Benutzer:Andyk/Badiou/weltenwandel

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Die folgende Übersetzung basiert auf den Notizen von Daniel Fischer zu einem Seminar von Alain Badiou mit dem Titel Que signifie « changer le monde » ? (Was bedeutet "die Welt verändern"?). Das Seminar fand an der École normale supérieure in Paris zwischen 2011 und 2012 statt. Es ist die Fortsetzung des gleichnamigen Seminars im vorhergehenden Studienjahr 2010-2011. Übersetzungsfehler gehen zu Lasten der Übersetzers. Auf der Diskussionsseite finden sich Anmerkungen sowohl bzgl. Übersetzung als auch Auseinandersetzungen mit dem Übersetzten. Korrekturlesungen und Kollaborationen sind erwünscht. --Andyk 20:00, 1. Aug. 2012 (CEST)


Was bedeutet "die Welt verändern?" (2011-2012)

Argument

Der Ausdruck "die Welt verändern" hat schon eine ziemlich lange Geschichte. Im 19. Jahrhundert wurde unter der Dominanz der Geschichtsphilosophie verkündet, dass Veränderung eine kontinuierliche Fortsetzung des Fortschritts sei. Im 20. Jahrhundert hat sich dies - unter der Dominanz der Prometheus-artigen politischen Projekte - gedreht in Richtung eines Bruchs, einer radikalen Innovation, einer Avant-garde und der Konstruktion eines Staates, der verantwortlich wäre für die schnellere Verkörperung einer Idee, welche nicht davon ablässt, dass eine neue Welt sowohl möglich als auch nötig ist.

Heute sehen wir gut, dass man die Frage nach wirklicher Veränderung wieder ganz aufnehmen muss, jenseits der folgenden Antionomie: entweder totaler Bruch, was der Erzeugung eines "neuen Menschen" entspricht oder installierte Kontinuität (Kapitalo-Parlamentarismus) der ständigen Innovation, welche nichts weiter ist als der Beweis für niedergehende Obsoleszenz, die vorher hergestellt wurde.

Es muss für jeden Akteur der Veränderung ein möglicher Indikator seiner Handlung existieren, eine Invarianz welche erlaubt zu sagen, dass Veränderung real ist für ein Subjekt. Dies erfordert, dass das Subjekt beides ist: Prinzip der Bewegung und ausreichend Unbeweglichkeit um Realität und Ziel (der Veränderung) behaupten zu können. Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass das Problem dasjenige des subjektiven Ortes ist, von wo aus - in einer subtilen Dialektik der Immanenz und des Entzugs - begreifbar wird, dass es sich um eine orientierte Veränderung handelt. Wir hatten die Möglichkeit uns der Schule der "arabischen Revolution" stellen zu können, dessen Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist. Wir haben zuerst die notwendigen Konzepte eingeführt um das zu denken, was eine "Welt" ist, sowie die Operatoren ihrer Veränderung. Wir haben Hindernisse gefunden, darunter auf die Identität bezogene Hindernisse (staatliche Fiktionen, trennende Bezeichnungen (noms séparateurs), ...). Diese ganze Arbeit hat uns erlaubt bei einer provisorischen Definition darüber anzukommen, was eine politische Wahrheit ist, das heißt ein Orientierungsprinzip der realen Veränderung in der Geschichte des Kollektiv-Menschlichen: Eine politische Wahrheit ist das organisierte Produkt eines gewaltigen populären Ereignisses bei dem Kontraktion, Intensivierung und Lokalisation ein vom Staat bereitgestelltes fiktives Identifikationsobjekt, und die damit einhergehenden trennenden Bezeichnungen, ersetzen durch die reale Präsentation einer generischen Kraft der Vielheit.

Diese Definition von der wir den Sinn wiederholen werden, wird uns dieses Jahr als Startpunkt dienen, um unsere Untersuchung zu erweitern und auf strikte Art auf die Anfangsfrage zu antworten: Kann man eine Veränderung der Welt identifizieren und auf ihren Anfang hinarbeiten?

9. November 2011

Diese Frage - was bedeutet der Ausdruck "die Welt verändern"? - zieht Bilanz aus einer langen Periode, in der die Idee einer Veränderung der Welt als eine leicht kriminelle Utopie betrachtet wurde. Diese Idee würde die Realitäten der Welt (des réalités du monde) nicht berücksichtigen, nicht ihre Trägheit, nicht ihre Widerstände gegen die Veränderung der invariablen menschlichen Natur, gegeben seine Interessen, etc.

