B. Notwendigkeit aus Naturgesetzen? (FiK)

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Aber ist nicht der unabänderliche Gang der Ereignisse in der Natur und d. h. in der gesamten materiellen Welt, in die wir als Handelnde verstrickt sind, naturgesetzlich verfaßt? Und stiften nicht Naturge­setze überall, wo Ursache und Wirkung aufeinanderfolgen, eine unzerbrechliche Verbindung zwischen den aufeinanderfolgenden Ereignissen, die für Freiheit nirgends einen Einstiegspunkt in der Reihe der Ursachen und Wirkungen übrigläßt? Ein Stein, dessen Unterbau wegbröckelt, rollt unweigerlich - mit naturgesetzlicher Notwendigkeit - den Hang hinunter. Er kann nicht liegen bleiben ohne die Stütze, die ihn zuvor auf der Höhe hielt. Ob wir das nun >Notwendigkeit< nennen oder nicht, bleibt sich völlig gleich. Und ist es nicht mit uns ganz genauso - daß wir der ausnahmslosen Gültig­keit unverbrüchlicher Naturgesetze unterliegen, wo immer wir ge­wissen Gliedern und Strängen in der unabänderlichen Reihe der Ursachen und Wirkungen unseren Namen geben?

So intuitiv plausibel diese Überlegung zunächst scheinen mag, sind doch mehrere Zusatzannahmen im Spiel, die nicht unbedingt für wahr zu halten sind, obwohl erst mit ihnen die unabänderliche Kausalität des Laufes der Dinge zur unvermeidlichen Notwendig­keit wird, die möglicher Freiheit widerstreitet.

Voraussetzung Naturgesetz

Die erste Zusatzannahme, die auch früher schon erwähnt wurde, besteht darin, daß Kausalität immer unter irgendwelchen sie regie­renden Naturgesetzen stehen müsse (These vom nomologischen Charakter der Kausalität). Nach ihr kann es überhaupt keine Ur­sache-Wirkungsverhältnisse geben ohne ein allgemeines Natur­gesetz, nach dem alle Begebenheiten mit der gleichen kausalrelevantenten Beschaffenheit (wie sie bei Gelegenheit einer bestimmten Ursache erfüllt ist) mit einer ebenfalls immer gleichen Wirkung sukzessiv verbunden sein müssen. Zwar ist es nicht nötig, daß wir angeben können, welche die relevante Beschaffenheit jener ursäch­lichen Begebenheit ist, die in einem gegebenen Fall von Kausalität naturgesetzlich mit ihrer Wirkung verknüpft ist; und erst recht nicht nötig, daß wir das Naturgesetz kennen, von dem die kausale Abfolge der Ereignisse tatsächlich regiert wird. Nötig ist nur, daß es ein solches Naturgesetz gibt, wo immer Begebenheiten kausal miteinander verknüpft sind.

Diese Auffassung der Kausalität wird indessen nicht von allen Philosophen vertreten, die sich näher über den wissenschaftlich angemessenen Begriff der Ursache erklärt haben. Von einigen wird er sogar ausdrücklich kritisiert und als unbegründet zurückgewie­sen. Es ist in der Tat schwierig, Gründe dafür zu finden, warum es so sein muß und warum nicht ohne ein allgemeingültiges Naturge­setz irgendein Vorgang oder eine Begebenheit kausal verantwort­lich für bestimmte Wirkungen sein kann; warum die Wirkung nicht ohne eine allgemeine Regel eintreten kann, nach der es nicht nur in diesem Fall, sondern in allen gleichen Fällen genauso ist oder gar sein muß. Wie kann, so hat sich schon David Hume in seiner grundlegenden Behandlung des Problems gefragt, das, was für an­dere Fälle als einen vorliegenden gilt oder nicht gilt, relevant sein für Kausalfolgen dieses einen, der vorliegt?

Jedoch liegen andererseits die Vorteile in Bezug auf wissen­schaftliche Verständlichkeit und Intelligibilität des Wirklichen auf der Hand, wenn man der Kausalität einen nomologischen Charak­ter zubilligt. Denn erst dank der Naturgesetze, denen die Kausalität untersteht, ist es möglich, die Kausalbeziehung, wie früher erklärt, generell zugleich als eine Determinationsbeziehung zu interpretie­ren, wo aus gegebenen Ursachen zusammen mit den Naturgesetzen, denen sie unterstehen, das Eintreten einer Wirkung nun als logische Konsequenz abgeleitet und so in wahren Theorien über die betref­fenden Objekte wissenschaftlich erklärt und dargestellt werden kann.

