Benutzer:Andyk/Bildung ist für alle da: Unterschied zwischen den Versionen

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Meine Provokation zum Seegrundstück kann man leicht mit meinen eigenen Worten widerlegen. Ich habe eine ganze Vorlesung dazu gehalten, dass Wissen eine "nichtrivalisierende" Ressource ist. Aber die Bemerkungen von H.A.L weisen zu Recht darauf hin, dass da eine gehörige Portion von Idealismus drinsteckt. Im Hörsaal sitzen eben Körper. Wenn ich mir ansehe, was im Gefolge meiner Vorlesung vergangene Woche an verbalen Rückmeldungen produziert worden ist, wird mir angst und bange. Darunter finden sich brilliante Wendungen und ärgerliche Dummheiten. Wie könnte ich dem "gerecht werden". No way. --[[Benutzer:Anna|anna]] 10:00, 16. Dez. 2009 (UTC)
 
Meine Provokation zum Seegrundstück kann man leicht mit meinen eigenen Worten widerlegen. Ich habe eine ganze Vorlesung dazu gehalten, dass Wissen eine "nichtrivalisierende" Ressource ist. Aber die Bemerkungen von H.A.L weisen zu Recht darauf hin, dass da eine gehörige Portion von Idealismus drinsteckt. Im Hörsaal sitzen eben Körper. Wenn ich mir ansehe, was im Gefolge meiner Vorlesung vergangene Woche an verbalen Rückmeldungen produziert worden ist, wird mir angst und bange. Darunter finden sich brilliante Wendungen und ärgerliche Dummheiten. Wie könnte ich dem "gerecht werden". No way. --[[Benutzer:Anna|anna]] 10:00, 16. Dez. 2009 (UTC)
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== "Destinerration" ==
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„L'itérabilité altère, elle parasite et contamine ce qu'elle identifie et permet de répéter; elle fait qu'on peut dire (déjà, toujours, aussi) autre chose que ce qu'on veut dire, on dit autre chose que ce qu'on dit et voudrait dire, comprend autre chose que … etc. En termes classiques, l'accident n'est jamais un accident.” (Jaques Derrida: Limited Inc, S. 33)
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Frei paraphrasiert: Wiederholen heißt auch ändern. Wiederholt wird ''etwas'', aber das wird damit auch ausgenützt und verunreinigt. Durch Wiederholung kann man (immer - schon und auch) etwas anderes sagen, als man sagen will, man sagt etwas anderes, als man sagt und sagen will und man versteht etwas anderes, als ... Der Zufall ist nie ein Zufall. --[[Benutzer:Anna|anna]] 07:52, 18. Dez. 2009 (UTC)

Aktuelle Version vom 18. Dezember 2009, 09:52 Uhr

Ein Fehler: Jeder hat Recht auf ein Seegrundstück.

Am Ende der Vorlesung wird ein Bild einer Idylle gezeigt: Eine alte Villa am See. "Die alte Villa am Strand ist unvergleichlich." Sie ist ein Privileg, das zwar ein Traum vieler aber nur wenigen erreichbar ist. Danach liest man in den komplementären Folien zum Vortrag: "Ein Fehler: Jeder hat Recht auf ein Seegrundstück."

Ich möchte der Frage nachgehen, warum und unter welchen Bedingungen das ein Fehler ist. Danach werde ich dem Vortrag folgen und dieses Bild (angereichert mit den Bedingungen) auf die Bereiche der Bildung (oder was ich als dessen Bereiche vermute) transfomieren.

Was ist ein Privileg?

Für eine erste Annäherung ein paar Exzerpte von Wikipedia zum Begriff Privileg:

  • Privileg kommt vom Lateinischen: "privilegium = Ausnahmegesetz, Vorrecht", eine Zusammensetzung aus lex (Gesetz) und privus (einzeln, gesondert).
  • Es ist ein Vorrecht, das einem Einzelnen oder einer sozialen Gruppe zugestanden wird.
  • Privileg ist von den juristischen Kategorien her zu verstehen als rechtliche Entscheidungen, die einzelne Personen betreffen.
  • Heute "wird der Begriff Privileg [..] fast ausschließlich herabsetzend zur Markierung sozialer Ungleichheit eingesetzt".

