Benutzer:0406910/MuD09

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Thematische Anknüpfung zum Vortrag von Prof. Gotz vom 22.10.09

Vorbemerkung


Grundsätzlich möchte ich bemerken, daß mir der Vortrag von Hrn. Prof. Gotz nicht so abstrakt und unverständlich erschienen ist, wie Herr Prof. Hrachovez dies in der Übung dargestellt hat. Dennoch wäre es mir nach Durchsicht meiner Notizen nicht leicht gefallen ein Protokoll anzufertigen, daß mir inhaltlich stringent erscheint. Da ich auch nicht zur Protokollführung eingeteilt war, begnüge ich mich hier mit einer thematischen Anknüpfung. Bei Bedarf, oder Interesse stelle ich diesen Bemerkungen jedoch gern ein Protokoll voran, wie es meiner Auffassung des 2. Vortrages von Hrn. Prof. Gotz entspricht.


Gotz Modell von Sinneseindruck, Wissen, Willen und Entscheidung liefert ein beeindruckend umfassendes Schema der menschlichen Handlungsfähigkeit. Ich möchte aber in meiner Stellungnahme dort anknüpfen, wo ich in meinem Selbsterleben als Mensch, Probleme habe, dieses Schema auf mich zu übertragen.


Daß die Bipolariät von Unmittelbarkeit & Reflexion (gerade über diese unmittelbaren Inhalte) modellhaften Charakter für unsere Entscheidungsfähigkeit als <Ich> haben, erscheint mir ebenso nachvollziehbar, wie der Gedanke, daß der Wille quasi zum Abbruch und zur Erfüllung eines Entscheidungsfindungsprozesses dient. Problematisch wird dieses Modell meiner Ansicht nach aber dann, wenn wir es tatsächlich als allgegenwärtiges (Handlungs-) Muster heranziehen. Ab wann ist es wirklich sinnvoll von wissentlicher bzw. wissentlich reflektierter Handlung zu sprechen?

Ist jede Bewegung des Menschen, die mehr geistige Leistung als ein Reflex oder ein Affekt braucht bereits Resultat eines Prozesses, dem man im weitesten Sinne motivierende Reflexion nennen könnte? (Wenn ich Hrn. Prof. Hrachovez richtig verstanden habe, so war dies genau jene Problematik, die er in der Übung angesprochen hat.) Bei der willentlichen Entscheidung z.B. zugunsten der eigenen Gesundheit gegen einen inneren Antrieb zu handeln, erscheint dieses Modell sehr treffend. Weniger passend beschreibt es aber den Antrieb zu Handlungen, die wir ohne ausgeprägte geistige Präsenz vollziehen, wie etwa einen Knopf im Lift zu drücken.

Dieses Beispiel ist bewußt gewählt: Zum einen erscheint mir das Drücken eines Knopf im Lift um ein bestimmtes Stockwerk zu erreichen nicht als reflexiver Willensakt. Andererseits kann man hier kaum von <tierischer Konditionierung> sprechen, da wenn überhaupt, nur sehr wenige Tierarten in der Lage wären, dieses Muster auch noch auf variierende Umgebungen (verschiedene Lifte, Knöpfe, Stockwerke, Gebäude) anzuwenden, womit der Mensch wiederum so wenig Probleme hat, daß ich schon nicht mehr von <Reflexion> sprechen möchte! Könnte es möglich sein, daß seitens Gotz dargestellter Prozeß der Entscheidungsfindung überhaupt nur in einem gewissen Segment von Handlungen modellhafte Gültigkeit besitzt?

Die Frage, ob man im Falle eines Zimmerbrandes zuerst zum Telephon oder zum Feuerlöscher greifen soll, kann je nach Art der Umstände intensive Reflexion erfordern, die man u.U. quasi gewaltsam abbrechen muß, um nicht zu viel Zeit zu verlieren! Hier empfinde ich dieses Modell als durchaus passend, wenn man etwa in wenigen, panischen Sekunden abzuwägen versucht, was man gegen das Feuer noch ausrichten kann, bevor man die Feuerwehr ruft. Gemäß Prof. Gotz’s Konzeption einer zusammenhängenden radikalen Differenz von Unmittelbarkeit & Reflexion, läge die Unmittelbarkeit wohl in der Bedrohung durch Feuer, und die Reflexion darin, die effizienteste Gegenmaßnahme zu finden. Ohne die Unmittelbarkeit der Bedrohung keine Reflexion und umgekehrt! Ob ich nun zuerst einen Eimer hole, zum Telephon greife, oder ggf. in den Keller laufe, wo sich ein Feuerlöscher befindet, wird je nach Art der Umstände unterschiedlich sinnvoll sein, und u.U. starke Appetenzkonflikte auslösen! Fällt z.B. eine Kerze um, so wird die Reaktion darauf recht leicht fallen. Brennen aber bereits die Vorhänge kann es so weit kommen, daß man mehrer Maßnahmen in Betracht zieht, ohne genau zu wissen, welche die effizienteste ist. In so einer Situation, wird man vielleicht tatsächlich einige Willensanstrengung brauchen, um rasch handeln zu können!

