Benutzer:Herold/SS09-BD-E02-20-03-2009

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Version vom 29. Mai 2009, 22:54 Uhr von Herold (Diskussion | Beiträge) (Expertentum und Adabeis)
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Bildung ist umsonst?

Ja ich begrüße Sie zur nächsten Vorlesung von Bildung und Datenbanken und will damit beginnen, nochmal kurz in Erinnerung zu rufen, was wir in Prinzip schon wissen, das Bildung ein Schlüsselausdruck ist, in der kulturpolitischen Debatte, aber nicht nur in der kulturpolitischen Debatte, sondern auch in der politischen Debatte. Zu diesem Zweck, um das kurz in Erinnerung zu rufen, habe ich ihnen in der Literaturangabe zu der Vorlesung hier eine Kopie der Festrede der Frau Bildungsministerin eingespielt; zur Gründungsfeier der pädagogischen Hochschulen, eine Festrede zur Bildung, das ist ein schönes, klassisches Genre, dass ich auffordere zu kommentieren. Es hat ein Teilnehmer, googleplex wie sie hier sehen, am 1. April, präzise, eine ganze Reihe von Anmerkungen an diese Festrede hier verfasst. Ich würde Sie - da wir jetzt mit der Einführung der Transkripte in die Vorlesung in eine neue und sonderbare Situation gekommen sind, dass nämlich die Transkripte, von dem was ich sage, zwar sachgetreu und fleißig hergestellt werden, aber die Debatten, über das was ich sage, die in früheren Jahren im Wiki war - sehr lebendig war zum Teil - eigentlich noch gar nicht richtig in Gang gekommen ist - bitten oder sie darauf aufmerksam machen, dass man zum Beispiel anlässlich so einer Festrede die Bildungsthematik - hier auch abgesehen von dem, was ich ihnen in der Vorlesung vortrage - diskutieren kann. Das hat für sie auf jeden Fall mal den handfesten Effekt auch, dass wenn sie hier teilnehmen an einer Diskussion, an einer Bildungsdiskussion, dann weiß ich genauer, was sie interessiert, worauf ich denn mich beziehen kann, dann kann ich das, was ich ihnen hier vortrage auch entsprechend abstimmen. Der Grund, dass habe ich glaube ich der ersten Stunde gesagt schon, warum ich hier auch diese Festrede zur Verfügung gestellt habe, ist, dass auf überraschender Art und Weise die Aussagen der Frau Minister in die Wikipedia, in den Bildungsartikel der deutschen Wikipedia, Eingang gefunden haben. Sie finden, nicht nur finden sie es dort zitiert, sondern an prominenter Stelle ganz am Anfang wird diese ministerielle Autorität angesprochen und angenommen, dass - ich bin ja, wie sie vermutlich vermuten, ein starker Anhänger der Wikipedia, aber das geht doch ein bisschen weit, vielleicht - wir im Laufe der Entwicklung hier auch tätig werden können. Das stoße ich aber nur mal so an als Bemerkung. Sie finden das hier unter Literatur auf der Seite.

Die zweite Bemerkung, die ich über dieses Reizwort, wenn man so sagen will, wie Bildung ihnen doch vortragen möchte, geht zurück auf eine Erfahrung von gestern Nachmittag. Ich habe Ihnen wiederum in der ersten Stunde die kleine Episode erzählt, in der vorletzten Sitzung des akademischen Senats der Universität Wien, als die Türe aufging und die Studierenden, also nicht die Studierenden, sondern eine Gruppe von Studierenden, mit einem Quasi-Sarg und einer Trauermusik einmarschiert sind und ein großes Transparent getragen haben, "Wir trauern um die freie Bildung". Das hat sich gestern am Nachmittag mit einer kleinen Variante wiederholt, oder nicht in einer so kleinen Variante. Das war nicht der Senatsaal sondern hier das neue Institutsgebäude, als eine größere Gruppe von Studierenden, diesmal nicht mit einem Sarg, sondern mit Trillerpfeifen und anderem Lärmgerät, durch die Gänge gezogen sind und aufgefordert haben zu einer institutsübergreifenden HörerInnenvollversammlung. Ich teile vielleicht diese Einladung gleich mit: Termin und Ort sind auf diesem Zettel noch nicht drauf, die Adresse, wo sie Termin und Ort finden, ist http://powiprotest.wordpress.com. Das wird wahrscheinlich noch ausgetüftelt, wo das sein soll. Also so etwas ist sicherlich von Interesse.

Was mein Auge aber angezogen, attrahiert hat, ist ein besonderer Slogan, der da mitgetragen worden ist, und der eine Korrespondenz ist, in einem gewissen Sinn, zu dem "Wir trauern um die freie Bildung". Dieser Slogan war "Bildung für alle - und zwar umsonst". Das wär eine Sache, über die man jetzt auch relativ lange reden könnte und eine Glosse schreiben könnte. Wenn ich eine Glosse darüber schriebe, dann wäre ein zentraler Punkt der Glosse vermutlich sein, dass das Wort umsonst eine eigentümliche Doppeldeutigkeit hat, die vielleicht auch damit zusammenhängt, dass etwas, was umsonst ist, nix wert ist - und man könnte an dieser Stelle die ganze Ideologie natürlich, die hinter dem Bildungsgedanken steht, auch sehr sehr schön explizieren. Ich habe mich sozusagen schon so vorgewagt zu sagen, wie hängt das mit umsonst und nichts-wert zusammen. Ich halte das natürlich auch für eine ganz starke Ideologie. Die vergangene Vorlesung von mir, über Open Source Philosophie, war ganz zentral davon gekennzeichnet, dass ich versucht habe zu sagen, dass so ein öffentliches Vorurteil wie "wenns nix kostet, dann kann es auch nichts wert sein" an ausgesprochener, an hervorragender Stelle falsifiziert worden ist durch die Open Source Bewegung. Es ist möglich, gemeinsam zu arbeiten und Inhalte herzustellen, die also im traditionellen Sinn - im normalen Kostensystem - tatsächlich keinen Aufwand bedeuten und die höchst qualitativ wertvoll sind. Das ist in jedem Fall möglich und auf der Schlagwortebene ist das Eintreten dafür, dass eine nicht kostenpflichtige Bildung eine Form von Kreativität und Entfaltung für Menschen in Aussicht stellt, die man festhalten sollte, auf jeden Fall etwas ganz wichtiges. Was mit diesem Schlagwort allerdings verdeckt wird - Schlagworte haben nun mal diese Funktion, dass hier etwas hervorgehoben wird und etwas anderes in den Hintergrund gedrängt wird - ist, dass - weder bei Open Source noch im Zusammenhang mit Bildung - die Anstrengung, die dahinter steckt, sachlich, inhaltlich wichtige, respektable Resultate zu bringen, dass diese Anstrengung nicht nur in Geld gemessen werden kann, dass das komplexere Verhältnisse sind. Wenn sie bei der Open Source Bewegung, dass sie eine ganz bestimmten historische Konstellation brauchen: von Netzwerkgesellschaft, von Computertechnologie, von Kommunikationsmustern, von Leuten, die aus Freude, und aus Begeisterung und aus Überzeugung arbeiten. Das alles ist nicht gratis. Es kommt sozusagen nicht von Himmel - es ist nichts, mit dem man rechnen könnte, wo man sagen könnte: OK, das nehmen wir alles hin, als selbstverständlich - warum nicht überall. Das ist nicht so: Die ganz bestimmten historisch-sozialen Bedingungen, unter den Open-Source entsteht, sind gestopft - vollgestopft - mit Voraussetzungen, die man nicht selbstverständlich hat und für die man auch arbeiten muss, wenn auch nicht im Sinn des Arbeitens der Lohnarbeit. Die Schlussfolgerungen auf den Bildungsgriff spare ich mir jetzt zu explizieren, ich bin aber sehr gerne bereit - ich habe es schon ein-, zweimal provoziert - die Bildungsdebatte [zu diskutieren]. Ich bin nicht sicher, was sie damit anfangen können, vielleicht ist das ja auch etwas, was für Sie an dieser Stelle nicht mehr so entscheidend ist. Ich würde mehr gern hören davon, von ihnen, und würde, wenn dazu keine Bemerkungen sind, weitermachen mit dem, was ich in der Vorlesung letztes Mal schon begonnen habe, nämlich mit dem Unterkapitel Platon für Aufsteiger.