Warum nicht jeder ein Recht auf Seegrundstück haben kann

  • Begehren: Die erste Annahme ist, dass das Seegrundstück ein Objekt des Begehrens ist. Ein Grundstück in der Nähe der Kläranlage wird weniger begehrt sein. Ich erspare mir, auszubuchstabieren, warum wir eher dazu tendieren das eine mehr, das andere viel weniger zu begehren. (Obwohl auch interessant ist zu sehen, dass so ein Seegrundstück viele negative Seiten hat, die man ausblendet, wenn man von der Idylle des Seegrundstücks überzeugt ist: Vermehrte Gelsen(stiche), das Quaken der Frösche, das Rauschen des Sees ist genauso nervig wie wenn man neben einer Autobahn wohnt; bei Überschwemmungen ist sein Grundstück als Erstes drann, et cetera...)
  • Limits: Ein zweiter wichtiger Schritt ist einzusehen, dass es nur begrenzte Mengen von Seegrundstücken gibt. Selbst wenn man beiseite lässt, dass nicht alle Grundstücke als bebaubare Parzellen von der Region zugelassen werden (aufgrund Sicherheits-Bestimmungen oder weil es das Landschaftsbild stören könnte), gibt es nur begrenzte Flächen, die an einem See (oder einem anderen Gewässer) angrenzen. Natürlich sind auch andere Grundstücksarten begrenzt, aber das ist eine Grundstücksart, die besonders begrenzt ist und wo man rein quantitativ ausschließen kann, dass jede Österreicherin ein Seegrundstück bekommen könnte.
  • Conclusio1: Drittens, ergibt sich leicht: Die Anzahl der Leute, die gerne ein Seegrundstück haben möchten übersteigt die Anzahl der vorhandenen Seegrundstücke.
  • Maßnahme1: Um das zu ändern, könnnte man sich überlegen, neue Seen zu graben, um die Wünsche zu befriedigen (Ein weiterer Vorteil davon wäre, dass man dadurch mehr Lebensraum für bestimmte Tierarten hätte). Würde sich durch die Veränderung der österreichischen Landschaft die Begehrensstruktur ändern? Es wäre nichts besonderes mehr, wenn 50% der Fläche von Österreich mit kleinen Seen ausgestattet ist, um ringsum Seegrundstücke zu bebauen. Spätestens hier würde sich klären, ob die Begehrensstruktur durch die Limitierung und den Wunsch nach etwas Besonderem entstanden ist oder ob es ein Grundanliegen eines bestimmten Anteils der österreichischen Bevölkerung ist, ein Seegrundstück zu besitzen. (Voraussetzung ist, dass es vorher genug andere Möglichkeiten gab, zu wohnen.)
  • Maßnahme2: Man kann auf Conclusio1 auch anders reagieren, indem man sagt: In Anbetracht von Conclusio1 ergibt sich zwangsläufig, dass wir selektieren müssen. Beispielsweise könnte man ein Entscheidungsverfahren entwickeln, indem man aufgrund gewisser Kriterien festlegt, wem ein Grundstück zusteht. Wenn man das Problem politisch lösen will, muss man sich also der Frage stellen: Wer hat ein Recht auf ein Seegrundstück? Man könnte die Frage durch den "freien Markt" klären lassen, was wohl darauf hinausläuft: Wer mehr bezahlt und die geforderten Kriterien der bisherigen Besitzerinnen erfüllt, hat ein Recht darauf.

Mit Maßnahme2 dürfte die Untersuchung darüber abgeschlossen sein, unter welchen Bedingungen es ein Fehler ist zu sagen: "Jeder hat ein Recht auf ein Seegrundstück": (1) Man braucht das Begehren der Leute, das die Menge der verfügbaren Objekte übersteigt und (2) eine Entscheidung, Maßnahme 1 nicht zu setzen.

Ein Vergleich mit der Bildung: Bildungsweise 1

Je nachdem, was man unter Bildung versteht, ist das Beispiel mit dem Seegrundstück eine geeignete Analogie - oder eben nicht.

Bildungsweise 1: Wenn Bildung als limitierte Ressource gesehen wird, kommt man fast zwangsläufig in das Fahrwasser der Seegrundstück-Argumentation. Bildung wäre demnach etwas, was man genauso haben kann und aufgrund seines Rufes (und vielleicht aufgrund seiner Exklusivität) genauso haben will wie ein idyllisches Seegrundstück. Man kann mit unterschiedlichen Maßnahmen darauf reagieren; als "Kunde" würde man tendenziell Maßnahme1 bevorzugen; als Anbieter Maßnahme2.

