348b-350c (PSI)

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Version vom 11. Oktober 2008, 18:48 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge) (text)
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Wohlan denn also, Thrasymachos, sagte ich, antworte uns von neuem. Behauptest du, daß die vollendete Ungerechtigkeit vorteilhafter sei als die vollendete Gerechtigkeit?

Allerdings behaupte ich das, erwiderte er, und aus welchen Gründen, habe ich angegeben.

Nun denn, wie sprichst du über sie in dieser Beziehung: Nennst du das eine von beiden Tugend, das andere Schlechtigkeit?

Wie sollte ich nicht?

Also die Gerechtigkeit Tugend und die Ungerechtigkeit Schlechtigkeit?

Natürlich, du Schalk! erwiderte er, weil ich ja sage, daß die Ungerechtigkeit nützlich sei, die Gerechtigkeit aber nicht ?

Nun, wie denn?

Umgekehrt, antwortete er.

Also die Gerechtigkeit sei Schlechtigkeit?

Das nicht, aber eine sehr gründliche Gutmütigkeit.

Die Ungerechtigkeit also nennst du Bösartigkeit?

Nein, sondern Gescheitheit im Handeln, versetzte er.

Du hältst also, Thrasymachos, die Ungerechten für klug und gut?

Diejenigen allerdings, antwortete er, welche imstande sind, in vollkommener Weise Unrecht zu tun, die ganze Staaten und Völker sich zu unterwerfen vermögen, während du, scheint es, meinst, ich rede von Beutelschneidern. Es ist nun zwar auch das nützlich, wofern es nicht entdeckt wird, indessen ist es nicht der Rede wert, sondern nur das, was ich eben genannt habe.

Was du sagen willst, erwiderte ich, verstehe ich ganz wohl, aber darüber wundere ich mich, daß du die Ungerechtigkeit zur Tugend und Weisheit rechnest, die Gerechtigkeit aber zum Gegenteil.

Allerdings tue ich das.

Das ist nun schon unverdaulicher, mein Bester, bemerkte ich, und es ist nicht mehr leicht, was man dazu sagen soll. Denn hättest du behauptet, die Ungerechtigkeit sei nützlich, jedoch wie andere Leute zugegeben, daß sie eine Schlechtigkeit und Schmach sei, so wüßten wir etwas zu sagen, indem wir uns an die gewöhnlichen Begriffe hielten, nun aber willst du offenbar behaupten, daß sie gar etwas Schönes und Dauerhaftes sei, und willst ihr alles das beilegen, was wir dem Gerechten beizulegen pflegen, [349 St.] indem du gewagt hast, sie sogar zur Tugend und Weisheit zu rechnen.

Ganz richtig geweissagt, versetzte er.

Indessen, sagte ich, darf man kein Bedenken tragen, der Behauptung untersuchend nachzugehen, solange ich annehmen darf, daß du deine wirkliche Ansicht aussprichst. Denn es scheint mir, Thrasymachos, daß du jetzt wirklich nicht scherzest, sondern deine Überzeugung in betreff der Gerechtigkeit aussprichst.

Was macht es dir aus, erwiderte er, ob es meine Überzeugung ist oder nicht, und warum widerlegst du nicht das Gesagte?

Nichts macht es mir aus, versetzte ich, aber versuche mir nur noch auf folgendes Antwort zu geben: Glaubst du, daß ein Gerechter vor dem andern etwas voraushaben will?

Durchaus nicht, antwortete er; denn dann wäre er ja nicht so höflich und einfältig, wie er ist.

Wie? Auch nicht im Gerechthandeln?

Auch darin nicht, erwiderte er.

Vor dem Ungerechten aber etwas vorauszuhaben wird er für angemessen und gerecht halten, oder wird er es nicht für gerecht halten?

Er wird's wohl glauben und für angemessen halten, versetzte er, aber es nicht vermögen.

Aber danach frage ich nicht, sagte ich, sondern ob der Gerechte zwar vor dem Gerechten nichts vorauszuhaben begehrt und will, wohl aber vor dem Ungerechten?

Nun, so ist's, antwortete er.

Und der Ungerechte, begehrt er, vor dem Gerechten etwas vorauszuhaben auch in dem Gerechthandeln?