Der platonische Nachhall

Was ich Ihnen heute als Platonlektüre vorlege, kann ich ohne Übertreibung ankündigen als ein Kommentar mit Darstellung von Gedanken, die zu dem unerlässlichsten Zentralgedanken, den Grundpfeilern der Philosophie seit zweieinhalb tausend Jahren gehört. Also eine gedankliche Prägung, die sich unglaublich ausgewirkt hat und die die Philosophie, wie wir sie durch alle diese Jahrhunderte kennen, wie sie uns überliefert ist, maßgeblich geprägt hat, von der wir noch immer geprägt sind. Wenn man das mal dargestellt und verstanden hat, wieso auf diese Art und Weise die Grundgestalt der Philosophie zustande gekommen ist.

Ich rede immer von der Philosophie: es gibt innerhalb der genannten Zeitabschnitte Ansätze, philosophische Ansätze, die nicht da reinfallen, aber die Plakatitvität und die Schulbildungskraft der hier zu verhandelnden Gedanken ist sozusagen massivst. Es gibt Österreicherinnen und Österreicher, die nicht Deutsch sprechen; es gibt Österreicherinnen und Österreicher, die keine weiße Hautfarbe haben; es gibt Österreicherinnen und Österreicher, die nicht Skifahren können, die Mozart nicht ausstehen können, etc. - aber wenn Sie die Typologie des österreichischen "Wesens" schreiben wollen, werden Sie nicht auskommen ohne diese prägenden Bestandteile. Die genannten Ausnahmen könnten sich im Prinzip über die Welt verteilen: Wie würde eine Person mit einer Staatsbürgerschaft aus Österreich, die aus Senegal stammt und nicht deutsch spricht […] Österreich definieren sollen. Warum es irgendwas wichtiges in Österreich zu suchen gibt, das kann verteilt werden wo immer hin. Das heißt, um so eine Kategorie wie Österreich zu haben, braucht man Typologisierungen, braucht man Abstraktionen. Das wollte ich nur in Erinnerung rufen, zur Verteidigung, Vorwegverteidigung angesichts dessen, das ich jetzt hier öfters von Grundzügen der Philosophie rede und zunächst mal absehe, bei Alternativen anzusetzen.

Die Mannigfaltigkeit des Strebens

Weisheit an die Spitze?

Um Ihnen diese Begriffsbildung vor Augen zu führen, habe ich aus dem fünften Buch der Politeia von Platon, beginnend mit der Nummer 474 - das ist eine in allen Büchern gemeinsame Standardnotation der Politeia - ein paar Textausschnitte aufgelistet. Ich habe damit begonnen, das vergangene Mal Ihnen zu sagen, woher die platonische Argumentation kommt und welche Absichten sie hat. Ich sollte vielleicht illustrativ dazusagen, das das Ziel, worauf das hinausläuft, das folgende ist: Es soll begründet werden, warum und inwiefern ein ideal-konstituierter Staat von Philosophinnen beherrscht wird, warum in der Machtposition die Philosophinnen sind. Die provokante Wendung: diese Philosophinnen sind an der Spitze des Staates. Das haben wir gestern im Platonseminar mit einem Hinweis auf die Tierwelt ein bisschen plastisch gemacht. Wenn man - wie es ja in früheren Jahrhunderten gerne gemacht worden ist - die Tierwelt als ein Abbild der Menschenwelt nimmt, könnte man sagen: [Wenn man] von Platon selber, die Polizei-, die Wächterfunktion im Staat mit Hunden vergleicht - das sind die Hunde, die die Herde bewachen -, kann man sich fragen, welches Tier würde einem in den Sinn kommen als Herrscherfigur eines solchen Staates. Wenn ich das jetzt hier abfrage, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass viele sagen würden: ein Löwe natürlich. Eine Löwin, ein Löwe, ist die Herrscherin des Staates. Die Besonderheit des platonischen Staates besteht darin, nein-nein-nein, kein Löwe, sondern eine Eule, also der Inbegriff der Weisheit, also nicht der Inbegriff des Muskel - brain not brawn sagt man auf Englisch, also Hirn und nicht Muskel - gehört da vorne hin. Darauf soll das Ganze hingehen, das wird deduziert durch diesen Zusammenhang und die Deduktion beginnt mit etwas, was ich eben auch schon vorgestellt habe, mit den zwei Basisvoraussetzungen.

Geordnete Triebe

Das eine ist: es gibt im Menschen eine gewisse Triebstruktur, ein Begehren, eine Wunscherfüllungstendenz, einen Ehrgeiz, etwas haben wollen - dass muss ich wohl nicht weiter erklären. Essen, Anerkennung haben wollen, Erfolg haben wollen - was auch immer. Aber nicht nur das, zum Beispiel: Weinliebhaber zu sein oder Formel-1-Liebhaberin zu sein oder Knaben gerne zu haben - im griechischen Zusammenhang. Dann gibt es, als zweites, das ist ebenfalls eine Voraussetzung, für Platon, die an dieser Stelle schon ziemlich wichtig ist: die Beobachtung, dass man in diesen Trieben, Begierden, Leidenschaften nicht einfach nur verstreut ist, in dem Sinn, dass man sagt: "Heute interessiere ich mich für Wein, und morgen interessiere ich mich für Briefmarken, und übermorgen interessiere ich mich für die Putenzucht.", sondern wenn man wirklich ein Liebhaber ist, dann prägt das das ganze Leben. Dann geht man aufs Ganze, dann beschäftigt man sich mit jeder Form davon. Also, Briefmarkenliebhaberin, die ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht einfach nur für Briefmarken aus Senegal - wenn wir schon dabei sind - sondern auch aus anderen Ländern, für den ganzen Zusammenhang. Das ist die Charakteristik von Liebhaberschaft, von Triebstruktur, an die Platon anknüpft. Man kann natürlich hier schon sagen: "Warum ist das so? Kann das nicht anders sein? Kann man das nicht anders organisieren?" Aber das nehme ich mal als gegeben hin, dass das die Voraussetzung ist, mit der er argumentiert.

Expertentum und Adabeis

Dann ist der nächste Schritt, den ich auch bereits expliziert habe, zu sagen: wenn wir diese Form von Streben, von menschlichem Streben haben, dann könnte man - so wie man Wein anstrebt und Expertin für Wein ist - sagen: dann gibt es die andere Untergruppe, da gibt es die Leute, die sind ExpertInnen für Klugheit, für Weisheit, für Sophrosyne. Sophrosyne ist die Besonnenheit für Wissen. Dieser Freund der Weisheit - philos (φιλος) und sophia (σοφία) ist die Weisheit, wie sie wissen - ist so wie der Freund der Knaben oder der Freund des Weines ebenso eine Begehrensgestalt. Das sind die Leute, für die ist es nicht so wichtig, dass es gut am Gaumen schmeckt, sondern für die ist wichtig, dass sie klug sind, dass sie Einsicht haben. Das sind eben unterschiedliche Triebstrukturen, wenn Sie so wollen: die einen hören lieber Musik, die anderen schauen sich lieber Bilder an, die einen gehen lieber ins Schwimmbad, und die anderen gehen lieber in die Bibliothek. So kann man es mal ansetzen und anfangen. Es beginnt quasi harmlos, es beginnt auf dieser Ebene von Gleichverteilung. Die Schwierigkeit, die sich an der Stelle ergibt, die führt uns jetzt schon etwas näher in die story, die ich ihnen erzählen möchte. Weil nämlich der Diskussionsverlauf jetzt so ist, dass an dieser Stelle eine zusätzliche Forderung auftritt und Platon mit einem Extraproblem kommt, und zwar: Glaukon sagt hier:

"Du wirst viele und wunderliche Leute dieser Art bekommen, denn die Schaulustigen alle scheinen mir von dieser Art zu sein, sofern sie am Kennenlernen Freude haben, und die Hörlustigen nehmen sich, unter die Freunde der Weisheit gerechnet, höchst wunderlich aus, sofern sie zwar zu wissenschaftlichen Gesprächen und derartiger Beschäftigung von selber nicht wohl Lust hätten zu kommen, dagegen, als hätten sie ihre Ohren verdungen, alle Chorgesänge zu hören, bei den Dionysosfesten herumlaufen und weder bei den städtischen noch bei den ländlichen fehlen." 

