Benutzer:Andyk/Philosophie und Informatik Architektur und Störung: Unterschied zwischen den Versionen

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Der ökonomischen Betriebsamkeit nahe, scheint sich die Informatik schwerlich mit dem Ringen der Philosophie um ein wahres, schönes und gutes Wissen zu vertragen, das sich mancherorts in subtilen Unterscheidungen niederschlägt und zunehmend aufgefordert ist, ihr Dasein im universitären Betrieb zu rechtfertigen. Das Folgende ist ein Versuch, der Spannung nachzugehen, die sich mir zwischen Informatik und Philosophie aufbaut. Dazu gehe ich in zwei Schritten vor: (1) Zuerst projiziere ich die Tätigkeitsbereiche der beiden Disziplinen auf Begriffe der Baukunst: Philosophie entwirft kontrafaktische Architekturen, Informatik Softwarearchitekturen. Beide haben mit der Planung und Gestaltung von unterschiedlichen Räumen (Leerstellen) zu tun. Die Gestaltung benötigt Kreativität, Methodeneinsatz und (auch in der Philosophie) Erfahrung. Man schöpft ''sich selbst'' und seiner disziplinspezifischen Konditionierung. (2) Doch, das ist der zweite Schritt, es gehört zur Kompetenz, gestört zu werden im Schöpfen, Planen und Werken. Zum Begriff der Kompetenz gehört daher, mit Einschränkungen seiner Souveränität umzugehen und auf neue Situationen zu antworten. Etwas gerät außer Kontrolle oder transzendiert das Verständnis. Im konkreten Fall: Der Philosoph ist umgeben von teils befremdlichen Softwarearchitekturen des Alltags. Die Informatikerin muss sich mit Mindsets von Usern herumschlagen, die die Softwarespezifikationen (oder die Implementierung) auf den Kopf stellen und für nicht intendierte Zwecke nutzen.  
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Der ökonomischen Betriebsamkeit nahe, scheint sich die Informatik schwerlich mit dem Ringen der Philosophie um ein wahres, schönes und gutes Wissen zu vertragen, das sich mancherorts in subtilen Unterscheidungen niederschlägt und zunehmend aufgefordert ist, ihr Dasein im universitären Betrieb zu rechtfertigen. Das Folgende ist ein Versuch, der Spannung nachzugehen, die sich mir zwischen Informatik und Philosophie aufbaut. Dazu gehe ich in zwei Schritten vor: (1) Zuerst projiziere ich die Tätigkeitsbereiche der beiden Disziplinen auf Begriffe der Baukunst: Philosophie entwirft kontrafaktische Architekturen, Informatik Softwarearchitekturen. Beide haben mit der Planung und Gestaltung von unterschiedlichen Räumen (Leerstellen) zu tun. Die Gestaltung benötigt Kreativität, Methodeneinsatz und (auch in der Philosophie) Erfahrung. Man schöpft ''aus sich selbst'' und seiner disziplinspezifischen Konditionierung. (2) Doch, das ist der zweite Schritt, es gehört zur Kompetenz, gestört zu werden im Schöpfen, Planen und Werken. Zum Begriff der Kompetenz gehört daher, mit Einschränkungen seiner Souveränität umzugehen und auf neue Situationen zu antworten. Etwas gerät außer Kontrolle oder transzendiert das Verständnis. Im konkreten Fall: Der Philosoph ist umgeben von teils befremdlichen Softwarearchitekturen des Alltags. Die Informatikerin muss sich mit Mindsets von Usern herumschlagen, die die Softwarespezifikationen (oder die Implementierung) auf den Kopf stellen und für nicht intendierte Zwecke nutzen.  
  
 
Die allgemeine These, die hinter der vorgenommenen Projektion auf Bauwerkarchitektur hervorschimmert, lässt sich folgendermaßen formulieren: Es ist unzureichend, Kompetenz ausschließlich an den gestaltenden Aspekten einer Person oder Gruppe in ihrem abgesteckten Spezialbereich abzulesen. Kompetenz heißt: Offenheit für das Andere. Der Boden für fruchtbare, anschlussfähige Tätigkeiten ist: Man lässt sich stören. Und manchmal noch mehr: Man wird gestört. Man bezieht seine Kreativität aus der Irritation und spannt seine Methoden und Architekturen auf den Wellen derselben.  
 