Exkurs: Sich mit dem Wind drehen

Teil I

Zur Wahl zwischen Maßnahme1 und 2 passt etwas ganz gut und führt zu einem weiteren Aspekt, den ich gestern in der Metro an mir selbst bemerkt habe. Ich war beim Karlsplatz, um eine Prüfung abzulegen. Danach, um 19:00 Uhr hatte ich einen Termin beim Hauptgebäude (Schottentor). Nach der Prüfung war es 19:15! Ich laufe also zur U2. Wartezeit: 4 Minuten. Nach 3 Minuten schleppt sich die Metro herein (da Karlsplatz der Beginn / das Ende der U2 ist, wird hier zwischen den Zugfolgen synchronisiert); ich steige ein und warte ungeduldig, bis die Metro wegfährt. Ständig eilen Leute herbei und wollen noch mit einsteigen. Der Bahnsteig wird von einem Ton beschallt, der signalisiert, dass man jetzt zurücktreten soll, weil die Tore geschlossen werden. Manche halten die Tür für die Nachfolgenden auf und es vergehen weitere 30 Sekunden. Ich stehe auf Nadeln und wünsche mir, dass der Zug endlich abfährt, damit ich zu meinem Ziel komme, wo ich ohnehin schon verspätet bin.

Abstraktion: Man verlässt sich auf den Rhythmus der Metro. Damit der Rhythmus eingehalten werden kann, ist in den Stationen ein Aufenthalt von einer bestimmten Dauer vorgesehen. Niemand sollte nach dem Ertönen des Signals das Abfahren der Metro verhindern (dürfen). Es ist ein Fehler zu sagen: Jede hat ein Recht darauf, wenn sie es für dringend empfindet, noch in die Metro hineinzuspringen und die Planmäßigkeit der Zugfolgen zu stören.

Teil II

Ein paar Tage vorher; letzten Donnerstag nach der Ringvorlesung, eilte ich wieder zur U-Bahn; mein Ziel war diesmal, den letzten Regionalzug nach der Ringvorlesung beim Praterstern zu erwischen (der nächste Zug würde erst 2 Stunden später fahren und hätte 30 Minuten längere Fahrzeit). Am Bahnsteig der U2 angekommen, sehe ich die U-Bahn stehen. Wieder der Ton. Ich versuche noch, hineinzukommen. Die Metro fährt ab; ohne mich. Hätte die Metro nicht noch 10 Sekunden warten können? (Habe es dann trotzdem noch zum Zug geschafft; manchmal sind die Verspätungen der ÖBB hilfreich)

Abstraktion: Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren, damit Personen transportiert werden. Was bringt es den konkreten Einzelpersonen in ihren spezifischen Situationen wenn allgemeine Regelfolgen eingehalten werden? Worauf es ankommt ist nicht, dass eine abstrakte Allgemeinheit sich auf exakte Zugfolgen verlassen kann, sondern dass Personen, die gerade in diesem Moment ein Transportmittel brauchen, die Möglichkeit haben, es zu benutzen. Darum soll jede ein Recht haben, wenn es dringend ist, noch in die Metro zu springen und die Planmäßigkeit der Zugfolgen ein wenig zu stören. (Nebenbemerkung: Gerade bei Straßenbahnen ist die Fahrerin in einer ziemlichen verantwortungsvollen Situation; Sie muss zwischen den Einzelschicksalen und dem Einhalten der Fahrzeiten vermitteln. Die Zugfolgen sind länger und man muss abwägen, ob man eine Einzelperson zugunsten der Zugfolgen 15 Minuten länger bei -10°C auf die nächste Bim warten lässt, obwohl sie nur 5 Sekunden zu spät gekommen ist)

Conclusio

Gestern, als ich auf Nadeln stand, habe ich mich daran zurückerinnert. Ich habe mich erschrocken bei dem Gedanken, wie schnell ich bereit war, meine Argumentationsstrategie umzudrehen. Einmal habe ich den anderen Hinzueilenden die Notwendigkeit abgesprochen, die Metro noch erwischen zu müssen (wenn 4 Minuten später eh die nächste fährt), ein anderes Mal konnte ich nicht verstehen, warum sie nicht noch 10 Sekunden hätte warten können, damit ich noch einsteigen kann (weil ICH es WIRKLICH eilig habe).