Das ist jetzt das Publikum: wenn man es beim Wein nimmt, wäre das ein Argument von: die "Adabeis" sind das. Es gibt in Krems - vermute ich mal - eine Weinmesse - an vielen Stellen gibt es Weinmessen - und da gibt es Leute, die haben Interesse für Wein, verstehen in Wirklichkeit überhaupt nichts davon. Die gehen dort hin, weil dort die Weinmesse ist. Und wenn die Weinmesse in St. Pölten ist, dann gehen sie dort hin. Das sind LiebhaberInnen vom Wein, die sich aber nicht auskennen. Interessanterweise wird das im Zusammenhang mit Wein und im Zusammenhang mit Knaben nicht genannt, aber im Zusammenhang mit Streben nach Weisheit tritt dieses Problem auf, dass man das "Adabei-Problem" nenne könnte. Für Platon die Schaulustigen, diejenigen, die gerne - das gibt es natürlich auch, Sie kennen das alle - wissen, und darüber reden, und darüber informiert sind, darüber, was gerade neu erschienen ist. Was ist das Spannende, was ist das Neue, wovon spricht man denn jetzt eigentlich in den wissenschaftlichen Kreisen in der Philosophie? Die Leute kennen auch die Namen dieser entsprechenden Leute und können diese reproduzieren; sie wollen "gscheid" ausschauen, sind aber per Definition eben "Adabeis", Schaulustige, die nicht den Zug auf Weisheit haben.

Die Beobachtung, die hier gemacht wird, ist die, wenn man diese Begehrensstruktur voraussetzt, man noch nicht geantwortet hat darauf, ob es auch Prüfmechanismen, Überprüfungsmechanismen gibt und worin diese Überprüfungsmechanismen bestehen, dass das, worauf die Leute sagen, dass sie ausgerichtet sind, auch wirklich das ist, was qualifiziert ist. Ein Terminus, der mich in meinem hochschulpolitischen Geschäft zunehmend stört, ist der wunderschöne Ausdruck Qualitätsmangement. Ein Qualitätsmanagement im Streben nach Weisheit. Das ist genauso wie ein Qualitätsmanagement in der Weinproduktion, und nicht nur in der Weinproduktion, sondern in der Befähigung von sich sagen zu können, dass man etwas von Wein versteht. Also es gibt natürlich die Laien, es kann jeder daherkommen und sagen, er versteht etwas davon, aber was sind die Kriterien dafür, dass man jemanden glauben kann, dass sie jetzt den guten Wein empfiehlt, etwas vom Wein versteht. Welche Kriterien werden an dieser Stelle für die die Suche nach Weisheit eingesetzt, was unterscheidet die Philosophen für die Neugierigen? Hier setzt die Totalisierung ein: Philosophinnen streben - schlicht und einfach - nach der Einsicht. Ich will nicht irgendeine Antwort, sondern die Antwort, die Einsicht. Es ist zu unterscheiden, zunächst einmal, man könnte sagen: Philosophinnen streben nach Einsicht, Philosophinnen streben danach, im Bereich des Wissens Erfahrungen zu machen, ausgewiesen zu sein. Die Frage, die ich jetzt auch aufgeworfen habe: Wenn dieses Wissen, nachdem gestrebt wird, ein ausgesprochen divergentes Wissen ist: das Wissen um Modelleisenbahnen; das Wissen darüber, wie man einen Automaten austrickst; das Wissen darüber, welchen Gesetze jetzt in der Weltwirtschaft herrschen - alle diesen unterschiedlichen Wissensformen sind genug, um die Frage zu beantworten, was ist eigentlich das qualifizierte Wissen, um das es da geht. Platon hat jetzt gesagt, terminologisch gesagt, die Frage, die der Platon aufwirft, ist der Unterschied zwischen den Schaulustigen - den Adabeis - und denen, die echt eine Ahnung haben von dem, worum es da geht. Das Ganze jetzt, statt mit Wein zu artikulieren, sondern mit dem Themenfeld des Wissens zu artikulieren: Das sind nicht diejenigen, die auf die verschiedenen Kongressen fahren und zu den verschiedenen Versammlungen gehen, um dort was zu hören, was Leute ihnen sagen, sondern das sind die, die nach der Wahrheit suchen. So ähnlich wie, nach dem guten Wein suchen, die nicht sich motivieren lassen dadurch, dass ihnen interessante neue erkenntnisverbundene Informationen gegeben werden, sondern die nach der Wahrheit suchen. Das ist zunächst einmal ein sprachlicher Trick. Sie sehen in der Art und Weise, wie ich Ihnen das darstelle, dass es im Hintergrund dieses Qualitätsproblem gibt, diese Art von Unterschied von Daherkommen und eine Sache ernsthaft verfolgen, die sprachliche Art und Weise, wie das umgesetzt wird beim Platon, der Unterschied zwischen Vielfältigkeit und Singular, Pluralität und Singular, ist. Zwischen Informationen - wenn sie wollen: Wolke von Informationen - und dem, was in der Wolke von Informationen das ist, worum es geht, dass was klassischerweise ausgesprochen wird auf der einen Seite: verschiedenste Meinungen, Stellungnahmen, Statements.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen vorm Fernsehapparat und haben die Fernbedienung in der Hand und können innerhalb von zwei Minuten 25 Statements - 25 sind etwas viel - mit großer Leichtigkeit können sie 5 Statements über den G20 Gipfel sich sofort präsentieren lassen. Wenn Sie jetzt ein/e PhilosophIn sind, dann fragen Sie: "Wovon sprechen wir eigentlich? Was stimmt von dem, was sie sagen? Was ist hinter diesen 20, oder 5, Statements?" Sie wollen nicht einfach sehen, wie die Merkel und der Barack Obama und der Sarkozy und der Gordon Brown vors Mikrofon treten und etwas über diese Ergebnisse sagen, sondern sie wollen sich fragen, sie fragen sich: "Worum geht‘s da? Wovon ist die Rede? Was ist richtig von dem, was die da sagen? Was soll ich akzeptieren?" Das ist ein ganz entscheidender Punkt: Sie treten sozusagen von der einen Position, des Coach Potato, hin zu dem thrill der neuen Nachrichtenwelt in die andere Position, um zu sagen: ist ja ganz unterhaltsam, oder weniger unterhaltsam, oder unterhaltsam wie immer, was einem da geboten wird an Infos und an Statements, und sie treten darüber und sagen: "Ich möchte aber wissen, worum es da geht. Was kann ich davon akzeptieren?" Damit ergreifen Sie einen anderen Typus an Verhaltensweisen, indem sie diese Art von Frage stellen. Sie können natürlich verschiedenste Fragen stellen, wenn sie sich diese 5 Statements ansehen, können Sie sich die Frage stellen: "Was kommt besser rüber? Warum ist da keine Frau dabei? Oder ist eine Frau dabei? Stimmt das Verhältnis? Was davon kann ich akzeptieren?" In dem Maße, indem Sie fragen "Was kann ich akzeptieren?" - das werden Sie vermutlich auch so sehen - ändert sich etwas von der Praxis, die Sie verbinden mit der Showwelt, die im Fernsehen auf Sie zukommt.

