Benutzer:Ltheop/WS10-Cypl-06-12 11 10

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Cyberplatonismus. VO vom 12.11.2010

Organisatorisches

Transkripte

Es hat eine Kollegin gegeben, die gestern einen Beitrag geschrieben hat, den sie hier sehen: "Wäre es möglich eine Deadline zu geben für Teilnehmerinnen, die Transkripte verfassen?" Es ist tatsächlich so, dass die Transkripterstellung etwas stockt. Das ist ein Problem, das bisher nicht aufgetreten ist in früheren Lehrveranstaltungen. Das war früher eher so dass das relativ flott gegangen ist. Nun bin ich an der Stelle ein wenig zögerlich, weil ich mich da nicht so sehr einmischen möchte und das eher als eine zusätzliche freiwillige Tätigkeit betrachte und darum nicht wirklich in der Lage bin, Deadlines zu determinieren. Ich will sie aber darauf aufmerksam machen, dass die KollegInnen, die mit diesen Transkripten umgehen wollen/sollen, auch ein durchaus verständliches Interesse haben, diese früher zu haben. Es ist natürlich auch so, dass dadurch die Gelegenheit steigt, dass diese Transkriptionen wirklich verwendet werden, dass man daruf zurückkommen kann, dass man sie schon zur Verfügung hat während der Vorlesung. Ich bitte Sie, das allenfalls zu überlegen, dass das Transkripieren nicht erst am Ende des Semesters geschieht sondern dass sie es schon vorher zur Verfügung stellen.

Vorlesungsplanungen

Den 2. Punkt, den ich erwähnen möchte, der betrifft die nächsten Vorlesungsplanungen. Also da sie merken, dass ich relativ Zeit für diese Bildweltenüberlegungen reserviert habe - das geht aber jetzt langsam zu Ende - die heutige und die nächste Vorlesung werden sich noch damit beschäftigen; dann, das sage ich jetzt mal gleich: in 14 Tagen fällt die Vorlesung aus, da habe ich ein Symposion in Brünn, und nachher werde ich das nächste Hauptthema angehen, nämlich die Programiersprachenproblematik, nur damit sie das wissen.

Ich werde auch, das ist mir in der Vorbereitung klar geworden, diesen letzten Teil, die Textarbeit, so gestalten, dass ich jetzt nicht zusätzliche neue platonische Texte mit in die Diskussion werfe sondern ich werde quasi zwei Betrachtungsweisen an einen Platontext ansetzen, die eine Betrachtungsweise ist die, die ich hier schon begonnen habe, ich habe Ihnen hier insbesondere aus dem Phaidon zwei Textpassagen zur Verfügung gestellt, die ich im ersten Durchgang im Hinblick auf ihre Suggestivität und auf ihre Wirksamkeit, auf das, was das ausgelöst hat in der abendländlischen Denkgeschichte, darstellen werde, und dann werden wir uns am Ende des Semesters mit diesen Texten noch einmal genauer beschäftigen, auch mit dem Blick darauf, wie das im Griechischen funktioniert, ein Blick darauf, wie das in der Sekundärliteratur rezipiert wird, sodass wir an dieser Stelle sozusagen hineinzoomen in das Problem.

Ich habe mich an dieser Stelle ein bisschen herumgedrückt bisher oder am Rand gehalten der Themenstellung "Wie sehr hat Platon mit Christentum zu tun" - das ist zwar einerseits eine relativ naheliegende und wichtige Fragestellung, auf der anderen Seite ist sie so weitreichend und tief, dass ich ein bisschen Angst habe und hatte, mich da genauer damit zu beschäftigen. Dieses Herumdrücken ist aber quasi bemerkt und auch moniert worden, dass das vielleicht noch verbesserungsbedürftig ist, und ich werde heute insbesondere beginnen, damit der Möglichkeit oder Gefahr ins Auge zu schauen, helfen kann mir dabei der zweifache Beitrag von Teilnehmern dieser Wiki-Diskussion, an die ich anknüpfen werde, das eine ist was Andreas Kirchner in der Diskussion zur Höhle geschrieben hat, das andere sind diese Beiträge zur Cybergnosis von Sokratetz, zu denen beiden ich etwas sagen möchte, und diese Kommentare schließen ein eine zusätzliche Perspektive, die ich Ihnen zeigen möchte auf das Christliche insbesondere im Anschluss an Phaidon. Also das wird das Schwergewicht der heutigen Präsentation sein, vielleicht komme ich noch dann zum Beginn der Matrixbesprechung. Was über Matrix zu sagen ist, sowohl für den Film als auch dann für die philosophische Diskussion im Anschluss an den Film, wird dann größtenteils vermutlich das nächste Mal passieren.

Ich bin sehr dankbar übrigens für diesen Hinweis auf das sogenannte Chaos, das in Japan entsteht. Das ist ein schönes Beispiel, wie sich Gedanken und Illustrationen ergänzen können. Wenn man das sieht, könnte man sagen ich hätte mir sparen können, das alles zu beschreiben, in gewissem Sinn ist in diesem kleinen Video alles das enthalten, was ich in dem Zusammenhang damit sagen wollte, aber warum sollte man es nicht per Sprache und per Video gleichzeitig machen.