Die allgemeine These, die hinter der vorgenommenen Projektion auf Bauwerkarchitektur hervorschimmert, lässt sich folgendermaßen formulieren: Es ist unzureichend, Kompetenz ausschließlich an den gestaltenden Aspekten einer Person oder Gruppe in ihrem abgesteckten Spezialbereich abzulesen. Kompetenz heißt: Offenheit für das Andere. Der Boden für fruchtbare, anschlussfähige Tätigkeiten ist: Man lässt sich stören. Und manchmal noch mehr: Man wird gestört. Man bezieht seine Kreativität aus der Irritation und spannt seine Methoden und Architekturen auf den Wellen derselben.  

Version vom 13. November 2010, 16:10 Uhr

Philosophie und Informatik. Eine Störung und drei Architekturen

Zur Erklärung: Blog-Eintrag

Der ökonomischen Betriebsamkeit nahe, scheint sich die Informatik schwerlich mit dem Ringen der Philosophie um ein wahres, schönes und gutes Wissen zu vertragen, das sich mancherorts in subtilen Unterscheidungen niederschlägt und zunehmend aufgefordert ist, ihr Dasein im universitären Betrieb zu rechtfertigen. Das Folgende ist ein Versuch, der Spannung nachzugehen, die sich mir zwischen Informatik und Philosophie aufbaut. Dazu gehe ich in zwei Schritten vor: (1) Zuerst projiziere ich die Tätigkeitsbereiche der beiden Disziplinen auf Begriffe der Baukunst: Philosophie entwirft kontrafaktische Architekturen, Informatik Softwarearchitekturen. Beide haben mit der Planung und Gestaltung von unterschiedlichen Räumen (Leerstellen) zu tun. Die Gestaltung benötigt Kreativität, Methodeneinsatz und (auch in der Philosophie) Erfahrung. Man schöpft aus sich selbst und seiner disziplinspezifischen Konditionierung. (2) Doch, das ist der zweite Schritt, es gehört zur Kompetenz, gestört zu werden im Schöpfen, Planen und Werken. Zum Begriff der Kompetenz gehört daher, mit Einschränkungen seiner Souveränität umzugehen und auf neue Situationen zu antworten. Etwas gerät außer Kontrolle oder transzendiert das Verständnis. Im konkreten Fall: Der Philosoph ist umgeben von teils befremdlichen Softwarearchitekturen des Alltags. Die Informatikerin muss sich mit Mindsets von Usern herumschlagen, die die Softwarespezifikationen (oder die Implementierung) auf den Kopf stellen und für nicht intendierte Zwecke nutzen.

Die allgemeine These, die hinter der vorgenommenen Projektion auf Bauwerkarchitektur hervorschimmert, lässt sich folgendermaßen formulieren: Es ist unzureichend, Kompetenz ausschließlich an den gestaltenden Aspekten einer Person oder Gruppe in ihrem abgesteckten Spezialbereich abzulesen. Kompetenz heißt: Offenheit für das Andere. Der Boden für fruchtbare, anschlussfähige Tätigkeiten ist: Man lässt sich stören. Und manchmal noch mehr: Man wird gestört. Man bezieht seine Kreativität aus der Irritation und spannt seine Methoden und Architekturen auf den Wellen derselben.

Voraus schickend noch eine Anmerkung: Man kann sich fragen, warum gerade Informatik und Philosophie als exemplarische Disziplinen ausgewählt wurden. Dazu sei etwas gesagt, was direkt ins Thema führt: Man kann die Projektion auf Begriffe der Bauwerkarchitektur sicher auch für andere Disziplinen durchführen. Doch das hätte mich nicht gestört. Bedrängt hat mich diese Konstellation. Das folgende ist ein Versuch, damit umzugehen.


Architekturen

Wie geplant, müssen wir zunächst die Transformation durchführen. Dazu ist es nötig, die Basisterminologie zu definieren: Architektur und Raum.

  • Architektur beschäftigt sich mit der Gestaltung und Interaktion von Räumen.
  • Räume im Allgemeinen sind Leerstellen, die gestaltet werden können. In Räumen ist man - bei gegebenen Grenzen des Raumes - frei, sich einzurichten. Im Folgenden beleuchten wir drei Interpretationen von Raum und damit von Architektur:
(1) Die Räume der Baukunst gestalten sich durch Bauwerke. Das ist Bauwerkarchitektur.
(2) Die Räume der Informatik gestalten sich durch Komponenten. Das ist Softwarearchitektur.
(3) Die Räume der Philosophie gestalten sich durch Möglichkeiten. Das ist kontrafaktische Architektur.

Die Architektin, der Informatiker, die Philosophin. In Spezialbereichen gesteht man ihnen Kompetenz zu. Bevor wir uns ansehen, worin diese Kompetenz unter Verwendung der soeben eingeführten Terminologie besteht, müssen wir noch einen Term einführen: Die Brücke. Wie aufgrund der Problemstellung leicht zu erahnen ist, wird der Begriff der Brücke eingeführt mit dem Ziel, nach der Transformation die Widersprüche zwischen Informatik und Philosophie aufzuheben. Soviel zum Vorhaben; jetzt weiter zur Planung.