Es ist eine polemische Frage, da sie versucht die Frage anders, im Grunde als Frage der Resignation aufzufassen: Resignieren wir nicht an den prinzipiellen Formen der gegenwärtigen Welt, dem Erdrutschsieg des globalen Kapitalismus, welche grob gesagt eine untersagte Gegnerschaft des Realen in den Ideen (un interdit opposé par le réel aux idées) des 19. und 20. Jahrhunderts bedeuten? Erfordert das nicht eine Transformation der Welt, eventuell gemäß bestimmten Prinzipien? Die konservative Idee ist die Idee, daß sich die Welt nicht nach Prinzipien beugen lässt, dass die Welt eine Art intrinsischen Widerstand hat, der abziehen muss (dont il faut partir), dass man der Welt eine andere Richtung geben kann, aber dass ihr Gesetz nicht unterbrochen oder radikal modifiziert werden kann.

Die naive und natürliche Antwort von heute ist dass man fertig ist mit den Ideologien einer Veränderung der Welt. Man ist fertig mit den Ideen die vorgeben die Welt zu verbiegen. Ein englischer Rezensent sagte über meine Unternehmung, dass man in ihr "das fatale Spektrum der Ideokratie" erkennt. Nicht Ideologie sondern Ideokratie, die Herrschaft der Idee. Er hat völlig Recht, dieser Engländer. Den Engländern widerstrebte schon immer besonders die Ideokratie, muss man wohl sagen. Sie waren es, die den Emprismus erfunden haben, der gewissermaßen bei ihrer Naturphilosophie stehenbleibt. Sogar bei vielen meiner englischen Freunde finde ich jederzeit die Spuren des Empirismus, Spuren die übrigens auch Schutzgeländer sind, und Erinnerungen an das Bestehen der Realität. Der Empirismus ist jene Überzeugung, dass die Welt das ist was sie ist und dass die Erfahrung der einzig mögliche Startpunkt ist für jede Transformation, da die Prinzipien schon immer in einer Außen- oder Ohnmachtsposition sind.

Das ist der Gegensatz zwischen Descartes und Locke. Descartes ist der Mensch der denkt dass man alles bezweifeln kann, d.h. dass wir letztendlich gar keine Erfahrung als beglaubigenden Startpunkt brauchen, da sie zweifelhaft ist; man wird aus diesem Widerstandspunkt heraustreten und ihn auf jene Prinzipien wickeln, welche die rationalen Prinzipien sind. Auf der anderen Seite: Locke ist derjenige, für den die Erfahrung selbst das Alpha und Omega des Bewusstseins ist. Auf die Frage "Wie aus einem Wald herauskommen" sagt Descartes dass er nur geradeaus laufen muss, und dass man schlussendlich einen Ausgang finden wird, da kein Wald unendlich ist. Während der Empirist antwortet: Ja, aber wir könnten doch schauen wo die Sonne steht, sehen dass es auf dieser Seite Champignons gibt (was erlaubt uns zu ernähren) etc. Es ist der ewige Disput nicht der Philosophien, aber der fundamentalen Orientierungen des Denkens welche weit über ihre philosophische Formulierung hinausgehen. Ich bin überzeugt, dass es bei den Jägern des Neolithikums eine Opposition gab zwischen jenen die dachten dass man, um das Mammuth zu töten, eine Theorie des Mammuths haben muss, und jenen die dachten dass es genügt mit der Recherche aufzuhören und es zu töten. Und das ist es, was wir bis heute finden. Nehmen Sie Ehestreit: "Warum hast du das gemacht?" und der andere antwortet: "Es ist unbedeutend, verglichen mit dem was zählt, verglichen mit dem Prinzip unserer Liebe."

Und dann gibt es die Forscher des Mittelweges, es gibt den tapferen Kant: weder reiner Dogmatismus, noch unordentlicher Empirismus, und man fährt geradeaus in Richtung Kritik ... das heißt meines Erachtens ... gegen die Wand. Die Wand der Kritik.

Heutzutage gibt es einen Triumph des Empirismus. Descartes ist am Boden, Lockes regiert. Der Sieg des Empirismus ist selbstverständlich der Umstand dass die ganze Argumentation, welche überzeugend scheint, eine aus Zwängen bestehende Argumentation ist. Von ihnen müssen wir uns verabschieden. Die Argumentation ist kein Fall einer prinzipientreuen Aktivität; das besagt nicht, dass wir den Zwang ignorieren, aber der Startpunkt ist das Gesetz das man sich gibt bezüglich dem was man will, was man wünscht, etc. Daher hören unsere Regierenden nicht auf, ein Sträfling des Zwangs zu sein: Das einzig Mögliche ist: sich dem Zwang zu unterwerfen (filer doux sous la contrainte). Andernfalls, was würde aus uns? Die Griechen. Sie sträubten sich dem Zwang, seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. sind sie die Faulenzer, sie zahlen keine Abgaben, sie machen es sich einfach und sie leben auf den Ruinen ihrer Tempel, mit ihren Ziegen, auf der Erde sitzend... so sah man das, besonders seit Königsberg. Die zeitgenössische Form des Zwangs ist: "Sie werden doch nicht die Lebensweise der Griechen (être de Grecs) akzeptieren?"; Das ist eine Art zu sagen, dass man sich den Realitäten stellen muss... tbc

Welt

Existenz

7. Dezember 2011

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