Bild, Bildermacht und Urbild

Ich gehe also jetzt hier auf die Diskussion zur Höhle, und möchte da etwas darüber sagen, was Andreas Kirchner bemerkt hat. Erstens hat er sich bezogen auf den Hartmut-Böhme-Artikel, den ich auf der ersten Seite des Cyberspace verlinkt habe. (Ich muss gestehen, in Wirklichkeit sollte da noch mehr Literatur stehen, da muss mich ich mal selber bei der Nase nehmen und ihnen noch zusätzliche Literaturangaben allgemeiner Art zur Verfügung stellen. Ich baue zwar immer wieder Literatur ein, aber dieses repräsentative Literaturdarstellen fehlt noch ein bisschen.) Er zitiert an der Stelle ein besonderes Feature, das Hartmut Böhme in Erwägung zieht, das etwas mit unseren Überlegungen hier ganz entscheidend zu tun hat, nämlich den Kontrast - und sogar den Gegensatz - zwischen der Bildermacht und der Emanzipation der Person von der Bindung an die Bildermacht. Die Emanzipation der Person von der Bindung an die Bildermacht ist verbunden mit der Suche nach der Wahrheit, "Festschreibung der Wahrheit auf das Sein" (Böhme-Zitat). Und Andreas Kirchner gibt den Hinweis auf den Podcast und auf die Bilder von Schmerz, die es bei Google nicht mehr gibt. Das passt in das, was ich Ihnen im Laufe dieser Vorlesung schon dargestellt habe, ziemlich gut hinein. Ich gebe Ihnen sozusagen die zwei offensichtlichsten Bezugspunkte. Die Bildermacht, die hier angesprochen ist, ist natürlich die Bildermacht der Videoprojektion in der Höhle. Das ist die Verfallenheit/Befangenheit der in einer kontrollierten sinnlichen Umgebung eingepassten Leute, die danach funktionieren, die danach reagieren, was sie sehen, was es den Anschein hat. Und das gegenwärtige Pendant, eines der gegenwärtigen Pendants dazu - da werde ich jetzt ein bisschen oberflächlich und polemisch, aber das kann ich sozusagen riskieren - ist Werbung in jeder Kategorie. Die Bildermacht der Werbung - sie werden kaum eine Werbung sehen, außer die Werbung ist superrafiniert und reagiert schon wieder auf die Bildermacht, um sie als Kritik an der Bildermacht doch noch mithineinzunehmen, das sind sozusage die text-only Plakate, die natürlich auch sehr interessant sind in dem Zusammenhang, aber die Ausnahme. Aber die Bildermacht der Werbung ist klar: das ist schön, das ist gut, das ist hell, das sollen sie kaufen. Und die Imagefilme der Universitäten und anderen Communities usw. habe ich Ihnen ja deutlich gemacht operieren ebenso in diesem Bereich der Bildermacht. Wozu brauchen wir einen Imagefilm, wenn wir uns nicht darauf einlassen darauf, dass die Institutionen "moving images" brauchen, die für diese Institutionen einstehen. Ich habe Ihnen ja auch schon gesagt, dass diese Form von "image" im Sinne der Werbung durchaus auch etwas zu tun hat mit der Idee von Plato, und das ist jetzt ein schöner Punkt, eine bestimmte Rafinesse in der platonischen Diskussion herauszubringen. Denn Sie könnten mir entgegenhalten, dass gerade die Rede von der Idee und die Rede von dem Vorbild und von dem Urbild, von dem, was nicht einfach irgendwo vorkommt, sondern was ein hervorgehobener, wie man sagt 'typischer' Anblick ist, und dass dieser Typus eine regulierende Funktion hat, dass das ja gerade ein Bild ist. Warum heißt Urbild 'Urbild'? Weil man es sich als ein Bild vorstellt, weil es eine typische Ansicht ist, und tatsächlich ist das ein ganz ein entscheidender Punkt in der ganzen Fragestellung. Wenn Sie sich die Frage stellen: "Wie schaut die Universität Wien in einem Imagefilm aus?", dann kriegen Sie als erstes nicht die Intuition oder sonst was, dass sie zum Beispiel diesen Hörsaal filmen. Oder noch nicht einmal den Gang des Instituts für Philosophie. Sondern, auf was kommen sie klarerweise? Jeder kommt dazu - in unserem Projektseminar war das ganz genauso -: die Fassade der Universität Wien an der Ringstraße. Das ist typisch. Das ist etwas - und die Besonderheit, die Besonderheit davon, das möchte ich Ihnen sozusagen ganz kräftig nahe bringen - die Besonderheit dieses "moves" besteht darin, dass diese Fassade der Universität an der Ringstraße - oder die Feststiege - oder was sonst für ein schöner Anblick da gewählt wird -, das ist ein Anblick wie jeder andere Anblick auch. Das heißt, wenn sie mit der Kamera in dem Geltungsbereich der Universität Wien herumlaufen, dann werden Sie viele, viele Anblicke finden, und einer der Anblicke ist das. Und die Besonderheit ist jetzt die, dass sie unter den vielen, vielen Anblicken den einen Anblick nehmen und sagen: Ok, Universität Wien: das. Das funktioniert nicht einfach über das Bild, sondern das funktioniert über die Vorbildfunktion des Bildes. Das funktioniert dadurch, dass wir Bilder unterschiedlich verwenden können. Wir können Bilder in der Polizeifahndung verwenden oder in Familienalben oder sonst wo, und wir können Bilder - das ist an der Stelle wichtig - anders verwenden: zB, Sie gehen zum Friseur und Sie sehen vier Frisuren und die Friseuse fragt Sie: "Na wie soll ich Sie denn schneiden, so oder so oder so?" Das heisst, wir verwenden das Bild als Typus, als Angebot, als ein Muster. Das ist also zutiefst in unserem Bildgebrauch mitdrinnen. Und was ich jetzt gerade gesagt habe in Bezug auf platonische Bilder und Urbilder, ist eigentlich zunächst ein Hinweis darauf, dass Platon dem Bilderbegriff nicht abgeneigt ist und dass er auf der einen Seite aus dem in der Bewegung - wir haben das besprochen - von der Kamera - da kann man doch jetzt den einen Schritt noch zurückgehen, weil wir das hier so schön haben - in der Bewegung von diesem Bild hier zu dem hier - hier kann man Bildbeziehung schaffen und Realität, und hier haben wir ebenfalls eine Bildbeziehung, nämlich das Spiegelbild und den wirklichen Baum - in dieser Beziehung ja einen geradezu faszinierenden Gebrauch macht von dem Verhältnis zwischen dem Bild und der Wirklichkeit. Und wenn Sie es hier sehen, dann haben sie sozusagen in der Deutung dieses Bildes die Schatten der natürlichen Dinge und die natürlichen Dinge und der Hintergrund. Wenn Sie jetzt den selben Schritt, den Sie hier gemacht haben, nämlich vom Schatten des Kruges zu dem Krug, wenn Sie jetzt diese Bewegung verfolgen, die natürlichen Dinge als einen Schatten zu nehmen, also die Konstruktion, die Sie in der Höhle gehabt haben, noch einmal zu repetieren und zu sagen: Ok, und was passiert jetzt, wenn ich die Dinge, die ich jetzt sehe (und gehen wir einmal aus davon dass ich befreit bin von den kurzsichtigen Schattenbildern) - was ist dann das Urbild dieser Dinge? - Das sind die Ideen. Also die Vorbilder der Dinge, die wir hier haben, die maßgebenden Dinge. Da wird es sozusagen ein bißchen schwieriger, was das bei Platon im Einzelnen sein soll, weil er macht es weniger mit einzelnen Dingen, sondern er macht es mehr mit ethischen Eigenschaften, also mit Gerechtigkeit - wenn man sich es bei Platon ansieht, dann sieht es eher so aus, dass man sagt: es gibt den Gebrauch von Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Tapferkeit im Rahmen unserer Welt. Und wenn wir uns fragen: Was steckt da dahinter? Warum haben wir das Recht, darüber zu reden, dass etwas gerecht, schön oder tapfer ist? Weil es einen Typus von Gerechtigkeit, Tapferkeit und Schönheit gibt, und dieser Typus liegt im Urbildbereich, im Musterbereich. Das Muster für alle Tapferkeit ist die Idee der Tapferkeit, und danach richten sich die einzelnen tapferen Handlungen. So viel um sozusagen die Verhaftetheit von Platon mit dem Bildgedanken zu besprechen und noch zu bemerken.

Bild, Bildermacht und Wahrheit

Und nun kommt aber ein letzter Schritt, und in diesem letzten Schritt zeigt sich, dass es bei Platon noch weitergeht, und dass wir in den Bereich kommen, den Hartmut Böhme anspricht mit der Wahrheit gegen die Bildermacht. Das habe ich bisher noch nicht erzählt, das hängt zusammen mit meinem etwas vorsichtigen Umgehen mit dem Christentum. Es ist für alle leicht an diesem Bild wahrzunehmen, was das große Loch ist, von dem bisher nicht die Rede war, das große Loch ist die Sonne, die jetzt eine sehr eigenartige Rolle hat. Auf eine Art und Weise - ich bleibe jetzt mal beim Bild - könnte man sagen: Die Sonne ist analog zu sehen zu dem, was sich über die Fassade der Universität gesagt habe: sie ist ein Ding in der Welt, und dann gleichzeitig ist es ein Ding in einer bestimmten Funktion. Also die Sonne ist im Prinzip etwas, was man auch physisch beschreiben kann, es ist einfach ein "physical object", und gleichzeitig kann ich, wie sie es hier sehen, dieses "physical object" an die Spitze von allem Stellen, deswegen, weil es über unseren Köpfen ist, und weil es ein "physical object" gibt, dass in diesem speziellen Fall uns das Licht gibt. Also hier spielt die Sonne eine ähnliche Rolle wie die Bäume, Berge und sonst was. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Die Sonne ist gleichzeitig - und da springt das Bild - die Ermöglichung davon, dass es uns überhaupt gibt. Dass es ein Licht gibt, dass wir etwas sehen, dass es uns überhaupt gibt. Das ist in der Beschreibung der Sonne als ein "physical object" nach den physikalischen Gesetzen, gemäß denen wir in der Lage sind, die Sonne zu beschreiben, oder nach den Gesetzen der Bewegung oder Nicht-Bewegung und der chemischen Prozesse, die da vorgehen, in all diesen Beschreibungen ist nicht zu finden, dass die Sonne die Bedingung der menschlichen Existenz überhaupt ist. Das ist eine Idee, die kommt von anderswo her. Aber sie können, ohne dass ich mich jetzt auf das genauer einlassen möchte, glaube ich, nachvollziehen, dass in der Fusion der Frage "Warum gibt es uns Menschen überhaupt?", "Wie gibt es das, dass es uns gibt?", "Warum gibt es das, dass es uns gibt? (das ist eine Frage, die haben wir hin und wieder) mit der Funktion der Sonne, die wir auf der Welt wahrnehmen, nämlich als die Bedingung der Möglichkeit der menschlichen Existenz überhaupt, sich ein Sprung ergibt über das sichtbare Körperliche, der von hoher Überzeugungskraft ist. In der Sonnendiskussion kommt es bei Platon auch genau vor: auf der einen Seite ist die Sonne das, was uns Licht gibt, so dass wir Dinge sehen, und wenn wir uns entsprechen vorkehren, sehen wir vielleicht sogar die Sonne, im Bergsee, oder wenn sie gerade untergeht oder so, wenn wir in einer gewissen Weise geschützt sind. Aber die Sonne ist gleichzeitig von der Art und Weise, dass du sie nicht sehen kannst, dass du quasi verbrannt wirst, dass du dein Augenlicht verlierst, wenn du die Sonne direkt anschaust. Und das ist ein Hinweis darauf, dass die Dimension, in der hier gespielt und argumentiert wird, eine Dimension ist, die eine Vernichtungskapazität hat, die etwas vernichtet von der Körperlichkeit von den Personen, die die Sonne brauchen, damit sie existieren. Das heißt im Leben des Menschen tritt etwas auf, dass zwar als Ding auftritt, das nicht nur als Ding auftritt, sondern das auch verwendet werden kann als ein Prinzip, eine Idee, das Prinzip des Lichtes.