Brücken

Das auch für den Wortlaut der Tagung 2009 "`Brüche, Brücke, Ambivalenzen"' nahe liegende ist, mit dem Begriff der Brücke zu erklären, wie man Widersprüchliches zwischen Informatik und Philosophie aufhebt. Es geht im Allgemeinen um die Frage: Ist mit dem Bau von Brücken ein Übergang von bisher unverbundenen Räumen möglich? Bleiben wir zunächst im Bild: Brücken sind ebenfalls Räume und eine Frage der Gestaltung. Es liegt auf der Hand zu folgern, dass es einen weiteren Raum benötigt, um zwei voneinander unzugängliche Räume miteinander zu verbinden. Es wäre demnach eine Frage der Gestaltungskraft, mit der Widersprüchlichkeit eingeholt und aufgehoben werden kann. Man gestaltet eine Brücke prinzipiell mit ähnlichen Fähigkeiten, wie man einen anderen Raum gestaltet. Demgemäß ist es eine Frage der Technik, der Kreativität und der Erfahrung, Verbindungen von bisher Unverbundenen herzustellen.\footnote{Man vergleiche diese Überlegungen mit dem Begriff der Konjunktion oder anderer mehrstelliger Operatoren in der Logik.} Brücken sind damit Teil einer Architektur. Jedoch sind sie von besonderer Wichtigkeit. An ihnen lässt sich oftmals erkennen, ob eine Architektur gelungen oder gescheitert ist.

  • Bauwerkarchitektur: Wenn Brücken in Städten gesperrt sind oder einstürzen, sind oft ganze Stadtteile voneinander getrennt. Das ist eine enorme Herausforderung für die Infrastruktur der Stadt. Auch aus militärischer oder logistischer Sicht sind sie von besonderer Wichtigkeit.
  • Softwarearchitektur: Ein schlechtes Interface-Design bei einer Software führt oft dazu, dass beim Ausfall von nur einer Komponente das gesamte System gestört ist.
  • Kontrafaktische Architektur: Eine ganze Theorie bricht zusammen, wenn die Vermittlung von zwei Bereichen sich als unhaltbar entpuppt. Etwa bei Kant die Vermittlung zwischen der Einheit des Bewusstseins und den Bewusstseinsinhalten. Beide Räume können für sich elegant beschrieben und zergliedert werden. Wenn ihre Vermittlung unhaltbar ist, löst sich der Zweck der Architektur auf und man muss eine Neukonzeption starten oder korrigieren.

Zusätzlich zur Frage, ob ein Übergang vermittels Brücken prinzipiell möglich ist kommt die Frage, ob jede Disziplin gleich'mächtige' Übergänge konstruieren kann. Hierfür muss der Begriff der Brücke expliziert werden, wobei sich mir zwei Pole ergeben. Ein Pol ist die "horizontale Brücke" und der andere die "gestufte Brücke". Im ersten Pol eröffnet jede Disziplin gleichmächtige Übergänge, im zweiten Pol spannt eine Disziplin eine Brücke zwischen allen Übergängen, wodurch diese Disziplin eine Sonderstellung erhält. Zunächst zum Begriff der gestuften Brücke.

Gestufte Brücke

Dieser Begriff bedient sich der Unterscheidung zwischen handgreiflich und abstrakt und verbindet mit Abstraktion etwas Positives und Grund-legendes. Für die hier vorkommenden Disziplinen lässt sich das folgendermaßen erläutern:

  • Wenn eine Architektin (mit ihrem Team) eine Brücke baut, kommt am Ende ein konkret begehbares Ergebnis heraus. Man kann von einer Seite des Flusses über die andere gehen. Man sieht die Brücke als physisches Objekt.
  • Wenn eine Informatikerin (mit ihrem Team) eine Brücke baut, dann ist das eine Schnittstelle/ein Interface zwischen zwei Komponenten. Man kann das Ergebnis nicht direkt begehen, aber man kann es testen, indem man Operationen ausführt. Ob der Übergang gelungen ist, merkt man, indem man die erwarteten Rückgabewerte bekommt. Die Brücke ist also nicht so handgreiflich wie in der Baukunst, aber immer noch falsifizierbar. Der Mangel an Konkretheit hat den Vorzug, allgemeiner und flexibler bei Änderungen zu sein. Ein physisches Bauwerk lässt sich nicht so einfach ändern wie ein Stück Software. Wenn die zu verbindenden Programmcodes sich ändern, kann das entweder bereits im Vorhinein antizipiert oder nachträglich hinzugefügt werden.
  • Wenn eine Philosophin eine Brücke baut, tut sie es meist auf abstrakte Weise. Sie kann mittels Worten unterschiedliche Bereiche verbinden. Die Bereiche können starkem Wandel unterliegen und dennoch bleibt eine solide Brücke bestehen.

