ein stabiles Orientierungspotenzial zur Verfügung zu stellen. Ich erinnere Sie an das aus der Platondiskussion.


Die Diskrepanz

Und das interessante im Zusammenhang mit der Lebensform und dem Wittgenstein ist jetzt das folgende: Dass zum einen im Tractatus selbst so eine Vorstellung von Lebensform vorkommt, die etwas mit dem platonischen Ideal zu tun hat, auch wenn, und gerade wenn sie abgekoppelt ist von der Wertehierarchie. Darauf will ich kurz zu sprechen kommen. Und das zweite, was noch interessanter und wichtiger ist, ist dass es beim Wittgenstein in der Weiterbearbeitung dieser Tractat-Idee einen interessanten kleinen Weg, eine Sprachexkursion gibt, die inhaltlich ausgesprochen wichtig ist, interessant ist und auch diskutiert worden ist. Nämlich die Tatsache dass beim Wittgenstein nicht nur vorkommt Lebensform, sondern auch vorkommt und äußerst häufig vorkommt, der Ausdruck Lebensformen, der Plural davon. Und das ist nun eine Beobachtung, zunächst einmal im wittgensteinschen Œvre, die aber gehörige prinzipielle Konsequenzen hat. Weil nämlich Lebensformen, wenn man sie als ernsthaften Plural nimmt, nicht das hergeben, was ich gerade vorhin beschrieben habe, als eine Lebensform, sondern Lebensformen gibt es viele. Es gibt die Junkie-Existenz, es gibt die Couch-Potato-Lebensform, sie können es sich aussuchen. Das sind alles im Prinzip Lebensformen, die den Bedingungen entsprechen, die ich Ihnen gerade genannt habe. Es gibt die Lebensformen der Leute, die große Plakate schreiben „Peter Pacult ist ein Verräter“ und so etwas ähnliches. Das heißt nun, dass sich in dem Unterschied zwischen Singular und Plural von Lebensform und Lebensformen die platonische Unterscheidung wieder findet, zwischen dem einen Idealzustand auf den hin sich zu orientieren ist, und der Schaulust, der Vielfältigkeit, der οἱ πολλοί (hoi polloi), der Menge. Es ist interessant zu sehen, es findet sich hier wieder, es findet sich aber in keiner Weise in diesem systematischen, bildungstheoretischen Zusammenhang, den ich bisher immer wieder angesprochen habe, sondern an einer überraschenden anderen Stelle, und das ist etwas, das mich interessiert. Sie können nämlich das, worum es inhaltlich geht unbeschwerter diskutieren, wenn Sie nicht ständig die Phrasen aus dem Diskurs des Untergangs, des Abendlands oder aber der Freiheit und des Fortschritts durch Bildung im Auge haben, sondern wenn sie stattdessen das diskutieren unter dem Aspekt von Lebensform und Lebensformen. Das habe ich ein bisschen vor für heute, das möchte ich Ihnen ein wenig ausbuchstabieren. Und dafür beginnen mit einem noch mal Verweis auf die für die Lebensführung relevanten kurzen Passagen im Tractat, drei davon hier [4] mal zusammengefasst.


Die Grenzen meiner Sprache} bedeuten die Grenzen meiner Welt. (Tractatus Logico-Philosophicus 5.6)

Die Welt und das Leben sind eins. (T 5.621)

Ich bin meine Welt (T 5.63)


Wenn sie hier mit ein bisschen Schlussfolgerung an die Sachen heran gehen, dann können Sie als einigermaßen gesicherte Tractatus-Postition auch vertreten, „ich bin meine Lebensform“. Wenn die Welt und das Leben eins sind, und ich bin meine Welt, dann bin ich mein Leben und ich bin, da die Welt eine Form hat, in meiner Welt als Lebender auch meine Lebensform. Die Person bewegt sich in einem allumfassenden Spach-Lebens-Welt-Zusammenhang. Wir können über den nicht drüber gehen, aber als Ganzes, das Mystische, ist das Wissen davon dass es diese Lebensform als Ganzes gibt. Sie erinnern sich, es ist wichtig zu sehen, dass eine Basisstrategie des Tractatus darin besteht dass er den Übergang kappt, den Übergang, den Stufenweisen, sozusagen nachvollziehbaren Bildungsweg, der uns natürlich allen extrem vertraut ist, der, das muss mach auch sagen, das Wesen der primären, sekundären und tertiären Erziehung ausmacht. Dieses ganze bio-soziale Prozessgefüge, das die universitäre Bildung abschließt, und dass sozusagen eine Nachbildung, in der Gesellschaft des Aufstiegs aus der Höhle sein soll, das wird einfach gekappt. Es gibt zwar die Form, es gibt die Form als Ganzes, aber dort kommt man nicht hin indem man Stufe für Stufe in der Welt hinaufsteigt. Darüber habe ich ja lange geredete. Obwohl das so ist, ist beim Wittgenstein im Tractat festzuhalten, es gibt noch diese eine Form, das ist ein Restbestand aus der Einheitsspekulation, die Sie bei Platon finden. Im Tractatus, indem die Welt als Ganzes geordnet ist, ist auch das menschliche Leben, das sich sozusagen einpasst in diese komplette Weltordnung ein Leben, das eine richtige Leben, das wenn man es verstanden hat eine Stabilität und eine Endgültigkeit für das Leben verbürgt. Das ist im Prinzip ein wenig eine Veränderung, ein wenig eine Erweiterung aber keine prinzipielle Erweiterung von dem, was ich ihnen bisher zum Tractatus gesagt habe. Und jetzt kommt der nächste Schritt. Jetzt kommt ein Blick auf das, was beim Wittgenstein dann nachher kommt, weil schließlich und endlich ist der Tractatus 1921 erschienen und Wittgenstein hat gehörig viel noch nach dem Tractatus gedacht und ich bringe Ihnen hier mal gleich ein Zitat im Zusammenhang mit Lebensformen, das 16 Jahre später ist, aus 1937, und das hier zunächst einmal dafür steht, dass Wittgenstein von dieser Lebensform, der einen Welt, dem einen Leben hinüber wechselt in den Plural in die Lebensformen.

Ich will sagen: es ist charakteristisch für unsere Sprache, daß sie auf dem Grund fester Lebensformen, regelmäßigen Tuns, emporwächst. (MS 119, 74v)

Wenn Sie sich das ansehen was damit gesagt ist, dann werden Sie vielleicht jetzt die Verbindung herstellen können zu dem Problem, das ich schon präludiert habe. Nämlich dass ich, wenn ich jetzt plötzlich von festen Lebensformen regelmäßigen Tun ausgehe, ich plötzlich eine – wenn ich es von oben herunter beschreibe – doch bemerkenswerte Desorientierung im neutralen Sinn habe. Eine Desorientierung deshalb, weil ich jetzt nicht mehr die eine Lebensform habe, sondern ich habe regelmäßiges Tun, ich habe innerhalb dieses regelmäßigen Tuns feste Lebensformen und die haben nun keine Orientierung im Einen und im Zusammenfassenden mehr.