Abstraktion: Je nachdem, ob man bereits im Boot sitzt oder erst hinauf will, verwendet man duale Argumentationslinien; wenn ich es nicht selbst an mir bemerkt hätte, wäre ich erstaunt gewesen, wie schnell die eigene Stimmung und Toleranz umschlägt, je nachdem, wo man steht. (vgl. dazu den Film "2012", wo die Leute auf die Arche 4 wollen und man in einem "Akt der Menschlichkeit" nach der Rede des Wissenschaftlers vor den bereits in der Arche sitzenden Welt-Politikern die Tore öffnet und sie reinlässt) Es ist wichtig, beide Seiten zu bedenken und sich klar zu sein, dass man sich affektiv sehr schnell auf eine Seite schlägt, je nachdem in welcher Situation man gerade ist.

Weitere Bildungsweisen?

Ich kann mir vorstellen, dass man, wenn man von Studienplätzen spricht, nicht ganz aus der Argumentation von Bildungsweise 1 und Seegrundstück rauskommen wird. Es ist ein Fakt, dass es eine begrenzte Anzahl an Lehrenden, an Hörsälen, an Labors, an Bibliothekssitzplätzen gibt. Man kann sie erweitern oder andere Alternativen (Livestreams, etc.) vorsehen, aber das ändert nichts an der prinzipiellen Knappheit materieller Güter (und der Knappheit des Finanzhaushalts in Österreich).

Doch ist es adäquat, dass man, wenn man Bildung sagt, ETWAS meint, das man sich wie ein Grundstück aneignen kann?

  • Angenommen es wäre so: Es ist damit noch immer nicht festgelegt, ob alle dasselbe oder dieselbe Art von Grundstück haben wollen? Üblicherweise haben unterschiedliche Leute unterschiedliche Interessen. Manche träumen eher von einer Alm, andere von einer Hütte im Wald oder von einer U-bahn-nahen Wohnung. Transformiert auf den Bereich der Bildung (mit der oben getroffenen Annahme, dass man Bildung wie ein Grundstück aneignen könnte): Die obigen technischen Probleme des Platz- und Ressourcenmangels bleiben erhalten, da die Hörsäle trotzdem noch begrenzt bleiben; aber es verteilt sich, da manche lieber zu Hause lernen, oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten Lehrveranstaltungen besuchen, oder lieber beim Livestream mitschauen, etc. Es geht nicht mehr nur um eine Art von Grundstück, sondern um verschiedene (sagen wir) potentiell idyllische Grundstücke.
  • Angenommen, es wäre nicht so und es geht bei Bildung um etwas anderes. Was könnte das sein? Oder wie zeigt sich das? Ein Grundstück (an einem See oder wo anders) reicht ja üblicherweise nicht, um heimisch zu werden oder um idyllische Plätze zu schaffen. Man baut sich sein Haus oder Häuschen nach seinen Vorstellungen (und nach regionalen Bestimmungen) darauf, in Zusammenhang mit der Umgebung. Manche bauen kein Haus sondern mieten sich eine Wohnung und betätigen sich in der Innenarchitektur. Man entwickelt Nachbarschaftsbeziehungen und schaut sich die Umgebung an. Aber die unterschiedlichsten Entscheidungen, was man aus dem Gegebenen macht (der Form nach, der Farbe nach, der Einrichtung nach, etc.) ist mit dem Aneignen des Grundstücks keinesfalls vorweg genommen.

Die Reduktion des Bildungsproblems auf ein Seegrundstück-Problem macht die Annahme, dass man bei Bildung (das Wort wird mir allmählich immer janusköpfiger) schon ganz konkret weiß, wo man hinwill: Ich will ein Haus am See. Diese Annahme zu treffen hat Ähnlichkeiten mit "Invarianten Wissensbeständen" und nimmt eine wichtige Dimension aus Bildung heraus: Die Dimension der Orientierungslosigkeit in einer Welt mit vielen Möglichkeiten und den Umgang damit. Man wird in eine Situation geworfen, wo man sich nicht unmittelbar zurechtfindet und lässt sich auf die Frage ein, wie man sich darin orientieren kann (und soll).

In diesem Rahmen ist aber schon interessant, nochmal über die Aussage "Die alte Villa am Strand ist unvergleichlich" nachzudenken und zu überlegen, ob der Umgang mit der Dimension der Orientierungslosigkeit zu unvergleichlichen Wegen (und das ist ja irgendwie die Idee des Individuums) führt? Heißt das aber, man kann über seinen Weg keine verstehbare/kommunizierbare Rechenschaft ablegen? --Andyk 15:47, 15. Dez. 2009 (UTC)

Schlussstück: Bildung ist für alle da. Nicht für mich

Nur noch eine kleine Assoziation, die mir letztens beim Hören eines Rammstein-Stücks in den Sinn gekommen ist, wo folgende Zeile vorkommt: "Liebe ist für alle da. Nicht für mich."