Die Macht der Sätze

Das ist eine Bewegung, die für Platon eben ganz entscheidend ist, die ich ihnen in Alltagsterminologie dargestellt habe, die aber in philosophisch genauen Terminologie bei Platon eingeführt wird als ein Unterschied zwischen der Vielfältigkeit der Eindrücke, denen Menschen unterliegen, und den Einen, die Vernunft. Meine Unterüberschrift in dem Zusammenhang ist eben "eins, zwei, viele". Die Darstellung lese ich kurz mal vor:

"Welche nennst du aber die Wahren? fragte er. - Diejenigen, erwiderte ich, welche die Wahrheit zu schauen begierig sind. - Das wäre schon recht, versetzte er, aber wie verstehst du das?"

Das spricht mir wirklich aus der Seele, und ich möchte sie ganz stark darauf hinweisen, dass Ihnen diese Frage auch unter den Nägel brennen sollte, und Sie sollten das genau so sonderbar finden, wie es hier dargestellt ist - da gibt es jemanden, der sagt: "Es gibt doch Leute, die sind auf Wahrheit aus." Und da kann man als erstes nur sagen: "Kannst du mir bitte erklären, was das heißt, auf Wahrheit aus zus ein, die Erkenntnis anzustreben?" Ich kann etwas damit verbinden, dass mir jemand sagt: "Aber du kannst doch nicht einfach glauben, was dir die Zulassungsbehörde sagt oder was dir die Frau Ministerin sagt, du solltest das doch besser noch mal überprüfen, ob das auch stimmt." Diese Art von Behauptung und Überprüfung von Behauptung ist etwas, was man mal kennt und womit man umgehen kann. Das wäre etwas - ich hoffe, das ist Ihnen klar -, das kann man eben mit Modelleisenbahnen und Formel 1 und statistischen Behauptungen in jedem Fall nach bestimmten Regeln tun. Man kann überprüfen, ob etwas, was einem vorgesetzt wird, nach bestimmten Kriterien, auch plausibel überzeugend oder so was ist. Wenn aber jemand sagt: "Ich will nicht von einer bestimmten Menge von Leute reden, sondern von einem bestimmten Typus von Menschen. Das sind nicht die Menschen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, Behauptungen nachzuprüfen, abzuchecken. Sie sind also keine Rechnungsprüfer, keine Bilanzprüfer, von Wahrheitsbehauptungen in dem Sinn: "Wie viel von dem, was eine PolitikerIn gesagt hat, ist wahr?" und das dann jeweils mitschreiben und abhaken. Sondern das sind die Leute, die nach Wahrheit streben und wenn jemand Ihnen so etwas sagt, dann haben Sie das Recht zu fragen: "Wie verstehst du das?" Und die Antwort von Platon - er weiß schon, dass das eine Zumutung ist: "Keineswegs leicht für einen andern, war meine Antwort, du aber wirst mir, glaube ich, folgendes zugeben." Er ist also unter Begründungszwang, er muss erklären, was er meint damit, wenn es geht um die Wahrheit. Was er jetzt macht, gehört nun eben zu dem grundlegenden Weichenstellungen von denen ich gesprochen habe. Er erklärt das nicht sofort, er macht das mit einem kleinen Umweg. Er sagt:

"Daß Schön und Häßlich, weil sie einander entgegengesetzt sind, zwei seien. - Natürlich. - Und da sie zwei sind, so ist auch jedes von beiden eines? - Auch dies. - Und von dem Gerechten und Ungerechten und dem Guten und Schlechten und von allen Begriffen gilt dasselbe, daß jeder für sich eins ist [...]" 

Dabei unterbrech ich jetzt mal. Was kommt da rein als eine gedankliche Bewegung, die erklären soll, was es heißt, nach Wahrheit aus zu sein? Es kommt rein, ganz banal gesagt, ein Dualismus, eine antinomische Struktur. Er sagt: Wenn wir darauf antworten sollen, dann müssen wir davon ausgehen, dass in einem ausgesprochen allgemeinen und wesentlichen Sinn, Sachen die uns wichtig sind, in Paaren auftreten: Gut und Böse; Schön und Hässlich; Wahr und Unwahr; Gerecht und Nicht-Gerecht. Das sind Dualismen, mit denen wir operieren und Sie sehen, dass der Hinweis auf diese Dualismen einen Schnellschluss - oder einen Kurzschluss, wenn Sie so wollen - mit sich bringt. Angesichts der Behauptung "das Wahre ist das Ziel", das erklären zu wollen, macht er einen Zwischenschritt. Die erste Opposition waren die vielen verschiedenen Sachen, die Schaulustigen, die alles möglich machen, und auf der anderen Seite das eine Ziel. Er sagt jetzt: zwischen den beiden gibt es den Dualismus, darum eins - zwei - viele. Es ist nicht so, dass man einfach sehen kann, es gibt das Sich-Verstreuen in die Mannigfaltigkeit und dann gibt es dass eine, auf dass man konzentriert und motiviert sein kann, sondern um zu erklären, wie man sich auf das eine konzentrieren kann, führt er diese Gegensatzpaare ein. Also das Wahre und das Unwahre. Es ist nicht so, die vielen Wahrheiten und das eine Wahre, sondern es ist die Vielheit und dann das Wahre und das Unwahre, das Gerechte und das Ungerechte. Die interessante Frage, die für mich entscheidende Konstruktion, ist jetzt die: Warum kommt er zu dieser Form von Dualität? Wo kommt dass den her? Was ist die Basis dieser Strategie, dass er dual denkt in dieser Explikation? Die Antwort, die ich gebe - das ist eine Antwort, muss ich Ihnen sagen, nicht etwas, was Sie oft hören in Lehrbüchern in der Philosophie, und das ist bisschen eine spezifische Antwort, die ich gebe im Hinblick auf das Ziel dieser Vorlesung, Bildung und Datenbanken, - Sie werden sehen, wie es zusammenhängt - und im Hinblick darauf, dass ich Platon und den Tractatus von Wittgenstein in direkte Verbindung miteinander bringen will.

Die Antwort ist die, dass man dieses Phänomen der Dualität aus Sätzen kennt. Das ist die Charakteristik von Sätzen. Es ist so, wenn ich jetzt sage: "Sätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie wahr oder falsch sein können.", dann zitiere ich etwas, was jetzt nicht der Platon sagt, sondern was aus dem Wiener Kreis und aus Frege und Wittgenstein kommt. Unter den Sprachäußerungen, die ja vielfältigster Art und Weise sein können - ich kann phantasieren, ich kann plappern, ich kann assoziieren, ich kann Wordrap produzieren -, die wir alle kennen und die vielfältig sind, gibt es einen Typus, der in der sprachanalytischen Philosophie im Wiener Kreis und in weiterer Folge als absolut zentral betrachtet worden ist. Das sind diejenigen Sprachäußerungen, angesichts derer man in einen Bejahungs- oder Verneinungsstatus kommt. An der Stelle, wenn ich Sie frage: "Bitte, wie viel Uhr ist es?" und Sie sagen: "Es ist 10:30". Sie könnten auf die Frage "Bitte, wie viel Uhr ist es?" auch mit "What time is it?" antworten, dann haben Sie die Frage als Bitte um Übersetzung verstanden. Dieses "Es ist 10:30" als Satz ist dadurch gekennzeichnet, dass in dieser Sprachhandlung die Konstruktion drinnensteckt, dass Sie Worte produzieren, die vor dem Test stehen: "Ist das richtig oder ist das falsch?", die bestätigt werden können, wenn ein Zweiter eine Uhr ansieht und sagt: "Ja, stimmt. Nein, stimmt nicht.". Dann sehen Sie: es ist zentral, für diesen Satz "Was ich haben möchte?" eine Behauptung, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, [zu haben]. Das ist etwas, was aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts in die Philosophie zentral eingeführt worden ist und was ich Ihnen hier beim Platon vor Augen führen möchte, ist, dass im Prinzip dieselbe Auffassung auch dort schon vorhanden ist. Dies insofern, als dass Platon zwischen die Vielfältigkeit, die Verstreutheit, und das Eine einen Dualismustypus einführt, den er als sprechendes Wesen nur haben kann von der Praxis der Behauptungssätze.