Durch eine solche Ableitbarkeit von Wirkungen dank bekannter Naturgesetze sind weiterhin wissenschaftliche Kausalerklärungen erst definitiv richtige Erklärungen, d. h. völlig unabhängig von in­duktiven Schlüssen auf Basis bisher beobachteter Fälle einer solchen Kausalität. Denn wenn das in Anschlag gebrachte Naturgesetz wirklich ein Naturgesetz ist, dann ist es nicht nur in bislang bekannten Fällen so, sondern stets und aus einem Prinzip so, daß bei Gegeben­heit der einschlägigen Ursachen auch die im Gesetz beschriebene Wirkung eintritt. Und drittens besteht ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil nomologischer Kausalität darin, daß sichere, wissenschaftliche Prognosen für uns möglich sind, wie bestimmte Dinge in bestimmtem kausalen Zusammenhang sich verhalten werden, da man die tatsächlich gültigen Gesetze ihres Verhaltens heute schon kennt. Darauf basieren experimentelle Methoden unserer Naturwissenschaften ebenso wie die absehbare Funktionstüchtig­keit und Sicherheit neuer Technologien.

Zumindest aus den genannten Gründen scheint es mir daher vorteilhaft und sogar im Interesse der Freiheit geboten, die Kausal­beziehung, wie spätestens seit Kant üblich, als eine nomologische Beziehung aufzufassen. Denn auch die Freiheit profitiert von der uns möglichen Prognostizierbarkeit kausaler Erfolge, da wir uns nur so sicher sein können, daß bei Einsatz der und der Ursachen die und die Wirkungen das Ergebnis sein werden. Jedoch ist hier zu betonen, daß die Vorzüge einer nomologischen Deutung der Kau­salität für unsere Wissenschaft sowie Technik und Prognosefähig­keit nichts daran ändern, daß die Kausalbeziehung selbst auch bei vorausgesetzter Deckung durch Naturgesetze nicht unbedingt als eine nezessitierende Beziehung zwischen Ursache und Wirkung verstanden werden muß. Denn insbesondere die Zuverlässigkeit der Verknüpfung von der Ursache zur Wirkung war nach dem früher Gesagten nicht erst durch eine Gesetzmäßigkeit sichergestellt wor­den, sondern schon durch den der Kausalität selbst zukommenden Charakter der kausalen Suffizienz: Die realen Umstände und Ver­hältnisse, die durch gewisse Ursachen geschaffen werden, sind so, daß sie dafür genügen, eine entsprechende Wirkung herbeizufüh­ren. Ein solches >Genügendsein< läßt sich ebenso gut auf eine zuver­lässig den Ausschlag gebende, aber nicht zwingende Beförderung der Wirkung durch die Ursache zurückführen, wie sie von manchen Theoretikern als zwingende Nezessitierung jener durch diese inter­pretiert wird. Das erste würde, um ausnahmslos sicher zu sein, zu­sätzlich nur ein sehr allgemeines, universell gültiges Rationalitäts­prinzip erfordern, wonach in jedem Fall einer Kausalbeziehung zwischen Begebenheiten im Universum diejenige Wirkung eintritt, die durch alle beteiligten Ursachen zusammengenommen am mei­sten gefördert wird. Ein solches Rationalitätsprinzip entspräche in etwa dem Leibnizschen Prinzip vom zureichenden Grund allen Geschehens, das hier allerdings in seiner Gültigkeit beschränkt wäre auf die kausalen Zusammenhänge im Universum. Durch die Bejahung eines derartigen Prinzips wären also die Naturgesetze im einzelnen davon entlastet, durch eine interne Nezessitierung der Kausalbeziehung zugleich den Grund der Zuverlässigkeit abzugeben, mit der auf bestimmte Ursachen immer und ausnahmslos bestimmte Wirkungen erfolgen. Und so könnte man die oben aufge­zählten, erkenntnistheoretischen Vorzüge einer nomologischen Deutung der Kausalität genießen, ohne den Nachteil, den sie nach Auffassung mancher Philosophen mit sich bringt, daß eine Gesetz­mäßigkeit der Verbindung zwischen Ursache und Wirkung dem Konnex selbst Notwendigkeitscharakter verliehe.

