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Inhaltsverzeichnis
Zwei Stunden und der Rest der Woche. Bemerkungen zur Wiki-Pädagogik
Professionell
Naturgemäß werden die Unterschiede zu eingespielten Verhältnissen schneller und leichter wahrgenommen, als diese Vorgegebenheiten selber. Mobiles Lernen - zu Hause, unterwegs und in selbstgewählten Zeitsegmenten - steht in plastischem Kontrast zur Welt der Klassenzimmer und Hörsäle. Die Aussichten sind sensationell, ein Umbruch des Erziehungswesens könnte bevorstehen. ***(Zitate mobile Learning)*** Das virtuelle Seminar und die Vorlesung, an welcher Hörerinnen über das Internet live teilnehmen, scheinen ungeahnte Perspektiven zu eröffnen. Der Eindruck täuscht. Als Datenstrom im Kabel ist ein Vortrag ebenso interessant bzw. uninteressant, wie der Download des Treibers einer neuen Graphikkarte. Das technische Szenario ist nur unter einer Bedingung pädagogisch interessant: der Universitätsbetrieb, seine historische Entwicklung und seine sozio-ökonomische Einbettung in den Lebenszusammenhang westlich geprägter Gesellschaften muss als Bezugspunkt festgehalten werden. Mindestens ebenso wichtig wie "Innovationen" sind darum Entdeckungen, die daraus entstehen, dass vertraute Zusammenhänge in neuem Licht erscheinen. Die Attraktivität des Neuen und die vertiefte Wahrnehmung des Alten sind aufeinander angewiesen.
Jacques Derrida hat unlängst das Bekennen ("professer") als einen zentralen Bestandteil des Universitätsgedankens hervorgehoben:
- Man muß ausdrücklich hervorheben, daß konstative Äußerungen und rein wissensvermittelnde Diskurse, in der Universität oder wo immer, als solche nicht der Ordnung der profession in diesem strengen Sinne angehören. Sie sind vielleicht Sache des "Metiers", des "Handwerks" (Kompetenz, Wissen, Sich-auf-etwas Verstehen), aber nicht des Berufs im strengen Sinn dieser profession. Der Professionsdiskurs ist stets, auf die eine oder andere Weise, eine freie profession de foi; er überschreitet die Ordnung des reinen techno-wissenschaftlichen Wissens im bindenden Übernehmen einer Verantwortung. Professer heißt sich verpflichten, indem man sich erklärt, indem man sich für etwas ausgibt - und hingibt, indem man verspricht, dieses oder jenes zu sein. (Die unbedingte Universität, Frankfurt 2001, es 2238. S. 35)
Der pathetische Ton sollte nicht von einem prosaischen Umstand ablenken. Persönliche Anwesenheit und - damit verbunden - individuelle performative Handlungen der Lehrenden und Lernenden machen konventionell den Kern des Studiums aus. Lernbehelfe (Mitschriften, Folien, Tonbandaufnahmen etc.) konnten diese Vorgänge bestenfalls ergänzen. Die Funktion des digitalen Datenaustausches liegt nicht auf dieser Ebene. Er bietet Gelegenheit, die physische Gegenwart der beteiligten Personen nicht bloß durch "Gedächtnisstützen" zu ergänzen, sondern in eine "Telepräsenz" auszuweiten. In einer elektronischen "Lernplattform" bewegen sich die Akteure ungebunden vom traditionellen Wochenprogramm. Die Emphase Derridas ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zu verstehen; als Rückbesinnung auf akademische Qualitäten, die zu verblassen drohen. Handarbeit gegen Maschinenfertigung.
Nach anfänglichem Enthusiasmus (und den dadurch induzierten Weltuntergangsprognosen) hat sich diese Diskrepanz in der Methode des "blended learning", in der beide Seiten zu ihrem Recht kommen können eingependelt. Die Kombination der positiven Seiten ist sicher wünschenswert, bleibt aber an der Oberfläche. Der herkömmliche Unterricht wird durch elektronisch unterstütze Vermittlungsformen ergänzt; die Frage, wie die Bestandteile der "Mischung" miteinander interferieren ist schwieriger zu beantworten. Sie betrifft genau den Punkt, an dem sich zeigen muss, inwiefern eLearning nicht bloß eine Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung, Kostenreduktion und Überwachung, sondern auch zur Bereicherung des Studienangebotes und zur Intensivierung der pädagogischen Prozesse sein kann. Argumente für diesen 2. Aspekt müssen dabei ansetzen, dass Elektronik - speziell das Zeitregime der digitalen Vernetzung - in den Rhythmus der Lebenswelt eingreift und ihn modifiziert. Als Beitrag zu diesem Thema folgen Beobachtungen und Überlegungen zum Einsatz von Wiki-Webs in Lehrveranstaltungen aus Philosophie an der Universität Wien.