Gemäß dieser Beschreibung sind philosophische Brücken am ehesten geeignet, unverbundene Bereiche miteinander zu verbinden. Der Grund dafür ist der abstrakte Raum, in dem die Brücken gebaut sind. In diesem Begriff ist eine Folge von Übergängen angelegt. Die konkreten Brücken (physische Brücke in der Baukunst) haben die geringste Flexibilität und können die wenigsten Übergänge vollziehen. In dieser Hinsicht sind sie für die Erklärung von Widersprüchlichkeiten am wenigsten wertvoll. Hingegen kann die Philosophie noch die größten Widersprüche aufheben und damit das Fundament der konkreteren Brücken bilden.

Horizontale Brücke

Im obigen Verständnis von Brücke findet sich in der Konsequenz eine Disziplin, die den größten Anspruch verdient, Übergänge zu etablieren. Es ist jene Disziplin, dessen Räume (Leerstellen) den wenigsten Einschränkungen erliegen. Vertreterinnen dieser Disziplin können ihre Kreativität, ihre Techniken und ihre Erfahrungen bis auf eine Bedingung völlig frei einsetzen: Es darf sich am Ende nicht widersprechen.

Nun kann man bezweifeln, ob die Unterscheidung zwischen konkret und abstrakt zutrifft, denn tatsächlich sind Philosophen ebenfalls zeitlichen und räumlichen Beschränkungen unterlegen. Sie müssen ihre Argumente in einem Tagungsband nach anerkannten Regeln und Formalia verfassen. Sie haben persönliche oder berufliche Verpflichtungen und machen Fehler. An dieser Überlegung setzt der zweite Begriff von Brücke an, der die Disziplinen auf dieselbe Stufe stellt. Alle Disziplinen bauen beim Brückenbau auf ihre je eigenen Konventionen auf. Oder anders formuliert: Alle gestaltenden Kräfte (Kreativität, Technik, Erfahrung) bauen auf die antrainierten Fähigkeiten der Disziplin auf. Was kann ein Architekt anderes als Gebäude entwerfen? Was kann ein Informatiker anderes als programmieren? Und was ein Philosoph, außer mit Worten etwas entwerfen? In dieser Hinsicht sind Philosophie, Architektur und Informatik auf einer Ebene, aber je in ihren gesonderten Bereichen. Das Gestalten (also auch der Brückenbau) ist perspektivisch und schließt darum das Andere aus. Keine dieser Disziplinen kann - allein auf Basis ihrer Kreativität, ihrer Methoden oder ihrer Erfahrungen eine übergeordnete Sphäre für sich in Anspruch nehmen, die Widersprüche garantiert aufhebt. Es mag im einen oder anderen Fall funktionieren, doch dann ist es Zu-fall.

Übungen

Damit ist die vorbereitende Planung abgeschlossen und wir begeben uns ins Detail zur Ausführung. Ob die Transformation der Spannung von Informatik und Philosophie auf Begriffe der Baukunst ertragreich ist, soll nun in konkreten Übungen untersucht werden.

Bauwerkarchitektur: Unstimmige Brücke?

In diesem Bereich, den ich fachlich nicht gut kenne, plant und gestaltet man also Bauwerke. Bauwerke sind materiell abgrenzbare Räume, die verschiedenen gesellschaftlichen Zwecken dienen: Zimmer, in denen wir wohnen (private Wohnräume); Schutzbauten (Bunker); öffentliche Plätze an denen wir unsere sozialen Beziehungen gestalten (Parks, Spielplätze, Schwimmbäder, Kinos) oder die eine gesamt-gesellschaftliche Funktion erfüllen (Krankenhäuser, Schulen, Kraftwerke, Militärgebäude, Autobahnen, Kirchen, Rechenzentren). Und auch Brücken.

Üblicherweise werden Brücken nicht willkürlich gebaut, sondern sie decken einen gesellschaftlichen Bedarf ab, von einer Region in die andere zu kommen. Damit sind Brücken ein Teil der Verkehrs-Infrastruktur; sie sind Basisausstattung einer Stadt, damit Bürgerinnen ihre Arbeitsplätze, ihre Urlaubsziele oder ihre Wohnungen erreichen. Die Tätigkeit des Brückenbaus umfasst, wie in der gesamten Bauwerkarchitektur, handwerkliche, konzeptionelle und kreative Elemente. Die Brücke muss stabil sein\footnote{Die Wahl des Brückentyps und des Baumaterials hängt von Erfahrungswerten ab.}, eine solide Planung zum Grund haben und ins Landschaftsbild passen.