Ich erspare mir das auszubuchstabieren. Ein kleiner Hinweis kann vielleicht etwas verdeutlichen. Die übliche Semantik des Allquantors in der Prädikatenlogik ist wie folgt definiert: Die Aussage "Für alle x gilt: Wenn x ein Mensch ist, dann hat x ein Recht auf Bildung" ist wahr, wenn jedes einzelne x, das ein Mensch ist, ein Recht auf Bildung hat. Sonst falsch. Wichtig ist hier, dass man die Implikation erkennt:

  • (x ist ein Mensch) -> (x hat ein Recht auf Bildung)
  • Voraussetzung: (x ist ein Mensch)
  • Folgerung: (x hat ein Recht auf Bildung)

Die gesamte Implikation kann unter folgenden Umständen wahr sein:

  1. die Menge der Individuen, die Menschen sind, ist leer! Man geht durch alle Objekte in der Welt und findet bei keinem, dass es die Eigenschaft hat, ein Mensch zu sein. (d.h. die Voraussetzung nimmt den Wahrheitswert FALSCH an). Wenn schon die Voraussetzung falsch ist, dann ist der Wahrheitswert der Folgerung egal.
  2. Es gibt Individuen, die Menschen sind, (d.h. die Voraussetzung nimmt den Wahrheitswert WAHR an) und diese Individuen haben zusätzlich die Eigenschaft "hat ein Recht auf Bildung" (d.h. die Folgerung nimmt den Wahrheitswert WAHR an). Hier ist der Wahrheitswert der Folgerung für den Wahrheitswert der gesamten Implikation relevant.

Der erste Umstand ist der Interessante, den man, wenn man ALLE sagt, nicht immer bedenkt: Wenn es keine Menschen gibt, dann ist der Satz: "Alle Menschen haben ein Recht auf Bildung" trotzdem WAHR ( unter Voraussetzung der oben fixierten Semantik des Allquantors und der Implikation, die nicht unumstößlich ist).

Verbindungen zu anderen Beiträgen

Anbei noch zwei Kommentare von Kollegen/Kolleginnen, die ein bisschen in eine ähnliche Richtung gehen:

Adrien Feix

Hrachovec schließt mit der Behauptung, gleiche Chancen auf Bildung für alle müsse geringere Qualität derselben implizieren, sodass es keinen Anspruch auf eine exzellente Massenuniversität geben könne - genau so wenig wie jeder den Anspruch auf ein Haus am See hätte. Dieses Fazit erscheint dann doch etwas befremdlich. Der Vergleich zwischen Haus am See und Bildungsplatz ist nicht der glücklichste (das Erste ist durch die Natur beschränkt verfügbar, das Zweite nur der Gesellschaftsorientierung abhängig), und generell ist der Malthusianische Ansatz, der eine mechanische Qualitätsverminderung mit steigenden Studierendenzahlen postuliert, antiquiert. Es ist dieselbe Einstellung, mit der man im frühen 20. Jahrhundert gesagt hätte, es wäre unmöglich jeden Haushalt mit Strom und Warmwasser zu versorgen…

Barzaa9

Angesichts dieser didaktischen Gewandtheit kann ich mir rückblickend auch vorstellen, dass einige Stellungnahmen zu „Grundstücksvergaben“ am Ende des Vortrags bewusst so formuliert wurden, dass sie in der aktuellen Debatte provokant aufgefasst werden und eine Diskussion neuerlich entfachen können. Prof. Hrachovec hatte uns zumindest gleich zu Beginn seine Skepsis gegenüber dem gegenwärtigen Bildungsbegriff geäußert, dessen Formulierung auch mir gefehlt hat.


Ein paar Nachträge

Die beiden letzten Folien waren provokant und polemisch. Unter anderem darum, weil ich nicht pädagogisch enden wollte. Wenn ein Kollege seelenruhig hinschreibt

"Denn weder das Höhlengleichnis, noch der Film „Die Truman Show“ haben nach meinem Verständnis etwas mit dem Thema Bildung zu tun."

kann man die Lust an Erklärungen verlieren.

