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'''Philosophie als Lebenskunst und Selbstsorge Teil II'''
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Version vom 21. Januar 2010, 17:50 Uhr

Philosophie als Lebenskunst und Selbstsorge Teil II

WORK IN PROGRESS!

Zur Erinnerung

In der Antike wurde Philosophie auch oder gerade als Kunst der Lebensführung verstanden, die der Arbeit an sich selbst dienen sollte. Den antiken Schulen von Platon bis ins römische Reich war gemeinsam, dass sie Selbsterkenntnis als Folge bzw. Voraussetzung der Selbstsorge verstanden. Die Inhalte und Regeln dieser Selbstsorge waren im Sinne eines transzendent-normativen Zugangs (Was muss ich tun, um den guten Menschen/Philosophen in mir hervorzubringen?) klar geregelt, inklusive eines bestimmten Kanons körperlicher und geistiger Übungen (áskesis). Ziel der philosophischen Praxis war die Erkenntnis einer allgemeinen Wahrheit, die von allen freien Männern gleichermaßen angestrebt werden konnte.

Descartes

René Descartes (1596 – 1650) vollzog den exemplarischen Übergang vom Selbst als personaler Einheit (Antike, frühes Christentum) zum philosophischen Subjekt, das durch Selbstverhältnis und - im Unterschied zur dialogischen Verfahrensweise der Antike - beinahe solipsistische Selbsterforschung geprägt ist. Sein methodischer Zweifel reduziert das Subjekt auf eine res cogitans, die sich auch des eigenen Körpers nicht sicher sein kann, und trennt streng zwischen geistiger und materieller Welt (res extensa). Die Wiedereinführung des Körpers als Körper des Zweifelnden erfolgt in Descartes 6. Meditation, und hier nur mit Hilfe Gottes. Jene Wahrheit („cogito, ergo sum“), die der Philosoph sucht, ist vollkommen unabhängig von der Existenz seines Körpers (oder irgendeines anderen Körpers oder Bewusstseins). Sie kann von jedem, der dazu fähig ist, durch folgerichtiges Denken und Zweifeln, aber eben nicht durch Praxis und Tugendhaftigkeit erreicht werden. Diese strenge Unterscheidung zwischen wissendem und handelndem Subjekt zeigt sich auch in Descartes Hierarchie der philosophischen Disziplinen, in denen die Ethik an eher untergeordneter Stelle steht. Mit dieser Wende zum Rationalismus war Selbstsorge in der westlichen Philosophie für lange Zeit kein Thema mehr.

Nietzsche

Für Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) spielt die Frage, wie man leben könnte, eine zentrale Rolle. Er war als Altphilologe stark von der griechischen Antike und ihren Idealen philosophischer Lebensführung beeinflusst und verteidigte sie vor allem gegen die christliche Moral und Asketik (im Sinne einer Hinwendung zum Geist und Ablehnung des Körpers bis zur Selbstkasteiung). Die Erkenntnis soll der Arbeit an sich selbst nur als Mittel untergeordnet bleiben:

„Nicht durch Erkenntnis, sondern durch Übung und ein Vorbild werden wir selber!“ [Nachgelassene Fragmente, KSA, Bd. 9, S. 361/Zitat 5, Handout]. 

Zugleich polemisiert Nietzsche gegen den „Subjekt- und Ich-Aberglauben“ aus der Tradition von Descartes und Kant. Die Annahme eines Erkenntnissubjekts, das getrennt von seinem Körper existieren kann, beruht laut Nietzsche nämlich auf einem sprachlichen Missverständnis des Subjekt-Objekt – Verhältnisses in der indogermanischen Grammatik; für ihn gibt es nur das Selbst, die körperliche Person. Allerdings verwirft er die im „Erkenne und achte dich selbst!“ der Antike vorausgesetzte Idee des eigentlichen und wahren Selbst, das man aus sich hervorbringen könne (da dieses Selbst letztlich auch eine normierende Funktion einnehmen würde). Das Selbst existiert nur im ständigen sich-selbst-Schaffen, es ist dabei autonom (im Sinne Kants) und muss sich an keinerlei Gebote halten – beispielsweise auch nicht an den kategorischen Imperativ:

„Wir aber wollen die werden, die wir sind“; also nicht, die wir sein sollen (wie es in einer Ode von Pinda heißt), sondern neu, selbstgesetzgebend, kreativ, einmalig.