Sie können, wenn ich es Ihnen an dem Beispiel bringe, um Ihnen plausibel zu machen, warum das mit Sprache wesentlich zu tun hat. Stellen Sie sich vor, Sie haben keine Sprache und - wie immer das auch vorstellbar ist - und leben aber trotzdem in einer Welt, in der die Sonne aufgeht und untergeht. Dann werden Sie feststellen, dass im Laufe des Tages es manchmal heller ist, manchmal dunkler wird, manchmal sehen sie gar keine Sonne, manchmal ist es stockdunkel, dann geht es wieder ein bisschen heller los. Sie haben Wahrnehmungen von unterschiedlichen Lichtzuständen im Laufe der Zeitachse. Das können Sie wahrnehmen, das nehmen auch die Tiere wahr, zweifellos: man kann experimentell mit Sicherheit schön nachvollziehen, dass Tiere auch auf Lichtdifferenzen reagieren. Aber was Tiere nicht können, ist zu sagen: "Das ist ein neuer Tag." oder „Jetzt ist Nacht und nicht Tag.“ Das sind Behauptungssätze, die das folgende leisten: Sie legen sich darüber, über eine modulierte Vielgestalt von sinnlichen Eindrücken und haben ein Einteilungssystem, dass an dieser Stelle astronomisch definiert ist und das als Einteilungssystem Sie dazu fähig macht, Behauptungssätze zu formulieren, die einen Schnitt rein machen: „Jetzt fangt der neue Tag an.“ ist nicht ein Effekt, der einfach zwischen dunkel und hell ist. Was dunkel und hell ist, verläuft sich. Der neue Tag kann, je nachdem ob Sommerzeit oder nicht Sommerzeit ist, mit Helligkeit oder Dunkelheit anfangen.

Das wichtige ist, dass Sie eine Segmentierung in der sinnlichen Vielfalt wahrnehmen, die Sie verantworten können, wollen und müssen gegenüber Ihren anderen Mitmenschen als etwas, was Sie festhalten oder aber verwerfen. Hier haben Sie die Dualität, die geht - das ist meine Pointe - nur mit der Sprache. Sprache, Sprachausdrücke, Sätze haben diese Qualität, dass sie verbunden sein können mit diesem ja/nein, falsch/richtig. Nicht-Zustände, Nicht-Verteilungen - was immer Sie wollen - haben diese Eigenschaft nicht. Die Sprache in ihrer Fähigkeit, Akzeptanz oder Verwerfung zu produzieren, ist - und zwar genau diese beiden; die Sprache kann viel mehr natürlich auch, Sprache ist ein sehr sehr reichhaltiges Instrument.

Die Wahrheit von Sätzen

Wichtig und entscheidend ist an dieser Stelle das fundamentale Instrument des ja/nein. Dieses fundamentale Instrument ist nun natürlich das, dass diese Dualismen von schön/schlecht, hier/dort, usw. erzeugt. Womit ich also sagen möchte, dass Platon in der Charakteristik dessen, was es heißt, dem Wahren nachzueifern, ein Feature reinbringt, dass direkt an den Satzgebrauch anschließt, nämlich an die Qualität, dass das Wahre auftritt als Eines im Gegensatz zum anderen, zum Zweiten, zum Falschen. Das Schöne im Unterschied zum Hässlichen. Das ist deswegen - das werden wir noch mehrfach sehen - an dieser Stelle von zentralster Bedeutung und es zieht sich von Platon bis in die Gegenwart mit rein, weil jemand, der sagt "Er sieht das Wahre.", vor die Frage gestellt werden kann: "OK, und wonach kann ich das messen? Wonach kann ich das beurteilen, dass das das Wahre ist, gegenüber den vielen anderen Dingen, die man auch machen könnte?" Die Antwort, die in diesem Dualismus drinnen steckt, ist folgende: Es gibt des einen Check, es gibt diese eine Unterscheidung, und diese eine Unterscheidung ist: Wenn du einen Satz aussprichst, für den du beanspruchst, dass er wahr ist, dann hast du dich in ein Spiel eingelassen, indem du rechen musst damit und zulassen musst, dass jemand dir widerspricht, dass jemand sagt: Nein. Wenn Sie Wordrap machen, dann ist das nicht so. Sie sind für Ihre Assoziationen im Wordrap selbst verantwortlich, da kommt genau das nicht, da haben Sie diese Art des Überprüfungsmechanismus nicht. Wenn Sie eine Behauptung machen, wenn Sie eine Antwort auf eine Prüfungsfrage geben wollen - zum Beispiel, um es handfest zu machen -, dann setzen Sie sich der möglichen Widerlegung aus. Dieses Sich-Aussetzen der Widerlegung ist im Outline, in der Basis, dadurch gekennzeichnet, dass jemand das verwerfen kann, was Sie sagen; und zwar genau das und gerade das umdrehen: Nein, falsch. Das ist eine Bewegung, die nichts mit dem direkt zu tun - darum werde ich jetzt gleich als nächstes darauf kommen.

Diese Bewegung des Ja-Behauptens / Nein-Umdrehens hat nichts zunächst mit dem zu tun, was Sie da sagen. Das, was sie sagen, hat einen Inhalt, hat eine bestimmte Gestalt, hat zum Beispiel eben die Gestalt "Es ist 10:30". Das ist der - wie man sprachanalytisch sagt - Sinn des Satzes, die Bedeutung in einem konventionellen Sinn. Sinn ist das, was Sie mitteilen wollen, der Gehalt dessen, was Sie mitteilen wollen, ist: "Es ist 10:30". Dieser Gehalt unterliegt einem Prüfverfahren, und dieses Prüfverfahren ist abstrahiert, ist unabhängig von dem Gehalt zunächst mal. Das verlangt die Kompetenz zu wissen, was ein Prüfverfahren ist, verlangt eine andere Kompetenz. Um herauszufinden und verstehen zu können, was jemand sagt, wenn er sagt: "Es ist 10:30", brauchen Sie andere Qualitäten. Was er sagt, wenn er sagt: "Es ist 10:30" brauchen Sie Qualitäten von: Sie müssen wissen, was eine Uhr ist; was eine Uhrzeit ist, etc. Das unterscheidet sich von der anderen Kompetenz, die darin besteht, dass Sie wissen, was es heißt, eine Behauptung aufzustellen und eine Behauptung zu widerlegen. Diese Form von Dualität, der der Platon mit reinbringt - also die Kompetenz in der Dualität. Dann die Kompetenz, den einen Teil der Dualität, nämlich das Wahre, herauszuheben und zu fokussieren. Das ist die Besonderheit der Wahrheitsorientierung. Der zweite Schritt ist jetzt der - und das muss ich Ihnen jetzt dadurch erklären, dass ich den Satz vorlese, bei dem ich vorher aufgehört habe, nämlich: "Und von dem Gerechten und Ungerechten und dem Guten und Schlechten und von allen Begriffen gilt dasselbe, daß jeder für sich eins ist, [...]" Da haben wir diese Einheit - und jetzt geht es weiter:

"[...] aber dadurch, dass er infolge der Mitteilung an Handlungen und Körpern und anderen Begriffen überall zur Erscheinung kommt, jeder viele zu sein scheint?". 