Hier aber kann ich erklären (im Sinn von deklarieren):

  • Jede Person hat ein Recht auf Bildung, wenn darunter verstanden wird, dass ihr der Staat die Ressourcen zur Verfügung stellt, ihre individiellen Fähigkeiten zu entfalten, sodass sie ihren Lebensplan unbehindert verfolgen kann.
  • Ich würde weiter gehen und sagen: Es hat auch jede Person ein Recht, sich anzueignen, was anfangs des 20. Jahrhunderts gemeinhin unter Bildung verstanden worden ist. Die Sozialdemokratie (und auch die DDR) war ganz begeistert von Goethe, dazu gibt es das Volkstheater zusätzlich zum Burgtheater. Gut und gerecht so.
  • Die Schwierigkeit beginnt damit, dass sich, wie ich zu zeigen versuchte, mit dem Bildungsbegriff eine sehr starke zivilisatorische Konnotation verbindet, die nicht ins Rechtsdenken hineinpasst.

Im Audimax habe ich es in etwa so gesagt: Jede muss genug zu essen haben, aber daraus folgt kein Anspruch auf gutes Essen. Jede hat ein Recht auf sicheres, qualitätsvolles Wohnen, aber daraus folgt nicht, dass ihre Wunschvorstellungen davon, wie wohnen "richtig schön ist" per Anspruch einzuklagen sind.

Sehen wir einmal vom Verdacht ab, dass die "Ideale der Bildung", die schöne kritische Selbstbestimmung etc., in sich ziemlich morsch sind, dann gilt noch immer: eine Protestbewegung, die Gerechtigkeit, Solidarität und Nicht-Diskriminierung einfordert, und die sich explizit nicht für Ausbildung, sondern für Bildung stark macht, bedient sich eines Kürzels für durch Anstrengung und glückliche Umstände in Balance gekommenes, in sich gerechtfertigtes, Leben. Dazu wollte ich nun allerdings absichtlich provokant sein. Wenn man ein solches Phantasma (im neutralen Sinn) zur Parole macht, muss es Krawalle geben. Diese Forderungen sind nicht auf dem Weg politischer Aktion erfüllbar und wenn man es versucht, brennen die Seegrundstücke. Sie liegen Gott sei Dank nahe beim Wasser. --anna 19:12, 15. Dez. 2009 (UTC)

Nachfrage

Ich finde plausibel, dass Anstrengung und glückliche Umstände nicht explizit gefordert werden können; bzw. wird es keinen Adressaten dafür geben, der diese Forderung erfüllen könnte. Doch die Frage ist, ob man nicht die prinzipielle Möglichkeit fordern kann, sich ein in sich gerechtfertigtes Leben zu erarbeiten? Wenn das ein Kürzel für Ausbildung ist, könnte man die Sache vielleicht so klären, indem man den Slogan nicht als Forderung auffasst, sondern als Willensbekundung:

  1. Einerseits geht es um eine Willensbekundung und ein Statement, sich als Studentinnenschaft zu etwas zu bekennen. Man möchte die Zeit und Möglichkeit haben, sich ausführlich mit etwas auseinander zu setzen (unter Einsatz seines Lebens quasi). Was ich an Kritik an "Freie Bildung für Alle" verstehen kann ist, dass der Begriff Bildung eine schwere Last voll mit Emotionen und Akzentuierungen mit sich trägt und man diese ganze Last heraufbeschwört, wenn man sie in einem Slogan verwendet. Wie aber sollte diese Willensbekundung dann aussehen? (Vielleicht war "Bildung" hier einfach ein Lückenfüller?) Der Wille nach Ausbildung kann es nicht sein, denn dabei geht es schon um konkrete Implementierungsdetails, und die sind auf einer anderen Ebene.
  2. Damit komme ich zum zweiten Punkt: Rahmenbedingungen, die (1) ermöglichen. Das ist die Ebene, wo man sinnvoll Forderungen stellen kann, wo Aspekte des Seegrundstück-Beispiels dabei sind; aber auch die Struktur von Studienplänen und gewissermaßen die Forderung nach mehr Mitbestimmung.

Eine Protestbewegung, die sich nur auf (2) konzentrieren würde, wäre doch eher eine Arbeitsgruppe oder so etwas, aber keine irritierende Bewegung? Dass (1) böse gesagt ein sehr alter Hut ist, und faktisch keine Innovation enthält, stimme ich zu. Umso wichtiger, sich damit ausseinanderzusetzen.