Der schon bei Epikur und Plotin bemühte Vergleich der Arbeit an sich selbst mit jener eines Bildhauers wird bei Nietzsche zur Forderung, aus sich selbst ein Kunstwerk zu machen. Aber nicht, um die göttliche Tugend hervorzubringen, sondern um seinem Charakter Stil zu geben, sodass „auch die Schwäche noch das Auge entzückt.“[Die fröhliche Wissenschaft, KSA, Bd. 3, $ 290/Zitat 6, Handout]. Darin unterscheidet sich Nietzsches Konzeption deutlich von jener der griechischen Antike, in der das Streben nach Schönheit dem harmonischen Gleichgewicht zwischen Gefühl, Vernunft und körperlichen Trieben diente. Versuche, sich selbst zu stilisieren und „krampfhaft anders zu sein“, wurden abgelehnt (wie ein gewisser Alkibiades, dem aufgrund seiner exzentrischen Erscheinung politische Ämter verwehrt blieben).

Wenn man so will, rückt Nietzsche mit der Forderung, durch (philosophische) Arbeit an sich selbst etwas Neues und Einmaliges zu erschaffen, in die Nähe von Charles Baudelaire und des Dandyismus. Jedenfalls sind Nietzsches Positionen immer als Extreme in polemischer Abgrenzung gegen die herrschenden christlichen Moralvorstellungen zu betrachten.

Wittgenstein

Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951) wird üblicherweise als Vertreter einer wissenschaftlichen und sprachanalytischen Philosophie dargestellt. Die im Folgenden besprochenen Aspekte seines Werks wurden in der ursprünglichen Rezeption übersehen bzw. erst nach Veröffentlichung des Nachlasses [der immer noch nicht vollständig erfasst ist] bekannt. Wittgenstein lehnte eine rein um Wissenschaftlichkeit bemühte Philosophie, wie sie zu dieser Zeit vom Wiener Kreis angestrebt wurde, eigentlich ab und war vielmehr um eine Verbindung von Philosophie und Leben bemüht:

„Die Arbeit an der Philosophie ist – wie vielfach die Arbeit in der Architektur – eigentlich mehr die Arbeit an einem selbst. An der eigenen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht (und was man von ihnen verlangt.)“[VB, WA Bd. 8, S. 472/Zitat 8, Handout.]

„Die Freude an meinen Gedanken, ist die Freude an meinem eigenen seltsamen Leben.“

[VB, S. 480/ Zitat aus dem Text, Handout 2. Beide stammen aus den nachgelassenen Vermischten Bemerkungen Wittgensteins, die eine Fundgrube für Zitate zur Kulturphilosophie, Ethik und anderen für Wittgenstein „untypischen“ Themen sind.]

„Die Furcht vor dem Tod ist das beste Zeichen eines falschen, das heißt schlechten Lebens.“

[Tagebücher, Eintrag von 1916]

Wittgenstein vergleicht die philosophische Arbeit außerdem – wahrscheinlich im Sinne Nietzsches – mit einer ästhetisch-künstlerischen, schöpferischen Tätigkeit und schreibt, dass man Philosophie eigentlich nur dichten dürfte. Damit könnte der Gebrauch des Fiktiven in der Philosophie gemeint sein, die Arbeit mit Gedankenexperimenten, wie er sie selbst in seinem Hauptwerk Philosophische Untersuchungen anwendet. Ähnlich den antiken Vorstellungen fordert Wittgenstein, dass das Ziel philosophischer Arbeit die Veränderung seiner selbst sei, und auch derer, die man sie lehrt:

„Wer heute Philosophie lehrt, gibt dem Anderen Speisen nicht weil sie ihm schmecken, sondern um seinen Geschmack zu ändern.“ [VB, S. 474/Zitat aus dem Text, Handout 2]

Philosophie ist also wie schon bei Platon nur dann etwas wert, wenn sie auf die Beteiligten einwirkt, sie zu besseren Menschen macht. Auch die Fähigkeit, die Wahrheit zu sagen, ist nach Wittgenstein von einem guten, d.h. beherrschte Verhältnis zu sich selbst abhängig, und nicht davon, „gescheit genug“ zu sein.