Im Jahr 2008 wude in Venedig eine neue Brücke über den Canal Grande fertiggestellt. In einem Zeitungsbericht wird beschrieben, dass die Bevölkerung den Nutzen dieser Brücke nicht versteht, da es über den Canal Grande schon drei Brücken gibt. Eine der Brücken - die Ponte degli Scalzi , die meistbenutzte Brücke Venedigs, ist überdies nur wenige Schritte entfernt. Der Brückenneubau ist der erste in Venedig seit über 70 Jahren. Lesen wir den zu dieser Zeit amtierenden Bürgermeister Venedigs, Massimo Cacciari, dazu: "Diese Brücke ist im perfektem Einklang mit der Architektur der Stadt. Sie ist ein großes zeitgenössisches Architekturwerk für Venedig: Ein Symbol für eine Stadt, die nicht nur eine fantastische Vergangenheit hat, sondern auch die Gegenwart voll lebt und in die Zukunft blickt."

Einer der ersten Architekten, Vitruvius, aus dem ersten Jahrhundert vor Christus schreibt: "[Die Baukunst] besteht aus der Ausübung - fabricia - und aus der Theorie - ratiocinatio. - Die Ausübung ist eine durch Nachdenken und stäte Übung erworbene mechanische Fertigkeit[...]Die Theorie aber ist die Geschicklichkeit, die, mit Kunst und nach den Grundsätzen des guten Verhältnisses - proportio - aufgeführten Gebäude zu erläutern und zu erklären. Es haben daher diejenigen Baukünstler, welche ohne gelehrte Kenntnisse bloß nach mechanischer Fertigkeit gestrebt haben, nie mit ihren Arbeiten Ruhm erworben: diejenigen aber, welche sich lediglich auf die Theorie und ihre gelehrten Kenntnisse verlassen haben, scheinen hinwiederum den Schatten für den Körper ergriffen zu haben. Allein diejenigen, welche beydes gründlich erlernt und also gleichsam in voller Rüstung ihren Zweck verfolgt haben, haben denselben auch desto eher mit Ehren erreicht."

Zurück zur neuen Brücke von Venedig: Auftraggeber (der Bürgermeister) und Architekt sind einer Meinung, dass sie etwas Sinnvolles für die Stadt getan haben. Die Brücke ist stabil, sie fügt sich ins Landschaftsbild und berücksichtigt die Erfahrungen des Brückenbaus. Vitruvius hätte vermutlich seine Freude damit. Trotzdem möchte man sagen, dass hier etwas unstimmig ist. Etwas stört.

Softwarearchitektur

Bei der Softwareentwicklung ist die Tätigkeit des Brückenbaus in verschiedenen Hinsichten wichtig, etwa bei Fusion von Unternehmen zur Integration ihrer IT-Systeme. Zwei völlig verschiedene IT-Systeme mit getrennten Datenbanken sollen so schnell wie möglich zur Zusammenarbeit bewogen werden. Aber auch bei der Entwicklung neuer IT-Systeme geht es darum, die Komplexität durch gezielte Aufteilung in Komponenten zu reduzieren, um Wartung zu ermöglichen. Für beide Fälle gibt es Best Practice-Modelle und Methoden, die man erlernen kann. Es gibt Konventionen, wie "schöne" Systeme aufgebaut werden sollen. Die Losung ist: "`Hohe Kohäsion und Lose Kopplung"'. Mit hoher Kohäsion ist gemeint, dass eine Komponente genau für eine Aufgabe verantwortlich ist. Eine starke Kopplung bedeutet, dass zwischen Komponenten viele Abhängigkeiten und Kommunikationskanäle vorhanden sind. Damit Softwaresysteme leicht wartbar, überschaubar und fehlertolerant sind, wird eine lose Kopplung empfohlen. Eine lose Kopplung meint die Eigenständigkeit der Komponente. Die Komponente soll weitgehend unabhängig von anderen Komponenten sein. Je mehr und je komplexer die Aufgaben eines Softwaresystems sind, desto schwieriger wird die Zerlegung in lose gekoppelte Komponenten. Die Schnittstellenproblematik (zwischen Komponenten aber auch zwischen ganzen Systemen) ist zu einem der Haupttätigkeitsfelder von Softwareentwicklerinnen geworden und wird durch den Bedarf an Integration von Systemen immer wichtiger. Die Herausforderung besteht darin, dass die Schnittstelle alle relevanten Daten und Funktionen anbietet - und zwar in einer "verständlichen Form". Verständlich bedeutet, dass die Syntax der Daten, also ihre Strukturierung bekannt sein muss. Das wäre durch eine Standardisierung erreicht, was jedoch die Flexibilität der einzelnen Komponenten einschränkt. Die Tätigkeit des Brückenbaus erzeugt hier also formale Transformationsregeln, die das Zusammenspiel von einer Komponente zur anderen beschreiben. Dabei ist darauf zu achten, dass die zugrunde liegende Semantik der Daten von allen beteiligten Komponenten die gleiche ist. Das bedeutet kurz, dass dieselben Datentypen in allen Komponenten in derselben Weise verarbeitet werden.