Aber während das Prinzip der Gerechtigkeit (wenn ich die Idee der Gerechtigkeit mal so nennen darf) und solche Dinge sozusagen angesetzt werden können aus bestimmten Zwecken, gibt es noch ein anderes Prinzip, und das ist ein Prinzip noch über diesen Prinzipien hinweg, und das ist bei Platon das Prinzip, die Idee des Guten. Da gehe ich jetzt auch nicht weiter darauf ein, warum das die Idee des Guten ist. Kurz gesagt darum, weil menschliches Leben zu tun hat mit menschlichen Wünschen, Bedürfnissen, Entwicklungsperspektiven, und diese Entwicklungsperspektiven darauf gehen, dass man etwas Gutes - und das Gute - anstrebt. Und diese Idee des Guten, dieses Prinzip des Guten, das sich an der Stelle manifestiert, das ist eben die Sonne, und, und jetzt kommt der Punkt: das ist kein Bild mehr. Die Sonne ist kein Bild, sondern die Sonne ist das, was alles bestimmt und was, wenn du es wirklich anschauen willst, wenn du es genau sehen willst, es anders ist als bei der Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist noch ein Typus, die Sonne aber ist kein Bild, die Sonne ist jenseits der Bildhaftigkeit als ein Prinzip, weil Sonne ein Prinzip ist, das alle Bilder überhaupt zu Bildern macht.

Warum habe ich Ihnen das gesagt? Da möchte ich ein bißchen weiter zurück und nach vorne gehen, um diese Überlegungen zur Wahrheit und zum Bildcharakter noch ein bißchen auszufalten, weil nämlich aus meiner gegenwärtigen Perspektive und in der Versuchssituation des Imagefilms des Instituts für Philosophie noch immer das selbe Problem auftritt, nämlich das Problem zwischen Wahrheit und Bildhaftigkeit. Wir als Philosophen, trainiert in der platonischen Argumentation, sind skeptisch gegenüber Bildern. Und was ich Ihnen über die Fassade der Universität gesagt habe, geht ja in diese Richtung. Wir wollen quasi etwas finden, was eine Mitteilung enthält von dem, was vertretbar über das Institut für Philosophie gesagt werden kann, worum es geht beim Institut für Philosophie, ohne dass man sich dranhängt an irgendein Logo oder einen Werbetrick. Aber gleichzeitig ist es nicht möglich, wenn man einen Imagefilm macht, das zu tun ohne Bilder. Nochmal den Appell, vielleicht gibt es die eine oder den anderen, der gerne etwas dazu beitragen möchte, indem er etwas sagt über das Studieren am Institut für Philosophie. Ohne sowas wird das nicht gut werden können. Also wir sind da immer noch in der selben Spannung drinnen, und der Hinweis, den ich ihnen geben möchte, um das, was hier jetzt das Thema ist, einzubetten auch in die Diskussion, die Sie im Wiki hier verfolgen können und weiterentwickeln können: es ist beim Hartmut Böhme die Rede ein Gedanke des Parmenides:

Die Festschreibung der Wahrheit auf das Sein im Gegensatz zum ewigen Werden.

Wie es sich schon ergibt, habe ich über diese parmenideische Perspektive des platonischen Wahrheitsbegriffes ein bißchen was gesagt im vergangenen Semester, ich will ihnen da nur kurz etwas in Erinnerung rufen, einerseits haben Sie hier den Link [???] auf den Parmenides-Abschnitt aus dem vergangenen Semester, in der Kurzfassung will ich es vielleicht dadurch machen: Schauen Sie sich dieses Bild [???] an: Dieses Bild, wenn Sie es als Bild anschauen, hat bestimmte Besonderheiten. Und die Besonderheit des Bildes, um die es hier insbesondere geht ist die, dass man geneigt ist zu sagen: "also entweder ich sehe ein schwarzes Kreuz oder ich sehe ein weißes Kreuz, eines von den beiden." - das ist die Idee, die damit vermittelt wird. Und jetzt kann man sich überlegen: Was ist die Logik davon, dass das hier da ist? Also angenommen, es gibt ein weißes Kreuz und das weiße Kreuz soll damit dargestellt werden. Angenommen Sie haben die Aufgabe, ein weißes Kreuz darzustellen und das ist Ihre Darstellung des weißen Kreuzes. Dann dürfen Sie zweierlei sagen: (1) Es ist erlaubt, zu behaupten, dass das ein weißes Kreuz ist, und (2) es ist erlaubt, zu verbieten zu behaupten, dass das ein schwarzes Kreuz ist. Wenn es ein weißes Kreuz sein soll, dann ist es erlaubt, zu sagen "das ist ein weißes Kreuz"; und es ist erlaubt, zu sagen "es ist falsch, dass das kein weißes Kreuz ist". Man darf bestreiten, dass es ein schwarzes Kreuz ist und muss behaupten, dass es ein weißes Kreuz ist. Das ist genau das, was Parmenides erlaubt, in dem Fall, das es um ein weißes Kreuz geht. Was man nicht darf, ist: man darf nicht behaupten, dass das ein schwarzes Kreuz ist.

Ich mache jetzt etwas, was Ihnen eine kleine Schleife zu sein scheint, aus dem folgenden Grund: Weil Sie hier ein Bild haben, das für sein positives Funktionieren nach den parmideischen Bedingungen funktioniert und betrachtet werden kann, und das nur unter "ja" und "nein". Also sie behaupten das eine, sie behaupten "weißes Kreuz". Und das andere, nämlich dass es ein schwarzes Kreuz ist, dürfen Sie nicht behaupten, weil es ein weißes Kreuz ist. Das heißt Sie haben eine ganz nahe Verbindung zwischen Bildgehalt und der Behauptung, dass etwas wahr oder falsch ist. Das ist für den platonischen Zusammenhang extrem wichtig, weil ich Ihnen in früheren Vorlesungen versucht habe zu zeigen, dass der Aufstieg aus der Höhle, die platonische Erleuchtung, etwas damit zu tun hat, dass wir uns auf die Frage nach Wahrheit oder Falschheit konzentrieren. Dass wir nur fragen, ob etwas wahr oder falsch ist, und dass wir uns nicht durch die Bilder sozusagen verführen lassen, uns verschiedener komplizierte Formen usw. anzunehmen. Wichtig ist nur das "wahr" oder "falsch", wichtig ist nicht, was das Bild darstellt. Und das "wahr" oder "falsch", das Ausspielen der Möglichkeiten von "wahr" oder "falsch" ist im Hinblick auf dieses Bild das einzige, was man mit diesem Bild machen kann. Man kann sagen: Diese Form und nicht diese andere Form. Man kann nicht in die Form sozusagen hineingehen. Und das ist deswegen wichtig, weil wenn ich jetzt auf die Macht der Bilder komme, gegen die dieser Wahrheitstrend sozusagen angelegt ist, dann liegt die Macht der Bilder darin, dass Formen beginnen sich einzuprägen. Das es bestimmte Formen gibt, die Ihnen im Gedächtnis bleiben und mit denen Sie Sachen identifizieren, und das ist nicht die Frage der Wahrheit oder der Falschheit, sondern es ist die Frage: "Wovon werden Sie getroffen?" "Was macht einen Eindruck auf Sie?" Nicht umsonst gibt es die Formulierung: "Das macht aber wirklich einen Eindruck". Was macht denn Eindruck? Es macht nicht die Wahrheit oder Falschheit von etwas einen Eindruck, sondern es macht eine Gestalt, eine Form, eine Präsentation, die als eine Intervention in Ihre Sinnlichkeit adressiert ist, das macht einen Eindruck. Und die urphilosophische Kontroverse besteht darin, dass es Sachen gibt, die einen Eindruck machen und Sachen, die wahr oder falsch sind. Und dass PhilosophInnen auftreten und sagen, dass das einen Eindruck macht, heißt noch lange nicht, dass man es behaupten oder vertreten sollte.

