Andre Gorz: Wissen, Wert und Kapital

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Ich versuche eine kurze Beschreibung der Einleitung von Gortz. Seiner Meinung nach wäre eine authentische Wissensökonmie/gesellschaft ein Wissenskommunismus:

Andre Gortz untersucht das Wissen als Produktivkraft. Die einfache, abstrakte Arbeit, die seit Adam Smith als Quelle des Wertes begriffen wurde, wird von komplexer Arbeit abgelöst. Die in Produkteinheiten pro Zeiteinheiten messbare materielle Produktionsarbeit wird von der sogenannten immateriellen Arbeit abgelöst, die sich nicht mehr mit klassischen Maßstäben messen lässt. Damit sieht er die Notwendigkeit einer anderen Ökonomie.

Humankapital ist bei ihm nicht formalisiertes Wissen, sondern lebendiges Wissen (Urteilsvermögen, Koordinierungs-, Organisationswissen). Sich-Selbst-Einbringen ist gleich Motivation, bedeutet "der ganze Mensch" in der Arbeit. Humankapital ist nicht Arbeitszeit, sondern Verhaltenskomponente und Motivation. Statt lohnabhängigem Arbeitskraftunternehmer ist die Person das Unternehmen. Daraus resultiert die Selbstausbeutung unter dem schönen Namen ICh-AG.

Wissenskapital war früher totes Wissen (Machine, etc.). Wissen als Software kann unbeschränkt genützt werden und wird dadurch auch wertlos. Eine authentische Wissensökonomie/gesellschaft wäre nach Gortz ein Wissenskommunismus. Wissen wird im Kapitalismus zu Privateigentum, was schwierig, kostspielig und unsicher ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob diese Thematik in unserern Begriff von Wissensgesellschaft passt. Aber wir sammeln ja erst mal. Bin schon gespannt auf eure Beiträge. lg, Alexandra


3 Formales Wissen, Wert und Kapital

Die Frage nach dem Verhältnis von formalem Wissen und lebendigem Wissen ist aus gesellschaftlicher und kultureller Sicht entscheidend. Lassen sich die wissenschaftlich technischen Kenntnisse mit dem lebendigen Erfahrungswissen vereinbaren und in die Alltagskultur integrieren? Oder lassen sie sie vielmehr absterben, anstatt sie zu erweitern und zu nähren? Die Antwort hängt zugleich von Ausrichtung und Inhalt der Produktion von diesen Kenntnissen ab wie von der Fähigkeit der Alltagskultur, ihnen Sinn zu geben.

Nun kann die Geschichte der Industrialisierung als Geschichte der zunehmenden Trennung von der Alltagskultur einerseits und der Entwicklung von wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen anderseits gelesen werden. Der systematische Charakter dieser Trennung tritt eindeutig aus der Geschichte der Manufaktur und der »automatischen Fabrik« hervor, die Marx in Das Kapital (Bd. I, Kap. 12 und 13) mit zahlreichen Anleihen bei Adam Ferguson, Andrew Ure und William Thompson skizziert. Man findet dort dieses Zitat von Thompson: »Der Mann des Wissens und der produktive Arbeiter sind weit voneinander getrennt, und die Wissenschaft, statt in der Hand des Arbeiters seine eigenen Produktivkräfte für ihn selbst zu vermehren, hat sich fast überall ihm gegenübergestellt [..]. Kenntnis [knowledge] wird ein Instrument, fähig, von der Arbeit getrennt und ihr entgegengesetzt zu werden.« Von Ferguson findet man folgende Formulierung: »Und das Denken selbst kann in diesem Zeitalter der Arbeitsteilungen zu einem besonderen Gewerbe werden.«

Als von der Arbeit unabhängige Produktivkraft, die in den Dienst des Kapitals gestellt ist, wirkt »die Wissenschaft [...] durch die Maschine als fremde Macht auf [den Arbeiter], als Macht der Maschine selbst. Die Aneignung der lebendigen Arbeit durch die vergegenständlichte Arbeit [...], die im Begriff des Kapitals liegt, ist in der auf Maschinerie beruhenden Produktion [...] Charakter des Produktionsprozesses selbst. [...] Der Arbeiter erscheint als überflüssig, soweit seine Aktion nicht bedingt ist durch das Bedürfnis [des Kapitals].« Er ist »bloßes lebendiges Zubehör der Maschinerie«.