Einmal die Woche
Das Erziehungssystem war bisher eindeutig durch das Angebot von Lehrstunden definiert. Zu einem vereinbarten Zeitpunkt treten Instruktorinnen (m/w) auf und geben ihr Wissen bzw. ihre Fähigkeiten weiter. Für Hausaufgaben und Selbststudium ist zusätzlich Zeit aufzuwenden, aber sie unterliegt dem Takt der Präsenzveranstaltungen. Die Hochschuldidaktik nach diesem Muster passt in eine Welt, in der einmal am Tag die Zeitung erscheint und Obst nur in jener Jahreszeit zu kaufen ist, in der es in einer gegebenen Klimazone reift. Das Verhältnis einer gängigen Lehrveranstaltung zum Rest der Woche ist - in Stunden ausgedrückt - 2:166. Durch digital vernetzte Hilfsmittel ändert sich die Praxis, der entsprechend der Lehrauftritt bestenfalls um einige Zusatzstunden in die Woche hinein verlängert wird. Der Wechsel betrifft nicht in erster Linie das Stundenausmaß, sondern die prinzipielle Abstimmung der Zeitsegmente. Eine internetbasierte pädagogische Veranstaltung greift prinzipiell auf alle 168 Stunden aus. (E-Mail kommt nicht einmal pro Tag.) Dieser bemerkenswerte Umschwung ist noch wenig durchdacht.
Ein Aspekt ist einfach und unkontrovers. Lehrmittel, die bisher in Einzelstücken zur Verfügung standen und großteils an den Wochenplan gebunden waren (Tafelskizzen, Handouts, Folien ...), sind ohne Zeitbeschränkung zugänglich. Skripten können durch digitalisierte Tonaufzeichnungen umstandslos und kostengünstig ersetzt werden. Das sind Beispiele des klassischen Fortschritts, die sich gut zur Anpreisung einer neuen Entwicklungsphase eignen. Sie lassen sich allerdings nicht ohne Schwierigkeiten auf andere Erfordernisse der pädagogischen Situation übertragen. Die Möglichkeit zeitlich uneingeschränkten Datenzugriffs kann natürlich nicht bedeuten, dass auch die Beteiligten in dieser Zeitspanne ständig adressierbar sind. Doch hier verschwimmen Grenzen. Es handelt sich nicht bloß um Dateien, die praktischerweise am WWW zugänglich gemacht werden. Kommunikation über E-Mail oder die Diskussion in Web-Foren und Chat-Sitzungen verbinden die Teilnehmerinnen (m/w) auch während des extra-universitären Wochenverlaufes. In der "Gründerzeit" ist diese Ausweitung der Reichweite von Lehrveranstaltungen oft als selbstverständlich hingenommen worden. Mit der Konsolidierung solcher Interventionen im Normalbetrieb wird ein zusätzliches Problem sichtbar. Wem "gehört" die Zeit für diese "ausserplanmäßigen" elektronischen Kontakte? Nach welchem Reglement verlaufen die Übergänge zwischen den zweistündigen Segmenten und dem realen Engagement, das virtuelle Gemeinschaften verlangen?
Nach der bisherigen Praxis stünden auch die komplementären pädagogischen Episoden unter dem Einfluss der Lehrpersonen. Die hierarchische Rollenverteilung des persönlichen Unterrichts setzt sich in diesem Fall unter veränderten technischen Bedingungen fort. Die Entwicklung von tendentiell flächendeckend angebotenen "Lernplattformen" folgt diesem Muster. Solche Einrichtungen bieten einen zentral steuerbaren "Cocktail" digitaler Lehrmittel. Dokumente, Diskussionen, Mail-Kontakte, Chats, (Selbst-)Tests, Glossare u.a. können zur Bereicherung der Kernprozesse angeboten werden. Die Diversität des Angebotes erfordert eine übersichtliche Benutzerführung, in der die Optionen auf einen durchgängigen Zweck - das Lehrziel - fokussiert bleiben. Für hunderte Lehrveranstaltungen mit (bisweilen) hunderten Teilnehmerinnen wird die elektronisch unterstütze Didaktik daher zu einer weiteren Begegnung mit "content managment", vergleichbar der Urlaubsbuchung oder der on-line Buchbestellung, die ja auch eine Reihe interaktiver (und belehrender) Submodule anbietet. Lernplattformen garantieren eine pädagogisch gezähmte Web-Unterstützung. Sie sind freilich nicht das einzige Modell für diesen Aufgabenbereich.