Was nicht zusammengesetzt ist, kann nicht zerfallen

Und mit allen diesen Überlegungen komme ich jetzt zu den Sätzen aus dem Phaidon, die ich herausgenommen habe:

Also ungefähr so, sprach Sokrates, müssen wir uns selbst fragen, welcherlei Dingen kommt es wohl zu, dies zu erfahren, das zerstieben. Und für welche muss man also fürchten, dass ihnen dieses begegnet, dass sie einfach zerfallen, welchen aber kommt es nicht zu. Dann müssen wir untersuchen, zu welchen von beiden die Seele gehört und hieraus und demgemäß entweder Mut fassen oder besorgt sein für unsere Seelen.

Was steckt da dahinter? Die Darstellung von dem Malteserkreuz kann eigentlich nicht zerfallen. Die kann nicht zerfallen, weil es geht da nicht um die Form, sondern es geht darum, dass das eine der Fall ist und das andere nicht der Fall. Und das einzige, was darüber gesagt werden kann, ist "ja" oder "nein". Ich gehe nicht hinein in die Form. Ich meine, Sie können jetzt antworten, natürlich kann ich das irgendwie auseinanderlegen, was da als Bildrepräsentation da ist, aber davon ist nicht die Rede in diesem Gebrauch von dem Malteserkreuz. Es geht nur darum, dass Sie mitkriegen, das gibts, und wenn Sie mitgekriegt haben das ist und das können sie behaupten, das Gegenteil dürfen Sie nicht behaupten, dann ist schon alles gesagt darüber, was zu sagen ist, es ist eine Einheit. Das ist etwas anderes als jede gewöhnliche Bilddarstellung, wo Sie sich mit dem Bild beschäftigen und das Bild als aufgebaut sehen, also dieses Ding [???] kann zerfallen, es kann auseinandergenommen werden, dann - sie können sich leicht ein Auto wegdenken oder es gibt Pixelfehler oder sonst etwas - gibt es einen Bereich der Zusammengesetztheit, und was Platon hier anspricht, ist jetzt die folgende Idee: Wenn es für die Philosophie wichtig ist, wie ich vorher gesagt habe, dass es nicht um die Impression geht, was einen Eindruck macht, sondern dass es darum geht, was wahr oder falsch ist, was vertretbar ist, wo wir sagen können: "Das ist so", dann hätten wir damit einen Bereich der Kompaktheit des absoluten Seins, das ist die parmenideische Investition, die da drinnen ist, wo wir nicht hineinkönnen - im Gegensatz zu anderen Dingen, von denen wir wissen, dass wir sie zerlegen können oder dass sie zerfallen können. Also die Macht der Bilder über uns ist die Macht von etwas, was auch misslingen kann, was verloren gehen kann. Und der platonische Aufstieg - warum das so ist, wäre natürlich lange zu überlegen, das ist mir klar, dass ich das jetzt einfach als eine Phrase sage - aber der platonische Aufstieg zur Wahrheit ist ein Aufstieg dorthin, wo ich etwas habe, das nicht mehr zerfallen kann. Die Bedingung dessen, dass es menschliches Leben gibt, kann nicht zerfallen wie menschliches Leben. Das ist die Logik davon. Lassen wir es mal so stehen.

Und das jetzt - wenn ich diese Motive jetzt ein bißchen zusammenfasse, dann ergibt sich das Folgende: Was nicht Zusammengesetzt ist, kann nicht zerfallen. Das ist ein logischer Schluss, da habe ich sozusagen noch keine äußeren Konsequenzen daraus gezogen, ich habe nur gesagt, so wie wir die Sprache verwenden, ist etwas, das nicht zusammengesetzt ist, nicht von der Art und Weise, dass es Teile hat, die auseinanderfallen können, zerfallen kennen wir aus der Körperwelt. Und jetzt, und das ist eine der entscheidenden platonischen Überlegungen, dass er jetzt kommt und sagt - das ist sozusagen jetzt eine zusätzliche Prämisse, die er reinnimmt in diese Debatte - er sagt ok, wir kennen Körper, die zerfallen. Aber wir kennen auch etwas anderes. Wir kennen jetzt nicht nur diesen "body", sondern was ist zum Beispiel mit einer Zahl? Was ist zB mit der Zahl 8, die besondere Qualitäten hat - oder 13? Oder was ist mit der Eigenschaft, ein athenischer Bürger zu sein (Bürgerinnen haben, wie wir wissen, diese Rechte nicht gehabt)? Was ist mit der Eigenschaft, Mutter zu sein? Dass jemand Mutter von jemandem ist, oder Vater von jemandem ist, das kann nicht zerfallen in einer Art und Weise. Das kann deswegen nicht zerfallen, weil wir nicht angeben können, was da zerfallen sollte. In gewissem Sinne ist das Argument so ähnlich wie "Welche Farbe hat die Zahl 723?" - das ist nicht anwendbar. Wir kommen mit diesem einen Begriff nicht an den anderen Begriff heran. Gut, Sie können das sozusagen weiter ausspielen.

Einwand: "Wenn man seinen Vater oder seine Mutter sieht, dann kann das Bild sehr wohl zerfallen, weil es ist ja nur eine Vorstellung."

Ich kann mich täuschen darin, dass ich das Verständnis von Vatersein oder Muttersein auf eine falsche Person anwende. Der Einwand ist ziemlich gut, weil er nochmal deutlich macht, wie das funktioniert. Vorausgesetzt ist allerdings, dass es etwas gibt wie Vaterschaft oder Mutterschaft. Wenn es Vaterschaft oder Mutterschaft nicht gibt, dann taste ich sowieso im Dunkeln. Die sokratisch-platonische Umgangsweise mit Vater und Mutter macht das nicht, aber man könnte es relativ gut so machen: Man könnte einfach sagen: ok, ich gehe jetzt auf den Marktplatz und überlege mir, du kannst mir doch sicher sagen, was man unter Mutter versteht - du hast doch fünf Söhne (oder drei Söhne und drei Töchter). Das wäre jetzt sozusagen eine fiktive Sokrates-Situation - er macht das mit dem Feldherrn: du kannst mir doch sagen, was tapfer ist. - Du hast drei Söhne, drei Töchter - kannst du mir sagen, was es heißt, Mutter zu sein. Und die Frau sagt: selbstverständlich. Schwanger zu sein, Kinder zu gebähren, und so ähnlich. Und dann sagt der Sokrates: Naja, und eine Adoptivmutter - ist das keine Mutter? Und eine - fragt der heutige Sokrates - eine Samenspendenmutter? Oder wenn du die Mutter bist und deine Mutter hat das Kind ausgetragen, wer ist dann die Mutter? Das sind die Einzelfälle, das sind die typischen Beispiele - also die nichttypischen Beispiele - die Strategie beim Sokrates besteht eben darin, dass er die Kurzsichtigkeit der typischen Beispiele unterwandert durch alternative Beispiele.

Bemerkung: "Ich glaube mit Vaterschaft und Mutterschaft ist das schwer, weil es sehr stark mit dem Körperlichen zusammenhängt."

Ja, wenn man will.