Der Zustand bevor Platon die Schrauben angezogen hat

Da kommt ein Faktor dazu den man natürlich extra lange bearbeiten muss, das ist dieser Faktor der Praxis. Während im Tractat die Sprache als ein klares logisches Gebilde, logisch mathematisch fundiert aufgebaut wird, und sozusagen direkt verkoppelt mit einer Erkenntnistheorie und Ontologie die davon ausgeht dass die Welt aus Sachverhalten besteht. ! Fünf Jahre später ist Wittgenstein schon ziemlich wo anders, vor allem ist er in einer Situation wo er sagt, Sprache ist eingebettet, Sprache hat etwas zu tun, nicht einfach mit der logischen Klarheit, sondern etwas zu tun mit Verhaltensweisen, Handlungsweisen von Menschen. Sprache kann nur verstanden werden als eine Tätigkeit, die Personengruppen ausführen, zusammen mit einer größeren Anzahl weiterer Handlungsmuster. Es ist auch der Grund dafür warum hier in den Manuskripten sich nicht nur Lebensformen finden, sondern auch Handlungen, Handlungsformen. Es gibt Varianten dazu, die heißen für unsere Sprache die sich auf den Grund fester Handlungen, fester Handlungsformen aufbaut. Und diese Sichtweise ist nun, man könnte es so sagen, eine Deutung des Wechsels vom Singular in den Plural ist die, dass der Wittgenstein aus dem platonisierenden Gesamtheitsanspruch im Trtactat zurückfällt, oder zurück geht, wie immer Sie es haben wollen, in den Zustand bevor Platon die Schrauben angezogen hat. Also in den Zustand der Schaulustigkeit, in den Zustand von dem Platon gesagt hat das ist genau philosophisch unzufrieden stellend, dazu brauchen wir, um das zu überwinden, um die Menge zu überwinden brauchen wir die Formen. Und die ganzen Formen wiederum verankert in einer Form, in der Form des Guten. Wittgenstein geht den Weg retour, in einer gewissen Art und Weise, und zwar geht er den Weg nicht retour, das ist eines der faszinierernsten Features in der wittgensteinschen Philosophie, vielleicht sogar das faszinierernste Feature, dass er nicht so wie Heidegger sagt, wir schauen uns jetzt Platon an und finden in Platon den Keim des Verderbens angelegt. Sondern, Wittgenstein kritisiert sich selber. Wittgenstein sagt das was ich getan habe, im Tractatus, ist eine platonische, generalisierte Wertvorstellung, die ich selber jetzt wieder in Frage stelle. Und indem er sich, und den Tractatus kritisiert vollzieht er einen Schritt zurück in der Philosophiegeschichte und konfrontiert uns mit der Frage, wenn ich nicht mehr überzeugt bin von diesen Einheitsformen, dann bin ich zurück bei den Lebensformen und dann bin ich zurück – um es hier sehr drastisch und dramatisch zu sagen, aber von der Sache her vertretbar – in einen Relativismus, in einer sophistischen, in einer nicht respektabel philosophischen Wahrheitsuntersuchung, weil in dem Moment mit dem ich mit den verschiedenen Lebensformen operiere, und die zulasse als verschiedene Kontexte von Sprachen, und nicht mehr die Kriterien habe, wie ich mich aus diesen verschiedenen Lebensformen zu einen gedeihlichen sozial Privilegierten ganzen hinauf transformiere, in dem Moment habe ich im gewissen Sinn die klassische Philosophie verloren, sie sozusagen zurückgenommen. Es gibt Philosophie natürlich auch im Modus des Relativismus. Aber die Pointe, das Antriebsmoment, das eigentlich von mir auch immer vorausgesetzt worden ist in diesen Bildungsanspruch – ich habe in dieser Veranstaltung zum Beispiel nicht über unterschiedliche Bildungskonzepte gesagt, es gibt natürlich plurale, multikulturelle, etc. Bildungskonzepte, die versuchen sich frei zu halten von den Typisierungen und Zuspitzungen, die wir hier haben, das will ich nicht infrage stellen –, mir geht es in der Vorlesung tatsächlich um einen gewissen traditionellen, bis wenn sie so wollen um eine Polemik um eine Großbaustelle der klassischen Philosophie verlassen wird, wenn man in den Plural hinein geht.


Der Exegetenstreit

Nicht umsonst haben die Wittgenstein ExepertInnen das zum Anlass genommen, eine ganz angeregte und vielgestaltige Diskussion zu führen, darüber wie man jetzt mit dem Phänomen umgeht das bei Wittgenstein sich Lebensform und Lebensformen, beides zusammen findet. Das kann man als eine gelehrte Diskussion über die Textinterpretation bestimmter Wittgenstein Passagen nehmen, aber das was das ganze beflügelt ist nicht einfach nur zu schauen, warum steht da das Eine und da das Andere, sondern was es beflügelt, ist dass dahinter die genannte Problematik des normorientierten Vernunftbegriffes und auf der anderen Seite des Relativismusses steht. Das ist im Hintergrund zu hören, wenn man sich ansieht was die Exegetinnen und Exegeten, im Zusammenhang mit der Frage Lebensform oder Lebensformen sagen. Ich bringe ihnen da nur ein paar Hinweise.

Ich habe die genaueren Zitate in einem Beitrag angegeben, den sie hier [5] als pdf haben, das ist ein Beitrag den ich im April bei einem Symposium über Lebensformen vorgetragen habe. Was ich Ihnen jetzt hier sage baut einerseits auf diesem Beitrag auf, führt es aber noch in Richtungen weiter, für die ich da noch keine Zeit hatte. Also wenn sie die Sekundärliteratur dazu genauer anschauen wollen, dann finden Sie die unter eben diesem Link.

Was ich heraushebe, um Ihnen das jetzt mal aus der Sicht der interne Textdiskussion ein bisschen plastisch zu machen, ist ein Beitrag von Newton Garver [6]. Newton Garver, ein Wittgenstein-Forscher der mehrfach in Wittgenstein-Symposien war, der mehrere Aufsatzsammlungen über Wittgenstein geschrieben hat und der an einer Stelle sozusagen besonders erfolgreich, oder provokant gewesen ist in seiner wissenschaftlichen Arbeit. Diese eine provokante Stellungnahme, die dann eine wissenschaftliche Folgediskussion ausgelöst hat, bezieht sich genau auf das Thema Lebensform bei Wittgenstein. Und da geht es um das folgende. Es ist sozusagen eine Beobachtung, die ich für sehr amüsant empfinde und die man sich gut merken kann als ein Indiz dafür, in welche Richtungen der Wahrnehmungen und Auffassungen uns unsere Lebensform bringt. Also ein handgreifliches Beispiel für die Abhängigkeit zwischen Lebensformen und Verständnis, Verständlichkeit. Es gibt ein berühmtes Zitat aus den „Philosophischen Untersuchungen“ und in diesem Zitat – das ist der zweite Teil des Satzes den ich ihnen hier vorlese – heißt es:

"... und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen."