Kontrafaktische Architektur

In der kontrafaktischen Architektur geht es um das Gestalten von Möglichkeitsräumen, das Durchspielen von Szenarios, das Zusammendenken und Auseinanderdividieren von Möglichkeiten. Die Tätigkeit des Brückenbaus hat viel mit Worten und Wortbedeutungen zu tun. Beim Sprechen oder Schreiben stellt sich heraus, das etwas nicht ganz zusammenpasst. Man fragt sich, wie zwei Phänomene (Freiheit und Notwendigkeit, Geist und Körper, Gott und Mensch, Natur und Technik, Philosophie und Informatik) zusammenzubringen sind.

Mit dem Begriff der gestuften Brücke würde sich folgendes anbieten: Während in der Bauwerkarchitektur die Brücke noch ein konkret sichtbares Bauwerk ist, während die Schnittstellen der Informatik zumindest operativ sichtbar werden, geht die Tendenz in der kontrafaktischen Architektur in die Richtung, nicht ein Verbindungsstück zu bauen, sondern die Elemente zu modifizieren. Das soll so geschehen, dass die Grenzsteine sich an einer bestimmten Stelle auflösen, und dass die beiden Möglichkeitsräume, die vorher beim Vergleichen irritierend waren, nun vereint oder zumindest an ihre Stelle verortet sind. In der Tätigkeit des Brückenbaus entsteht eine Perspektive, die dazu führt, dass die Irritation verschwindet.

In vielen Werken der Philosophie kann man das Selbstverständnis der Philosophie als "Brücke höchster Stufe" erkennen: Descartes Zweifel, sich als Gedankenexperiment von allem zurückzuziehen, bis sich "etwas" zeigt, das nicht mehr bezweifelt werden kann und von dem man alles aufbaut.

Bei Platons Politeia gibt es eine Stelle im zweiten Buch, wo er die Konstruktion eines Staates im Gedanken ankündigt: "`Nun wollen wir in Gedanken einen Staat von Anfang an entstehen lassen. Es schafft ihn aber, so glaube ich, unsere eigene Bedürftigkeit!"'\footnote{Politeia, 369c} Er bindet die kontrafaktische Konstruktion des Staates zurück auf unsere eigene Situation. Wir brauchen den Ausflug ins Kontrafaktische, um uns klar zu werden, wo wir stehen. Dieser Ausflug ist die Brücke zwischen dem Ideal der Gerechtigkeit und unseren faktischen Unzulänglichkeiten.


Wenn man Brücken horizontal versteht, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass nur die Philosophie der oben beschriebenen Art des subtilen Brückenbaus fähig ist. Auch in der Informatik wird man nicht bloß eine neue Komponente bauen, um sie zwischen den unverbundenen Komponenten nach dem Baukastenprinzip hinzuzufügen. Die Modifikation der zu verbindenden Komponenten ist auch hier eine Alternative.

Störungen

Nun, was haben die Übungen ergeben? Tatsächlich bauen Informatik und Philosophie Brücken - auf ihre je eigene Weise, entsprechend ihres Raumtyps. In der Informatik gestaltet man Software, in der Philosophie kontrafaktische Theorien. Der Brückenbau findet aber nicht zwischen Räumen unterschiedlichen Typs statt. Weder ein Informatiker noch ein Philosoph ist aufgrund seiner architektionischen Fähigkeiten befähigt, eine Brücke zwischen einer Software und einer Theorie über Gerechtigkeit zu schlagen. Mein Punkt ist also, dass der Bau von Brücken, d.h. der Versuch, Widersprüche durch Architekturen aufzuheben, perspektivisch bleiben muss. Brücken werden zwischen Räumen gleichen Typs gebaut. Meine Entscheiidung fällt daher in Richtung des Begriffs der horizontalen Brücke.