Bemerkung: "Wenn die Beziehung stirbt - also wenn das Kind stirbt, zB, dann sind die Mutterschaft und die Vaterschaft aufgehoben."

Also die Eigenschaft, Mutter zu sein, ist nicht wirklich abhängig davon - das können wir natürlich diskutieren - die Eigenschaft, Mutter zu sein, bleibt, auch wenn das Kind gestorben ist. Ich bin der Sohn meines Vaters, obwohl es den Vater nicht mehr gibt, würde ich sagen. Aber sozusagen die Pointe wird an dieser Stelle sehr deutlich, und es ist auch eine Antwort auf das, was Sie sagen: Es ist leicht möglich, dass man sich verläuft bei der Frage, was denn eigentlich Mutterschaft oder Vaterschaft ist. Das ist immer ziemlich handgreiflich verlaufen in unserer Situation, was - oder Ehe: Was ist Ehe? Fragen wir einen Ehepartner. Welche Ehepartner fragen wir, was eine Ehe ist? Ehe wäre sozusagen leichter, weil das eine gesellschaftliche Regel ist. Ich habe das mit der Mutterschaft sozusagen extra genommen, um nicht den Soft-Bereich, sondern den anderen Bereich zu nehmen. Aber es gibt natürlich genauso Leute, die sind zutiefst überzeugt davon, dass sie wissen, was die Ehe ist, und wie das gehört, das steht einfach für sie fest. Aber auf das wollte ich mich sozusagen nicht einlassen. Also wir können uns verlaufen da drinnen, und die sokratisch-platonische Bewegung ist jetzt, zu sagen: damit wir uns hier an dieser Stelle orientieren können, brauchen wir das Urbild, brauchen wir diese besondere Typik, den Typus der Mutterschaft. Und hier kommen wir wiederum, - das ist das selbe, in dem Moment, in dem ich das philosophisch verstehe, habe ich eine Idee der Mutterschaft und kann über die Idee der Mutterschaft, was zu einem Prinzip der Mutterschaft gehört, reden. Etwas weniger philosophisch prinzipiell betrachtet verstehe ich das als den Versuch einer Normvorgabe für den Gebrauch von Mutter im gesellschaftlichen Zusammenhang, etwas worüber sich die Gesellschaft einigen kann, dass es prototypisch und notwendig ist für die Mutterschaft. Wenn ich das weniger philosophisch ansehe sondern mehr nach den werbetechnischen Zusammenhängen und ich schaue im google-pictures über "Mutter", dann werde ich eine ganze Reihe von typischen Mutterbildern sehen. Und diese typischen Mutterbilder sind nicht unbezogen auf das, was die Philosophie auch möchte, sie möchte sozusagen auch Orientierung, allerdings nicht diese Bildorientierung, sondern eine andere Orientierung über den Gebrauch des Begriffs "Mutter". Und jetzt komme ich zu Ihrem Einwand: für die sokratisch-platonische Betrachtungsweise ist es allerdings Voraussetzung, dass ich Kompetenz im Umgang mit dem Begriff habe, oder zumindest begonnen habe, dass ich weiß, wovon ich rede, wenn ich von Mutter rede, und dann kann es mir auch passieren - das ist jetzt Ihr Beispiel - dass ich mich irre. Das ist halt ein Irrtum. Dann muss man halt diskutieren darüber, und dann muss es ein Kriterium geben, warum das ein Irrtum ist, aber das ist nicht ausgeschlossen. Also die Tatsache, das es ein Irrtum ist, schließt nicht aus, dass die ganze Konstruktion so ausschaut, dass es einen Irrtum überhaupt geben kann. Das ist eine weitere Beobachtung, die man darüber machen könnte. Ich nehme jetzt einmal an, es gibt einen Stamm, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die leibliche Mutter niemals Mutter genannt wird. Die Kinder werden von der leiblichen Mutter immer sofort weggenommen und wachsen in einer anderen Familie auf und wir stehen jetzt vor der Frage: Sollen wir sagen dass die Frau, mit der die Kinder aufwachsen, die Mutter von ihnen ist? Und da können wir jetzt sagen: Das ist ein Irrtum. Die irren sich. Die wirkliche Mutter von den Kindern ist die leibliche Mutter. Oder wir können sagen: Na die verwenden halt das Wort "Mutter" etwas anders - es stellt sich die Frage, ob wir das übersetzen sollen als "Mutter". Was immer die tun, sie sollen es tun, das ist uns egal, oder: es kann uns nicht tangieren, es kann uns nicht aufregen, sie verwenden halt ihre Sprache so, wie sie sie verwenden, wir verwenden unsere Sprache so, wie wir sie verwenden, ok, bleiben wir Freunde, gehen wir auseinander. Aber an der Stelle, wo jemand kommt und sagt: das ist ja unmenschlich, was die da tun: der leiblichen Mutter das Kind wegnehmen. An der stelle haben wir einen Begriff von Mutter, wo wir sagen: das ist ein Irrtum. Und das ist allerdings die Normvorgabe, die man bei Platon mitdrinnen hat. Bei Platon ist die Idee des Relativismus an dieser Stelle einfach nicht vorhanden.

Was nicht zerfallen kann, ist unvergänglich

Gut, was ich aber sagen wollte - zurück zur Farbe der Zahl 723 -: so wie es keinen Sinn macht, sich zu fragen, welche Farbe das hat, so ähnlich macht es keinen Sinn, zu fragen, wo kann ich hinkommen, damit ich sehe, was eine Mutter ist? Wenn es überhaupt eine Lösung gibt zu dieser Frage, dann besteht die Lösung nicht darin, dass ich an der Hand genommen werde und werde hingeführt und - was weiß ich - dann gibt es einen Tempel oder so was, das ist die Mutter aller Mütter, das ist die Urmutter oder so. Das ist genau nicht möglich, und von daher könnte man sagen, der Begriff der Mutter ist etwas, was nicht körperlich ist, und kann darum nicht zerfallen, und hat eine Qualität, die in der Logik, in der ich das jetzt dargestellt habe, die Endlichkeit, das Vergehen ausschließt. Es kann keinen Anhalt geben. Es gibt keinen Einstieg der Vergänglichkeit, wenn ich Vergänglichkeit betrachte als Auseinanderfallen. Also so weit ist das glaube ich nachvollziehbar.

Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit

Der nächste Schritt, der darin besteht, dass man aus der Wendung 'Sterblichkeit im Sinne von Auseinanderfallen kann hier nicht angewendet werden' zum nächsten Schritt geht und sagt: Unsterblichkeit heißt also 'kann nicht sterben'. Eine positive Qualität von dem, das ist natürlich der wirklich schwere Schritt. Ich zeige es Ihnen jetzt bei der Unsterblichkeit, aber es gibt ihn in vielen anderen Bereichen auch, da geht etwas ab, um es kolloquial zu sagen, was ziemlich leicht außer Kontrolle gerät. Daraus, dass man bestimmte Begriffe nicht anwenden kann auf bestimmte Phänomene, folgt noch nicht, dass es eine positive Qualität anderer Phänomene gibt, die beschrieben werden kann, durch die Negation dieses Begriffs, der nicht anwendbar ist darauf. Einfacher gesagt: die Unsterblichkeit als die positive Qualität von Zahlen oder Ideen oder menschlichen Seeleanteilen ist einen Schritt weiter als "ich kann an der Stelle die gewöhnlichen Begriffe von Vergänglichkeit nicht anwenden". Aber, und da bin ich jetzt genau im Übergang zum Christlichen, das ist genau das, was passiert ist. Ich zeige es Ihnen jetzt am Beispiel der Unsterblichkeit, und habe ihnen dazu drei Texte zur Verfügung gestellt, aber vielleicht vorher frage ich noch mal schnell - vielleicht beschäftigt Sie Unsterblichkeit oder vielleicht habe ich irgendetwas noch nicht richtig deutlich gemacht? Es ist schwierig.