Hier steht:

Das vermutlich beste Beispiel der Ambivalenz zwischen gut motiviertem Neuansatz und Etikettentausch ist die Modularisierung. Es ist ein attraktives Konzept, das darauf aufbaut, dass sich komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge besser in themenzentrierten Lernpaketen vermitteln lassen, die unterschiedliches pädagogisches Format besitzen und allenfalls durch ein abgestimmtes Team von Hochschullehrerinnen und -lehrern betreut wird. („Vorlesung mit Übung“ ist ein Vorläufer eines solchen Konstruktes). In diesem Rahmen haben auch Qualifikationen Platz, die nicht direkt an Lehrveranstaltungen gebunden sind (Selbststudium, eLearning, externe Kurse und Praktika). Module erlauben einen flexiblen Studienaufbau jenseits der Akkumulation von Semesterstunden. Sie gestatten die elektronisch administrierbare Definition von Voraussetzungsketten und alternativen Schwerpunkten. Doch alle diese Vorteile stoßen auf Hindernisse. Häufig ist die Bewahrung des bestehenden Lehrkontingents entlang der eingerichteten Professuren ein bestimmendes Motiv. Die Zulassung neuartiger Qualifikationsformen ist heikel. Es mag attraktiv sein, die Selbstverantwortung der Studierenden in den Kalkül aufzunehmen – aber das kann auch heißen, dass die Lehrenden sich aus dem Prozess verabschieden. Ein Studium in diesem Sinn zu rhythmisieren verlangt mehr als die tabellarische Zusammenstellung mehrerer Lehrveranstaltungen in einer Rubrik. Ob sich etwas in diese Richtung entwickelt, ist momentan nicht absehbar.

Warum kann man manche Auswüchse aus den Protesten nicht wahrnehmen als den Versuch, dass sich etwas in diese Richtung entwickelt?--Andyk 22:48, 15. Dez. 2009 (UTC)


Ja, man kann die prinzipielle Möglichkeit fordern, sich ein gerechtfertigtes, geglücktes Leben zu erarbeiten. Das ist nicht die Forderung nach Ausbildung. Wie sollen wir es nennen? Mein Widerstand geht dahin, dass ich das nicht "Forderung nach Bildung" nennen möchte. Ist das nur eine individuelle Empfindlichkeit? Kann man nicht sagen, dass jede Bewegung ihre eigenen Wortbedeutungen festlegen kann? Ich denke, es gibt einen Grund, hier nicht so liberal zu sein.

Wir sind uns also einig, dass es um "Ausbildung+" geht. Und nun nimmt man, um dieses Plus zu fassen, ein Wort, das Antike-Christentum-Säkularisation-Oberschicht-Emanzipation in sich zusammen komprimiert und dessen strategischer Hauptzweck darin besteht, dass sich auf dem Niveau der Universitäten die privilegierten Lehrenden mit den privilegierten Studierenden in einer Allianz zur Bewahrung und zum Ausbau ihrer Sonderstellung verbünden. Das ist mir zu plakativ und das meine ich nicht als Geschmacksurteil, sondern als Hinweis auf eine vergegenständlichende Politik.

"Wir fordern Gelegenheit zur Bildung!"

Ich sehe das Dilemma auch so, wie Andyk, nämlich zwischen einerseits Arbeitsgruppe und andererseits Slogans, die zwar überaus abstrakt sind, aber immerhin tausende Menschen über längere Zeit hinweg bewegen. Und meine Beiträge hier versuchen, mit dieser Doppelmühle umzugehen. Das Rammstein-Zitat kann ich sehr gut übernehmen. Meine Deutung: Mag sein, dass Liebe/Bildung für alle da ist. Dann aber auch und gerade nicht für mich. Ich mag die Liebe nicht, die alle haben wollen/können. Das klingt nach einer elitären Position. Da beginnt das Thema nochmals. Gibt es ein Recht auf Liebe? Sexarbeit. --anna 09:30, 16. Dez. 2009 (UTC)