Hier erscheint mir Gotz’s Modell sehr passend, wenn man den Willen als eine übergeordnete (aber abhängige) Instanz sieht, der einen Entscheidungsprozeß abbricht, d.h. zu einem notwendigen Ende führt. (Wie z.B. den Feuerlöscher zu holen, anstatt die brennenden Vorhänge herunter zu reißen.)

Größere Probleme habe ich bei diesem Beispiel mit dem Modell der quasi-infiniten Möglichkeitsgenerierung, die erst durch den Willen (als Ergebnis und gleichzeitig anleitender Instanz von Unmittelbarkeit & Reflexion) abgebrochen werden muß. (Hier sei daran erinnert, daß Prof. Gotz sein Modell als völlig allgegenwärtig beschreibt!) Niemand wird angesichts eines brennenden Vorhangs noch die Überlegung unterdrücken müssen, ob er jetzt Blumen gießen geht, oder nicht lieber ein Buch lesen möchte. Dies soll keine polemische Ausweitung der vorgebrachten Willenstheorie in ein absurdes Szenario sein, sondern die Frage aufwerfen, ob es nicht Rahmenbedingungen für Handlungen gibt, die dem von Gotz vorgestellten Modell nicht entsprechen?


Hier sei daran erinnert, daß von tatsächlichen Handlungen die Rede ist. Ebenso wie im Vortrag von Prof. Gotz sind biologische Vorgänge (Blutkreislauf ect.) oder sonstige Automatismen ausgeschlossen. Führt man z.B. (nur im Rahmen dieses Aufsatzes) eine Differenzierung zwischen <Tätigkeit> und <Handlung> ein, könnte man das Problem folgendermaßen verdeutlichen. Unter einer <Handlung> soll hier eine vollkommen bewußte – und vor allem auch abgewogene – Entscheidung gesehen werden, so wie sie ein Tier niemals treffen könnte. Unter einer <Tätigkeit>, möchte ich hier einen Akt sehen, der nicht bewußt vollzogen wird, aber deshalb nicht als rein instinktgeleitet gesehen werden kann. Ein Beispiel könnte hier die Sprache sein. Tiere verfügen über kein Sprache im menschlichen Sinne, aber ist jedes Sprechen Produkt bewußter Reflexion? Wenn ein Kassier an der Kassa den Preis vom Display abliest, und ihn dem Kunden mitteilt, ist dies zumeist kein bewußter Akt mehr, der die Stellung der Person des Kassierers sich selbst gegenüber berücksichtigen muß! Obwohl diese Tätigkeit des Kassierers nicht als instinktgeleitet betrachtet werden kann, glaube ich hier nicht an die Notwendigkeit einer Reflexion. Im Normalfall, wird der entsprechende Angestellte auch nicht überlegen, ob er dem Kunden einen falschen Preis angibt oder den Kunden auffordert, um den Kaufpreis eine Partie Tennis zu spielen. Das Problem liegt meines Erachtens nach in einer Grauzone zwischen Tätigkeit und Handlung. Geht man z.B. auf der Straße hinter einem Kinderwagen, aus dem so eben unbemerkt das Fläschchen fällt, so wird man zumeinst nicht einmal nachdenken müssen, ob man das Fläschchen aufhebt und zurückbringt, sondern es einfach tun. Egal ob es nun Menschen geben mag, die nicht hilfsbereit genug zu solch einer Handlung sind, würde ich nicht einmal hier von einem Produkt von Unmittelbarkeit & Reflexion sprechen. Dennoch darf man davon ausgehen, daß auch höhere Tierarten, ohne darauf trainiert zu sein, keine solche Tätigkeit ausführen würden! Man kann hier einwänden, daß der Mensch ebenso Produkt von Konditionierungen ist, allerdings verhält er sich diesen gegenüber flexibel. Ob ein Fläschchen aus einem Kinderwagen fällt, oder ein alter Mensch seine Gehhilfe verliert, macht für das Tätigkeitsmuster des Menschen wenig unterschied. Für ein Tier schon!