Platonismus, Christentum und Unsterblichkeit

Drei Texte

Wagen wir uns hinein. Ich habe Ihnen drei Texte angegeben, um diesen Bereich ins Christliche etwas zu untermauern. Das eine ist ein Zitat aus Pierre Hadot, "Philosophie als Lebensform: Antike und moderne Exerzitien der Weisheit". Das ist ein Philosoph und Graecist aus Frankreich, der sehr wichtig geworden ist als einer der Inspiratoren der griechischen Wende von Foucault, wenn Sie darüber schon gehört haben, also einer der Gründe, warum sich Foucault in der Sorge nach dem Selbst so auf die Griechen zurückbezogen hat, und der hat in diesem Buch "Philosophie als Lebensform: Antike und moderne Exerzitien" sehr deutlich die Beziehungen hergestellt zwischen nicht nur Platon sondern allgemein zwischen der griechischen Lebenslehre und dem, was die christliche Tradition davon aufgenommen hat, das ist der erste Text, den ich ein bißchen ansehen möchte. Ich habe ihnen dazu auch einen Link präsentiert zur Vorlesung dieses Jahres von Klaus Puhl, der hat im Rahmen der Ringvorlesung des vergangenen Studienjahres "Einführung in die Philosophie" hat er einen Vortrag über Philosophie und Lebenskunst gemacht, in der er auch extra auf Hadot und auf diesen ganzen Zusammenhang eingegangen ist und wir haben diese Vorlesung zum Anlass genommen, das auch visuell zu begleiten, und die Ergebnisse können Sie dann hier sehen. Das ist das eine. Das ist sozusagen mehr oder weniger zeitgenössisch angesetzte Ursachenforschung.

Das zweite ist ein Punkt, den ich Ihnen auch zeigen möchte, von Hugo Rahner. Karl Rahner kennen Sie vielleicht eher, das ist einer der wichtigsten, eindrucksvollsten Theologen des 20. Jahrhunderts, nicht nur katholischen Theologen, würde ich wagen zu sagen. Der hat einen Bruder gehabt, Hugo Rahner, und der hat ein sehr einflussreiches Buch geschrieben: Griechische Mythen in christlicher Deutung. Er hat das geschrieben im 2. Weltkrieg, es ist 1945 herausgekommen, sozusagen auch eine Leistung. Man kann unterschiedlicher Auffassung sein, mich erfüllt es zunächst einmal mit einer gewissen Art von Rührung oder Ehrfurcht, Sie werden gleich sehen, warum. Ich riskiere es, Ihnen das als ein Beispiel des unbefragten, direkten, christlichen Zugriffs auf die akademische griechische Tradition darzustellen, interessanterweise hat Michael Palomino etwas noch 2010 dazu verfasst [1], es ist noch aktuell sozusagen.

Das dritte, was ich Ihnen auch zeigen möchte, ist kein offizielles Kirchendokument, aber es ist der Beitrag von einem Herrn Jörg Splett, ein relativ bekannter katholischer Theologe eben auch über Unsterblichkeit, im theologischen Lexikon "Sacramentum Mundi" [2]. Das stammt aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und ist der Versuch einer sozusagen zeitgenössischen philosophischen und theologischen Durcharbeitung des gesamten Begriffsinventars, das das Christentum zur Verfügung stellt, eben auch unter der Leitung von Karl Rahner.

Diese drei Hinweise möchte ich Ihnen geben und das nächste Mal schauen, wie weit wir hier kommen, deswegen halte ich es vielleicht ein bißchen kürzer weil ich dann noch zum dritten Punkt kommen möchte, und der dritte Punkt ist das, was unter dem Titel "Cybergnosis" von Sokratetz eben angesprochen ist, weil da gibt es noch einige Dinge zu bemerken diesbezüglich.

Text 1: Pierre Hadot

Also gehen wir mal kurz zu Hadot - der macht den folgenden Hinweis:

Der Tod des Sokrates ist das Grundereignis, in welchem der Platonismus wurzelt. Besteht das Wesen des Platonismus nicht eigentlich in der Behauptung, der letzte Grund des Seienden sei das Gute? Wenn alles Seiende aufgrund der Gutheit existiert und am Guten teilnimmt, dann transzendiert das erste Gut notwendigerweise das Sein. Das beste Zeichen dafür ist das folgende: die wertvollen Seelen verachten das Sein im Hinblick auf das Gute jedesmal, wenn sie sich für das Vaterland, die Freunde oder die Tugenden in Gefahr begeben.

Ich habe quasi jetzt in der vorhergegangenen Beschreibung des Aufstiegs von den einzelnen Dingen zu den Ideen zum Guten schon das meiste diesbezüglich gesagt. Wenn man jetzt das Motiv dieses Aufstiegs zum Guten verbindet mit dem Argument, das sie hier finden, also beim Sokrates mit dem Moment: "es ist mir wichtiger, das Richtige zu tun, als irgendwelche Tricks oder Strategien anzuwenden, um hier auf der Erde noch weiter zu bestehen. Es ist mir wichtiger, nach der Gerechtigkeit zu handeln, die ich glaube einzusehen als den Leuten klarzumachen, dass sie ein bißchen freundlicher zu mir sein sollten, dass ich eh nicht so schlimm bin, oder aber wenn die Leute schon so dumm sind, dass sie nicht merken, worum es mir geht, die Leute dumm sein lassen und auszuwandern, aus dem Gefängniss zu entfliehen." - Wenn das die Bewegung ist, die da drinnen ist, dann ist ziemlich deutlich, dass der Weg zum Guten tödlich sein kann. Das steckt in der Spannung drinnen. Es kann dir passieren, dass das, was so schön geklungen hat wie "ich lasse mich nicht ungestört und ohne Komplikationen beeinträchtigen von Eindrücken, die ich habe. Ich lasse mich nicht unterkriegen von bestimmten Schmerzen oder so etwas, die ich haben könnte, sondern ich verfolge meinen Weg" dorthin führt - und das ist in einem gewissen Sinn das Schlüsselereignis des Platonismus - das kann dorthin führen, dass du deinen Körper halt verlierst, weil du der Auffassung bist, es gibt Wichtigeres als das Leben deines Körpers.

Ein kleiner Stop ist hier irgendwie notwendig. Was soll man hierzu sagen: "Es gibt wichtigeres als das Leben"? Ich meine das Erste, was man dazu sagen kann, ist, dass wir das natürlich von hinten bis vorne feiern, vor allem wenn jemand das ernst nimmt in einem Regime, dessen Auffassung wir nicht teilen und der gegen das Regime auftritt. Mit besonderer Vorliebe schätzen wir die Leute, die ihr Leben riskieren in einem Zusammenhang, wo wir sagen: "Das ist eh nicht in Ordnung." und wir respektieren die Person, die ihr Leben riskiert gegen dieses System, das wir nicht haben.

Frage: "Aber man könnte anders argumentieren: Das die Lüge dem Leben mehr dient als die Wahrheit."

Das kann man mit Sicherheit. Das ist auch genau gesagt worden. Die Lüge dient dem Leben mehr als die Wahrheit, wenn man unter Leben Leben des Körpers versteht. Wenn ich die Chance kriege, zu lügen, damit ich mich vor dem Tod rette, oder auszuwandern, damit ich mich sozusagen vor der Hinrichtung rette, dann kann man an der Stelle sagen: Selbstverständlich ist in diesem Begriff des Lebens enthalten: die Lüge dient dem Leben mehr, und das ist deswegen jetzt genau der Punkt, weil wenn ich sage: es gibt etwas wichtigeres als das Leben, dann ist das eine Infragestellung des Begriffs von Leben. Das kommt aus Ihrer Frage sehr deutlich heraus. Wenn jemand sagt: "Aber bitte, was ist das Leben, das ich habe? Das einzige Leben verbindet sich damit, dass ich hier auf der Erde herumspaziere. Das ist das Leben und für dieses Leben ist es nicht zuträglich und nicht hilfreich, die Wahrheit zu sagen an bestimmten Stellen. Deswegen dient die Lüge dem Leben mehr." Darauf antwortet Sokrates - das ist genau das Schlüsselereignis, von dem Plato ausgeht - "das Leben ist der Güter Höchstes nicht" (das ist ein Schiller-Zitat). Also zum Beispiel Freiheit ist - als ein Begriff - höher als das Leben. Oder aber auch Märtyrertum - die Christen haben da ziemliche Erfahrung gemacht im 1./2. Jahrhundert, die sind zum Teil angestanden, um Märtyrer zu werden. Und das hat eine Umwertung dessen, was Leben ist, mit sich gebracht. Das ist der platonische Effekt an der Stelle. Damit du den Sokrates bewunderst, der gesagt hat: "Ich gehe nicht ins Ausland, sondern ich bleibe bei meiner Idee, was gerecht ist. Was die Leute mit mir machen, ist mir an der Stelle nicht so wichtig." Der hat umbestimmt, was Leben ist. Der hat einen neuen Begriff von Leben an der Stelle eingeführt, und dieser Begriff von Leben ist sozusagen eine Idee. Und dass das funktionieren kann, hängt damit zusammen, dass der platonische Mensch aufgebaut ist: (1) in eine Tendenz nach diesem Leben zu schauen, und (2) eine andere Tendenz, auf dieser Erde zu sein. Der ist in einem hin und her gezogen. Es gibt sozusagen die Körperlichkeit des Menschen, die nicht zu leugnen ist, und es gibt die Idee. Und um es an der Stelle anzufügen, weil das geht glaube ich wirklich gut damit zusammen aus dem Phaidon-Zitat

