Benutzer:Andyka/Mitschriften/SS08-Code2-16 05 08

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Mitschrift der VO Code(2) am 16.05.08

  • Vortragender: Herbert Hrachovec

Einleitung

Der heutige Themenkomplex wird voraussichtlich den philosophischen Teil dieses Semesters abschließen. Die restliche Zeit werde ich neueste Publikationen zum Problem des Codes im Rahmen von Internetpraxis vorzustellen. Das geht in Richtung Laurence Lessig und die Open-Source-Bewegung. Die freie Verfügbarkeit von Quellcode von Programmen ist ein wichtiger Impuls im Rahmen von selbstbestimmten, freien Kommunikationsprozessen jenseits der Fixierung durch Geschäftsinteressen und Lobbies. Das soll am Ende zu Überlegungen über Freiheit in einem sozialpolitischen philosophiepolitischen Sinn führen.

Derrida und der Logozentrismus

Heute werde ich alle genannten Personen, Husserl, Heidegger, Wittgenstein und Derrida in einer Zusammenschau zentriert auf einen speziellen Text von Derrida Ihnen vorstellen. Dieser Text ist auf Deutsch 2003 erschienen, von Derrida aber bereits 1967 geschrieben: „Die Stimme und das Phänomen“ ist ein früher Derrida-Text, der noch nicht die breite Ausführlichkeit von Derridas eher bekannten Motiven und Argumentationsweisen hat, die unter die Stichwörter Grammatologie und Dekonstruktion fallen. Ich werde mich nicht in voller Bedeutungskraft einlassen auf das, was Derrida in vielen unterschiedlichen Aspekten dargestellt hat und was man – darum gehört es in diese Vorlesung – beschreiben kann als der Hinweis darauf, dass die Schrift eine Qualität hat, die sie unterscheidet von der gesprochenen Rede. Ein weiterer Schwerpunktsterminus in diesem Zusammenhang. ist der abendländische „Logozentrismus“.

Der Logozentrismus. Illustriert durch unsere eigene Situation beim sehen/hören/lesen dieser Vorlesung

Dieser Logozentrismus handelt kurz illustriert von der Gegenwärtigkeit der Sprache, so wie sie hier zum Beispiel stattfindet: Eine Person spricht. Hinter dem Sprechen steht der eigene Körper, die eigene Gegenwart. Sie rezipieren das Gesprochene mit Ihrem Körper; das sind die ursprünglichen Verständigungsverhältnisse. Im Gegensatz dazu kann man sich eine Situation vorstellen, in der ich jetzt nicht hier wäre, sondern Ihnen einen Zettel hinterlasse und Sie in dem Zettel das lesen könnten, was ich Ihnen sage. (AKA: Beim Lesen dieses Textes befindet man sich in dieser Situation). In dem Moment, indem ich dieses Szenario vorstelle, wird Ihnen schon klar, wie vielschichtig und mehrdimensional das ist: Was wir hier tun, ist ein gutes Beispiel, das zu motivieren, was Derrida anspricht. Indem ich zu Ihnen rede, habe ich das Mikrofon ans Hemd geklickt und andere Leute hören das was ich rede über das Internet, was eine Codevermittlung ist. Und schon stellt sich die erste Frage: Hören die Leute mich durch den Lautsprecher/Kopfhörer weniger präsent? Haben sie weniger von mir, weil sie nicht sehen, wie ich mit den Augen zwinkere? Was ist an dieser Stelle körperliche Mitteilung? Und darüber hinaus befinden wir uns in dieser Vorlesung in einer Situation, in der es Personen gibt, die das, was ich sage, automatisch in Schrift umsetzen und als Vorlesungsmitschrift zur Verfügung stellen. Ist das weniger authentisch? Ist das weniger garantiert? Ist es so, dass die Vorlesungsmitschrift für die Zwecke, die Sie haben könnten, indem sie z.B. für die Prüfung lernen, nicht das authentischere, das bessere ist? Vergessen Sie das, in der Schrift sind die ganzen missglückten Formulierungen weggenommen und Sie können in der Schrift besser nachvollziehen, was ich gesagt habe. Das habe ich ohne Derrida und Husserl Ihnen ganz einfach als eine Fragestellung vorgelegt, die jedoch im Zusammenhang mit dieser Philosophietradition wichtig ist.

Der Logozentrismus. Gegenwärtigkeit zum Behuf der Validierung

Derrida stellt die Sache so dar: In der langen geschichtlichen Epoche (AKA: des Logozentrismus) ist die Vorstellung dessen, dass ich mit meiner eigenen Unterschrift, mit meiner eigenen körperlichen Anwesenheit etwas ratifiziere, jene Instanz gewesen, um die herum sich die Philosophie gedreht hat, sofern sie um Authentizität, um Bestätigung, um Urteil um Vertretbarkeit bemüht war. Um dies zu erläutern, expliziert Derrida den berühmten Platonischen Dialog „Phaidros“. In dem Dialog geht es um die Schriftkritik. Eine Figur in diesem Dialog sagt: Schriftliche Mitteilungen sind wie weggelegte Kinder, niemand kümmert sich darum. Sie liegen wie Leaflets frei zur Verfügung. Wenn Sie sich das hier (AKA: die Blätter Papier, die auf dem Tisch liegen) anschauen. Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat, ich weiß nur, da gibt’s Code. Ich kann ihn aneignen, ich kann ihn plagiieren, ich kann alles Mögliche damit machen. Dieser Vortrag hier ist von jemanden zu verantworten. Was sind jedoch diese Zettel mit Schriftzeichen? Diese Schriftzeichen sind letztlich nur zusammengehalten vom Wissen, von der Kompetenz, von der Aussagefähigkeit einer Person, die diese Schriftzeichen als Hilfsmittel produziert hat, um sie allenfalls zur Verfügung zur Mitteilung zu haben. Das heißt, diese fliegenden Blätter sind für sich nichts, sondern sind verankert in der Verstehenskapazität der jeweiligen Person. Im Phaidros wird genau das angesprochen. Es wird gesagt: Zurückgenommen in eine bestätigbare, nachvollziehbare Kommunikationstätigkeit sind diese Schriftzeichen und Zettel nur dann, wenn sich einer Ihrer annimmt, wenn er etwas sagt, es aufnimmt.