Zweifelsfrei gerät man jedoch sehr rasch in jene <Radikale Differenz>, wie Gotz sie beschreibt. Laufen etwa mehrer Personen auf das genannte Fläschchen zu, oder man hat Probleme sich zu bücken, so wird sehr bald Reflexion & Unmittelbarkeit zusammenfinden. Hier könnte man auch noch die Frage stellen, ob die bloße Feststellung eines Sachverhalts (Fläschchen am Boden) bereits ins Reich der Reflexion gehört. Nimmt als Unmittelbarkeit tatsächlich die bloße Affizierung der Sinne an, und setzt alles darüber bereits als Reflexion, so hat Gotz Modell tatsächlich immer Gültigkeit! Als Erklärungsmodell für menschliche Handlungen, wäre dieses Muster aber dann sinnlos, da dann bereits die völlig unbewußte Abschätzung einer Wegstrecke, oder einer räumlichen Anordnung bereits als Reflexion gesetzt würde. Auch optische Ergänzungsleistungen des Gehirns ect. wären dann bereits Reflexion, obwohl man sie für die angestrengte Überlegung in den Bereich der Unmittelbarkeit einordnen müßte.

Die Grenze zwischen Unmittelbarkeit & und Reflexion, ist aus meiner Sich nicht leicht zu bestimmen, was jedoch nichts daran ändert, daß man wohl von zwei Grundfaktoren reden kann, die hier zusammenspielen! Zudem hat Prof. Gotz den Willen auch in den Bereich der Unmittelbarkeit eingeordnet, womit unter jener <Unmittelbarkeit> also mehr gemeint sein dürfte als bloße Sinnlichkeit. Sehr treffend beschreibt das Model der <radikalen Differenz>, der Zweiheit von Unmittelbarkeit & Reflexion, den inneren Vorgang, der sich abspielt, wenn wir uns gegen bestimmte Bedürfnisse entscheiden. Wer abnehmen will, der entscheidet sich den Gefühlen von Appetit oder Hunger nicht nachzugeben, und dies tut er vermöge einer reflexiven Willensentscheidung! Der Appetit ist die sinnliche Komponente, der Umstand, daß ich nicht essen möchte um abzunehmen deckt sich mit der Reflexion, und der reflexive Willensakt führt dann eben die Entscheidung herbei.

Was wieder nicht in dieses Konzept paßt, ist aber die unbegrenzte Generierung von Möglichkeiten. Im vorliegenden Beispiel ergibt sich immerhin die Möglichkeit wenig zu essen, oder etwas anderes. Dennoch erscheint mir der Rahmen in dem hier Möglichkeiten generiert werden können enden wollend. Ich glaube, daß unsere Entscheidungsfindungsprozesse generell nur mit einem gewissen, angemessenen Spektrum an Möglichkeiten operieren, die gar nicht immer zum tragen kommen. Wer etwa keine Unlust, oder einen sonstigen Hinderungsgrund fühlt, heute die Uni zu besuchen, wird u.U. gar nichts brauchen, was man im engeren Sinne als <Entscheidung> sehen kann! Auch glaube ich, daß der Mensch sich in Tätigkeiten befinden kann, die z.B. derart mechanisiert sind, daß er es nicht mehr sinnvoll ist, von einer radikalen Differenz zwischen Unmittelbarkeit & Reflexion zu sprechen, da letztere völlig wegfällt. Man könnte hier einwänden, daß es dem Menschen dann nicht mehr möglich wäre seine Tätigkeit zu beenden! Darauf würde ich antworten, daß dies z.B. ein Anstoß von außen, wie z.B. ein akustischer Hinweis auf die Uhrzeit oder dgl. sehr wohl kann, ohne das hier Reflexion von innen kommen müßte.

Zweifelsfrei ist es aber dem Menschen eigen, daß er quasi <die Wahl> hat! Der Mensch ist von potentiell unbegrenzter Lernfähigkeit. Ebenso könnte er in seinem Leben <potentiell> unbegrenzte viele Entscheidungen treffen, wenn seine Lebensdauer dies zuließe. Mein Resümme wäre: Als in jeder Lebenssekunde anzutreffendes Moment von Unmittelbarkeit & Reflexion, würde ich das Modell der radikalen Differenz eher ablehnen. (Oder ich hab es einfach nicht richtig verstanden!) Als Beschreibung einer Grundkonstitution des Menschlichen Wesens, empfinde ich es aber von beeindruckender Klarheit!