Das ist ein Ausgangspunkt für viele von diesen Diskussionen und Newton Garver hat nun folgendes herausgefunden und beginnt damit, seine Artikel, dass er sagt es ist doch sehr interessant dass es mindestens drei Fälle von hoch anerkannten WissenschaftlerInnen und Wittgenstein-ForscherInnen gibt, die diesen Satz zitieren und die den so zitieren dass sie sagen: „... und eine Sprache vorstellen heißt sich Lebensformen vorstellen“. Die zitieren diesen Satz und ersetzen instinktiv Lebensform durch den Plural, durch Lebensformen. Die Zitate finden Sie in dem genanten Artikel. Das ist deswegen spaßig, und in der genannten Art und Weise signifikant weil – und das ist auch so ein bisschen die Absicht von Newton Garver dahinter – weil wir in einem postmoderen multidimensionalen Verständnis den Wittgenstein und die Rede von Lebensformen ganz instinktiv und sofort als Plural auffassen. Er spricht von Lebensformen, er spricht von Lebensform, das kann sozusagen nur heißen dass er von diesen Lebensformen spricht, in dem Sinn, den ich vorhin auch gerade zitiert habe. Und, eine genaue Aufmerksamkeit auf den Text stellt an dieser Situation fest – ja interessanterweise geht es da um einen Singular. Das heißt wir stehen vor der Frage einer Lebensform hier auch und da gibt es natürlich jetzt auch eine gewisse Freiheit der Interpretation, so wie ich Ihnen das betont habe, diesen Satzteil, "... und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.“, ist dies normale Rhythmik der Sprache. In den Betonungen, die hier drinnen stehen ist klar, dass das „eine Lebensform vorstellen“, dass das der unbestimmte Artikel ist und dass der unbestimmte Artikel suggeriert dass es verschiedene Formen gibt und eine Form davon wäre sozusagen die, die jeweils in Frage kommt. Es ist also im normalen deutschen Sprachduktus dieser Gebrauch von „eine Lebensform“ durchaus verträglich mit vielen anderen Lebensformen. Die Pointe und die provokante Position von Newton Garver ist jetzt die, dass er zweifellos ein bisschen unterstützt dadurch, dass das im Englischen anders aussieht und anders klingt, und dass er nicht das Deutsche hier mit rein nimmt, dass er nämlich eine Deutung vorlegt die das „eine“, was man ja im Prinzip auch machen könnte als ein Zahlwort nimmt. „Eine Sprache vorstellen heißt sich eine Lebensform vorstellen.“ Und wenn ich dieses „eine“ als Zahlwort lese, dann habe ich die Reminiszenz aus den Tractatus, wo es eine Sprache und eine Lebensform gibt, hineininterpretiert, per Betonung, und kann damit – das ist natürlich etwas interessantes in dem Zusammenhang – auch hinweisen auf gewisse Kontinuitäten im Werk von Wittgenstein, indem ich auf den Singular bestehe und darauf hinweise, dass auch der späte Wittgenstein eine Ganzheit hier noch im Auge gehabt hat und nicht sich verloren hat in verschiedene Lebensformen.


Wie sieht die menschliche Lebensform aus?

Das ist die Stoßrichtung der Interpretation von Newton Garver und die Problematik, die sich damit verbindet ist natürlich als nächstes die, und wenn ich nicht die schöne Logik und Mathematik im Hintergrund habe, die der Tractat hat, wie schaut denn dann die menschliche Lebensform aus? Wenn ich die nicht in der allgemeinen Form des Satzes realisiert finde, von der ich das letzte Mal gesprochen habe, wo ist denn das dann anzutreffen? Und dazu gibt es eine Auskunft von Newton Garver, die durchaus intern Wittgensteinianisch aufrecht zu erhalten ist und die darauf fokussiert ist, dass auch der späte Wittgenstein noch sagt, es gibt sehr wohl eine Gemeinsamkeit der menschlichen Sprache. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass es viele verschiedene menschliche Sprachen gibt, aber es gibt etwas, was allen menschlichen Sprachen gemeinsam ist. Und das ist nun nicht platonisch gefasst. Das interessante dabei ist jetzt dass diese Figur „es gibt etwas das allen menschlichen Sprachen gemeinsam ist“, das ist eine sozusagen letztlich noch immer ganzheitliche, metaphysische Struktur, die aber von Wittgenstein nicht expliziert wird als die Vernunftstruktur oder so etwas, sondern von der Wittgenstein sagt das ist ein Faktum der Naturgeschichte. Die Natgeschichte hat dazu beigetragen, hat hervorgebracht das Folgende: Dass es Kommunikationssysteme gibt, zwischen Organismen. Es gibt ein Kommunikationssystem zwischen Bienen, und es gibt ein Kommunikationssystem zwischen Ameisen, zwischen Vögel, was immer und es gibt ein Kommunikationssystem zwischen menschlichen Wesen. Und das Kommunikationssystem zwischen menschlichen Wesen, als Ganzes betrachtet, abgehoben von andern Kommunikationssystemen, ist die menschliche Sprache. Wittgenstein hat solche Beispiele, um hier den Unterschied zu machen zwischen den Kommunikationssystemen, dass er etwa sagt, wenn du einen Hund hast und gut mit diesem Hund reden kannst, dann kann man dem Hund so etwas zuschreiben wie er freut sich auf sein Frauerl. Also Freude angesichts von Indikationen kann man ihm zuschreiben. Aber man kann dem Hund nicht zuschreiben, dass er an gestern denkt. Dass er sozusagen aus Erinnerung macht. Um nur ein Beispiel zu bringen. Bestimmte involviertere Formen der sprachlich vermittelten Kommunikation greifen nicht, oder nur metaphorisch. Diese ganze Gedankenlinie ist in gewisser Weise zusammengefasst unter dem bekannten Diktum von Wittgenstein: Wenn ein Löwe sprechen könnte, dann könnten wir ihn nicht verstehen. Darüber ist viel gerätselt worden, wie man das auslegen soll. Eine der Grundideen, die dahinter ist, ist die dass wenn das, was der Löwe spezifisch und einzigartig ist, in einer Sprache auszudrücken wäre, per impossibile dann muss der generische Unterschied zwischen Mensch und Löwe, darin auswirken dass wir diese Sprache nicht verstehen könnten. So fremd uns Löwen eben sind.