Querverbindung zu Husserl. Auch er ist dem logozentrischen Denken verhaftet

Nehmen Sie das oben Gesagte zum Anlass, um die Querverbindung zu machen, wie Sie uns bei Husserl aufgefallen ist. Bei Husserl war das Problem nicht so viel anders wie das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe. Er hat es nur zugespitzt auf Wissenschaft und Arithmetik. Husserl hat nicht die Frage gestellt: „Was machen wir mit diesen fliegenden Blättern“, sondern „Wie können wir uns erklären, dass ein paar nackte formale Zeichen, die wir auf die Tafel kritzeln, oder die wir in unseren Rechner tippen, verlässliche Resultate produzieren können?“. Warum können wir durch den Gebrauch solcher Zeichen, die für sich nicht sprechen, die wir erst zum bedeuten bringen müssen, uns derer erfolgreich bedienen? Und Husserl antwortet, dass das zu tun hat mit einer raffinierten Abstimmung der Künstlichen Zeichen und dessen, was sie bedeuten, MIT einem Verständnis der Welt, das nicht in dieser Weise künstlich ist, sondern das wir mit uns tragen, das wir beherrschen, das wir in unserer direkten Anschauung verbürgt finden.

Sie gehen gerade auf der Straße und hören einen Krach. Sie schauen hin und erwarten eigentlich einen Auffahrumfall, doch als sie hinsehen, sehen sie keinen Auffahrunfall sondern jemanden, der auf seiner Stereoanlage „Kraftwerk“ oder so spielt und das klingt wie ein Auffahrunfall. Da haben Sie eine typische Situation. Wenn Sie dort hinschauen, sehen Sie, dass die Autos ineinander fahren und es macht einen Krach. Sie haben keinen weiteren Zweifel mehr darüber, was da passiert ist. Und Sie wissen, wenn Sie die Augen zugemacht hätten, und den Sound hören würden, wüssten Sie genau, das war ein Auffahrunfall. Wenn Sie die Sache von der sinnlichen Anschauung ablösen, sodass Sie gerade nicht hingeschaut haben – sodass Sie die Sache nicht voll bestätigen können, kommen Sie in die Schwierigkeit, dass der Krach ein Zeichen ist. Es lässt sich nicht mit Sicherheit bestätigen, es muss erst untersucht werden. Es gibt noch eine zusätzliche Beziehung, die diesen Krach möglicherweise zu einem Krach aus einer Stereoanlage oder einem Krach von einem Auffahrunfall macht. Und wer tut das? Wo findet diese Bestätigung statt? Nach Husserl – und so reden und denken wir insgesamt – findet diese im Alltagsleben der sinnlich lebenden Personen statt, die hinschauen und dadurch den Urspruch des Krachs bestätigen, verifizieren können.

Dies sollte illustrieren, was die allgemeine Horizontvorgabe des Logozentrismus bei Derrida ist. Derrida hat diesen Begriff eingeführt als eine Bezeichnung einer philosophischen Tendenz, die er bis zu Platon zurückführt und mit der er die Vorstellung verbindet, dass wir diese Form von persönlicher Verankerung haben.

Noch einmal, auf das Beispiel zurückkommend, weil es unsere gegenwärtige Situation dramatisch darstellt: Logozentrismus, wenn man versucht, ihn bzgl. Webstreaming zu verstehen, wo sozusagen die ganze Welt hören kann, was hier geschieht, ist eine sehr sonderbare Geschichte. Und zwar deshalb, weil man Logozentrismus traditionell definiert hat bis dorthin, wohin die Stimme trägt, bis wohin die Leute wahrnehmbar sind, bis wohin man die Leute sozusagen schnappen konnte, und sagen: „Ich sehe ja, dass du das gesagt hast“. Wenn ich diesen Zettel sehe, muss ich recherchieren, wer das geschrieben hat und selbst wenn ich recherchiere, kann die Person sagen, das habe ich nicht geschrieben, das habe ich so nicht gemeint. Also die Bestätigungsinstanz der wahrgenommenen Rede funktioniert beim Webstreaming an einer bestimmten Stelle anders.

Soviel zum Einstimmen von Derridas Stichworten.

Zwei Arten, mit Code umzugehen

Frage aus dem Auditorium: Gibt es einen Unterschied zwischen Denken und Sprache?