Denn, beim Hunde, schon lange, glaube ich wenigstens, wären diese Sehnen und Knochen in Megara oder bei den Boiotiern, durch die Vorstellung des Besseren in Bewegung gesetzt, hätte ich es nicht für gerechter und schöner gehalten, lieber als daß ich fliehen und davongehen sollte, dem Staate die Strafe zu büßen, die er anordnet.

Das ist das ins-Exil-gehen, und das ergibt sich aus meiner Darstellung - so glaube ich - ziemlich klar: das ist der eine Punkt, an dem die platonisch-sokratische Doktrin diesbezüglich etwas unmittelbar Überzeugendes hat, dass nämlich nicht die physische, körperliche Funktionalität des Gehapparates der Grund ist dafür, dass er da im Gefängnis sitzt, das ist der Teil des Körpers. Es ist eine Erfahrung des Menschen, und gerade im Zusammenhang mit Sokrates würde das an der Stelle eben zutreffen, dass das, was den Sokrates wirklich bewegt, nicht sein Gehapparat ist, sondern was ihn wirklich bewegt in dem Zusammenhang ist, woran er glaubt, wovon er überzeugt ist. Das ist das "movens", das ist der Faktor der Bewegung. Was ihn an dieser Stelle bewegt, ist eben nicht greifbar, sondern ergibt sich aus der Tendenz seiner Seele zu den richtigen Ideen zu kommen, also im speziellen der Tendenz seiner Seele, das Gute, das Gerechte zu tun. Also wenn Sie eine Seminararbeit schreiben und Sie haben 25 Zettel vor sich, dann schreiben sie die Seminararbeit in der Regel auch nicht so, dass Sie halt die Augen schließen und diese Zettel einfach aneinanderkoppeln, sondern die Bewegung dieser Seminararbeit besteht darin, dass Sie eine gute Seminararbeit schreiben wollen, damit Sie mit sich selber zufrieden sind oder jemand anders mit Ihnen zufrieden ist oder was immer. Das ist der Bereich, in dem die menschliche Seele beschrieben wird als ein Faktor der Wahrheitsfindung. Es wird Ihnen leicht fallen, diese Überlegung mit der Höhle und dem Licht in Verbindung zu bringen, das überlasse ich Ihnen, das führe ich jetzt nicht aus.

Text 2: Hugo Rahner

Ich gehe weiter zu Hugo Rahner, um einen Text zumindest zu haben, der in einer berührenden Unschuld die Ideen, die ich Ihnen da dargestellt habe von der Begegnung desPlatonismus des Christentums Ihnen vor Augen stellt, die zweite Erkenntnis ist aus der Zusammenfassung ganz am Ende dieses Buches - Bilder von der seelenheilenden Blume:

Nie war der Hellene nur ein Mensch des Diesseits, und nie bloß ein Liebhaber der marmornen Schönheit des Körpers. Er wußte um das Grundgesetz aller wahren Humanität, und Platon, der größte der Griechen, hat das am schärfsten gesehen: daß die Seele nur heil wird am Göttlichen, weil sie gottentsprungen und gottessüchtig ist. Nie kann sie nur aus sich sie selbst werden. Sie bedarf einer göttlichen Botschaft und einer göttlichen Hilfe. Denn eine Schwinge des Geistes ist geheimnisvoll gebrochen, und ein Pferd des Seelengespanns zieht dämonisch zum Abgrund: so steht es für immer im Phaidros. Die christliche Botschaft des Logos kam diesen Ahnungen vom Himmel her entgegen. Sie hat sie überhöhend bestätigt mit ihrem urmächtigen Wissen vom dämonengewirkten Sündenfall.

- das heißt, sie kriegen an der Stelle die Höhle noch einmal neu interpretiert, als 'dorthin sind die Menschen verstoßen worden durch den Sündenfall' -

Aber sie hat sie auch bewahrt vor einer sublimen Verachtung des Fleisches durch die Kunde, daß in der Menschwerdung Gottes und in der Vergöttlichung des Menschenleibes am Ende der Tage der dunklen Wurzel unseres Geschlechts ein göttlich lichtes Haupt geschenkt werde.

Das ist jetzt der Punkt, den ich schon vor 14 Tagen angedeutet habe, das ist die Personifizierung des Agenten, der die Ketten löst in der platonischen Höhle - die platonische Höhle ist sozusagen die Verstoßung auf die Erde. Und Christus wird gedeutet als derjenige, der aus Gottes Macht kommend in der Welt die Ketten löst und - das ist sehr sehr wichtig - eine subtile Umschichtung des Platonismus mit sich bringt. Da sind wir jetzt an einem Punkt, wo der Platonismus hellenistischer Prominienz und das Christentum als eine Religion aus dem vorderen Orient auf eine sehr interessante Art und Weise zusammenkommen. Indem Christus nämlich gestorben ist und wieder auferweckt worden ist von Gott, passiert mit dem menschlichen Körper etwas, was vorher bei Platon nicht stattgefunden hat. Derjenige, der die Ketten gelöst hat in der Höhle, der hat nicht mal einen Namen, der hat keine Existenz. Es gibt jemanden, der löst die Ketten, der ist sonst nicht vorhanden. Er schleift sie gerade noch rauf, aber der lässt die Menschen sozusagen selber existieren. Diese Menschen sind auf dem Wege zur Erkenntnis, aber was ist der Weg der Erkenntnis für diese Menschen? Die sollen bitte - das ist die Einladung - Philosophinnen und Philosophen werden, indem sie sich nämlich auf das Wahre konzentrieren und indem sie das Wahre ausbilden. Training für das Wahre ist die Sorge für sich selber, die dazu führt, dass man einen Seelenzustand erreicht, einen einsichtsvollen Zustand erreicht, indem man die Fährnisse und Schwierigkeiten des Körperdaseins einigermaßen distanziert hat. Philosophisches Leben ist Ruhe, Einsicht, Weisheit. Dafür muss man sich trainieren und unter diesen Umständen kann man den Körper ein bißchen nach hinten schieben, darin besteht die Ausbildung zur philosophischen Lebenswelt, das sind die Exerzitien, von denen Hadot schreibt - können Sie nachlesen. Und das ändert sich jetzt durch die christliche Zusatzaktion, es ändert sich dadurch, dass gesagt wird: derjenige, der uns errettet hat, der Sohn Gottes, ist Mensch geworden, wie wir andere auch, und ist als Mensch auf der Erde gewesen, der hat einen Körper gehabt genauso wie wir anderen auch und der hat diesen Körper verklärt. Der hat uns dazu gebracht, dass wir nicht - das ist der Hinweis auf die subtile Verachtung des Fleisches - wir können nach christlicher Lehre diese Körperbestandteile nicht mehr auf die selbe Art und Weise distanzieren wie der Platonismus und einfach nur sagen, das ist sozusagen das Tier in uns. Platon hat an dieser Stelle das Motiv vom Tier in uns, mit dem wir kämpfen müssen. Das ist nicht mehr nur das Tier in uns, sondern Christus ist in den menschlichen Körper gekommen und hat den ganzen menschlichen Körper angenommen. Er hat ein bißchen Hilfe gehabt, das Tier in ihm ist sozusagen stillgelegt gewesen, das heißt da habe ich den Erklärungsbedarf, dass ich mich fragen muss: wo kommt denn dann das Tierische her? Ich habe es schon gesagt, mit dem Sündenfall, mit der Erbsünde, also das war für Christus nicht im Programm, aber das zeigt nur, dass er den menschlichen Körper zu seiner eigentlichen Bestimmung erlöst hat, und diese Erlösung besteht darin, dass er eingebunden ist in den Befreiungsprozess, der nicht einfach nur den Körper akzeptiert, sondern ihn in der Auferstehung der Toten in eine göttliche Welt mithineinnimmt. Und an der Stelle gibt es eine Koinzidenz, ein Überschneiden - oder auch nicht - zwischen dem griechischen Unsterblichkeitsbegriff, die Unsterblichkeit, von der ich Ihnen ein bißchen was gesagt habe, also die Negation des Zerfallenkönnens, des Sterbenkönnens, die man im Phaidon findet, und auf der anderen Seite dem biblischen Verständnis, das sie hier beim Jörg Splett ganz gut sehen, der darauf hinweist, dass es im jüdischen Verständnis nicht den platonischen Begriff und die platonische Tradition gab, sondern die Auferstehung des Fleisches im jüdischen Testament, in der jüdischen Bibel durch die Ruferweckung durch Gott. Fragen Sie mich nicht, wie ich das erklären soll, das ist eine Form der religiösen Erlösungshoffnung. Und womit wir operieren in unserer gegenwärtigen europäischen Tradition, ist, dass die Auferweckung des Fleisches in der jüdischen Tradition und die Unsterblichkeit des Geistes in der platonischen Tradition zusammenlaufen. Also die Patristik, die christlichen Apologeten der frühen Zeit nach Christus haben sich mit Freuden des Phaidon und des platonischen Motivenschatzes bedient, um den Leuten in der neuen Kultur, die keine jüdische Kultur war, die diese Bibelkenntnisse gar nicht gehabt haben, zu erklären, worum es geht in der Auferstehung Christi. Die Auferstehung Christi ist die Auferweckung zum Vater, ohne Platon. Damit ich es denen aber erkläre, die überhaupt keine Kenntnis davon haben, die aber vorgeformt sind durch die platonischen Überlegungen, bringe ich das damit hinein. Und das ist die Bewegung, in der wir in gewissem Sinne noch immer drinstehen.