Kommentar aus dem Auditorium – Sprache ist nicht alles

Gleichwohl ich inzwischen erkannt habe, dass die Sprache eine hohe Bedeutung hat, zumindest in der Philosophie, und daher als eigener Zweig behandelt wird. Ist sie meines Erachtens für die Kommunikation nur ein Medium. Sie ist für die menschliche Erkenntnis sicher von hoher Bedeutung, die Sprache, aber nicht für die Kommunikation. Dabei gebe ich zu bedenken dass man in der Kommunikation weiß, dass von dem, was rüber kommt an Verständnis nur ungefähr 40% in den Worten liegt und in der Sprache liegt und 60 % nonverbal. Dasselbe gilt wenn man bedenkt, dass heute die Kommunikation zwischen den Menschen über Medien sich stark abspielt, die oft nur in Bildern sprechen.


Erwiderung – In allgemeine Kommunikationszusammenhänge übertragbar

Da habe ich gar nichts dagegen, vor allem nicht gegen den Hinweis auf Medien und Bilder. Ich habe mich durch den Bezug auf Wittgenstein auf Sprachphilosophie in einer Art und Weise festgestellt. Es lässt sich wahrscheinlich das Meiste von dem, was ich jetzt über Sprachvermittlung gesagt habe auch im allgemeinen Kommunikationszusammenhang sagen. Selbst wenn ich nicht rede, wird es mir nicht gelingen ein Huhn durch Gesten davor zu bewahren ins Auto zu laufen.


Was macht das Besondere der menschlichen Kommunikation und Kommunikationsform aus?

Man spricht von Körpersprache, von Gebärdensprache aber das Prinzip, um das es mir an der Stelle geht, nämlich dass wir sozusagen noch immer konfrontiert sind, auch jetzt in diesen späteren Aussagen von Wittgenstein mit der Frage, sollen wir menschliche Kommunikations- und Sprachformen in der Vielzahl zulassen? In einer gewissen Weise ist es keine Frage, wir müssen es tun, wir tun es auch ständig. Es gibt Arten und Weisen wie ich mich mit einem Haustier verständige, oder wie ich mich mit Vögeln versuche zu verständigen oder wie ich mich mit KollegInnen versuche zu verständigen. Das sind sozusagen Sprach- und Kommunikationsausschnitte und auf der anderen Seite noch immer aber die Frage, was macht das Besondere der menschlichen Kommunikation und Kommunikationsform aus? Und der Grund, warum ich an der Stelle so ein bisschen herumreite ist, weil die Idee der Bildung, die Idee dessen, was wir werden sollen und werden können und zwar als Menschen, nicht des Trainings, das ist sozusagen an der Stelle nachzutragen und ein entscheidender Punkt. Nicht das Verfahren, das uns eine bestimmte Verhaltensdisposition als Ziel vorgibt und dann sagt, trainiert das „dann kannst du es“, „dann verdienst du was dabei“, „dann kriegst du einen Reward“, „dann kannst du an der Stelle sagen du hast dein Ziel erreicht“. Nicht diese Form von Verhaltenstraining um eine gewisse Formvorgabe zu erreichen, sondern diese besondere Form, die allen Menschen gemeinsam ist, die alle Menschen im Prinzip erreichen können, die aber nicht darin liegt dass es hunderttausend verschiedene Formen gibt, sondern dass es eine Form, die menschliche Form, das Besondere des Menschen gibt, auf das hin alle orientiert sind und das letztlich das Ziel unserer Bildungsdiskurse ist. Das ist der Unterschied um den es mir da geht. Den nächsten Punkt können sie sich so ansehen [7]und gehe vielleicht hier schon zum übernächsten Punkt über und beschreib das nur kurz, was ich auch noch, quasi mit dabei erledigen wollte.


Ein neuer Zugang zu Wittgenstein

Das ist eine Bemerkung zum Umgang mit Wittgenstein. Eine kurze Bemerkung, die vielleicht Ihr Interesse erzeugt, wenn Sie im weitern Studium sich noch ein bisschen mehr mit Wittgenstein beschäftigen wollen. Es gibt sechs Zitate in den Wittgenstein gesammelten Werken, die sie zugänglich haben über Suhrkamp [8] und im Englischen über Blackwell [9]. Das sind Extrakte aus Wittgensteins Arbeit, herausgegeben von seinen Nachlassverwaltern, und in diesen 8 Bänden finden sie sechsmal das Wort Lebensform zitiert. Und der Streit der ExegetInnen von dem ich gesprochen habe, dreht sich nun um diese sechs Vorkommen von Lebensform, und man versucht sozusagen dem Wittgenstein auf den Zahn zu fühlen, was er denn wirklich gemeint hat, ob er den Singular oder den Plural de facto gemeint hat. Das ist eine Beobachtung aus dem Studium der Fachliteratur, diese Beobachtung ist nun zu ergänzen, und das ist ein gewisses Sonderanliegen von mir, das ich an der Stelle einbringen möchte. Wir haben mittlerweile nicht nur diese acht Bücher der Suhrkampausgabe sondern wir haben den gesamten Wittgenstein- Nachlass, in etwa 20 000 Manuskriptseiten, Typoskript, was immer. Sämtliche 20 000 Seiten digitalisiert in der so genanten Bergen Electronic Edition (BEE) [10] online zum Abfragen zugänglich, an der Universität Wien ist das frei geschaltet. Wenn sie das interessiert der URL ist: http://library.nlx.com/. Wenn sie dort hingehen, dann haben sie dort alle Wittgensteinschen Briefe und den gesamten Wittgensteinschen Nachlass. Es ist deswegen interessant weil es jetzt einen Blick darauf eröffnet, wo überall etwas Vergleichbares, von Wort und der Idee her in diesen 20 000 Seiten von Wittgenstein her auftritt. Also nicht restringiert auf die sechs Vorkommen, sondern mal die ganze Breite von dem, was Wittgenstein hier im Auge hat. An der Breite muss man sich in Wirklichkeit orientieren.


Das Gewimmel als Hintergrund

Da komme ich jetzt in den Bereich, wo ich Ihnen ein paar prinzipielle Sachen über Lebensgestaltung und Datenzuspitzung in einzelne Datenzusammenhänge sagen möchte. Da stellt sich ein Bild heraus, nach dem Tractat, das doch signifikant anders ist als die schöne mathematische Regelmäßigkeit von dem hier die Rede ist. Vielleicht gehe ich auf das Manuskript 137 gleich am Anfang zurück, und zitiere Ihnen das einmal so:

"Wie könnte man die menschliche Handlungsweise beschreiben? Doch nur, indem man die Handlungen der verschiedenen Menschen, wie sie durcheinanderwimmeln, zeigte. Nicht was Einer jetzt tut, sondern das ganze Gewimmel ist der Hintergrund." (MS 137, S. 54b)

Also er redet hier extra vom Gewimmel. Es gibt andere Zitate, da spricht er vom Getriebe:

Wir beurteilen eine Handlung nach ihrem Hintergrund im menschlichen Leben. Der Hintergrund ist das Getriebe des Lebens. Und unser Begriff bezeichnet etwas in diesem Getriebe. (MS 137, S. 29a)

Das ist jetzt der Beginn, wie gesagt, einer Zugangsweise zu diesen Thema Vielgestaltigkeit, Schaulust und Begriffsbildung.