In dieser Allgemeinheit ist es für mich schwer, darauf zu antworten. Tendenziell gibt es Denken nur in der Sprache. Ich weiß nicht genau, in welche Richtung das zielt, was Sie fragen. Wenn es in die Richtung zielt, die ich mir denke, kann ich jetzt schon etwas - glaube ich - Zentrales sagen. Eine Unterthese des so genannten Logozentrismus (ich finde Logozentrismus einen genialen Werbebanner, den Derrida erfunden hat, um ihn über die Philosophiegeschichte zu ziehen) besteht darin, etwas zu sagen wie: Es gibt zwei Arten zu denken. Es gibt die Art von Denken, die wir in unserem Inneren vollziehen, was ich mir denke, aber nicht sage. Ich habe mir gerade gedacht, dass da etwas an der Türe kratzt, aber ich habe nicht wirklich gedacht „Da kratzt was an der Türe“ sondern habe darauf reagiert. Die Alternative dazu wäre zu sagen: „Ich glaube, da kratzt was an der Türe, könnten Sie schauen, ob dort etwas ist“. Das wäre Denken in Sprache. Ich habe auf diese Art nicht gedacht, sondern habe irgendwie darauf reagiert. Jetzt ist die interessante Frage: Habe ich da etwas gedacht?

Husserl würde sagen: Es gibt dieses innere Denken. Nicht nur ist es so, dass ich mir innerlich etwas gedacht habe, sondern es ist auch vollständig unwiderleglich. Wenn ich Ihnen sage: „Ich glaube, da kratzt was an der Türe, könnten Sie da mal hinschauen“ können Sie mich missverstehen. Dann ist das eine Art von Zeichen, so wie der Krach von zwei Autos, die ich nicht gesehen habe. Ich setze mich einer möglichen Fehlinterpretation aus, während die Schönheit der klassischen Vorstellung folgende ist: Es gibt ein Denken, das nicht angewiesen ist auf diese sprachlichen Verlautbarungen, weil ich es ganz genau selber gewusst habe, ohne eine Zwischeninstanz dazu benötigen. Wenn ich auch das sprachlich nenne, dann wäre Denken und Sprache gemeinsam. Wenn ich aber sage, das ist nicht Sprache in dem Sinn, dann würde es einen Unterschied von Denken und Sprache geben. Derrida ist jemand – das werden wir noch sehen, der Denken und Sprache gleichsetzt. Und zwar in dem Sinne, indem er sagt: Es gibt keinen inneren Bereich, der nicht sprachlich wäre und trotzdem Denken.

Frage aus dem Auditorium: Das, was ich erfahre, kann ich nicht durch die Sprache erklären, da gibt es eine Unterscheidung.

Das sind Punkte, die an dieser Stelle tatsächlich wichtig sind. Es ist nicht zu leugnen, dass man – wenn man an dieser Stelle über Zeichen spricht – in eine Situation kommt, in der man einen Unterschied trifft zwischen Ausdrücken, die eine Bedeutung haben (oder diese Bedeutung nicht haben können) und einer anderen Art und Weise, mit Ausdrücken umzugehen. Und zwar nicht so umzugehen, dass man sagt: Hier bin ich mit einem Code konfrontiert und ich muss mich mit einer Interpretation dieses Codes beschäftigen.

Diese zweite Art und Weise, wie man mit Code umgehen kann, haben wir bereits bei Heidegger kennen gelernt. Heideggers Zeigzeug (den Winker im Auto, den Wegstein am Feldweg) gibt es zwar als Zeichen, doch dieser Verweisungszusammenhang ist eingebettet in einen Lebenszusammenhang. der kein sprachlich artikulierter Satzzusammenhang ist. Der Lebenszusammenhang von z.B.: „Ich gehe besser zur Seite, weil der Winker zeigt gerade nach links“ ist ein Zusammenhang, den wir brauchen, um überleben zu können. Wir trainieren ihn ein und da funktionieren Zeichen nicht als einzelne Signale, die wir mit einem Sinn belegen müssen. Hier funktionieren die Zeichen im Verbund als Signale, die mit unseren Handlungen und Reaktionen verbunden sind. Dies ist der Zeichengebrauch, der Zeichen nicht als fremdartig, sondern als vertraut auffasst. Die Authentifizierung des Zeichens, das worauf wir uns letztlich beziehen können, wenn wir die Frage „Was hat denn das bedeutet?“ stellen, ist im Lebenszusammenhang. Das ist die Heideggersche Antwort.

Die Husserlsche Antwort auf diese andere Art, mit dem Code umzugehen, ist das ursprüngliche, eigentliche Zeichen. Bei Husserl ist es nicht der Verweisungszusammenhang, den wir beim Aufwachsen gelernt haben, sondern es ist die Kraft des Bestätigen-Könnens der eigenen Person. Die Husserl’sche Analayse meines obigen Beispiels wäre: Es gäbe eine Situation: „Hört ihr das auch. Es kratzt an der Tür. Was bedeutet das wohl?“ Ich höre das Kratzen, ich nehme es als Zeichen und mache den nächsten Schritt. Ich weiß noch nicht, was das für ein Zeichen ist, doch ich weiß, dass es ein Zeichen ist und wenn ich es genauer wissen möchte, dann gehe ich hin und schaue nach.

Das alles sind Bemerkungen, um sie darauf vorzubreiten, dass das nun bei Derrida in Frage gestellt wird. Die Stoßrichtung von „Die Stimme und das Phänomen“ besteht darin – darum kommt Stimme, und nicht Schrift hier vor – dass die Verbürgtheit von Stimme bei Husserl analysiert wird. Derrida richtet nun sein Projekt gegen die Husserlsche Stimmorientierung. Ich habe Ihnen diesen frühen Derrida-Text vorgeschlagen, weil dort die systematischen Weichenstellungen – sofern es um die Philosophieentwicklung zwischen Husserl, Heidegger, Derrida, Wittgenstein geht – gut zur Geltung kommen. Derrida ist ja berühmt im Hinblick darauf, dass er die Konsequenzen, die aus dem systematischen Switch entstehen können, mit vielen Beispielen und neuen Perspektiven illustriert. Hier geht es weniger um diese Art von Illustration, sondern eher um eine folgenreiche und geniale Husserl-Interpretation, aus der man den dann sich entwickelnden Diskurs über Zeichen, Kontext, Signatur, Grammatologie, Logozentrismus andeutungsweise erschließen kann.