Wie sollte er nicht? erwiderte er, denn er begehrt in allem etwas vorauszuhaben.

Also auch vor dem ungerechten Menschen und Handeln wird der Ungerechte etwas voraushaben wollen und mit ihm wetteifern, damit er von allem am meisten bekommt?

So ist's.

Wir behaupten also, fuhr ich fort, der Gerechte will vor dem Gleichen nichts voraushaben, wohl aber vor dem Ungleichen, der Ungerechte aber sowohl vor dem Gleichen wie vor dem Ungleichen?

Vortrefflich ausgedrückt, sagte er.

Und der Ungerechte, sprach ich, ist klug und gut, der Gerechte aber keines von beiden.

Auch das muß ich loben, versetzte er.

Also, sagte ich, gleicht der Ungerechte auch dem Klugen und Guten, der Gerechte aber nicht?

Es versteht sich von selbst, erwiderte er, daß, wer ein derartiger ist, auch den derartigen gleicht, und wer es nicht ist, ihnen auch nicht gleicht.

Schön, also jeder von beiden ist so wie die, denen er gleicht.

Was denn? versetzte er.

Gut, Thrasymachos, nennst du einen Menschen tonkundig und den andern tonunkundig?

Ja.

Welchen von beiden nennst du verständig und welchen unverständig?

Natürlich den Tonkundigen verständig und den Tonunkundigen unverständig.

Also gut in bezog auf das, worin er klug, und schlecht in bezug auf das, worin er unverständig ist?

Freilich.

Und mit dem Heilkundigen ist's ebenso?

Allerdings.

Glaubst du nun, mein Bester, daß ein tonkundiger Mann, wenn er sich die Leier stimmt, vor einem tonkundigen Manne etwas vorauszuhaben wünscht und begehrt in bezug auf das Anspannen und Herablassen der Saiten?

Ich glaube nicht.

Wie? Aber vor einem Tonunkundigen?

Notwendig, versetzte er.

[350 St.] Und der Heilkundige, will er im Essen und Trinken etwas voraushaben vor einem heilkundigen Manne oder dessen Verfahren?

Nein.

Aber vor einem Nichtheilkundigen?

Ja.

Nun betrachte einmal alle Kunde und Unkunde, ob du glaubst, daß irgend ein Kundiger mehr als ein anderer Kundiger wird haben wollen sowohl im Tun als im Reden, und ob nicht dasselbe wie der ihm Ähnliche in bezug auf dieselbe Handlung?

Es wird wohl letzteres der Fall sein müssen, antwortete er.

Wie nun, will der Unkundige nicht etwas voraushaben auf gleiche Weise vor dem Kundigen wie vor dem Unkundigen?

Wahrscheinlich.

Ist der Kundige weise?

Ja.

Und der Weise gut?

Ja.

So wird also der Gute und Weise vor seinesgleichen nichts voraushaben wollen, wohl aber vor dem Ungleichen und Entgegengesetzten?

So scheint's, versetzte er.

Und der Schlechte und Unkundige sowohl vor dem Gleichen als vor dem Entgegengesetzten?

Offenbar.

Nun will uns aber, Thrasymachos, sagte ich, der Ungerechte etwas voraushaben vor dem Gleichen sowohl als vor dem Entgegengesetzten. Oder hast du nicht so gesagt?

Allerdings, erwiderte er.

Der Gerechte aber wird vor seinesgleichen nichts voraushaben wollen, wohl aber vor dem Ungleichen?

Ja.

So gleicht also, sagte ich, der Gerechte dem Weisen und Guten, der Ungerechte aber dem Schlechten und Unkundigen?

So scheint es.

Nun haben wir aber zugegeben, daß jeder von beiden dasjenige auch sei, dem er gleiche?

Freilich haben wir's zugegeben.

So haben wir denn also erwiesen, daß der Gerechte gut und weise ist, der Ungerechte aber unkundig und schlecht.

Thrasymachos gab das alles zu, aber nicht so leicht, wie ich es jetzt erzähle, sondern sich sperrend und mit Mühe, unter unsäglichem Schweiße, weil es ohnehin ein Sommertag war, damals sah ich auch zum erstenmal in meinem Leben den Thrasymachos rot werden.


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