Argumentiert Freud biologistisch oder essentialistisch in den gelesenen Textabschnitten? Und wenn ja, weshalb ist das problematisch?

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Für mich war das nicht so eindeutig, meinem Eindruck nach hat Freud in den gelesenen Textabschnitten die Ebenen noch vermischt. Er merkt ja auch zumindest an einer Stelle an, man wisse einfach noch nicht welchen Anteil an seinen Beschreibungen biologische Elemente haben und welche etwa gesellschaftliche etc. Freud beschreibt, und obwohl dieser Blick natürlich kein rein objektiver ist, kann, denke ich, Freud im Bezug auf die Geschlechter auch ein Genderansatz zugeschrieben werden. So geht er von einer einzigen Libido aus, die in sich aktive und passive Befriedigungsarten kennt, die zunächst beiden Geschlechtern zukommen, jedoch im Laufe der Entwicklung/Sozialisation eine geschlechterstereotype Gewichtung erlangen. Wir haben es hier auf der Seite der „weiblichen Sexualität“ mit einer Triebunterdrückung der „aktiven“ sexuellen Regungen durch Autoritäten – etwa die Mutter- zu tun. Freud schreibt, dass durch diese Unterdrückung der weiblichen Sexualität ein gewichtiger Teil ihrer Sexualität überhaupt, ihres freien Zugangs zu ihr, verloren gehen kann. Kurz verweisen möchte ich auf eine interessante Lektüre Freuds von Alenka Zupancic, die ontologischen Implikationen des Konzepts der Sexualität bei Freud nachgeht. In der Zuspitzung über Lacan argumentiert sie, dass das Konzept der Sexualität bei Freud überhaupt so etwas wie ein Bruch, eine nicht zusammenführbare Kluft im Sein darstelle. Bedeutung (bei Lacan) ist nur über eine phantasmatische Differenzkonstruktion möglich (Graph der Sexuierung), nur über die fiktive Setzung einer Grenze, eines Außen wird so etwas wie eindeutige Identität möglich, die aber notwendig immer phantasmatisch ist. Die Bedeutung von Lacans berühmten „DIE Frau existiert nicht“ – als universale Kategorie liegt darin, dass die binäre Logik von 2 Geschlechtern negiert werden soll. Lacan geht von mehr als einem Geschlecht aus, aber nicht von zweien. „DIE Frau“ ist nicht das Andere des einen Geschlechts, sondern läßt sich nicht eindeutig einer Identität zuordnen, da ein Existenzurteil verunmöglicht wird. Zupancic argumentiert, dass mit einem solchen Modell eine binäre Logik viel effizienter destruiert werden könne als mit einer unendlich fortsetzbaren Kette an immer neuen (Geschlechter) Identitäten, die wiederum je für sich in binäre Logiken unter sich eingeordnet werden könnten. Während Lacans Ansatz den Positionen „männlich“ und „weiblich“ die Unmöglichkeit zukommt als 2 gesehen zu werden- als zwei Totalitäten und so das Verhältnis der Differenz an sich problematisch bleibt und so nicht geschlossen werden kann. Im Grunde schließt diese Argumentation an Freud an, an seine Konzeption der einen Libido denke ich, die sich aber an Beliebiges heften kann. Insofern wäre der Essentialismus oder Biologismus Vorwurf gegen Freud zu überdenken. Identität wird über den Weg von Freud über Lacan Folge einer Differenzierung, und ist nicht ihre Grundlage, wird in ihrer Konstruiertheit angreifbar. KAFEI, 10:49.23.06.


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