Zum Text: Die Stimme und das Phänomen

Derrida zitiert Husserl:

Diese Mitteilung wird aber dadurch möglich, daß der Hörende nun auch die Intention des Redenden versteht. Und er tut dies, sofern er den Sprechenden als eine Person auffaßt, die nicht bloße Laute hervorbringt, sondern zu ihm spricht, die also mit den Lauten zugleich gewisse sinnverleihende Akte vollzieht, welche sie ihm kundtun, bzw. deren Sinn sie ihm mitteilen will. Was den geistigen Verkehr allererst möglich und die verbindende Rede zur Rede macht, liegt in dieser durch die physische Seite der Rede vermittelten Korrelation zwischen den zusammengehörigen physischen und psychischen Erlebnissen der miteinander verkehrenden Personen. (Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie I)


Wenn man durch die 50 Jahre Heidegger gegangen ist, wie für alle, die im 20. Jahrhundert Philosophie gemacht haben, ist dieser Husserl-Text eine geradezu rührend, gezierte, unmoderne, aber in dieser Unmodernität auch ausgesprochen Anstoß erregende Konstruktion. Das Modell, das dahinter steht ist eigentlich ein Trickfilm-Modell: Lauter Personen wandern in der Gegend herum und stoßen Laute aus und versuchen, die Aufmerksamkeit und das Verständnis der anderen Personen zu erwecken. „die physische Seite der Rede“ ist die akustische Artikulation, die dazu führen soll, dass ein geistiger Kontakt stattfindet. So wie wenn man jemanden anruft und sagt: „Hallo, willst du mir nicht etwas sagen?“. Diese ausgesprochen segmentierte, atomisierte Situtation könnte man sich wunderschön in einem W-LAN-Setting vorstellen, wo sie verschiedene HW-Maschinen haben und diese Senden Signale aus und suchen einen Client, der Signale aufnimmt, damit die physischen Signale eine Verbindung herstellen, aufgrund derer man dann sinnvolle Aktionen setzen kann wie z.B. Internet surfen.

Derrida greift das auf, interpretiert das und nennt die Probleme, die ich in diesem Zusammenhang auch schon angesprochen habe:

All das, was in meiner Rede dazu bestimmt ist, einem Anderen ein Erlebnis kundzutun, muß durch die Vermittlung der physischen Seite hindurchgehen. Diese irreduzible Vermittlung bezieht jeden Ausdruck in eine anzeigende Operation ein. Die kundgebende Funktion* ist eine anzeigende Funktion. Man rückt hiermit wieder näher an die Wurzel der Anzeige heran: Zur Anzeige kommt es jedesmal, wenn der sinnverleihende Akt, die beseelende Intention, die lebendige Geistigkeit des Bedeutens nicht voll und ganz gegenwärtig ist.

Hier sind die zentralen Begriffe bereits vorhanden. Es gibt eine beseelende Intention. Es gibt das, was Leute mitteilen wollen. Und dann gibt es die bahnbrechende Situation, die Husserl an der Stelle hat: Das Phänomen, das Kommunikation gebunden ist an die physische Realisation, die Schrift und Zeichen als Thema ausmachen wird. Was bei Husserl nicht klar ist, ist wie diese notwendige Gebundenheit der physischen Realisierung an die beseelende Intuition zu denken ist. Die Idee, die Husserl – das liegt schon in der Unterscheidung von eigentlichen und abgeleiteten Zeichen – offensichtlich hat ist, dass das eine eine Hilfsfunktion vom anderen ist. An dieser Stelle kommen wir auf das Problem, wie wir das beschreiben sollen, was offensichtlich in einer beseelten Intuition, im Sinnverleihenden Akt, zu verstehen ist, wenn es nicht so zu verstehen ist wie das Zeichen, das dabei heraus kommt. Der sinnverleihende Akt, der darin besteht, dass eine Person dahinter steht. Was im Akt des Vortragens stattfindet, ist nicht von der Art dessen, was auf diesem Papier steht.

Ich kann, meint Husserl, eine originäre Anschauung, das heißt eine unmittelbare Wahrnehmung von dem haben, was an ihm in der Welt exponiert ist, von der Sichtbarkeit seines Körpers, seiner Gesten, von dem, was sich von den Lauten, die er äußert, vernehmen läßt. Doch die subjektive Seite seiner Erfahrung, sein Bewußtsein, die Akte, durch die er insbesondere seinen Zeichen Sinn verleiht, sind mir nicht unmittelbar und originär gegenwärtig, so wie sie es für ihn und so wie es meine eigenen für mich sind. Es gibt da eine irreduzible und definitive Grenze. Das Erlebnis des Anderen wird mir allein insofern kundgetan, als es durch Zeichen vermittelt angezeigt wird, die eine physische Seite beinhalten.