Witzig, dass mir das jetzt unterlaufen ist, aber es ist mir nicht nur unterlaufen es ist eigentlich sehr genau doppelartig, doppelt codiert, dieses Wort Begriffsbildung. Es gibt eine harmlose Deutung von Begriffsbildung. Begriffsbildung im Gegensatz zu „es wimmelt herum“. Und Begriffsbildung hat aber auch für jemanden aus unserem Kontext auch noch diesen erhabenen Beiklang, dass nämlich wenn man in der Lage ist, Begriffe zu bilden, dann ist man Bereich eines Bildungsprozesses, der nicht nur darin besteht dass man grad einmal einen Begriff aneignet. Es ist nicht Aneignung, es ist nicht Musteraneignung. Begriffsbildung ist von der Konzeption her eingebettet in einen kontinuierlichen Lernzusammenhang, den Menschen durchlaufen können, im Unterschied dazu dass man sich ein Muster aneignet, dass man eine Reaktionsfähigkeit erwirbt. Reaktionsfähigkeit auf Muster zu erlernen ist etwas anderes als Begriffsbildung. Es ist ein langer Themenkomplex, was macht einen Begriff anders als ein Muster, aber darauf komme ich jetzt schon ein bisschen.

Worauf der Wittgenstein sich an dieser Stelle jetzt einlässt ist nun genau die Frage, wie soll man sich das vorstellen dass wir diese Art von Desorientierung haben, also die Vielfältigkeit. Und in dieser Vielfältigkeit eine Form. Die Form, die wir trotz allem und in dem Allen auch noch als ein Thema haben. Das ist eine Sichtweise, die ich Ihnen jetzt deswegen vorlege, weil die Intervention des Aussagesatzes, ganz von früher, die Intervention des Aussagesatzes im Gewimmel des Lebens und dann des Weiteren die Intervention eines Datensatzes – nehmen Sie jetzt nicht nur Aussagesatz sondern einfach einen Datensatz, eine Tabelle mit einer Datenstruktur – eine Form ist, die dem Gewimmel des Lebens angemutet wird. Eine Form, die man auf der einen Seite natürlich demarkieren kann und muss von der Vielfältigkeit und die aber auf der anderen Seite gerade deshalb, weil das eine derartige Demarkation ist eine Notwendigkeit und eine Problematik in sich hat. Die Notwendigkeit, ich würde es sehr ungeschützt so sagen: wenn ich nicht in der Lage bin, in dieser Vielfältigkeit Formen auszubilden dann rinnt mir alles durch die Finger, dann verliere ich mich.


Notwendigkeit und der Preis von Formen

Wie man sagt, ich verliere mich selbst in dem Gewimmel, ich habe keinen Halt. Ich brauche um zu mir selbst zu kommen diese Formen, in einem sehr neutralen Sinn. Das gilt sozusagen für alle möglichen Formen. Und in dem Moment aber, in dem ich solche Formen definiert und gefunden habe, und das heißt in meinem Kontext jetzt eben auch, in dem Moment, in dem ich mich eingelassen habe dass ich das in einer Tabelle unterbringe, dass ich meine Schallplattensammlung systematisch erfasse und nicht einfach nur das Eine und Andere höre, sondern um es von der CD-Sammlung her zu sagen, dass ich Kriterien habe, nach denen ich in der Lage bin mir auszusuchen, welche Musik ich jetzt hören will. Im Gegensatz dazu dass ich aufdrehe und es kommt irgendetwas. Wenn ich aber diese Kriterien habe, dann habe ich auch einen Preis dafür zu bezahlen, und der Preis ist, dass die Formalisierung, die Formgebung darüber etwas in den Hintergrund schiebt, etwas scharf macht, was zunächst in dem Zusammenhang so scharf nicht ist und was damit auch zu Problemen führen kann. Ich habe Ihnen – und das ist jetzt hier das Nächste Zitat vom Wittgenstein, damit Sie sehen wie das in dem Nachlass von Wittgenstein sozusagen weiter geht – jetzt mal hier das vorgeschrieben, das ist ein Wittgenstein Zitat:

Das Band zieht an mir vorbei und ich sage einmal "dies ist das Muster S", und einmal "das ist das Muster V", Manchmal weiß ich für einige Zeit nicht, welches es ist; manchmal sage ich am Ende "Es war keins von beiden." (MS 169, S. 69r)

Es gibt sozusagen Regelmäßigkeiten. Der Punkt ist der, das ist in dem Fall nicht das Gewimmel sondern das ist der Lebensablauf. Sie sind konfrontiert mit einem nicht endenden Band von Erfahrungen und in diesem Band von Erfahrung – so ähnlich wie an diesem Beispiel einem Probeband, einem Musterband – können sie mal ein Muster identifizieren, und manchmal ein anderes und manchmal ist das Ganze nicht so klar. Diesem Schaubild kann man noch eine zweite Ebene hinzufügen.

Wir hätten auf einem Streifen ein regelmäßiges Bandmuster und auf diesem Muster eine Zeichnung oder Malerei die wir mit Beziehung auf das Muster beschreiben ..." (MS 137, S. 99a)


Überleben im Straßenverkehr

Ich haben Ihnen um das ein wenig zu Visualisieren hier [11] ein paar Bilder eingespielt. Wenn Sie sich zum Beispiel diese Bänder hier ansehen. Wenn Sie sich vorstellen, Sie sind ein Teil des Lebenszusammenhangs, des Gewimmels in einer solchen Kreuzung, dann scheint mir das ein ziemlich schönes Bild dafür zu sein, dass Sie mal, wenn Sie ein bisschen eine desorientierte Autofahrerin sind, die diese Kreuzung bewältigen muss, leicht in die Situation kommen zu sagen, da habe ich doch das „Muster 1“ gefunden und ich folge dem „Muster 1“, aber jetzt bin ich nicht mehr sicher, ob das das „Muster 1“ ist, ob das jetzt die Fortsetzung des „Muster 1“ ist, oder ob das schon das „Muster 2“ ist. Also wo soll ich da abbiegen, nach welchen Regeln soll ich abbiegen. Das ist, finde ich ein wunderschönes Anschauungsbild dafür, worum es da philosophisch prinzipiell durchaus geht. Sie sind konfrontiert mit einer Übermenge von Impulsen, die Sie, wenn Sie das lebend überstehen wollen, was hier im Straßenverkehr vor sich geht, in einer Weise fassen müssen. Sie müssen, wenn sie da lebend rauskommen wollen, ein Band finden, möglichst das Richtige, und das vor einem zu hohen Angebot von verschiedenen Deutungsmöglichkeiten.