noch ein Versuch, das Thema aufzurollen

Ich habe das so verstanden, jedenfalls nachdem ich irgendwann letztes Semester die Anmerkungen zur Bologna-Reform (bpb) (komplett mit Seegrundstück) überflogen hatte: Ein Hinführen zu einem selbstbestimmten Bildungsprozeß kann in einem universitären Rahmen nur durch intensive Betreuung geschehen, die mit der Massenuniversität, also mit der Bildung für alle, unvereinbar ist. Warum? Weil es dazu eine Feedbackschleife braucht zwischen Recherchen des Studenten und Ratschlägen von seiten der Dozentin, d.h. sie muß sich intensiv mit seinem Erkenntnisweg auseinandersetzen, um auf seine individuellen Bedürfnisse eingehen zu können, und das geht nur bei relativ geringen Studentenzahlen. In einem Massenbetrieb gibt es nur die Möglichkeiten, entweder einen Kompromiß aus den Anforderungen einer ganzen Population von Studierenden zu finden oder gar keine Strukturen vorzugeben und die Hörerinnen im Regen stehen zu lassen. Insofern ist eine Betreuung, die etwas bewirkt, ohne aufzubürden, ein Seegrundstück. Und zwar in relativ direkter Entsprechung, denn das ist zum Teil ein materielles Problem.

Hier sind es gerade die Orientierungslosigkeit und das Fehlen invarianter Wissensbestände, die das Dilemma verursachen. Wenn ich nicht die Grundstücke selber vergebe, sondern Landkarten des Salzkammerguts, dann wäre alles in Ordnung, wenn von vornherein klar wäre, daß alle Leute an den See wollen. Wenn aber jemand eine vage Vorstellung von herber Romantik hat, die er mir in einem Gespräch auseinandersetzen möchte, bis ich draufkomme, daß er sich einmal das Mühlviertel ansehen könnte, was tue ich, wenn mir die Zeit fehlt?

Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, daß der materielle Aspekt noch nicht alles abdeckt. Ein "durch Anstrengung und glückliche Umstände in Balance gekommenes, in sich gerechtfertigtes, Leben" kann man tatsächlich nicht einfordern, man kann höchstens fordern, daß die Anstrengungen, einem ein solches zu ermöglichen, verstärkt werden - und wenn es nicht klappt, wie entscheiden, ob es ein persönliches Scheitern oder ein institutionelles Versagen war? Wenn wir über die !"Forderung nach Bildung" diskutieren, müssen wir beides bedenken.

--H.A.L. 03:53, 16. Dez. 2009 (UTC)


Das Vorgehen in Oxford und Cambridge ist (zu Studienbeginn) so: 4-6 Studierende haben eine Tutorin. Sie ist mitunter eine Weltkapazität auf ihrem Gebiet. Sie gibt den Studierenden pro Woche einige Bücher zu lesen. Die müssen sie im Tutorium darstellen. So geht das mehrere Monate lang. Damit erlangt man die Fähigkeit, einigermaßen automatisch große Textmengen zusammenzufassen und ansprechend darzustellen. Es ist ein hartes Geschäft und vermittelt Bildung genau in dem hier von uns problematisierten Sinn. Man ist hervorragend dafür geeignet, verbal qualifizierte Präsentationen zu entwickeln. So reproduziert sich die Elite.

Meine Provokation zum Seegrundstück kann man leicht mit meinen eigenen Worten widerlegen. Ich habe eine ganze Vorlesung dazu gehalten, dass Wissen eine "nichtrivalisierende" Ressource ist. Aber die Bemerkungen von H.A.L weisen zu Recht darauf hin, dass da eine gehörige Portion von Idealismus drinsteckt. Im Hörsaal sitzen eben Körper. Wenn ich mir ansehe, was im Gefolge meiner Vorlesung vergangene Woche an verbalen Rückmeldungen produziert worden ist, wird mir angst und bange. Darunter finden sich brilliante Wendungen und ärgerliche Dummheiten. Wie könnte ich dem "gerecht werden". No way. --anna 10:00, 16. Dez. 2009 (UTC)


"Destinerration"

„L'itérabilité altère, elle parasite et contamine ce qu'elle identifie et permet de répéter; elle fait qu'on peut dire (déjà, toujours, aussi) autre chose que ce qu'on veut dire, on dit autre chose que ce qu'on dit et voudrait dire, comprend autre chose que … etc. En termes classiques, l'accident n'est jamais un accident.” (Jaques Derrida: Limited Inc, S. 33)

Frei paraphrasiert: Wiederholen heißt auch ändern. Wiederholt wird etwas, aber das wird damit auch ausgenützt und verunreinigt. Durch Wiederholung kann man (immer - schon und auch) etwas anderes sagen, als man sagen will, man sagt etwas anderes, als man sagt und sagen will und man versteht etwas anderes, als ... Der Zufall ist nie ein Zufall. --anna 07:52, 18. Dez. 2009 (UTC)