Weder die Fortschreibung der Pädagogenfunktion, noch die Regulierung des elektronischen Kommunikationsfeldes durch fix strukturierte HTML-Seiten sind selbstverständlich. Sie haben sich aus dem Interesse der großen Ausbildungsinstitutionen an leicht administrierbaren und standardisierbaren digitalen Werkzeugen entwickelt. Das Internet stellt noch ganz andere Mittel zur Verfügung, die sich allerdings weniger gut in das lehrzentrierte Paradigma einpassen. Gewöhnlich wird übersehen, dass die Protokollfamilie, die auf TCP/IP aufsetzt, alles andere als eng definierte Ausbildungsgruppen unterstützen soll. Der Fernzugriff auf Rechner (Telnet, ssh), die globale Distribution von Nachrichten und Dateien (NNTP, FTP) und der schriftliche Meinungsaustausch in Echtzeit (IRC) sind Beispiele für die Vielfalt des möglichen elektronischen Transfers. In dieser Umgebung wirken die eLearning-Plattformen mit ihren Kontrollvorkehrungen und auf spezielle Inhalte zugeschnittenen Prozeduren wie "gated communities" in einem gefährlichen, zumindest unerwünschten, Umfeld. ***(Anm. CaTAC-Artikel)*** Sie sind gleichsam die Aussenposten der Hochschulen im Tagesgeschäft der Wissensvermittlung. (Fragen von Autorenrechten, Copyright und "fair use" spielen dabei eine zunehmend wichtige Rolle.) Quer zu dieser Entwicklung steht das Interesse an Protokollformen und sozialen Konfigurationen, die mehr Gestaltungsfreiheit für die Benutzerinnen zulassen. ***(Anmerkung social Software)***
Content Managment und Wiki-Webs (strukturell)
Lernplattformen setzen eine Trennung von Inhalt und Kommunikation um. Dazu werden verschiendene Software Module integriert:
- Module zum Verwalten von Inhalten: Content Management Software (CMS)
- Module zur Kommunikation: Forum Software etc.
Weiters finden sich in Lernplattformen Module zur Projektorganisation: Terminverwaltungen etc. (Diese Trennung ist weit verbreitet, zb. bei Onlinezeitungen.).
Entspricht das den Situationen in der Lehre, bzw. deren Aspekten die durch internetbasierte Software untersützt werden können ? Die Trennung basiert auf einem Modell nach dem einem vorgegebenen "Stoff", der sich z. B. in Schulbüchern findet, die Vermittlungstätigkeit ("Diskussion") des Lehrenden mit Fragen der Lernenden ("das habe ich nicht verstanden") und Fragen des Lehrenden (zur Kontrolle ob die Inhalte "richtig" gelernt worden sind) gegenübersteht. Diese Auffassung von "Diskussion" läßt keinen Spielraum zur Modifikation der Inhalte offen.
Man kann sich die Frage stellen, ob ein solches "Wissens-Abfüll"-Modell von Lehre und Lernen dem Konzept "Bildung" gerecht wird. Wie auch immer man das sieht, es liegt auf der Hand, dass es nicht für jede Art von Lehrveranstaltung passt. Im universitären Bereich, im Spektrum zwischen überlaufenen (Massen-) Einführungsveranstaltungen und spezialisierten Seminaren für Höhersemestrige, muss möglicherweise Fall für Fall geprüft werden ob die Struktur der Lernplattformsoftware dem angestrebten Vorhaben entspricht oder nicht. Die zur Unterstützung der Lehre eingesetzte Software, die auf einem bestimmtem Modell basiert, ist nur dann für von diesem Modell abweichende Lehrveranstaltungen geeignet, wenn sie entsprechend flexibel ist. Das ist bei Lernplattformen nicht der Fall.
Bei Lernplattformen handelt es sich um Software, welche konkrete Strukturen und Abläufe in die Software "einprogrammiert" hat. (Vor allem die Trennung von Content und Kommunikation sowie die Hierachie von Studenten, Tutoren und Dozenten.) Innerhalb gewisser Grenzen lassen sich in der Konfiguration Anpassungen vornehmen oder Workarounds finden. Darüberhinaus - und das kann sehr schnell gehen - bräuchte man einen Programmierer, der die gewünschte Struktur- oder Prozessänderung in der Software umprogrammiert, soweit das die Sofwarearchitektur (bzw. ihre Lizenz) überhaupt zulassen.
Wikis sind (was das betrifft) anders. Sie setzen nicht bestimmte organisatorische Strukturen oder Abläufe um, sondern stellen Werkzeuge für das einfache Erstellen und Verwalten von (untereinander verlinkten) Html-Seiten zur Verfügung. Änderungen der Strukturen und Abläufe benötigen in Wikis (in denen mehrere Autoren beteiligt sind) der Koordination der Benutzer, nicht der Dienste eines Programmierers. Der Einsatz von Wikis bringt (im Vergleich mit Lernplattformen) also Flexibilität, kostet im Gegenzug dazu allerdings den Verzicht auf bestimmte automatiserte Features wie etwa das automatische Aufrechterhalten von Hierachien, (*** Anm wo sich die Frage stellt, ob der persönliche Einsatz der Lehrenden dieser Hinsicht nicht schon ein bestandteil des Bildungsprozesses ist und ob das nicht durch maschinelle Substitution verloren geht. (In diesem Zusamenhang zählt eine Intervention des Lehrenden im Wiki als persönlich, im Gegensatz zum maschinellen 'Acess denied')***)
Wiki Features
Technisch kombiniert ein Wiki eine "on the fly" Anzeige von Webseiten (also dynamische Html-Seiten) mit einigen grundlegenden Features:
- eine sehr einfache Möglichkeit Webseiten zu erstellen, zu verlinken und zu verändern (Wikimarkup, in neueren Wikis auch wysiwyg Editoren).
- eine Versionsverwaltung inklusive der Möglichkeit aktuelle Änderungen zu verfolgen (in manchen Wikis auch RSS, Verständigung per EMail).