Das techno-wissenschaftliche Wissen ist also als Beherrschung und Unterwerfung der lebendigen Arbeit unter die Maschinerie nicht nur von Anfang an auf der Seite des Kapitals, es ist das Mittel, mit dem das fixe Kapital Mehrarbeit erpresst. Die Inhaber dieses Wissens, die Ingenieure, stehen ausdrücklich und ideologisch auf der Seite der Eigentümer des Kapitals. Sie verfügen über die Befehlsmacht. Sie repräsentieren die Arbeitgeber und bürgen für die Verwaltung und Verwertung des Kapitals. Das formalisierbare Wissen befindet sich in dieser Phase »im Kopf« der »Produktionsoffiziere« sowie in den greifbaren Produktionsmitteln als die die Arbeit beherrschende Macht. Es gibt dieses Wissen noch nicht als »immaterielles« Kapital, das von seinem materiellen Träger getrennt und trennbar ist und das getrennt davon produziert werden kann.

Ein erster entscheidender Schritt in Richtung Verselbständigung der Wissensproduktion und dessen »Kapitalisierung« fand um 1880 statt, als Carl Duisberg bei Bayer die Forschung in der chemischen In-dustrie industrialisierte. Dabei wurde die Produktion von formalem Wissen der gleichen hierarchischen Arbeitsteilung, Fragmentierung der Arbeitsaufgaben und Trennung geistiger von körperlicher Arbeit unterworfen wie in der herstellenden Industrie. Das Ziel ist das gleiche: nämlich im Bereich der Wissensproduktion die gleiche dreifache Enteignung zu wiederholen, die es bei den Manufakturen dem Kapital ermöglichte, die selbständigen Handwerker zu ruinieren und die Lohnarbeit zu verallgemeinern. Damals wurden den Arbeitern ihre Arbeitsmittel, ihre Macht über Arbeitsbedingungen und -vorgänge sowie ihre Macht über die Produkte genommen. Die Arbeitsmittel wurden ausschließlicher Besitz des Kapitals, es bestimmte die Arbeit, die Arbeitsverhältnisse und eignete sich die Ergebnisse der Produktion an.

In der Wissensindustrie aber sind die Produkte selbst keine Waren. Die wissenschaftlich-technischen und formalen Kenntnisse werden nicht für ihren Tauschwert produziert, sondern um einer Ware - dem Medikament zum Beispiel, welches die Kenntnisse verkörpert - Wert zu verleihen. Ihr Gebrauchswert war erwiesen, ihr Geldwert dagegen ebenso unvorhersehbar wie der Erfolg der Forschung und die Entwicklungskosten. Wie Enzo Rullani schreibt:

»[...] weder die Werttheorie der marxistischen Tradition, noch die im Moment herrschende liberale Theorie können den Umwandlungsprozess von formalisiertem Wissen in Wert darlegen. [...] Die Produktionskosten von Wissen sind nämlich äußerst ungewiss und vor allem grundverschieden von seinen Reproduktionskosten. Sobald eine erste Einheit produziert worden ist, tendieren die notwendigen Kosten der Reproduktion weiterer Einheiten gegen null. Sie haben nichts mit den ursprünglichen Produktionskosten zu tun.«

Diese Bemerkungen gelten selbstverständlich besonders für in Software gespeicherte Kenntnisse. Ihre Ausarbeitung und Umschrift in digitale Zahlensprache kostet oft viel, während die Software fast kostenlos in praktisch unbegrenzten Mengen reproduziert werden kann. Das gleiche galt schon für die pharmazeutische Industrie von Duisberg. Die Tabletten eines Medikaments konnten in unbegrenzten Mengen hergestellt werden und ihre Herstellungskosten pro Produkteinheit waren letztlich gering, egal wie aufwendig die Entwicklung ihres Wirkstoffs gewesen war. Daher lässt sich auch die folgende Bemerkung von Rullani auf jede Ware anwenden, deren Herstellungskosten pro Produkteinheit sehr gering sind und deren materielle Substanz lediglich ein geringwertiger Träger ihres immateriellen, kognitiven, künstlerischen oder symbolischen Inhalts ist, wie zum Beispiel bei genetisch manipulierten Samen:

»Der Tauschwert des formalen Wissens ist also gänzlich an die praktische Fähigkeit gebunden, seine freie Verbreitung einzuschränken, d. h. an die Fähigkeit, mit rechtlichen Mitteln (Patente, Autoren-rechte, Lizenzen, Verträge) oder durch Monopolisierung möglichst zu verhindern, dass die Kenntnisse anderer kopiert, nachgeahmt, 'wiedererfunden' oder erlernt werden können.«