realistische und nominalistische Deutung der Naturgesetze

Über die zuletzt geschilderte Denkmöglichkeit entscheidet vielmehr eine weitere Zusatzannahme bezüglich der Frage, was eigent­lich der Status von Naturgesetzen innerhalb der Realität unseres naturgesetzlich strukturierten Universums sein soll. Denn die einen Philosophen und Wissenschaftstheoretiker sagen, daß dieser Status realistisch zu deuten sei und somit die Naturgesetze eine Art real-notwendige Verklammerung zwischen wirkungsrelevanten Be­schaffenheiten innerhalb von kausal aufeinander bezogenen Bege­benheiten im Universum darstellten. Während andere eine solche universalien-realistische Anwesenheit der Naturgesetze in den Kau­salprozessen selbst ablehnen, und von einer nominalistischen oder rein epistemologischen Deutung der Naturgesetze ausgehen. In der Sicht letzterer sind Naturgesetze nur diejenigen unter allen unübersehbar vielen, oft rein zufälligen Regelmäßigkeiten im Univer­sum, die in jeder optimal erklärenden Theorie oder Wissenschaft von ihm enthalten sein müßten. Optimal aber ist eine erklärende Theorie dann, wenn sie bei Wahrheit ihrer Theoreme die größte Einfachheit mit einem Maximum an Erklärungskraft für die ver­schiedenen Phänomene im Universum verbindet. Naturgesetze sind also nach dieser Auffassung dadurch ausgezeichnet, daß sie Bestandteile einer optimalen wissenschaftlichen Theorie des Uni­versums sind. Die Wahrheit einer solchen Theorie gewährt entspre­chend fungierenden Gesetzmäßigkeiten (aber keineswegs anderen vorhandenen Regularitäten) den gewichtigen Status und die Rolle von Naturgesetzen im Universum.

Es ist nun klar, daß es bei Zugrundelegung eines solchen Ver­ständnisses von Naturgesetzen nicht nötig wäre, trotz des einge­räumten nomologischen Charakters der Kausalität, eine nezessitie­rende Klammer zwischen Ursache und Wirkung zuzugeben. Denn die sehr wohl anzunehmende Zuverlässigkeit der Verknüpfung beider stellt, wie weiter oben erklärt, nicht per se schon Notwendigkeit dar; und die theoretische Wahrheit von Naturgesetzen bedeu­tet, wie jetzt klar wurde, nicht eine Nezessitierung in der Sache selbst, sondern vielmehr die Gewichtigkeit der Kausalverknüpfung für eine optimale Erklärung der Phänomene im Universum. Wenn wir die Ursachen der Dinge erfassen, dann haben wir dadurch die beste Chance auf echte Wissenschaft, d. h. eine wahre und optimal erklärende Theorie dieser Dinge. Deshalb hatte schon Aristoteles den Begriff der Wissenschaft ganz allgemein an den der Ursache geknüpft. Daran möchte ich festhalten, obwohl gerade Aristoteles zu den philosophischen Archegeten einer darüber hinausgehenden Bindung des Ursachebegriffs an den der Notwendigkeit gehörte, worin ich ihm aus den erklärten Gründen nicht ebenfalls folgen möchte.

realistische Universalgültigkeit der Naturgesetze

Es ist demnach, wie schon gesagt, eine zweite Zusatzannahme im Spiel, die erst wahrhaft die Freiheit durch eine Art von Notwendig­keit untergraben würde, wenn sie zuträfe. Gemeint ist die Annahme, daß allgemeinen Naturgesetzen eine realistische Anwesenheit in oder bei den konkreten Zuständen der einzelnen Dinge und Bege­benheiten zukomme, die kausal miteinander verknüpft sind. Denn hierdurch - durch eine solche real das Geschehen lenkende Anwe­senheit - wird die universale Gültigkeit der Naturgesetze, die für alle gleichen Fälle genauso zutrifft, hineingetragen in die einzelne kausale Abfolge der Dinge, die so gleichsam mit stählernen Klam­mern aneinandergeheftet erscheinen, wo immer sich kausale Vor­gänge abspielen mögen.