Hier finden Sie ein Motiv, dass ich bislang noch nicht erwähnt habe. Die Unterscheidung zwischen dem Zeichen, das man als Äußeres Wahrnehmen kann und dem sinngebenden Akt ist wiederum angeschlossen an eine andere erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen Innen und Außen. Das kognitive Innenleben ist schwer auszulöschen. Es unterscheidet sich sehr von dem, was man sehen kann. Das Zeichen kann man als materielles Produkt sehen, aber man kann nicht sehen, dass jemand es zum Zeichen macht, indem er etwas damit sagen will. Sie können nicht in den Kopf der Person hineinschauen, die ein äußeres Zeichen verwendet, um Ihnen etwas zu sagen. Ein Teil der Logik des Zeichens besteht darin, dass ganz abgesehen von der Dimension der Sinnverleihung, Zeichen als ein Vorkommnis interpretiert werden müssen, das einen Hinweis auf ein anderes Vorkommnis enthält, dessen Sie nicht sicher sein können, dessen Man nicht sicher sein kann. Diese Differenz liegt in der Konstruktion des Zeichens. Die Differenz der Zeichengestalt, und dem, worauf es sich bezieht, entwickelt sich im Normalfall zwischen zwei Dingen der Außenwelt. Dieses Verhältnis wird nun verdichtet und kompliziert, wenn Sie sagen: Schauen wir es uns an, im Hinblick auf das Verhältnis von bewussten Lebewesen zur Umwelt, und im Bezug darauf, dass bewusste Lebewesen in ihrem Verhältnis zur Umwelt Zeichen produzieren, die jetzt nicht für eine äußere Bewegung, sondern für einen inneren Zustand stehen sollen, die für geistige Akte stehen sollen, die kurz gesagt für Sinn in dem Rahmen stehen sollen, dass man sagt: Ein Zeichen bedeutet etwas, weil ich etwas damit sagen will. In dem Moment, in dem ich diesen Satz ausspreche „Ein Zeichen bedeutet etwas, weil ich etwas damit sagen will“ – ich produziere die ganze Zeit Sätze, mit denen ich etwas sagen will – ist fassbar, dass es um Sprache in dem Sinn geht, dass äußere Zeichengestalten produziert werden und sich damit die Frage verbindet, wie das stattfindet. Wie findet es statt, dass ich etwas sagen will? Kommt das aus einem Inneren in dem Sinn, dass ich einen Gedanken habe und diesen Gedanken ausdrücke und in dem Ausdruck findet sich getreulich wieder, was in meinem Gedanken vorher angelegt ist. So eine Situation kann es ja geben. Ich kann, ohne noch zu sprechen, mir sehr lange Zeit Mühe geben, eine Formulierung zu finden, und diese Formulierung sage ich Ihnen dann. Ich sage Ihnen, was ich mir gedacht habe. Ist dieses gesprochene/geschriebene Wort ist ein Ausdruck eines inneren Gedankens und wenn das so ist, wie komm ich an das Phänomen des inneren Gedankens heran? Mit diesen Problemen haben wir uns zu beschäftigen.

Eine der Pointen, auf die ich in den letzten 4-5 Stunden hingesteuert habe, ist, dass Derrida in seiner Husserl-Interpretation explizit auf das Phänomen Eigentlichkeit, Ursprünglichkeit eingeht:

Außerhalb der mir eigenen transzendentalen monadischen Sphäre, der Eigenheit des mir Eigenen, meiner Selbstgegenwart, habe ich zum Eigenen des Anderen, zur Selbstgegenwart des Anderen nur Bezüge analogischer Appräsentation, vermittelter und potentieller Intentionalität. Die ursprüngliche Gegenwärtigung ist mir untersagt.

Hier greift Derrida auf das Husserlsche Motiv des Verankertseins von Zeichenbedeutung in dem Erlebnis von Personen hin. Was er damit meint, ist ganz einfach in folgendem Beispiel zu sagen: „Könnten Sie mal schauen, es kratzt an der Türe“. Damit mache ich eine Zeichenproduktion. Sie können mich Missverstehen und fragen: „Was ist eine Türe? Was heißt kratzt?“ etc. Aber ich kann es nicht missverstehen. Wenn ich sie das frage, dann weiß ich, was ich meine, wenn ich sage: „Es kratzt an der Türe“. Ich weiß das auf eine Art und Weise, wie Sie das niemals wissen können. Dies ist eine Form von Selbstbestätigung, die wir in der Regel bereit sind, auf der Seite des Sprechenden für Gegeben anzusehen.

Der Hörende nimmt wahr, daß der Redende gewisse psychische Erlebnisse äußert, und insofern nimmt er auch diese Erlebnisse wahr; aber er selbst erlebt sie nicht, er hat von ihnen keine >innere<, sondern eine >äußere< Wahrnehmung. Es ist der große Unterschied zwischen dem wirklichen Erfassen eines Seins in adäquater Anschauung und dem vermeintlichen* Erfassen eines solchen auf Grund einer anschaulichen aber inadäquaten Vorstellung.

Das ist im Prinzip die Eigenlichkeit bei Husserl, von der Derrida da redet. Ich erinnere Sie an die Art und Weise, wie Heidegger damit umgeht: Insofern das ein Zeichen ist, worum es sich hier handelt, dürfen wir dieses Zeichen nicht in der Erlebnissphäre einer Einzelnen Person verankern, sondern – ich walze das Beispiel des Kratzens in dieser Vorlesung tot – in meinen Fähigkeiten mich in der Welt zu orientieren. Ich bin als jemand aufgewachsen, für den es relevant ist, wenn es irgendwo kratzt. Es gehört zu meinen Basisausstattungen, dass ich auf diese Art von Störung reagiere. Es könnte ein Rohrbruch sein, ein Löwe oder einfach eine Vorlesungsstörung. Es gehört in meinen Lebenszvollzug hinein, dass mich das stört und dass ich darauf regaiere, dass es stört. Das ist der eigentliche Ort, wo das Zeichen des Kratzens eigentlich hin gehört.