- eine Suchfunktion (Titel, Volltext).
Wikis sind also nicht ein bestimmtes Programm, sondern eine Programm-Art wie Lernplattformen. (Es gibt unzählige Wiki-Implementierungen, zum Teil leider mit verschiedenen Wiki-Markups.)
Vergleich mit kommunikationsorientierter Software
Mit kommunikationsorientierter Software (bzw -modulen) wie EMail (inklusive Mailinglisten samt Archiven), Usenet, Forum und Blog teilen Wikis die Einfachheit, mit der anderen Inhalte zur Verfügung gestellt werden können und die damit verbundende niedrige Einstiegsschwelle.
Kommunikatiosorientierte Software ist gekennzeichnet durch jeweils abgeschlossenen Beiträge die nach Datum, Zeit, Autor und eventuell Thread strukturiert sind.
Wikis haben diese Struktur nicht vorgegeben. In kommunkationsorientierter Verwendung empfiehlt es sich, Beiträge (manuell) mit Datum und Autor zu kennzeichnen. (*** Anm. die Wiki-Versionierungsfeatures alleine sind erfahrungsgemäss nicht ausreichend um sich in einer Aufeinanderfolge von Argumenten (oder Kommentaren) (ohne Datum, Autor Kennzeichnung) nur unter Zuhilfenahme von Änderungslogs und Differenzanzeigen zu Orientieren. (dh. Argumente zu isolieren und Personen und einer Chronologie zuzuordnen. Im Zweifelsfall reichen diese Features aber um (im Wiki allerdings im Gegensatz zu Forum etc. möglichem) Missbrauch oder Fehler (falsche Person-, Datum-, Zeitangaben) aufzuklären). Die Struktur ist ansonsten flexibel und kann sich an die jeweiligen Erfordernisse anpassen. ***)
In kommunikationsorientierter Software ist es verbreitet bei Bezugnahme auf bestimmte Textstellen in vorhergehenden Beiträgen ab einer gewissen Grösse Abschnitte zu kopieren (und '>' Zeichen davor zu setzen), um den neuen Kommentar zu verorten. In einem Wiki können Kommentare (oder neue Argumente) punktgenau im Beitrag auf den man sich bezieht plaziert werden. Sollte dadurch der Textfluss des Originalbeitrages gestört werden, besteht auch die Möglichkeit, statt dessen einen Link auf eine neue Seite einzufügen. So wird problematisches Kopieren erspart, und so finden sich Kommentare und Argumente genau an den Stellen, auf die sich beziehen, und nicht verstreut in nachfolgenden Beiträgen oder Subthreads. Wikis bieten neue Möglichkeiten der Verortung von Kommentaren und Argumenten.
Diskussionen in kommunikationsorientierter Software tendieren dazu unübersichlich zu werden, sich zu verlaufen. Interssante Entwicklungen oder sich abzeichnende Lösungen irgendwo in einem Subthread sind für Neueinsteiger schwer auszumachen (*** Anm ausser zum teil durch Mechanismen des "user ratings" ***). In Wikis ist es durch Restrukturierung möglich, Diskussionen übersichtlich zu halten, um auch Neueinsteigern einen Zugang zu einer Diskussion zu ermöglichen, oder um zu verhinden dass sich eine Diskussion verläuft. Wenn allerdings ein ensprechender Restrukturierungsaufwand nicht aufgewendet wird, Regeln der Zusammenarbeit nicht klar (dokumentiert) sind, oder nicht eingehalten werden, übersteigt das Ausmaß an Unübersichlichkeit und Chaos das in einem Wiki erreicht werden kann das in (z.B.) einem Forum erreichbare um einiges.
Eine Einschränkung von kommunikationsorienterter Software betrifft das kontinuierliche Entwicklen von Inhalten derart, dass die Zwischenresultate anderen zur Verfügung stehen und später wieder überarbeitet werden können, und das Ändern von Inhalten (nach dem sie anderen zur Verfügung gestellt wurden). Auch wenn manche Foren Administratoren, Moderatoren oder Beitragsautoren Änderungsrechte einräumen, ist das Aufgrund fehlender Versionierungfeatures ausser in Sonderfällen (für die das Feature gedacht ist) nicht praktikabel, weil die Leser nicht nachvollziehen können wo welche Änderungen oder Entwicklungen stattgefunden haben.
Eine weitere Einschränkung kommunikationsorienterter Software ergibt sich aus der Beschränkung auf jeweils abgeschlossene Beiträge ohne innere (verlinkte) Seitenstruktur bzw. ohne mit anderen Beiträgen eine Struktur aufbauen zu können, die über die vorgegebene Datum, Zeit, Autor, Thread Struktur hinausgeht. Nicht alle Inhalte lassen sich in diesem Rahmen sinnvoll entwickeln und diskutieren.
Vergleich mit contentorientierter Software
Mit contentorientierte Software (CMS, entsprechende Komponente von Lernplattformen) teilen Wikis die Möglichkeit, Strukturen aufbauen zu können, genauer: mehrere untereinander verlinkte Seiten zu erzeugen. (Manche Wikis unterstützen auch den Aufbau hierachischer Strukturen).