(Die fixe Idee Wittgensteins, ein schlechter Mensch zu sein und Philosophie gleichsam als Selbsttherapie zu nutzen, um ein anderer, ein besserer zu werden, wird u.a. in Bertrand Russels Autobiographie beschrieben: Ihm zufolge tauchte Wittgenstein oft spätabends auf, um „seine Sünden zu gestehen". Ob und wie oft er das tatsächlich getan hat, sei dahingestellt.)

Allerdings hat die Philosophie für Wittgenstein auch drastische negative Folgen für das Leben. Zum einen tritt er von Anfang an als Gegner der Metaphysik auf, deren Scheinprobleme nur daraus entstünden, dass die Logik der Alltagssprache falsch verstanden würde.

(Beispielsweise bei Heidegger, wenn er in „Sein und Zeit“ in etwa schreibt: „Da ist nichts. Wie ist es um dieses Nichts bestellt?“ Der Übergang vom kleinen zum großen „Nichts“ – als ein Substantiv, das keinen Gegenstand bezeichnet – wird als Beispiel genannt, dass Heidegger als Philosoph die deutsche Sprache missversteht.)

Zum anderen vergleicht Wittgenstein die Philosophie mit einer Krankheit, einem Hindernis für das Leben:

„Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit“ [PU § 255/Zitat, Handout 2]
„Die Krankheit der philosophischen Probleme konnte nur durch eine veränderte Denkweise und Lebensweise geheilt werden, nicht durch eine Medizin, die ein einzelner erfand“ [Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, WA Bd. 6, Teil II, § 23/Zitat 10, Handout]

Seine „Methode der übersichtlichen Darstellung“, entwickelt in den Philosophischen Untersuchungen, versucht diese Probleme durch das abermalige Durchgehen und Neuerfinden gedanklicher Zusammenhänge zu lösen, die man vorher übersehen hat. In der Hinsicht, eine Art Therapie geschaffen zu haben, sieht Wittgenstein sogar gewisse Ähnlichkeiten mit Freud. Diese Therapie dient ihm vor allem dazu, „das Philosophieren abzubrechen, wann ich will.“ [PU § 133/Zitat Handout 2]

(In Wittgensteins Biographie finden sich Hinweise, dass er mehrmals vergeblich versuchte, die Philosophie aufzugeben: So ging er nach seinem Studium bei Russel als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg und arbeitete nach dem Erscheine des Tractatus Logico-Philosophicus mehrere Jahre als Volksschullehrer im südlichen Niederösterreich, dann als Gärtner bei einem Orden, und betätigte sich auch als Architekt für das Stadthaus seiner Schwester Margarethe in der Kundmanngasse, Wien 3. Dem akademischen Betrieb war Wittgenstein eher abgeneigt, er führte ein unstetes Leben und nahm eine Professur in Cambridge – die Nachfolge des renommierten Analytikers G.E.Moore – nur an, weil damit die britische Staatsbürgerschaft verbunden war, mit der er gefahrlos in Österreich einreisen und seinen in Wien verbliebenen Schwestern den Ariernachweis verschaffen konnte. Sobald der Zweite Weltkrieg ausbrach, legte er die Professur aber zurück und begann, in einem Londoner Krankenhaus zu arbeiten.)

Für Wittgenstein beginnt das Philosophieren mit dem Gefühl: „Ich kenne mich nicht aus“, „Ich habe mich verlaufen“; dementsprechend vergleicht er die Philosophie mit einer Stadt mit unbekannten und bekannten Gegenden – als wäre die Beschäftigung mit Philosophie ein physisches Erlebnis.