Das ist deswegen bei Heidegger so wichtig, weil es der weitreichende Versuch ist, aus der Innen-/Außen-Differenz auszubrechen. Das, worauf ich sensibel reagiere, nicht von der Art ist, dass Sie jetzt so reagieren und fragen: „Ja, was kann denn der meinen?“. Ihr ursprüngliches Verhältnis ist jetzt nicht, so wie es Husserl meint: „Da steht der jetzt und sagt, dass es kratzt und was will er mir denn damit sagen“ sondern Sie teilen mit mir die Umwelt, auf die ich reagiere und aus meinen Zeichen machen Sie damit etwas, indem Sie es korrelieren, auf Ihre eigene Wahrnehmung der Umgebung und dessen, was ich mache. Das ist der ursprüngliche Ort des Zeichens.

Wenn das der Fall ist – ich greife voraus – dann sind wir in einer Ausgangssituation, in der wir mit Hilfe von äußeren Signalen, nicht mit Hilfe von „Nachfragen, was meinst du jetzt“ sondern mit Hilfe des Abwägens und des Umgehens mit einer Reihe von Zeichengestalten uns in der Welt navigierend, kommunizierend aufhalten von Anfang an. Das ist die Idee, die Heidegger in Sein und Zeit bereits erwähnt und das wird nun von Derrida folgendermaßen zugespitzt, dass er sagt: Vom Heidegger nehme ich, dass wir das Innere weglassen und dann nehme ich noch etwas aus meiner Kritik des Logozentrismus von Husserl. Das, was die Vermittlung möglich macht, den Verweisungszusammenhang am Laufen hält, ist nicht die Stimme, die Rede, hinter der ich mit meiner Bedeutung stehe, sondern die Zeichen, die Schrift, die Akustik selber. Die Zeichen, derer ich mich bediene sind das, woran ich mich halten muss und nicht die Ursprungsinstanz von dem, der die Zeichen erzeugt. Derrida will dem Versuch Husserls gegenzusteuern, den Zeichengebrauch in der Selbstgefälligkeit der eigenen Person zu verankern. Statttdessen wirft er die Frage auf: Wenn Zeichen für Kommunikation notwenig sind, dann hat das eine entscheidende Wirkung auf das, was ein Selbst ist. Statt zu sagen: „wir wissen, wer wir selbst sind, was wir selber meinen. und dann sind wir noch so freundlich, es anderen mitzuteilen, und die lassen wir dann raten.“ Wir produzieren Zeichen und die anderen müssen raten, was wir uns dabei gedacht haben. Und was ich mir dabei gedacht habe, gehört mir. Die Richtung aber, die von Derrida stark gemacht wird (und die auch mit Wittgenstein verwandt ist) ist die: „Du kannst gar nicht denken ohne Sprache. Du verwendest Sprache. Und wenn du Sprache verwendest, gibt das auch Aufschluss darüber, was du bist und was du meinst“. Die Kapazität, mit Zeichen, die immer Zeichen für etwas-anderes sind (ein Zeichen verweist immer auf einen Zusammenhang zwischen dem, was da indiziert, und dem, was indiziert wird) immer etwas Physisches. Wittgenstein in den philosophischen Untersuchungen ist sehr berühmt dafür, die Frage des inneren Zeichens zu erörtern. Folgendes Beispiel: Du möchtest morgen noch wissen, wie viele Leute heute in der Vorlesung waren. Du denkst dir für jede Person einen inneren Strich. Du reproduzierst diese Striche morgen, indem du in der inneren Vorstellungen die Striche zählst. Man ist versucht zu sagen, dass man die inneren Zeichen produziert, die man gestern gemacht habe. Im normalen Zeichengebrauch würde man einen Zettel hernehmen und für jede Person einen Strich machen. Wittgenstein stellt die Frage: Können wir auch sagen, wir machen uns innerlich diese Striche? Und wenn wir uns diese Zeichen innerlich machen, haben wir auch noch den Vorteil, dass uns niemand den Zettel stehlen kann, weil er in uns ist, weil er gewiss ist. Die Argumentation von Wittgenstein ist ganz genau gleich wie die von Derrida, nur 40 Jahre früher: Er sagt: „Nein, das ist kein inneres Zeichen. Es gibt keine inneren Zeichen in diesem Sinne, denn für Zeichen braucht es die physische Externalisierung.“

Der Prozess des Todes, der in den Zeichen am Werk ist

Schon im Begriff des Zeichens ist der Tod. Der Prozess des Todes ist im Zeichen am Werk. Was kann er damit meinen? Das ist eine hochdramatische Ausdrucksweise für eine durchaus nachvollziehbare Idee, nämlich, dass ein Zeichen eine Stabilität, eine Wiedererkennbarkeit als physisches Ding braucht. Es gibt kein Alphabet, das darin besteht, dass jeder Buchstabe immer anders ausschaut. Buchstaben müssen wieder erkannt werden. Eine Verkehrsampel – da ist es wirklich nahe am Tod, in einem anderen Sinn – muss Rot, Grün und Gelb immer in derselben Weise verwendet werden. Das Rot der Ampel kann nur so funktionieren, dass dieses Zeichen verstanden wird als: „Wenn du es auf deiner Seite siehst: Stehenbleiben.“ Das heißt, dass – völlig unabhängig davon, welche Rot-Empfindung jeder einzelne hat, wie man sich fühlt, etc – bei Rot immer als ein Zeichen des Stehenbleibens gilt. Es ist entrückt aus dem Gegenwartszusammenhang. Wenn die Person danach gehen würde, wie es sinnlich für die Person ausschaut, könnte Sie sagen: „Rot schaut für mich eigentlich nicht für Rot aus, das ist eigentlich eher Orange“. Die Person muss das Sinnlich wahrgenommene in eine Schublade, in eine Typologie einordnen. Das ist – nach Derridascher Terminologie – ein Verlust von Leben. Zeichen abstrahieren von den jeweiligen Ereigniszusammenhängen, in denen Menschen drinnen stehen. Die Selbstgegenwärtigkeit ist „Wie eine rote Ampel in vielfältiger Art und Weise wahrgenommen werden kann“. Nach dem Husserlschen Standpunkt ist der bedeutungsgebende Akt der, dass ich es da so sehe. Wie ich es da so sehe, hängt jedoch von meiner Verfassung und meiner Augenstärke ab. Wenn meine Augenstärke das Zentrale dafür ist, dass das Zeichen hier funktioniert, habe ich etwas Wesentliches übersehen. Ich habe übersehen, dass Zeichen, Verkehrsampeln nur deswegen funktionieren, weil Leute NICHT nach ihrer eigenen Sehverfassung gehen. Es gilt nicht als Entschuldigung bei Gericht, zu sagen: „Ich bin dort drübergefahren, weil ich war mir sicher, das schaut orange aus.“ Derrida beschreibt das auch ganz gut:

Also selbstgegenwärtig im Leben einer Gegenwart, die noch nicht aus sich in die Welt, in den Raum, in die Natur hinausgegangen ist. Bei all diesen »Ausgängen«, die dieses Leben aus der Selbstgegenwart ins Exil des Anzeichens vertreiben, kann man versichert sein, daß die Anzeige, die bis hierher fast die gesamte Oberfläche der Sprache abdeckt, der Prozeß des Todes ist, der in den Zeichen am Werk ist.

Es ist notwendig, eine Bereitschaft zu haben, sich zu verabschieden von der Fülle der eigenen Erlebniskomplexe und im Zeichen eine Nicht-Lebendigkeit anzuerkennen. Diese Nicht-Lebendigkeit ist – das wird der nächste Argumentationsschritt sein – nicht mehr (nach Derrida) verankert an einer Verlebendigung, die darin besteht, dass Tote Zeichen wiederauferstehen und zurückbezogen werden in den Lebenszusammenhang. Die Zeichen sind und bleiben tot, und es ist wichtig, dass sie als tote Zeichen funktionieren, als welche, die im Rahmen von Repräsentationen spielen:

Ein Zeichen ist niemals ein Ereignis, wenn Ereignis unersetzliche und unumkehrbare empirische Einmaligkeit bedeutet. Ein Zeichen, das nur »einmal« stattfände, wäre kein Zeichen. Ein rein idiomatisches Zeichen wäre kein Zeichen. Ein Signifikant (im allgemeinen) muß trotz der Verschiedenartigkeit der empirischen Merkmale, die ihn modifizieren können, und durch sie hindurch in seiner Gestalt erkennbar sein. Er muß trotz der Verzerrungen, die das, was man das empirische Ereignis nennt, ihn notwendig erleiden läßt, und durch sie hindurch derselbe bleiben und als solcher wiederholt werden können. Ein Phonem oder ein Graphem ist in einem gewissen Maße jedesmal, wenn es sich in einer Operation oder einer Wahrnehmung gegenwärtigt, notwendig immer anders, aber als Zeichen und Sprache im allgemeinen kann es nur fungieren, wenn eine formale Identität erlaubt, es wieder in Umlauf zu bringen und es wiederzuerkennen

Das können Sie als den Zentralen Punkt der Zeichenlehere und der Grammatologie mitnehmen. Daraus gehen zwei miteinander verwobene Akzente hervor:

  • Zeichen ist eine Typologisierung. Nichts, was sie auf Einzelerlebnisse reduzieren können.
  • Das Abstrakte/Kategorische/Typologische liegt nicht in dem, was Sie allein erleben können, sondern es liegt darin, dass auch andere es erleben können und es verwenden können, um zu kommunizieren.


Die Vorstellungswelt, in der man sagen kann: Menschen leben in der Welt und haben Kenntnis von der Welt, indem sie innere Repräsentationen, Vorstellungen von dem haben, was sie umgibt. Die Repräsentationen sind letztlich dass, worauf Erkenntnis beruht. Wahrheit besteht dann darin, dass ich berechtigt bin, das sagen zu können, was ich mir vorstelle. Diese Vorstellungswelt ist das, wogegen Derrida spricht.


Zeichen als ursprünglich Delegierte. Oder: Die Verantwortungslosigkeit der Postmoderne