Reglementierung und Regularisierung

Und wenn sie das so sehen, dann haben Sie die beiden Momente, die dem Wittgenstein und mir auch im Zusammenhang mit Leben und Form wichtig sind, schon ziemlich schön organisiert. Das eine Moment ist, es gibt zum Überleben keine Alternative außer sich Formen zu finden an der Stelle. Sie brauchen – wenn ich es umgesetzt sagen darf – Datenbanken, wir brauchen Datenbanken. Wir können so, wie wir Leben nicht mehr Leben ohne Datenbanken, also ohne dass wir hier solche Schneisen ziehen – sage ich mal darüber. Aber es ist gleichzeitig zu sehen – und das ist sozusagen die Gegenrichtung zu dem Ganzen – dass jemand der daherkommt und sagt, ich bin die Verkehrspolizei und ich sag diese Schneise musst du nehmen und du musst Strafe zahlen, oder sonst irgendetwas, wenn du diese Schneise nicht genommen hast, dass der nur wirklich ein Teil des Problems erfasst. Nämlich den Teil der Reglementierung und Regularisierung, der nicht dem gerecht wird, was hier das Gesamtproblem ist. Das Gesamtproblem ist, dass es Verwalter der Fahrspuren gibt, die aber gleichzeitig eingebettet werden müssen in eine Diskussion, in ein Bewusstsein davon, dass diese Fahrspuren erstens in sich selber ein Problem sind, weil sie nicht so eindeutig sind, wie sie sein könnten, und das sie aber zweitens, sich ändern können, das sie ständig im Wechsel sind und das darum vorgesehen werden muss, nicht nur dass wir bestimmte Möglichkeiten haben, Fahrspuren zu finden und Fahrspuren zu folgen, sondern dass auch vorgesehen werden muss, dass diese Fahrspuren sich ihrerseits wieder ändern können. Dass der entscheidende Punkt nicht der ist, dass es entweder das Gewimmel oder die Fahrspuren gibt, sondern der wichtige Punkt ist, dass es angebotene Fahrspuren gibt, die selbst wiederum gewechselt werden können, die andere Muster werden können und andere Muster sein können, ohne dass damit das Chaos ausbricht. Das ist der entscheidende Punkt. Also die Kompetenz im Wechsel der Muster zu haben. Eine Kompetenz darin zu haben, einerseits Muster zu erkennen, und dann an der entscheidenden Stelle auch zu erkennen dass die Muster gewechselt werden können. Wiederum anders gesprochen, dass diese Datenbanken verändert gehören, dass das nicht eine Datenbank ist, in der alles fix geschrieben ist, das ist der Punkt der aus diesem Beispiel relativ klar ist und aus dem wittgensteinschen Beispiel auch recht klar herauskommt. Weil ich das jetzt schon so gesagt habe, möchte ich jetzt sozusagen quasi abschließend den einen Satz dazu sagen, das ist meine Vorstellung von Bildung.


Herbert Hrachovec: „Meine Vorstellung von Bildung!“

Also Meine Vorstellung von Bildung, wenn sie mich fragen besteht darin, diese Kompetenz zu haben. Und das ist nicht eine Kompetenz, ein für alle Mal eine Form zu gewinnen, oder aber diese Form zu verwerfen, sondern zu erkennen und damit umgehen zu können dass wir Formen brauchen und dass sehr wohl Formen sind, und dass wir nie in die eine Form hineinkommen. Dass wir sozusagen immer in der Vielfältigkeit der Formen gefangen sind und agieren. Dass aber über die Vielfältigkeit der Formen hinaus auch noch zu sagen ist, dass es nicht darum geht, das Formen-Switchen zu lernen, die jeweilig günstige nächste Form zu finden, den Umstieg nicht zu verpassen. Sondern dass es eine Kompetenz und Kapazität gibt, ein Gedenk und wahrnehmend die jeweiligen Erfordernisse des wimmelnden Lebens, die Funktionalität der Form und den notwendigen Wechsel der Form im Griff zu haben. Das führt sozusagen in einen Bereich der Kompetenz des Umgehens mit Formen, der für mich an dieser Stelle der interessantere Bildungsbegriff ist, oder der Bildungsbegriff ist, dem ich nachgehen möchte. Ich habe Ihnen dazu noch – wenn man schon mal bei den Bildern ist dann findet man ja nicht wenige, so zur Illustration im Einzelfall und zur Phantasieaufbesserung – vier weitere Beispiele hingeschrieben. Also da haben sie die Bänder. Noramalerweise, wenn man das sieht, nimmt man das als eine Schleuderspur, aber es kann Situationen geben, wo sie umsteigen müssen. Wo sie zwischen der einen Form und der andern Form switchen müssen, traditionell heißt das Urteilskraft – nur eine kleine Nebenbemerkung. Bildung besteht – wenn ich mich jetzt schon an diesen Bildern anhalte – nicht darin endlich mal die Kapazität zu entwickeln, hier den geraden Linien entlang zu gehen. Und Bildung besteht auch nicht darin, die ausschweifende Bewegung hier faszinierend zu finden, nur deswegen, weil sie nicht gerade ist. Sondern Bildung besteht darin, zwischen diesen beiden Deutungsmustern auf die richtige Art und Weise zu entscheiden. Hier noch mal ein anders Bild, das sozusagen auch noch einmal zu tun hat mit Verwirrung von Signalen in getränkten Zeichenumgebungen, muss ich jetzt nicht weiter illustrieren.


Frage ans Auditorium: „Fällt ihnen vielleicht zu den Bildern was ein?“

Antwort – Sprache der Mathematik und Logik

Wittgenstein ist meines Erachtens schuld daran, dass der ganze Wiener Kreis sagt, die Sprache steht im Vordergrund und nicht die Formel, obwohl Wittgenstein ja genau sagt, dass das Formelhafte, was ja letztlich auch der elektronischen Sprache zugrunde liegt, die Basis ist für unser wissenschaftliches Erkennen. Ich sehe gerade die Ausdrucksweise und das heranziehen von Wittgenstein, speziell eben der Logiker des Wiener Kreises, nur als Hilfsmittel dazu, um zu verdecken, dass wir eigentlich Wissenschaft in der Philosophie, und damit auch lernen können – Bildung –, haben wenn wir die Sprachen der Mathematik und Sprachen der Logik verwenden können.