Sie haben also jetzt einerseits den Begriff von allen Begriffen; das sind übrigens die ηιδον. Ich habe Ihnen die griechische Übersetzung von dieser Passage hier vorgestellt. Das Gute und das Schlechte, das Gerechte und das Ungerechte - das sind alles ηιδον, Vorgaben, Sonderkonstruktionen. Nennen wir sie behelfsmäßig Begriffe. Diese Begriffe haben jetzt eine besondere Beschaffenheit, mit denen hat es eine besondere Bewandtnis. Diese besondere Bewandtnis besteht darin, dass diese Begriffe in Folge der Mitteilungen an Handlungen und Körpern überall in Erscheinung kommen, dh. jetzt auf griechisch - das ist das, was ich Ihnen mit der Farbe ausgezeichnet habe - die κοινωνία. κοινωνία ist der entsprechende zentrale Begriff. Die Gemeinsamkeit - und das ist eine Ähnlichkeit, eine Teilungskategorie ist das. Die Teilungskategorie bezieht sich jetzt auf das Verhältnis von diesen heraus isolierten dualistischen Konstruktionen Gerechtigkeit/Nicht-Gerechtigkeit, Wahrheit/Unwahrheit und dem, was an diesen Begriffen teilhat. Das ist die platonische Betrachtungsweise. Ein anderer Begriff für Teilhabe ist μητηχην. Also κοινωνία, Gemeinsamkeit, μητηχην, "Mit-Teil-haben". Von teilhaben, von diesem μητηχην, kommt der Fachausdruck der μητηξις. μητηξις ist der Terminus für die platonische Lehre der Teilhabe. Und was nimmt jetzt an was teil? Wir haben gesehen, es gibt - über der ja/nein Satzverwendung zugänglichen - zentrale Begriffe wie gut/schlecht, wahr/falsch. Und dann gibt es etwas, was daran teilnimmt. Und was ist das, was daran teilnimmt? In dem, was ich bisher expliziert habe, kann man sagen - muss man sagen - es ist der Inhalt des Satzes, der Inhalt der Aussagen, die auf diese Art und Weise behandelt werden. Ich habe vorher gesagt, es ist ein Unterschied zwischen den Fähigkeiten, die Sie brauchen, um den Sinn eines Satzes zu verstehen, und der Fähigkeit die Sie brauchen, um zu verstehen, was es heißt, einen Satz zu behaupten und zu widerlegen. Die Teilnahme, von die der Platon redet, ist nun die Teilnahme des Inhaltes des Satzes, des Sinns des Satzes, an der Wahrheit in dem speziellen Fall. Also klassisch würden Sie dann sagen wollen, versucht sein zu sagen wie: In dem Moment, in dem "Es ist 10:30" wahr ist, dh. dem Urteil eine richtige Basis verleiht, das es wahr ist, in diesem Fall nimmt der Inhalt von "Es ist 10:30" an der Wahrheit teil. Das sind jetzt, ich würde mal sagen, epochen-machende zentrale Bahnungen, Redeweisen, die eingeführt worden sind an der Stelle, dass man die Teilhabe von Satzinhalten an der Wahrheit ausdrücken kann. Was heißt diese Teilhabe? Das ist aus dem, was ich Ihnen gesagt habe, vielleicht deutlich ersichtbar: das heißt, das ich etwas, was ich mit Sätzen machen kann und was nach Regeln von ja/nein, Plus/Minus funktioniert, und was nach diesen Regeln als Wahrheit und Falschheit von Sätzen beschrieben werden kann. Was ist nach diesen Regeln Wahrheit oder Falschheit von Sätzen? Die Wahrheit von Sätzen ist: ich akzeptiere diesen Satz, ich setze die Wahrheit eines Satzes und ich weiß, was es heißt, einen Satz zu behaupten. Das ist die Wahrheit und diese Art von Wahrheit, diese Art von Praxis strahlt aus auf - wenn Sie so wollen: wirkt auf - das, wozu Sie diesen Satz inhaltlich verwenden, nämlich die Behauptung. Was Sie hiermit haben, ist die platonische Konfiguration, wie die Schaulustigkeit, die Vielfältigkeit, von der wir ausgegangen sind, sich verbindet mit der Eindeutigkeit und der Einzigartigkeit, die wir auch haben wollen, wenn wir vom Ganzen reden. Es ist klar, worin das besteht: In den Inhalten der Sätze gibt es diese Unterschiedlichkeit und die Schaulustigen - in meinem Beispiel die vor dem Fernsehapparat Sitzenden, die durch die Statements durchzappen - kriegen diese Vielfältigkeit mit. Diejenigen, die nach Wahrheit suchen, suchen nach etwas, nach der Wahrheit, die sich abbildet in diesen Verschiedenheiten.

Es ist klar, dass Sie hiermit einerseits einen ontologischen Bruch von größter Bedeutung geschaffen haben, nämlich zwischen vielen verschiedenen Inhalten und einer Wahrheit, und dass Sie gleichzeitig eine Konstruktion haben, in der die eine Wahrheit erklärt wird, wie es den sein kann, dass diese eine Wahrheit, die immer nur eine Wahrheit ist, immer nur eins. Da ist kein Inhalt drinnen; in ja/nein ist kein Inhalt. Das ist eine Strategie, mit Inhalten umzugehen. Wenn Sie diese Strategie, mit Inhalten umzugehen, fokussieren und als das eigentliche Ziel nehmen, dann sind Sie an dem Inhalt keinen Schritt weiter, keinen Schritt näher. Die Vermittlung zum Inhalt - Vermittlung ist da eben auch ein zentraler Punkt - ist etwas, was sie dadurch kriegen, dass Sie diese Teilhabefunktion konstruieren, wie immer Sie das denken können oder wollen.

Ideale und Selbstprädikation

Ich habe Ihnen, was ich Ihnen jetzt frei Hand erzählt habe, ein bisschen ausartikuliert, und ich gehe hier gleich weiter zum nächsten Punkt, an dem dann deutlicher wird, wie entscheidend das eingreift in die Struktur, Strukturierung der Bevölkerung und in den - und das ist hier auch gleich zu sagen - Eliteanspruch der Philosophie. Nun lese ich vielleicht mal vor:

"Hiernach also, fuhr ich fort, unterscheide ich einerseits die soeben von dir genannten Schaulustigen und Kunstliebenden und aufs Handeln Gerichteten, und andererseits dann die, von denen die Rede ist, die allein man mit Recht Weisheitsfreunde nennt." 

Der φιλοσοφευ

"Wie meinst du das? - Die Hörbegierigen und Schaulustigen, antwortete ich, haben doch wohl ihre Freude an den schönen Stimmen und Farben und Gestalten und allem, was aus dergleichen gearbeitet wird, vom Schönen selbst aber ist ihr Sinn unfähig das Wesen zu schauen und seiner sich zu freuen." 

Da ist eben die Rede davon: ein entscheidender sprachlicher Mechanismus und den Zusammenhang, den ich Ihnen dargestellt habe, in der Sprache auszudrücken, ist die Formulierung: "Es ist möglich, dass Schöne selbst zu schauen, das Wahre selber anzustreben." Hier unten haben Sie es nochmal in griechisch, von der Formulierung: αὐτὸ δὲ κάλλος. κάλλος ist dasselbe; das Schöne selbst, das Wahre selbst zu schauen. Das ist eine Erfindung, eine Sprachwendung, und eine Erfindung von größter Wichtigkeit und das ist auch einer der Gründe, wieso ich eine Tendenz verspüre, eine Versuchung verspüre, griechisch reinzunehmen, quasi zurückzufallen, zurückzugreifen auf das Griechische. Sie können sagen, dass ist der Sprachkontext, in dem dieser Fachausdruck das erste Mal geprägt worden ist. Der findet sich dort im Text, und man steht staunend davor und will jetzt erklären, was man darunter verstehen kann. Die Besonderheit dieser Konstruktion will ich in zwei Hinweisen noch mal fassen. Der eine Hinweis ist sprachanalytisch: was passiert da eigentlich, wenn Platon sagt: "Es ist nicht nur so und nicht nur möglich, schöne Dinge zu sehen, also sich daran zu freuen, das es schöne Dinge gibt, sondern man kann auch das Schöne selber sehen. An Stellen, die ich Ihnen hier nicht aufgeführt habe, die Sie aber beim Platon leicht finden, geht das dann weiter, so dass er sagt: "Schöne Dinge sind natürlich schön." Schöne Dinge sind die, für die man das Prädikat schön anwendet. Dann geht es weiter beim Platon:

"Und das Schöne selbst, wie würden wir das nennen? - Das ist natürlich das Schönste." 