Contentorientierte Software zwingt meist dazu, sich vor dem Bereitstellen von Inhalten eine Struktur zu überlegen. Hintergedanke ist, das Chaos von unstrukturierten oder schwach stukturierten Beiträgen gar nicht erst zuzulassen. Entwicklungen in der Praxis laufen allerdings oft so ab, dass Inhalte zuerst anfallen und zur Verfügung gestellt werden müssen, und nachher erst die Struktur dazu entwickelt werden kann. Oder dass bestehende Strukturen durch Inhaltliche Entwicklungen obsolet werden, und die Inhalte ensprechend neu strukturiert werden müssen. Wikis zwingen nicht zu überschaubaren Strukturen, aber sie ermöglichen sie. Und im Gegensatz zu contentorientierter Software ermöglichen Wikis die Restrukturierung von bestehenden Inhalten mit vertretbarem Aufwand.
Die Fähigkeit zur Änderung von Strukturen wird erreicht durch die Einfachheit der Handhabung (Inhalte können einfach mit "copy and paste" verschoben werden), und durch die Versionierungsfeatures. Eine Strukturänderung von bereits zur Verfügung gestellten Inhalten ohne Transparenz (in Wikis durch Versionierung gewährleistet) dieser Änderungen ist problematisch.
Allgemein ermöglichen es Wikis, Inhalte kontinuierlich zu entwickeln (optional gemeinschaftlich mit Mitautoren), oder auf aktuelle Anforderungen einzugehen (jeweils auch in bereits bestehenden Inhalten). Durch die Versionierungsfeatures ist es den Leserinnen (m/w) (oder Mitautoren) möglich, diese Änderungen nachzuvollziehen. In Lernplattformen gibt es die Möglichkeit, Teilnehmerinnen (m/w) von Änderungen zu verständigen. Das ist einfach wenn Teile dazugekomnmen sind, bei durchgängigen, verstreuten Änderungen ist das jedoch wenig praktikabel.
(*** Anm (Mitlerweile gibt es schon CMS die auch eine Versionierung eingebaut haben (, das Feature könnte sich also auch in Lernplattformen finden). Damit nähern sich CMS und Wikis, die den selben Ursprung haben (Html Generierung on the fly, also jeweils beim Aufruf der Seite) wieder an. ***)
Content Managment und Wiki-Webs (pädagogisch)
Die Zeit, um die es sich hier handelt, ist schließlich nicht "verschult". Das Interesse, in ihrem Verlauf Hausaufgaben zu erledigen, ist beschränkt. Damit vergibt das CMS-Modell eine Chance im Übergang vom Wochenplan zum Cyberspace. Die Übertragung des Klassenzimmers in den virtuellen Bereich läßt die Möglichkeit aus, den Umgang der Lernenden mit dem pädagogischen Angebot entsprechend den Gebräuchen des Internets zu flexibilisieren. Der Schutz der bekannten Gesetze des Klassenzimmers in einer zeitlich entgrenzten Umgebung ist unverträglich mit dem Versuch, weniger kontrollierte Formen des digitalen Austausches als Lernfaktor zu nutzen. Ein zentraler Punkt ist in diesem Zusammenhang die Mitverantwortung aller im Prozess Beteiligten an der Gestaltung der Arbeits- und Kommunikationsumgebung. Das ist keine Forderung utopischer Pädagogik, sondern eine direkte Folge aus der Überlegung, dass sich Lehrveranstaltungen, sofern sie die Diversität des Internets nutzen, zweckmäßiger Weise auch nach den Vorstellungen der Studierenden bestimmen lassen sollten. In eLearning-Plattformen wird das weitgehend unterbunden. Wiki-Webs sind dagegen gerade so konzipiert: kooperatives Schreiben mit minimaler Zugangskontrolle, das allen involvierten Personen die Lust (und Last) der Verantwortung für die Inhalte auferlegt. Wikis sind nicht für den Hochschulunterricht entwickelt worden. Sind sie als Schnittstelle zwischen den Reglements des Studienbetriebs und der Freizügigkeit der vagabundierenden Surferinnen (m/w) geeignet? ***(Anmerkung Wiki-Literatur)***
Die folgenden Beobachtungen beruhen auf dem 3-jährigen praktischen Einsatz von Wiki-Webs parallel und an Stelle elektronischer Lernplattformen. Die Auswirkungen einer "Wikifizierung" können tiefgreifend sein. Vorweg ist anzumerken, dass Wiki-Webs sich keineswegs von selbst erklären oder ausbreiten. In einer Vorlesung mit inhomogenem Publikum ergab sich bloß geringes Echo; auch die Ansätze zweier Kollegen, auf dieser Basis Seminare abzuhalten, waren beschränkt erfolgreich. Für Lehrveranstaltungen, die einer großen Anzahl von Studierenden in kurzer Zeit von vornherein reglementierte Inhalte zu vermitteln haben, scheint die freie Form der Wiki-Interaktion eher aufgesetzt oder sogar irritierend. Der kritische Punkt liegt im Verfügungsrecht über die elektronisch basierte Erweiterung des Kommunikationsprozesses. Zusätzliche Materialien zum Download für eine Vorlesung oder Terminabsprachen über eMail bleiben im Rahmen der eingespielten Hierarchie. Im Wiki-Kontext ändern sich solche Funktionen gründlich. A. Ebersbach und M. Glaser formulieren es einprägsam so:
- The key idea of a wiki is that any page that can be viewed can also be edited. Since wikis are usually WWW-based, there is an edit link on each page which leads to a form, where the source text of this page can be changed. This includes adding links to other pages and even adding new pages. In order to keep track of the changes made to a page, its previous versions are stored and can still be viewed. ... The facility easily to create structured content leads to a vast number of possible usages of a wiki, for personal purposes as well as for large scale websites. (Towards Emancipatory Use of a Medium: The Wiki. International Journal of Informatiuon Ethics, 2/11, 2004)
Die Beiträge sind nicht schreibgeschützt; die Asymmetrie des konventionellen Unterrichts ist in diesem Medium nicht abzubilden. Man kann es von der Seite des Wochen-Stunden-Plans her so formulieren: die Form der Mehrleistung bestimmen die Studierenden; Wikis sind keine Verlängerung der Frontalinstruktion, sondern Umsetzungen von Polylogen mit Hilfe von Software.