Mit anderen Worten, der Wert solchen Wissens rührt nicht aus dessen naturgegebener Knappheit, sondern allein aus den institutionell oder faktisch errichteten Zugänglichkeitsbegrenzungen. Jedoch behindern diese Begrenzungen nur vorübergehend seine Nachahmung, 'Wiedererfindung' bzw. die Aneignung seitens anderer potenzieller Produzenten. Die Knappheit des Wissens, welche ihm Wert verleiht, ist also künstlicher Natur. Sie beruht auf der Fähigkeit einer wie auch immer gearteten 'Macht', zeitweise die Verbreitung oder Zugänglichkeit des Wissens einzuschränken.«

Damit lässt sich teilweise erklären, warum und worin der »kognitive Kapitalismus anders funktioniert als der einfache Kapitalismus«. Er muss zunächst auf eine völlig neue Situation antworten. Die Hauptproduktivkraft Wissen ist ein Produkt, das größtenteils aus einer kollektiven, unbezahlten Aktivität hervorgeht, nämlich der »Selbstproduktion« und »Produktion von Subjektivität«. Es ist zu großen Teilen »allgemeine Intelligenz«, Alltagskultur, lebendiges und gelebtes Wissen. Es hat keinen Tauschwert. Das bedeutet, dass es von jedem und von allen je nach Belieben kostenlos geteilt werden kann, namentlich im Internet Nun ist aber der Teil des knowledge, der ursprünglich nicht verallgemeinert ist - nämlich das formalisierte Wissen, das von seinen Produzenten trennbar ist und nur dank seiner vorsätzlichen Produktion besteht -, ebenfalls potenziell gratis, da er in unbegrenzten Mengen zu geringfügigen Kosten reproduziert werden kann und sich teilen lässt, ohne die geldliche Wertform annehmen zu müssen. Er ist überdies, dank des Internet, im Prinzip zumindest, allgemein zugänglich, was bedeutet, dass die Hauptproduktivkraft und Hauptquelle des Wertes sich zum ersten Mal dem Privatbesitz entziehen ließe.

Die eigentliche »revolutionäre« Neuigkeit liegt aber noch woanders: Nämlich darin, dass das formale Wissen, losgelöst von jeglichem Produkt, in das es eingegangen ist oder eingehen wird, in Form von Software von selbst produktiv wirken kann. Es kann komplexe Interaktionen zwischen einer Vielzahl von Akteuren und Variablen organisieren und regeln. Es kann Maschinen, Anlagen und flexible Fertigungssysteme entwerfen und lenken. Kurz, es kann die Rolle eines Fixkapitals spielen, indem es akkumulierte, »tote« Arbeit der lebendigen, materiellen oder immateriellen Arbeit substituiert. Da die Grenzkosten der Software äußerst gering sind, kann sie sehr viel mehr Arbeit einsparen, als sie kostet und das in gigantischen, noch vor kurzem unvorstellbaren Ausmaßen. Das bedeutet, dass das formale Wissen unermesslich viel mehr »Wert« zerstört, als es zu schöpfen erlaubt. Anders gesagt, es erspart Unmengen von bezahlter gesellschaftlicher Arbeit und verkleinert folglich den (monetären) Tauschwert einer wachsenden Anzahl von Produkten und Dienstleistungen.

Formalisierbares Wissen eröffnet somit die Aussicht auf eine ökonomische Entwicklung in Richtung einer Ökonomie der Fülle, das heißt einer Ökonomie, bei der die immer weniger unmittelbare Arbeit verlangende Produktion immer weniger Zahlungsmittel verteilt. Tendenziell geht der (Tausch)Wert der Produkte zurück. Früher oder später muss es zu einer Senkung des (Geld)Wertes des insgesamt produzierten Reichtums sowie zu einer Schrumpfung des Profitvolumens kommen - unter Umständen zu einem Zusammenbruch der auf dem Tauschwert basierenden Produktion: Die Ökonomie der Fülle führt tendenziell zu einer Umsonst-Ökonomie, zu Produktions-, Kooperations-, Tausch- und Verbrauchsformen, die auf Gemeinsinn und Gemeinwesen basieren sowie unter Umständen auf neuen Zahlungsmitteln. Der »kognitive Kapitalismus« ist die Krise des Kapitalismus schlechthin. Die Angst vor einem Zusammenbruch geistert seit den 1980er-Jahren nicht nur durch die Länder, die ihn bereits oder beinahe erlitten haben.





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