Schöne Dinge sind schön, aber Schönheit ist überhaupt das Schönste. Schönheit kann gar nicht anders, als Schön-sein, weil Schönheit ist das Vorbild und das Leitbild des Schönen und wie wäre es denn möglich, das das, was alles Schöne schön macht, nicht selber schön wäre. Das ist eine platonische Konstruktion - ich halte sie für vollständig lächerlich. Das sage ich jetzt als Sprachanalytiker. Wenn man das runternimmt auf den normalen Sprachgebrauch, dann funktioniert das irgendwie so wie: "Der Tisch ist braun." Kann ich jetzt das Prädikat "braun" auch von braun aussagen? "Die Farbe braun ist die Farbe braun braun". Ich hoffe, Sie werden verneinen. In der Diskussion heißt es die Selbstprädikation, dass man von einem Prädikat die Eigenschaft aussagen kann, die dieses Prädikat selber enthält. Das funktioniert in bestimmten Zusammenhängen, da ist es durchaus legitim. Ein Beispiel aus der Mengentheorie: die Menge aller Mengen ist selber einer Menge. Das führt dann hin und wieder auch zu Problemen, aber Sie können sich - je nach dem, in welchem System Sie sich befinden - die Erlaubnis nehmen, zu sagen: Wenn wir als Mengenkriterium nichts anderes ansetzen als die Sammlung von Elementen zu einer Gesamtheit, dann können Sie sich auch alle diese Gesamtheiten wiederum gesammelt vorstellen, und das ist dann wiederum eine Menge. Menge ist etwas, was Sie zu einem Element sagen, aber Sie können dasselbe Prädikat auch auf an Mengen anwenden. Im Zusammenhang mit einem solchen Beispiel wie braun ist es klar, dass es nicht so funktioniert, dass Sie dieses Prädikat nicht nochmal an sich selber anwenden können. Das ist aber für Platon ein entscheidender Schritt in der Konstruktion der Homogenität zwischen diesem Höchsten - der Wahrheit, dem Guten - und den vielen Dingen. Denn das, auf was er hinauswill, ist, dass er sagen will: es gibt diese Spitze - die Schönheit des Schönen - und diejenigen die - weil sie kompetent sind, um schön/unschön zu beurteilen - diese Schönheit kennen. Diese Schönheit gilt dann als Kriterium dessen, was - um sie zu leiten, regulieren und determinieren zu können - die Schönheit in den einzelnen Bereichen ist. Das ist die Behauptung der Selbstprädikation, die hier drinnen steht. Diese sprachliche Behauptung nun - das ist der zweite Punkt, den ich sagen will -, die nun verwendet wird, um zwei Typen von Menschen zu unterscheiden, die zwei verschiedene Arten von Fähigkeit haben. Die einen sehen schöne Dinge, können Dinge sehen, können in etwa sagen: "Das ist schön". Die anderen sehen die Schönheit, weil die Schönheit kann auch schön sein, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Was sind jetzt diese Bedingungen? Diese Bedingungen sind, dass man einsieht, eine Einsicht hat in das Schöne. Das ist offensichtlich eine andere Form von Schauen. Sie können das Schöne als das Prinzip dessen, was Ihnen möglich macht, bestimmte schöne Dinge zu qualifizieren, nicht so sehen, wie die verschiedenen Dinge, die sie qualifizieren. Das können Sie nicht. In dem Moment, in dem Sie sagen: "Die Liebhaberin der Schönheit und der Weisheit sind charakterisiert dadurch, dass sie Zugang zu diesem Prinzip, zu diesem Schönen haben.", statten Sie diese Personen mit einer ganz besonderen Sichtweise aus, mit einem Sehvermögen der anderen Art, wenn Sie so wollen. Dieses inspirierte, intuitive, einsichtige, philosophische Sehvermögen ist dass, worauf es dem Platon an dieser Stelle doch wohl ankommt und auf was er hinausgeht. Ich glaube, was ich Ihnen an dieser Stelle sagen wollte, ist im Outline gesagt. Vielleicht wollen Sie was Bemerken dazu? Scheint Ihnen alles so locker und selbstverständlich? Das kann ich fast nicht glauben.

Die Herrschaft der PhilosophInnen

Dann geh ich im Konzept den nächsten Schritt weiter und weise darauf hin, dass sich mit dem, was ich Ihnen da gesagt habe, natürlich eine dramatische Trennung und Einteilung ergibt - für Platon insbesondere. Wenn Sie sich das am Anfang angesprochene vor Augen führen, nämlich das es darum geht, PhilosophInnen als HerrscherInnen einzusetzen: Sie haben eine Gruppe von Menschen, die in der Lage sind, diese Ideale zu verfolgen, und die in der Lage sind, zu differenzieren - das kommt in weiterer Folge dann rein - zwischen einzelnen schönen Dingen und dem Schönen. Wenn Sie so etwas eingeführt haben, dann haben Sie natürlich - ich erinnere Sie an die Eingangsbemerkungen zu [...] - eine Form von Lebensaufgabe definiert: Sollten Sie nicht geboren sein mit einem "Direkt-Einblick" in das Schöne, und das Wahre und das Gute; sollten Sie der Auffassung sein, dass das Schöne, Wahre und Gute nicht für alle umsonst vorhanden ist - wenn ich das hier einmal werten darf: Bildung für alle, und zwar umsonst -; sollten Sie Einsicht in das Richtige und das Gute umsonst für alle ist. Wenn Sie nicht der Auffassung sind, dass das nicht jedem Kind in der Wiege als ursprüngliche menschliche Fähigkeit niedergelegt wird, das alle Menschen aufwachen mit der Einsicht des Wahren, Guten und Schönen. Sollten Sie dieser Auffassung sein, dann stellt sich für Sie die Frage: Wenn es denn das doch gibt, wenn es das Wahre, Gute, Schöne aber doch gibt - und die Bedingungen, unter denen es die gibt, habe ich Ihnen vorgeführt - dann stellt sich natürlich die Frage: Wie kommen wir dorthin? Kann man das lernen? Unter welchen Umständen kann man das lernen? Ist das nur für Leute zugänglich, die bestimmte Erbschaft gemacht haben, die bestimmte Fähigkeiten haben? Oder ist es zugänglich für mehrere oder alle?

Zweierlei Leistung

Frage aus dem Auditorium:

Führt Platon so etwas ein wie Leistungsbegriff oder wird das gar nicht thematisiert bei Platon?

Jein. Platon hat einen sehr ausgeprägten Leistungsbegriff. Gerade in der Politea, aus der das ja genommen ist, hat er die folgende Vorstellung, er hat quasi eine doppelte Vorstellung: Einerseits hat er die Vorstellung, dass Menschen mit bestimmten Fähigkeiten auf die Welt kommen, und diese Fähigkeiten sollen sie möglichst gut ausnützen. Die sind aber begrenzt. Es gibt Leute, die können gut rechnen; es gibt Leute, die können gut schwimmen, können gut Häuser bauen - die sollen das gut machen, und die Kontrolle unter diesen Leistungsbegriff ist die jeweilige peer group. Leistung wäre in diesem Fall: "gut Schuhe machen können". Wer beurteilt die die Fähigkeit, gut Schuhe machen zu können? In diesem Fall die Öffentlichkeit und der Meister, die Meisterin, die jemanden darin unterweist. Das wäre der auf die jeweils mitgebrachten Fähigkeiten bezogener Leistungsbegriff, den kann man aber auch verfehlen. Aber das ist vergleichsweise regional.