Das Arrangment hat Folgen für Lehrveranstaltungen, die sich seiner bedienen. Es geht über Rückmeldungen weit hinaus.
- In a wiki the way to give feedback exceeds by far the facilities of other media as anyone can actually refacture the whole page, be it the comments of the previous edits. This might be the reason, why in wikis there is so little noise compared to forums. The changes made here are real and effective. The one who gives feedback is expected to have a better version in mind; otherwise his modifications are quickly reversed by other participants. (Ebersbach/Glaser S. 6)
Die Studierenden können eine Textwelt aufbauen, die ihre Präferenzen und Interessen wiedergibt. Sofern sie das ernsthaft unternehmen, werden die Lehrenden sich mit diesen Impulsen auseinandersetzen und ihre eigenen Pläne modifizieren müssen. Die Dynamik ist nicht unproblematisch, denn die Möglichkeit der unmoderierten Ausgestaltung fordert Umwege, Abschweifungen und sachfremde Beiträge geradezu heraus. Angesichts der Bewegungsfreiheit im Wiki ist anfangs oft mit phantasievollen Modifikationen des vorgegebenen Themas zu rechnen. (Schon die zuweilen blumigen on-line Namen weisen darauf hin, dass diese Technik von den Benutzerinnen (m/w) oft in die Nachbarschaft von Chats und ICQ gestellt wird.) Die Kehrseite dieser Diffusionstendenzen ist aber ebenso bemerkenswert. Man könnte befürchten, dass die Ablenkung den vorgegebenen Lehrplan überwuchert und es ist tatsächlich nicht damit zu rechnen, dass die Beiträge der Studierenden sich punktgenau auf jene Probleme beziehen, die aus der Sicht der Vortragenden optimal wären. Die "carte blanche" produziert jedoch überraschend wenig Versponnenheit und Unfug.
Sich gegen eine Vorgabe zu profilieren ist, angesichts der Wandelbarkeit der Vorgabe, wenig attraktiv. Die in Web-Foren üblichen Selbstdarstellungs-Exzesse entfallen darum, wie A. Ebersbach und M. GLaser zu Recht bemerken, weitgehend. Der Akzent liegt darauf, welchen positiven Effekt ein Beitrag hervorrufen kann. Natürlich streut diese Praxis ziemlich weit, aber sie produziert auch eine unvergleichbare Gelegenheit, die Einstellungen und Kapazitäten kennenzulernen, die von Seiten der Studierenden eingebracht werden (können). Den Interventionen ohne vorgeschaltete Qualitätskontrolle fehlt zunächst einmal das Gewicht. Ein solcher Nihilismus scheint im Universitätsbetrieb fehl am Platz. Er ist jedoch längerfristig betrachtet ein möglicher Transformationsfaktor. Die Rückbindung der Ausdruckfreiheit an soziale Prozesse, in denen der Sinn und die Tragfähigkeit argumentativer Abläufe sich herausbilden.
Existenzialismus
Die Möglichkeit, überall hin zu gehen, provoziert die Frage, wohin speziell zu gehen in einer gegebenen Situation vertretbar ist. Der anarchistisch-defätistische Aspekt eines solchen Zustandes ***(Anmerkung d'Iorio etc zum Chaos)*** ist in der Song-Zeile Kris Kristoffersons erfaßt: "Freedom is just another word for nothing left to loose." Wiki-Webs bieten Bewegungsfreiheit weitgehend ohne strukturelle Sinnvogaben, man könnte das die existenzialistische Implikation dieser Kommunikationsform nennen.