Erwiderung – Wittgensteins Hasen-Ente

Das finde ich trifft nur teilweise auf Wittgenstein zu, ich sage Ihnen ein Beispiel, das dem entgegen steht was sie sagen. Die berühmte wittgensteinsche Hasen-Ente [12]. Es gibt aus der Tractatus-Tradition her, tatsächlich diese Vorstellung von Kalkül und Sprache und Berechenbarkeit und alles das, der sie entgegenhalten können – das sehe ich als Punkt durchaus ein – dass Kommunikation auch noch an ganz anderen Stellen stattfindet. Ich habe Kommunikation nicht mit dieser Art von Logik, Wissenschaftlichkeit verbunden. Das ist im Tractatus in einer Weise angelegt. Was ich hier gemacht habe, das sind ja Kommunikationszusammenhänge, da redet ja niemand mit mir. Da geht es sozusagen um gelebte Zeichen, Gesten und so ähnlich. Aber das ist nicht so fern von Wittgenstein, wie sie vielleicht annehmen, wie das Beispiel der Hasen-Ente. Dieses Beispiel Hasen-Ente ist ein Wittgenstein Beispiel, wo man sehen kann, dass der Wittgenstein die Sache genau so ähnlich sieht. Die Sache mit den Mustern, es laufen an einem Band verschiedene Muster vorbei und manchmal erkenne ich sie, und manchmal erkenne ich sie nicht, ist auch nicht ein sprachgesteuertes Ding. Ich sage vielleicht noch etwas zur Hasen-Ente, um das Ihnen sozusagen noch vor Augen zu führen. Die wittgensteinsche Hasen-Ente ist im Prinzip so wie dieses Bild der Weggabelung. Stellen sie sich vor, dieser Pfeil ist nicht drinnen, und stellen sich vor sie stehen hier, und dann sagt jemand zum Müllerhof fahren sie einfach gerade aus weiter. Das sagt Ihnen jemand an dieser Stelle, und dann sind Sie konfrontiert damit. Für den, der Ihnen sagt, zum Müllerhof geht es gerade aus weiter, war das gar kein Problem, für den war das klar. Sie aber stehen jetzt vor der Situation, das Ihnen jemand gesagt hat, da gibt es einen geraden Weg weiter, und so wie Sie das sehen gibt es aber zwei gerade Wege weiter. Und so ähnlich ist die Situation mit der wittgensteinschen Hasen-Ente, dass Sie sie jemanden zeigen und fragen: „Was ist das?“, und er sagt: „Das ist ein Hase.“ Und dass es ein Hase ist, ist so ähnlich wie, es ist eh ganz klar dass es nach links geht. Dann sagt plötzlich jemand: „Das ist kein Hase, das ist eine Ente.“ Und die Ente ist einerseits die Abzweigung, der andere Weg. Und das systematisch interessante ist aber natürlich, dass die Sprache, die Geste, geradeaus weiter fahren - in dem Fall, da brauche ich auch gar nicht die Sprache dazu, sondern nur die Geste, geradeaus weiter fahren –, ist eine Form „das ist ein Hase“, oder „Fahre gerade aus weiter“. Das ist eine Form. Diese eine Form erfasst nicht das Gewimmel der Sinneseindrücke. Die Sinneseindrücke können vielfältig sein, sodass sie von der Form nicht erfasst werden. Und um mich hier noch mal zu wiederholen, der wittgensteinsche Punkt, den ich hierbei auch stark machen wollte ist: wir können es uns nicht ersparen, dieses Gewimmel zu definieren, aber wir können uns auch nicht ersparen zu wissen, dass diese Definitionen, ob die jetzt sprachlich sind oder gestikulatorisch, dass diese Definitionen selber noch einen zusätzlichen Prozess unterliegen.


Erwiderung aus dem Auditorium – Syntax vs. Semantik

Ich habe jetzt neu gemeint dazu, Wittgenstein sagt ja, entscheidend ist die Syntax, oder Formeln oder Formen sind ja nichts anderes als ein anderer Ausdruck für Syntax, dass die Sprache per se, und die Syntax per se, das Einzige ist, was mir ein Verstehen, eine Erkenntnis ermöglicht und meines Erachtens ist das nicht richtig, denn ich brauche jedenfalls eine Semantik dazu, um auch diese Bilder, die mit Formen und Formeln hinterlegt sind, zu verstehen.


Antwort – Zustimmung

Mit Sicherheit, das mit der Syntax ist auch eine Tractat Position und nicht eine des späteren Wittgenstein.


Frage aus dem Auditorium – Der Satz vom Widerspruch

Es ist etwas weit hergeholt, aber mich würde interessieren, welche Rolle der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, oder der Satz vom Widerspruch, was der da für eine Rolle einnimmt, auch bei Wittgenstein. Weil die Sache mit der Hasen-Ente ja nichts anderes ist als dass zwei einander widersprechende Formen, oder Bilder sozusagen gleichzeitig enthalten sind.


Antwort – Immer wieder dasselbe Gespenst

Also auf diese Frage habe ich eine, wie soll ich sagen, Paradeantwort, die mich immer sehr fasziniert hat. Das gibt es aus den „Bemerkungen über die Grundlage der Mathematik“ von Wittgenstein. Da sagt er das Folgende, und es ist ziemlich wörtlich:

Der Satz Widerspruch. Immer wieder dasselbe Gespenst, das ist doch sehr verdächtig.

Das ist auch noch ein bisschen eine Antwort auf Ihre Frage, wie geht es sozusagen nachher weiter, oder das von Ihnen aufgeworfenen Thema, wie geht es nachher weiter. Für den Tractat ist der Satz vom Widerspruch zentral. Ich bin auch deswegen dankbar für die Frage, weil es mir Gelegenheit gibt noch mal darauf hinzuweisen, dass ich die Tractat Perspektive ja auf den Satz vom Widerspruch, ja eigentlich aufgebaut habe, mit dem Ja-Nein. Mit dem Malteserkreuz. [13] Für den Tractat ist es entscheidend dass die Welt erschlossen wird in kleinen Units, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es das Eine oder das Andere ist. Das basiert auf dem Satz vom Widerspruch. Und die Geschichte mit der Hasen-Ente und auch die Geschichte „es gibt einen Hintergrund und vor dem Hintergrund zeichnen sich Muster ab, und diese Muster wechseln selber noch mal“ sind schöne Illustrationen dafür, wie er davon weggeht und wie er sagt, diese zentrale Position kann der Widerspruch nicht mehr haben, wie gesagt „das ist doch sehr verdächtig“. Dieses spezielle Zitat richtet sich gegen Russel und die russelsche Antinomie. Es gibt ein Buch von Vorlesungen von Klaus Heinrich [14], einem Berliner Religionsphilosophen, das sozusagen programmatisch, wie der Wittgenstein hier ist auch lautet und das heißt tertium datur. Eine der lateinischen Formulierungen des Satzes vom Widerspruch ist tertium non datur, und der Klaus Heinrich sagt sozusagen programmatisch dagegen tertium datur, wir lassen uns nicht in diese Opposition mit rein.