Sind wir damit schon am Ende? Enden wir mit einem negativen Ergebnis und sagen: Die Spannungen und Widersprüche zwischen Informatik und Philosphie können nicht aufgelöst werden, denn jeder Versuch in diese Richtung zieht uns entweder in den Bereich der Softwarearchitektur ("`Konstruuieren wir doch diese Komponente, um das Problem zu lösen"') oder der kontrafaktischen Architektur ("`Was wäre wenn, dann sollte ..."')?

Wir sind nun am zweiten Schritt angelangt. In obigem negativen Ergebnis steckt, wie geplant, noch ein Ausweg. Die Frage ist: Muss es denn architektonisch sein, d.h. braucht es einen speziellen Raum, um mit der Spannung umzugehen? Bis jetzt haben wir die Disziplinen auf Basis des Begriffs von Raum und Architektur erörtert. Dabei wurde angedeutet, dass es Beschränkungen eines Raumes und damit unserer Gestaltungsfreiheit gibt. Wir haben aber noch nicht weiter gefragt, was das heißt: eine Beschränkung eines Raumes zu sein.

Die Beschränkungen bestimmen, inwieweit wir als Informatiker oder Philosophin Vermittlungen vornehmen können. Als reiner Philosoph hat man nicht die Ausbildung, um Softwarekomponenten zu programmieren. Wie sollen also Querbrücken (d.h. Brücken zwischen Räumen verschiedenen Typs - etwa zwischen Softwarekomponenten und kontrafaktischen Architekturen) hergestellt werden? Die Formulierung "`als reiner Philosoph"' ist schon ein Anhaltspunkt. Wenn wir philosophieren, sind wir nicht nur Philosophen. Beim programmieren nicht bloß Informatikerinnen. Wir sind immer schon in ganz anderen Rollen und Erfahrungshorizonten. Dementsprechend sind die Beschränkungen unserer Gestaltungsräume nicht statisch. In unserem Alltag schlittern wir in Situationen, die nicht mit unserem trainierten Repertoire fassbar sind. Sie stören uns. Aber nicht bloß im Alltag. Pläne gehen schief, Deadlines können nicht eingehalten werden, Argumente gehen nicht auf, Bereiche überlappen sich. Wir scheitern beim Planen oder bei der Durchführung und müssen nachbessern. Wenn akademisches Arbeiten heißt, etwas Neues zu entdecken, dann sind solche Störungen nicht etwas außerhalb des Akademischen, sondern es ist ein gutes Zeichen, wenn wir gestört werden. Unsere Pläne werden aus den Angeln gehoben, denn plötzlich zeigt sich ein Ort, an dem wir nicht Souverän sind; wo unser Entwerfen ausgesetzt ist. Wo wir nicht sagen können: "`Nagut, dann programmieren wir eben diese Komponente dazu, und wir sind fertig."'. Wir tasten uns in einer nicht vertrauten Umgebung voran. Wir achten auf das, was auf uns zukommt und antworten auf die Konfrontation mit unseren Gewohnheiten.

Bei der Softwareentwicklung in Open Source-Projekten kann konkret mitvollzogen werden, wo von dieser mit architektonischen Begriffen nicht fassbaren Passivität profitiert wird: Da der Programmcode offen ist, kann das von den Core-Entwicklern zur Verfügung gestellte Produkt einerseits benutzt, aber andererseits weiterentwickelt werden. Das kann soweit führen, dass ursprüngliche Absichten sich innerhalb kurzer Zeit nicht mehr im Werk wiederfinden, weil sie durch neue Beiträge herauswachsen. Diese Art von Gestaltung hat etwas Organisches. Die Quellen werden nicht verschlossen und gegen Änderung gesperrt, sondern setzen sich der Konfrontation mit den Benutzern aus und können - die Beteiligung der Benutzer vorausgesetzt - schneller auf sich ändernde Situationen reagieren. Die Anpassung mit der Umgebung erhöht sich und wird dynamischer. Man hat nicht eine einzige Anforderungsphase, in der die Benutzer ins Blaue hinein beschreiben müssen, was sie sich für eine Software wünschen, sondern es gibt zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, Feedback abzugeben, Bugs und Inkompatibilitäten zu melden oder selbst Hand anzulegen. Das hat zu enorm brauchbaren Resultaten geführt - nicht nur bei Software (Beispiel: Firefox), sondern auch beim Umgang mit Wissen (Wikipedia). Wir haben es hier mit einer interessanten Form von Kooperation zu tun, in der Leute (ob reine Informatiker oder nicht) weltweit an einer Sache arbeiten können (mit den nötigen Einschränkungen, die es bei Nebenläufigkeiten gibt). Natürlich gibt es einen harten Kern von Personen, der sich um zentrale Entwicklung des Codes kümmert. Doch völlig unerwartet kann sich der Source-Code ändern und den Verlauf des Projekts beeinflussen.