Und da möchte ich jetzt, so weit habe ich noch Zeit, die letzte Kurve an der Stelle machen und diesen einen Absatz von Hugo Rahner [Link] in Zusammenhang setzen mit der Cybergnosis. Ich lese ihn einfach mal vor:

Der aus dem Mysterium wiedergeborene und im Glauben zum Seelenheil gelangte Mensch ist schon jetzt heimgekehrt in den Port des Ewigen. Dort hat er von nun an seine statio tranquilla, den ruhig unerschütterten Standort. Denn schon seine Geburt aus dem Mysterium ist zugleich die <Ankunft im Hafen>.

Das ist die Wiedergeburt, das ist die Taufe. Das ist das, was nach der ersten Geburt die zweite Geburt ist. Die erste Geburt ist die physische Geburt, die Wiedergeburt des Menschen ist die Geburt des Menschen als Christ unter dem Aspekt des christlichen Mysteriums, und damit ist er in einem gewissen Sinn schon aus dem Schneider, das ist die Idee der Taufe: Indem du Mitglied der christlichen Gemeinde bist, ist dein Heil bereits verbürgt. Weiter unten habe ich ein bißchen respektlos geschrieben: "Die Eintrittskarte hast du schon, die Show beginnt ein bißchen später." Wobei die Show, habe ich mir geleistet, sozusagen auch die Schau ist. Also für das Christentum gilt in der Konstruktion: Die Eintrittskarte hast du schon,

Und seine schmerzlich langsame Heilung ist, trotz allen Gefahren, eine der Landung bereits gewisse Seefahrt des Lebens. Das aber ist die wundersame Sicherheit des Christen, die alle scheinbare Tragik des ungesicherten Lebens aufhebt. In Wahrheit ist ja schon jetzt alles glückselig zu Ende, in einem jugendfrischen Neubeginn.

"In Wahrheit ist jetzt schon alles zu Ende" - das ist der Grund, warum wir 2010 haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam: 2010 haben wir, weil die Mitte unserer Zeit darin besteht, dass in Wahrheit alles zu Ende ist mit der Auferstehung Christi. Das ist die Idee. Um es noch einmal ein bißchen respektlos zu sagen: Der Stollen ist gegraben. Wir müssen die Leute jetzt nur mehr einzeln herausholen. Das kann ein bißchen schwierig werden, aber das Licht ist da hineingebrochen, der Durchbruch ist geschehen. Und wir stehen jetzt in der besonderen Situation, das ist der Unterschied von dem Platonischen zu dem Christlichen, wir stehen in der besonderen Situation, bereits Kinder Gottes zu sein in einer Situation, in der wir zwar noch auf der Welt sind, aber schon diese Vorkehrungen treffen können, um uns in den Bereich des Geistigen zu begeben.

Cybergnosis - Beiträge von Sokratetz

Und da möchte ich jetzt doch noch auf die Cybergnosis gehen, und das würde mich doch auch interessieren und ich möchte Sie bitten, da vielleicht auch in der Diskussion ein bißchen tätig zu werden. Es gibt diese Beiträge vom Sokratetz zur Cybergnosis, und ich war anfangs nicht ganz klar, wie ich das sehen soll und kann, was da drinnen steht an Zitaten aus den Kirchenvätern, habe aber jetzt vor allem nach dem ich diesen Fragenkomplex A gelesen habe, doch ein bißchen ein klareres Bild und auch eine große Menge von Fragen, bin also interessiert, an der Stelle weiterzugehen, und als erstes Angebot würde ich sozusagen das Folgende sagen: Hier gibt es Formulierungen vom Sokratetz von der Art und Weise - also das Erste, was hier auffällt und mich zum Widerspruch anregt, ist, das Internet als Höhle zu betrachten. Also da gibt es ein schwieriges Verhältnis, dazwischen das Bild des Höhlendaseins mit dem Phänomen des Internets zusammenzubringen, aber das können Sie sich hier [LINK] durchlesen.

Aber diese eine Sache möchte ich doch zur Diskussion stellen:

"Das Internet führt uns in das Licht, wenn wir zum ersten Mal wieder angetrieben sind, im Licht der wahrhaften Sonne zu sein, sich einfach an der Erdoberfläche bei allen lebenden Menschen aufzuhalten. Der körperlichen Wirklichkeit entfliehen ist unmöglich. Der Moment des Todes scheint der einzige Moment zu sein in dem wir dem Körper "entfliehen" und von diesem Moment an bereiten sich die Angehörigen darauf vor den Körper zu Grabe zu tragen. [...] Was jedoch auf Ewig strahlt, ist das göttliche Licht, welches Lebende und Tote immerwährend trägt."

Das, kommt mir jetzt vor, und darum passt das mit dem Hugo Rahner zusammen, den ich hier nochmal hineingeklebt habe - das scheint mir jetzt ein sehr gegenwärtiger Beitrag zu sein, der genau den selben Inhalt hat wie der, den ich Ihnen aus dem Christentum und auch von Hugo Rahner beschrieben habe, nämlich: wir sind Menschen, die dem Licht zugewendet sind, und die abhängig sind von dem Licht, aber schon - zum Beispiel durch das Internet - eingefangen in eine höhere Wirklichkeit, die uns hilft, den Tod zu überwinden. Das ist nun tatsächlich ein geradezu spektakulärer Ausdruck von Cyberplatonismus, den ich mir nie hätte selber ausdenken können - mit dem ich auch nicht einverstanden bin, muss ich sagen - aber der zumindest an der Stelle lokalisiert ist, in den Diskussionen, die wir dabei sind, zu führen. Ich glaube, es ist ein guter Punkt, zu stoppen.