Dann gibt es eine prinzipiellere Betrachtungsweise. Die prinzipiellere Betrachtungsweise - und ich nehme an, dass die Frage eher dorthin gegangen ist - ist die: Wenn man diese regionalen Kapazitäten betrachtet als Beiträge zum Gemeinschaftsleben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, dann stellt sich die Frage: "Welche Leistungen sollen wir von einzelnen Leuten verlangen? Was sind die Leistungen, die wir aus staatsbürgerlicher Sicht verlangen, einklagen, sollen?" Da ist der Platon in der Schiene, dass er sagt: Offensichtlich gibt es Fähigkeiten, die nicht nur die SchusterInnen und die ArchitektInnen interessieren, sondern die alle Leute interessieren. Diese Fähigkeiten - das sind solche Fähigkeiten wie Kompetenz, Anstreben von Kompetenz ganz allgemein - also nicht Kompetenz im Hausbauen, sondern Fähigkeiten ganz allgemein -, da sagt Platon: Es ist schon ganz in Ordnung, wenn du dich einpasst in das Staatswesen gemäß deiner Fähigkeiten, da will ich von dir nicht mehr verlangen. Insofern hat er keinen Leistungsbegriff, keinen ausgebauten, darüber hinausgehenden Leistungsbegriff. Ganz im Gegenteil sagt er: Schuster, bleib bei deiner Leistung. Das ist das eine Prinzip, was er sagt. Zweitens aber sagt er: Damit der ganze Staat gerecht und richtig funktioniert, braucht man durchaus auch einen Blick auf fachübergreifende, professionsübergreifende Leistungen, wie zum Beispiel die Leistung, richtig leben zu wollen; die Leistung, die richtigen politischen Entscheidungen treffen zu können. Das ist der Punkt, wo die Leistung den richtigen Ort für sich selber finden soll in der Gemeinschaft. Da hat er, der Platon, einen ausgesprochen ausgetüftelten Leistungsbegriff. Wenn man sich anschaut, was er sich in der Politeia sich alles einfallen lässt zur Kontrolle der Erziehung und der Erziehungserfolge von Wächtern und Wächterinnen - das sind in dem Fall auch wirklich Wächterinnen -, dann werden die auf das höchste geprüft. Die müssen ziemlich strikte Erfordernisse erfüllen, damit sie ihre WächterInnen-Position ausfüllen, und in diesem Fall ist auch so, dass man abhängig von Leistungen entweder rausfallen kann, aus einem gewissen politischen Geschäft, oder aber aufsteigen kann. An dieser Stelle gibt es die bürgerlichen Leistungen wohl. Wenn Sie es plakativ am berühmten Beispiel des Höhlengleichnisses haben wollen, können Sie das beides gut sehen. Wir kommen auf das Höhlengleichnis in weiterer Folge dann zu sprechen. Wenn Sie das so haben wollen, dann können Sie es so sehen, dass man sagt: Auf der einen Seite: für die Leute, die gefesselt sind in der Höhle und dort unten sitzen, gibt es keinen Leistungsbegriff. Die sehen das immer, was sie sehen. Aber in dem Moment, in dem Sie freigesetzt werden, indem es diesen Dreh gibt zum Licht - Sie können sich leicht ausdenken, dass das, was ich Ihnen hier ohne Höhlengleichnis mit der Wendung zum Wahren expliziert habe, dass das nichts anderes ist, als dass, was im Höhlengleichnis dadurch symbolisiert wird, dass es Menschen gibt, die nicht kleben bleiben an den einzelnen Events, sondern die fragen: Was steckt eigentlich dahinter? Woher kommt das? In dem Moment, wo dieser Dreh vollzogen ist, gibt es sehr wohl eine Verantwortung, ein Anspruch, den der Platon formuliert, ein Anspruch den man gerecht werden kann oder nicht gerecht werden kann.

Schluss und Folgerungen

Was damit relativ deutlich wird, ist, dass wir durch die grundlegenden Einführungen der Philosophie in eine Situation gebracht werden - darauf wollte ich jetzt eigentlich hinaus -, in der Bildung möglich ist, notwendig ist sogar. Das sind die Rahmenbedingungen für Bildung im platonischen Sinn. παίδηα heißt das im Höhlengleichnis. Das ist der Weg von den Schaulustigen von dem Reinen zu kommen - das ist der Bildungsgang. Was ich am Anfang gesagt habe, über Bildung für alle und zwar umsonst, das wird jetzt auch deutlicher. Einerseits ist in der platonischen Konstruktion - so wie ich es Ihnen dargestellt habe - das tatsächlich etwas, was für alle möglich ist. Das ist aufgebaut auf der menschlichen Triebstruktur und bestimmten Suggestionen und Konstruktionen von Sprache und Zielerfüllung. Diese Konstruktionen gelten für die SchwimmerInnen genauso wie für die BäuerInnen. Alle Menschen können mit Sätzen so umgehen, wie ich gesagt habe. Das ist nicht in einer Weise ein Privileg. PhilosophInnen können alle werden - im Prinzip. Und zwar deswegen, weil die Mechanismen, die ich beschrieben habe - der Abstraktion, der Zuwendung zu dem Wahren, das Organisieren der eigenen Wahrnehmungen und Behauptungen nach dem Prinzipien des platonischen ja/nein, eines/viele. Das ist für alle zugänglich. Das ist auch der Aufruf von Platon, der an alle ergeht.

Dass das aber nicht umsonst ist, in diesem anderen Sinn, dass man hier einen Umstellungsprozess, einen Wechsel, im Leben notwendig hat, der diesen Switch bewirkt und das dieser Switch eine Investition ist, dass dieser Switch nichts ist, was einfach kommt, dadurch, dass man in einem Hörsaal sitzt - um so was zu sagen -, dass ist an dieser Stelle auch deutlich. Von daher geht es also durch die Jahrhunderte durch bis zur Festrede der Bildungsministerin, dass man eine Aufgabe definiert, die über das hinausgeht, was im Schaulustigen festgehalten worden ist und die eine Orientierung an der Einheit, an der Nachvollziehbarkeit hat - eben wie besprochen. Und die allen - das ist sehr wichtig und das lag hinter dem, was ich gesagt habe, es gilt für Bäuerinnen und Schwimmerinnen im Prinzip genau so - die nicht beeinflusst ist durch irgendwelche Finanzfaktoren. Da ist im Hintergrund das platonische, sokratische Oppositionsverhältnis zu den Sophisten. Hier kommt eben nicht mehr rein - ich habe Ihnen das vergangenes Semester und Anfang dieses Semester auch nochmals in Erinnerung gerufen -, eine Antwort auf die Frage: "Wie kriege ich es hin, dass ich die Wahrheit sehe und spreche?" ist dann natürlich: ich nehme mir einen Hauslehrer. Das ist die Antwort der Sophisten gewesen. Der Hauslehrer ist hier nicht vorhanden, sondern das ist etwas, was für alle als Möglichkeit offen steht.

Sie sind sozusagen losgelöst vom Finanzüberlegungen, was aber nicht heißt, dass Sie losgelöst sind von einer ganz gehörigen Aufgaben, nämlich von der Aufgabe, zu verstehen, was ich Ihnen da gesagt habe mit den vielen Wahrheiten und der Wahrheit - was immer das sein soll, das ist ja auch nicht so ohne. Wenn Sie das verstehen, daraus eine Attitude zu machen, daraus ein Leben zu machen, mit dem Sie reüssieren, das ist ja keine geringe Aufgabe und die kostet auch. Allerdings nicht unbedingt Geld. Danke.