Mit Hilfe der organischen Visualisierung kann man nachvollziehen, dass Softwareprojekte nicht mehr notwendigerweise aus einem Guss von einer Person (oder Personengruppe) entwickelt werden, und dann benutzt werden können. Indem man die Quellen öffnet, ist die Möglichkeit der Partizipation geben. Man kann für positive Abweichung des Rollouts sorgen. Die Sphäre der Insider, der Eigentümerinnen und der Architekten kann also durchbrochen werden und man profitiert von der Inhomogenität der Fähigkeiten anderer.

Zurück zur Frage, ob und wie Querbrücken zwischen Räumen unterschiedlichen Typs hergestellt werden können. Querbrücken sind nicht etwas, was im architektonischen Sinn hergestellt werden kann. Man kann höchstens den Ort nennen, an dem sich Querbrücken aufspannen und das ist die Störung. Es ist zunächst keine Frage der Technik, der Kreativität oder der Erfahrung, sondern eine Frage des Modus. Wie setzt man all das ein? Man ist Responsivität für die Phänomene, die einem umgeben. Wenn man die architektonischen Kräfte nicht rückbindet an Störungen und Spannungen, bleiben nur noch Deadlines, Arbeitspakete und Routine. Unsere Welt ist multi-dimensional. Wichtige Errungenschaften einer Dimension sind halb so wertvoll (oder sogar schädlich), wenn sie völlig isoliert von den anderen Dimensionen entwickelt werden.

Epilog

Dieses Kapitel ist nicht geplant. Ich las gerade noch rechtzeitig in einer französisch-deutschen Anthologie einen Auszug von Charles-Ferdinand Ramuz's "`Chant de Notre Rhône"' (Gesang von unserer Rhone):

Da, wo nur wenige immergleiche Dinge sind, sind die Verknüpfungen einfach.
Und dann rechnet dort oben, rechnet soviel ihr wollt: unten bleibt dieses Fundament der Treue zu den grundlegenden Dingen, das andererseits alle Gefahren der Suche erlaubt.

( Jaccottet, Philippe (Hrsg.): Die Lyrik der Romandie. Eine Zweisprachige Anthologie. Carl HanserVerlag, 2008 (Literatur aus der Schweiz in übersetzungen) )

Bisher habe ich davon gesprochen, als ob die Störungen und Ungereimtheiten als einzige Grundlage hinter jeder neuen Erkenntnis stehen würden, zumindest was Querbrücken angeht. Durch die Stelle von Ramuz ist mir klarer geworden, dass Irritationen alleine nicht ausreichen, wenn keine Basis da ist, von der aus man etwas als Irritation empfindet. Die eigenen Selbstverständlichkeiten sind der Anker, der verhindert, zum Spielball einzelner Situationen zu werden und angesichts der Vielzahl an Einflüssen zu resignieren. Meine antrainierten Betrachtungswinkel, Muster und Selbstverständlichkeiten verhindern einerseits, dass ich permanent irritiert und überrascht werde. Ich kann Argumente vorhersehen und Dinge als irrelevant zur Seite schieben. So bleiben wir in einer komplexen Umgebung operationsfähig. Andererseits sind wir damit auch verantwortlich für unseren Standpunkt, mit dem wir verwurzelt sind. Es reicht nicht aus, neue Situationen wegzuwischen mit der Antwort: "`Das ist nicht Aufgabe der Philosophie."' Oder als Informatikerin zu sagen: "`Das ist ein philosophisches Problem."' Oder: "`Das haben wir so gelernt."' Die komplexen gesellschaftlichen Veränderungen durch Automatisierung und weltweiter Vernetzung spielen sich nicht in nur einer Kernkompetenz ab. Es gibt global gesehen keine Expertinnen dafür. Vielmehr ist zu fragen, wie man angesichts dieser Situation Rechenschaft über seine angelernten Methoden und perspektivischen Sichtweisen ablegen kann. Wie können wir ihren Einsatz verantworten unter Berücksichtigung irritierender (positiver wie negativer) Entwicklungen? Die Informatikerin aufgrund ihrer Fähigkeiten zur Etablierung und Instandhaltung von global arbeitenden Automatismen (Suchmaschinenanbieter trachten etwa danach, durch Erhebung von sozialen Daten die persönlichen Probleme der Menschen anzuzielen); der Philosoph aufgrund der Folgen und Potentiale seiner Diagnosen und kontrafaktischen Ausflüge.