Doch ist, was die erwähnte Intelligibilität und Prognostizierbar­keit der Geschehnisse im Universum anbelangt, die andere An­nahme genauso leistungsfähig, daß Naturgesetze lediglich epistemi­schen Status besitzen, d. h. ihr Gewicht allein aus der Wahrheit einer optimal erklärungskräftigen Wissenschaft über die Dinge und Be­gebenheiten im Universum schöpfen, nach welcher sie sich unter kausalem Gesichtspunkt eben so und nicht anders verhalten, wie diese Wissenschaft es feststellt, beschreibt und kausal erklärt Dabei spielt es keine Rolle, daß unsere heutigen Wissenschaften - insbesondere die Physik - eben nicht für alle Arten von kausal relevan­ten Begebenheiten schon zutreffend beschreibende Naturgesetze herausgefunden haben; und auch nicht, daß es von unserem Stand­punkt aus betrachtet möglich bleibt, daß etwas, das wir heute dafür halten, doch kein wahres Naturgesetz ist, weil ein Fall eintritt, der zwar die bisher erkannten Bedingungen der Gleichheit mit anderen Fällen erfüllt, aber doch diesmal offenbar andere Wirkungen zeitigt, als nach dem angeblichen Naturgesetz zu erwarten waren. Wenn so etwas vorkommt, passen wir unsere Theorien über die Dinge, die wir hinreichend wissenschaftlich erfassen zu können glauben, stillschweigend dem neuen empirischen Befund an, was manchmal (wenn auch sehr selten) dazu führen kann, daß ein neues oder anders formuliertes Naturgesetz aufgestellt wird. Die unverbrüchli­che Gültigkeit der Naturgesetze bezieht sich hier allein auf die Tat­sache, daß tatsächlich alle Fälle, die sich in Bezug auf die kausal relevanten Züge gleich verhalten, auch gleiche Wirkungen nach sich ziehen, wie es das betreffende Gesetz formuliert. Jedoch ist bei einer solchen Annahme die Unverbrüchlichkeit nicht wie eine zwingende Kraft in den Dingen selbst und ihren relevanten Zuständen zu denken, sondern drückt allein die relativ einfache Uniformität aus, mit der geschieht, was eben - freilich unabänderlich - geschieht. Eine Notwendigkeit in der kausalen Abfolge der Begebenheiten ergibt sich dadurch keineswegs, auch wenn alle Kausalität Naturgesetzen in diesem Sinne gemäß wäre.

Man muß sich daher fragen, ob es richtig war, bei naturgesetzlich verlaufenden Prozessen überhaupt von natürlicher Notwendigkeit und nicht allein von natürlicher Kausalität oder natürlicher Deter­mination zu sprechen. Wo Alternativen des Verhaltens nicht einmal definiert sind und in diesem Sinne fehlen (wie bei der Wurfbahn eines Balls), ist das Verhalten selbst zwar alternativlos bestimmt, aber nicht notwendig. Die Beschreibung seines gesamten Verlaufs in Abhängigkeit von dem Zustand zu einem Zeitpunkt gemäß den Naturgesetzen, ist keine Erzwingung des Verlaufs durch ein Gewirr möglicher Variationen hindurch, sondern - wie Leibniz es ausgedrückt hat - Ausdruck der präzisen und ökonomischen Regel­mäßigkeit einer Wurfbahn unter gleichbleibenden Bedingungen der Schwerkraft und Atmosphäre. Man darf die Naturgesetzlichkeit der Verläufe in der Natur nicht nur als Uniformität zwischen verschie­denen, gleichartigen Fällen, sondern man muß sie - sogar in erster Linie - als Uniformität eines gegebenen Falls in sich selbst begreifen. Sie besteht in der relativ einfachen Regelmäßigkeit eines typischen Ablaufs statt dem unendlich komplizierten und darum unbeschreiblichen Chaos. Sobald man dies tut, verschwindet die Suggestion, daß irgendein naturgesetzlich beschriebener Verlauf (nur weil alle anderen gleichgelagerten Fälle im Universum genauso verlaufen) auch so sein müsse wie jene anderen. Das >Müssen< oder die Not­wendigkeit fügt dem, was in Bezug auf den einen Fall behauptet wird, eigentlich nichts Neues hinzu. Behauptet aber wird nur die konsistente Gestalt und Zuverlässigkeit des kausalen Ablaufs, nicht seine Notwendigkeit. Das heißt, es ist sicher bestimmt - und zwar mit schönster Regelmäßigkeit - wie der Ball in einer Kurve zur Erde zurückkehrt. Was aber bestimmt ist, widerspricht nicht mög­licher Freiheit; sondern nur das, was nicht anders bestimmt sein könnte.



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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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