Das letzte, was ich Ihnen im Derrida-Text vorstellen möchte, hat eine Wichtigkeit für die ganze Philosophieszene. Derrida macht etwas mit Husserl, was er von Heidegger übernimmt und dann noch eleganter ausgestaltet und was dazu führt, wo wir heute die Rede vom Logozentrismus haben. Derrida macht folgenden raffinierten Trick: Husserl spricht von der Gegenwärtigkeit des Erlebens als Garantieinstanz. Heidegger hat in und nach Sein und Zeit gesagt: Wenn wir uns anschauen, wie wir als Menschen in der Gegenwart in der Welt leben, dann stellen wir fest: Wir sind im Wesen zeitliche Existenz, darum heißt das Werk: Sein und Zeit. Wir sind solche Wesen, die Vergangenheit Gegenwart Zukunft zur Verfügung haben und leben. Was wir de facto vorwiegend tun ist: Wir kleben an der Gegenwart. Wir sind orientiert an den Dingen, die wir haben können. „Sein ist beständige Anwesenheit“. Heidegger meint, dass wir darauf fixiert sind, dass uns nichts abgeht. Der Derridasche Hinweis auf die Husserlsche lebendige Gegenwart passt an dieser Stelle gut dazu als Hinweis, dass zur Ratifizierung unserer Bedeutungsansprüche, oft die Strategie verwendet wird, dass man sagt: „Aber ich sehs doch. Du kannst mir nicht streitig machen, dass das jetzt da ist, weil ich sehs. Ich habe es, es ist anwesend. Sicher sein kann ich, weil es da ist.“ Sein ist beständige Anwesenheit heißt: Wir sind orientiert in unseren Aussagen, in unserem Verständnis der Welt daran, dass wir uns auf Gegenwärtiges, Verfügbares beziehen. Der Trend von Heidegger besteht darin zu sagen: Wir müssen Sein als eine differenziertere, komplexere, ereignishafte Struktur begreifen als etwas, was präsent ist und sich gleichzeitig entzieht. Da kommt eine Art negative Theologie hinein: Gegenwart gibt es nur, wenn es auch Vergangenheit und Zukunft gibt. Wir müssen das Sein geheimnisvoller sehen. Derrida macht daraus das Folgende: Husserl ist – das wäre Husserl nie eingefallen, aber das ist Heidegger eingefallen, und Heidegger hat es nicht über Husserl gesagt, aber Derrida sagt es mit Hilfe von Heidegger über Husserl – ein typisches Beispiel der klassischen Metaphysik, weil Husserls Aussage von „Vergegenwärtigung“ ein klarer Fall davon, was wir seit der ganzen Geschichte der Metaphysik haben, nämlich die Priorität der Präsenz. Derrida sagt: Husserl ist der Ausläufer eines Trends, der in der ganzen europäischen Philosophiegeschichte stattfindet und das ist der Logozentrismus. Der Logozentrismus ist die Tendenz, Bestätigung von Sinn dadurch zu verankern, dass Personen da sind, die das produzieren.

Zeichen sind in diesem Zusammenhang immer nur das Zweitbeste. Zeichen sind immer nur Delegierte. Delegierte haben ihre Bedeutung/Funktion immer von etwas Anderem. Delegiert ist man von jemanden zu etwas hin so wie ein Zeichen im Normalverständnis etwas ist, was worauf hinweist und wo man erst sehen muss, ob das klappt. Jetzt kann man die Frage stellen: Was ist das Ursprüngliche, wenn Delegierte immer das das Zweite sind? Bei Delegierte ist das Ursprüngliche der Wille der Partei, der Volkswille usw. Es muss etwas geben, was zu repräsentieren gibt, und das ist der Wille der Basis. Die Delegierten sind dazu da, den Willen der Basis zu Delegieren. Man kann nun sehen, wie metaphysisch das Konzept: Der Wille der Basis ist. Die Delegierten brauchen den Willen der Basis, damit Sie sagen können: „Wir vertreten den Willen der Basis“. Und wo findet man den Willen der Basis? In einem mehr oder weniger metaphysischen Konstrukt. Das läuft parallel zur Argumentation: Die Aussage „Den ursprünglichen Sinn des Zeichens findet man im Inneren des Ichs“, ist ebenso ein metaphysisches Konstrukt wie dass man den Willen der Basis irgendwo findet. Das ist die Attacke gegen diese Art von metaphysischem Konstrukt.

Worauf Derrida hinweist ist, dass ohne die Funktionsweise der Delegierten, ohne dass es ein Parteistatut gibt, ohne dass festgelegt würde, wie Delegierte zu entsenden sind und wie die funktionieren, ohne dieses Setting gibt es keinen Willen der Basis. Das ist die „ursprüngliche Nichtabkünftigkeit von Zeichen“. Zentral ist, dass man Zeichen braucht, die nicht von irgendwoher ihre Berechtigung erst beziehen müssen, sondern dass diese Zeichen schon so wie sie sind als Delegierte notwendig sind. Wenn man jetzt sagt: „die eigene Nichtabkünfitkgeit des Zeichens“ kommt man – das wird Derrida im Weitern beschäftigen - in einen hohen Wellengang. Denn nun ist das Zeichen als das Ursprüngliche angesetzt. Jetzt ist angesetzt, dass das Wesentliche, Richtige, Entscheidende jetzt ist, dass das Zeichen keinen Ursprung hat, dass Zeichen nicht verantwortlich sind einer anderen Sache gegenüber, dass Zeichen einfach Verweisungsketten sind. Das ist die Verantwortungslosigkeit, die der Postmoderne öfter vorgeworfen wird und diese Verantwortungslosigkeit ist im Delegiertenbeispiel deutlich: Auf der einen Seite kann man festhalten, dass der Wille der Basis ein metaphysisches Konstrukt ist, doch wenn Sie sich vorstellen, dass sich die Delegierten zusammensetzen und sagen: „Wille der Basis, was ist das? Wir wählen einen neuen Parteivorsitzenden, und zwar nur deswegen, weil es uns gefällt, dann haben Sie trotzdem einen Aufstand“. Das heißt, die Verantwortungslosigkeit der Delegierten , die in einer gewissen Weise festzuhalten ist – weil es keine Letztverantwortlichkeit gegenüber DEM Willen der Basis gegenüber gibt – ist andererseits auch wieder überreizt, wenn es wirklich ernst genommen wird und man sagt: „Macht mir nichts aus, ich tue, was ich will, weil ich habe die Verpflichtung nach einer Ratifizierung gar nicht als Zeichen“.

Der Verweis zu Wittgenstein kommt dann das nächste Mal, bevor ich zu Lawrence Lessig komme.