- Aber wenn wirklich die Existenz der Essenz vorausgeht, so ist der Mensch verantwortlich für das, was er ist. Somit ist der erste Schritt des Existenzialismus, jeden Menschen in Besitz dessen, was er ist, zu bringen und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. Und wenn wir sagen, dass der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, dass der Mensch gerade eben nur füer seine Individualität verantwortlich ist, sondern dass er verantwortlich ist für alle Menschen. (J.P. Sartre, Ist der Existenzialismus ein Humanismus?, Frankfurt/Main, Berlin. 1961 S.12)
Diese Betrachtung formuliert eine Herausforderung, die sich auch in die Praxis der digitalen Kommunikation über das Web übersetzen läßt. "Zunächst und zumeist" (eine Phrase Martin Heideggers) sind Surfer mit vorgeprägten Angeboten konfrontiert. Ein Wiki kann dazu dienen, den Blickpunkt zu verschieben. All die bekannten Webauftritte sind sekundär angesichts der Entdeckung, dass es die Möglichkeit gibt, ohne Voraussetzungen eigene Seiten zu schreiben. Dass dieser Individualismus normalerweise formal und inhaltlich dünn ausfällt und schnell auf externe Vorgaben (Autorensysteme, Zitate, Gruppenbildung) zurückgreift, ist sicher richtig und wird von Sarte mit der großen Geste der Verantwortung für alle Menschen eingestanden. Das WWW bildet die polit-ökonomische und kulturelle Verfassung des Globus in einer multimedialen Informationsumgebung ab. Es realisiert in dieser Dimension gewissermaßen (der "digital divide" soll nicht geleugnet werden) die Idee der "ganzen Menschheit". Die Ohnmacht der Einzelnen gegenüber dem Ensemble scheint eklatant zu sein.Die Freiheit des (kooperativen) Schreibens versetzt den Akzent.
Die radikale Kontingenz der menschlichen Entscheidungen bedeutet nicht, dass alle grundlos wären, sondern - im Gegenteil dass ihre Gründe einen unvergleichlichen Nachdruck erhalten. "Anything goes" ist insofern ein polemisch halbierter Slogan. Ohne die kritische Orientierung an einem Kanon versinkt die Abweichung leicht in der Bedeutungslosigkeit. Dem Existenzialismus ist entgegengehalten worden, dass es keine unmittelbare, kontextlose Handlung geben kann; wir stehen "immer schon" in sozio-historischen Zusammenhängen. Die Eigentümlichkeit, die wir an Wiki-Webs gefunden haben, legt eine Antwort nahe: beides ist festzuhalten, die Zwanglosigkeit und die Kontextualisierung.
An zahlreichen Orten produziert das Internet (wie alle Massenmedien) unqualifizierten, uninteressanten Datenüberschuss. Als digitales Kommunikationsinstrument ist es in der Lage, solche Akkumulationen in iterativen Arbeitsdurchgängen zu sortieren und zu bewerten. Dabei treffen die beiden Einflussfaktoren aufeinander, nämlich die großangelegten Apparate zur Meinungsbildung und die zahllosen Einzelpositionen mit Stimmrecht. Die Zukunft des WWW wird in diesem Abgleich entschieden. Thesenhaft formuliert: "Qualität" entsteht dann nicht durch das Gütesiegel einer externen Prüfinstanz, sondern durch Selbstorganisation im vernetzten System. Wikis demonstrieren die Gesetzmäßigkeiten, die dabei im Spiel sind.
Der Unterricht an Hochschulen ist ein instruktives Beispiel dieses allgemeineren Gesichtspunktes. Zweckorientiertes Vorgehen ist eine Organisationsform gesellschaftlicher Ordnungen. Es verlangt Zielvorgaben, Ressourcenabschätzung, Strategie, Planerfüllung und Evaluation. Moderne Sozietäten wären ohne solche Regelmechanismen unmöglich. Gleichzeitig ist bekannt, dass eine akzeptable Existenz in diesem Rahmen nicht aufgeht. Gedanken und Gefühle entwickeln sich spontan, Gemeinschaften sind keine Zweckbündnisse, die Integration von Planvorgaben in Lebensverläufe ist selbst schwer planbar. Unter dem Stichwort "Bildung" wird diese Diskrepanz zwischen selbstgestecktem Sinnhorizont und technoider Steuerung seit langem diskutiert. Auch wenn der Existenzialismus die leere Fassade des Bildungsbetriebs diskreditierte, ist sein Impuls aus dem klassischen Bildungsideal nicht wegzudenken: es bezieht sich auf ein lernfähiges Individuum. Die Einführung digitaler Kommunikationshilfen im Hörsaal steht in Verdacht, eine Bastion der hergebrachten Bildung einnehmen zu wollen. Sieht man genauer hin, so bietet sich ein differenzierteres Bild. Tatsächlich können Lernplattformen den pädagogischen Prozess in bisher unbekannter Weise modulieren. Standardisierter "Lernstoff" und die detaillierte Kontrolle über seine Rezeption versprechen kosteneffiziete Qualitätsverbesserung. (Ganz neu sind diese Tendenzen nicht.) Die Nachhaltigkeit eines wöchentlich 2-stündigen Seminars ist bisher in eher vagen Kategorien gefasst worden; das digitale Instrumentarium erlaubt präzisere Abschätzungen. Bestehende Praktiken werden bedenklich verstärkt. Die Kehrseite ist der existenzialistische Anstrich der Schreibweise im Wiki. Ein nicht-konventionelles Werkzeug zur Texterstellung im WWW unterläuft den (auch im überlieferten Lehrbetrieb angelegten) Dirigismus.