Der Unterschied von Syntax und Semantik

Die Gelegenheit wahrnehmend kann ich jetzt auch noch mal sagen – das habe ich leider im einzelnen Ihnen nicht gezeigt – eine interessante Frage ist, wie bringt man Unschärfe in Datenbanken hinein, wie wenn ich diese Tabellen habe, die eigentlich nur die Möglichkeit vorsehen, dass da ein Wert drinnen ist oder nicht drinnen ist. Wie kriege ich zum Beispiel den Unterschied zwischen der Negation eines Wertes und dem Fehlen eines Wertes in die Datenbank. Der Unterschied dazwischen, dass ein bestimmter Wert nicht drinnen ist und dass es einen bestimmten Wert gar nicht gibt, der nicht zu erheben ist. Also dass mir jemand widerspricht, oder dass ich mit dem gar nicht geredet habe. Das ist ein eigenes interessantes Thema wie, welche Varianten, welche Spielformen von Negation gibt es und wie lassen sich Spielformen von Negation in der Zweiwertigkeit rein nehmen, das ist allerdings ein Punkt, der beginnt, wenn man den ausführlich diskutieren würde, durchaus innerhalb der formalen Logik selber. Es ist nicht so, dass die formale Logik auf der Zweiwertigkeit einfach aufbaut, sondern im Laufe der logik-theoretischen Debatte hat sich – Stichwort Intuitionismus [15]– das heraus gebildet. Zum Beispiel, relativ rasch gezeigt, wie dass man mit einer logischen Syntax – das ist noch mal jetzt Ihr Punkt –, die Operationsoperator ist, ist. Der Operationsoperator Negation wird gerne gesehen als Nein im Sinne von Gegenteil. Das legt aber nicht die Semantik des Operators fest, denn diesen Operator Nein kann man auch ein wenig anders interpretieren. Wenn ich den klassischen Negationsoperator nehme, dann heißt der: ein Satz ist wahr, und dann ist das Gegenteil falsch und dann ist das Gegenteil vom Gegenteil wieder wahr. Ich kann aber auch eine andere Semantik an diesen Operator anhängen, etwa die intuitionistische Semantik und die sagt, es ist nicht so dass die Negation der Negation wieder zur Position führt sondern die Negation der Negation führt zu was Anderem. Die Negation der Negation kann nicht dazu herangezogen werden, dass man die Position behauptet. Da müsste ich im Einzelnen jetzt darauf eingehen. Es gibt aber ein leicht zugängliches, intuitives Beispiel, dass man doppelte Affirmation zum Beispiel nicht nehmen kann als doppelt sicher. Stellen sie sich so ein Sprachereignis vor, wie jemand macht einen Vortrag, jemand äußert eine Behauptung innerhalb eines Vortrags und dann sagt jemand aus dem Auditorium: „Ja ja.“ Das ist eine doppelte Affirmation, die an der Stelle als Negation gilt. Also das ist noch ein Hinweis darauf, dass die Syntax und die Semantik sich unterscheiden können und dass in der Analyse von so etwas wie der Hasen-Ente nun plötzlich Schichten auftreten, die in ihrer Beziehung zueinander durch Negation gekennzeichnet sind. Ein Hase ist nicht eine Ente. Das ist notwendig. Und trotzdem stelle ich fest, dass in der Beschreibung dessen, was da vor meinen Augen ist, diese beiden Negationen, die sich angeblich ausschließen, doch nicht ausschließen. Und wittgensteins Versuch damit umzugehen führt eben in diesen Bereich der Überlagerung von unterschiedlichen Mustern.


Das Maximum an Erkenntnis

Was ich selber noch dazu anfügen möchte ist – das ist jetzt sozusagen mein besonders Anliegen diesbezüglich –, wenn ich so eine Strichfolge habe, dann ist das Maximum an Erkenntnis, dass ich aus dieser Strichfolge – die die Hasen-Ente ist – gewinnen kann, nicht dass ich sage „Das ist ein Hase“ oder „Das ist eine Ente“, sondern das Maximum ist, ich muss riskieren, es als eines von dem zu behaupten, um die Möglichkeit zu haben drauf zu kommen dass es noch etwas anders sein kann. Ich muss sozusagen das Risiko der Formfestlegung übernehmen, um die Form dann auch relativieren und brechen zu können. Das ist der Punkt den ich vorher auch schon genannt habe.


Frage aus dem Auditorium:

Inwiefern ist Wissenschaft, zumindest auf der Universität, Basis der universitären Bildung?


Antwort – „Über das hinaus was ich versucht habe zu tun kann ich schlecht noch etwas sagen“

Das übersetzt in ein bisschen anderes, aber nicht ein sehr anderes Verständnis heißt natürlich: brauchen wir die Philosophie auf der Universität? Ihr Kontrast ist Wissenschaft und universitäre Bildung und es ist sehr wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Mischbetrieb, der wir hier sind – die Universität ist ein gigantischer Mischbetrieb –, dieser Mischbetrieb besteht aus einer ganzen Reihe von handfesten wissenschaftlichen Disziplinen, die operieren mit Maschinen, mit Recherche, mit Statistik, wie immer, und dann findet sich in diesem Mischbetrieb auch noch gehörige andere Segmente, wie zum Beispiel die Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft. Die nun gerne und laut und immer wieder sagt, die ganze Universität hängt eigentlich an uns, weil wir sind keine technische Universität, wir sind keine Fachhochschule, wir sind kein Research-Institute der Firma XY, sondern wir sind eine akademische Institution und die universitäre Bildung, von der sie jetzt reden, das nehme ich gerne auf und unterstreiche es noch zweimal, die universitäre Bildung hat von der Geschichte unserer Zivilisation her diese ganzen Hintergründe, die ich angesprochen habe. Und das, was ich Ihnen unter andern nahe bringen wollte ist, Ihnen einerseits ein bisschen Kenntnis von diesen geschichtlichen und systematischen Zusammenhängen darzustellen und andererseits aber auch, sagen wir mal sowohl Skepsis als auch Neugierde im Hinblick auf die Frage einzuimpfen, dass es jetzt eben eine Disziplin gibt wie die Philosophie, die sagt: „da geht es um was, universitäre Bildung zahlt sich aus und hat einen eigenen Wert“. Über das hinaus was ich versucht habe zu tun kann ich schlecht noch etwas sagen, da bin ich sozusagen auch in der Logik vom Tractatus gefangen, damit ist vielleicht auch günstig zu enden. In der Logik des Tractatus ist es so, man kann bestimmte Sachen sagen und darüber hinaus kann sich das nur zeigen, ob es gelungen ist. Und darum kann ich nichts über universitäre Bildung, über das hinaus sagen, was ich versucht habe hier Ihnen darzulegen.

Danke sehr!

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