Bildung
Nach dem Bildungsideal, das durch techno-instrumentelle Interventionen gefährdet scheint, kommt es darauf an, in eigener Verantwortung Erfahrungen mit überliefertem Wissen zu machen, statt Informationen zu speichern. Genau diese Möglichkeit unterstützt die Wiki-Konzeption. Mehr noch: sie problematisiert den organisatorischen Überbau, der das Ideal des integrativen Lernens in Beschlag genommen hat. Mitschriften, Skripten oder Bücher sind ja vergleichsweise schlecht dazu geeignet, längerfristige soziale Lernprozesse zu unterstützen. Sie können pro Exemplar einer kleinen Zahl von Leserinnen helfen, Wissen in standardisierter Form aufzunehmen. Höhere Auflagen ändern nichts an diesem Individualismus, wohl allerdings führen sie dazu, dass sich gewisse Publikationen durchsetzen und einen Kanon etablieren, der auf die pädagogische Situation zurückwirkt. Weite Bereiche der Geisteswissenschaften sind von "großen Büchern" geprägt und zeigen eine eigentümliche Spannung. Die "Hauptwerke" der jeweiligen Disziplin repräsentieren vorbildhafte Arbeiten von Fachvertreterinnen (m/w) in einem Fertigformat. Die Nützlichkeit solcher Zusammenfassungen ist unbestreitbar, das damit festgeschriebene Erziehungsmodell dennoch ergänzungsbedürftig. "Aus Büchern lernen" kann nicht mehr der zentrale Vorgang sein. Die Möglichkeiten, on-line Beiträge zu rezipieren, kommentieren und umzuschreiben bewirken ein neues Verständnis vorgegebener Texte und ihrer Rezeption.
Wikis sind eine Technik, die das Lernen näher an das klassische Bildungsideal heranbringen kann, als der Einsatz von Büchern, die traditionell mit ihm verknüpft wurden. Das entscheidende Motiv ist sozial eingebettete, reflexive Selbstentfaltung im Zeitverlauf. Sie schlägt sich eventuell in Büchern nieder, aber in on-line Schreibumgebungen kann sie ihre Eigenart besser entwickeln. Reflexiv heißt: die Entwicklung wird dadurch vorangetrieben, dass die Beteiligten sich auf Vorstufen beziehen und sie angesichts erweiterter Erfahrungen modifizieren können. (Sonst wird ein Ergebnis bloß durch ein anderes ersetzt.) Diese alte Einsicht des deutschen Idealismus (um eine weitere philosophische Richtung ins Spiel zu bringen) liest sich wie eine Bedienungsanleitung für Wikis. In ihren Versionssystemen ist die Genese einer Textstelle in einem überraschend aktuellen Sinn aufgehoben. Der mögliche Rückgriff und die nachvollziehbare Geschichte ihrer Veränderungen machen den Gesamtprozess transparent (wenn auch ohne Gewähr für den eventuell erwünschten Fortschritt). Was die soziale Einbettung angeht, die in der Buchwelt nur symbolisch repräsentiert war (Dialoge, Erläuterungen, Übungsaufgaben), bringt die digital vernetzte Schreibumgebung einen handgreiflichen Entwicklungssprung, der keineswegs ein virtuelles Supplement zu einer realen Konstellation ist. Die Gelegenheit, faktisch jederzeit, gegenseitig und grenzenlos in die Arbeitsprozesse von Kolleginnen einzugreifen, hat es bis vor 20 Jahren nicht gegeben. Die künftige Bedeutung des Bildungsbegriffes wird sich daran entscheiden, wie er diese Neuigkeit integriert.
Ein kritischer Punkt im verbreiteten pädagogischen Diskurs ist die letztlich aus der Romantik stammende Teleologie der "Ausbildung einer selbstverantwortlichen, urteilsfähigen Persönlichkeit". Die Zuversicht, dass es lehrbare "Attraktoren" für derartige Karrieren gibt, ist nicht mehr weit verbreitet, obwohl die betreffenden Schlagworte in der Erziehungspolitik und im kulturellen Allgemeinbefinden noch immer eine unentbehrliche Rolle spielen. Zwischen dem pathetisch-illusorischen Einzelkampf und dem Informationsdesign der Massenmedien fristet "Bildung" ein prekäres Dasein. Die Universitäten werden mit ihrem zunehmend rationierten, im mittelalterlichen Paradigma der Unterweisung verankerten, Lehrangebot kaum helfen können. Folglich stehen sie vor der Aufgabe, Software zum integralen Bestandteil des Unterrichts zu machen. Das kann verschieden ausgehen. Wiki-Webs sind eine Option, in welcher eine informationstechnische Vorgabe und eine gesellschaftspolitische Zielsetzung bemerkenswert korrespondieren.
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