Thomas Auinger zur sinnlichen Gewissheit
Wie Thomas Auinger in der vergangenen Seminareinheit geäußert hat, möchte er diesen Text zur kritischen Reflexion oder - wie H.H. es auszudrücken pflegt,- zum "zerfleddern" zur Verfügung stellen.(Anmerkung UK)
Die Zitierweise des hegelschen Originaltextes erfolgt nach:
Hegel, G.W.F., Werke, auf der Grundlage der Werke von 1832 - 1845 neu edierte Ausgabe, Red. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt/Main, Suhrkamp, 1969 ff.
Textauszug von: Auinger, Thomas, Genese und Exposition der Erscheinung in Hegels Phänomenologie des Geistes, Diplomarbeit, Wien, 1999, S. 3 - 16:
I ZUR GENESE DER ERSCHEINUNG
1. Die sinnliche Gewißheit:
a. Sinnliche Gewißheit und Unmittelbarkeit:
Der Text beginnt mit folgendem Satz:
"Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist."1 (Fußnoten: siehe Textende)
Das unmittelbare Wissen2 bedeutet also ein Wissen des Unmittelbaren oder Seienden. Es handelt sich, und das drückt sich schon in diesem ersten Satz aus, um kein Wissen der Unmittelbarkeit. Denn diese Unmittelbarkeit ist für die sinnliche Gewißheit gerade kein Thema. Das mag zunächst erstaunlich klingen, wird aber sofort begreiflich, wenn gesagt wird, daß die Unmittelbarkeit das Wesen der sinnlichen Gewißheit ist. Weil sie das Vollbringen ihres Wesens ist, hat und kann sie dasselbe nicht zu ihrem äußerlichen Gegenstand haben. Die Unmittelbarkeit kommt nicht als Denkbestimmung (vgl.Logik) in Betracht, sie ist vielmehr die Einbettung des Bewußtseins selbst, das sie dadurch als unumstößliche Wahrheit erfährt, die einer weiteren Zergliederung nicht bedarf. Sie geht in ihrer Zugangsweise vollkommen auf und ist deshalb aufnehmend, nicht reflektierend, wie es der Bezug zur Unmittelbarkeit oder zu ihrem eigenen Wesen wäre.
Hier treffen sich also Auinger und Hrachovec auf der Suche nach der verlorenen Unmittelbarkeit ... Sie ist verloren, da helfen alle Interpretationsversuche nichts. Es besteht eine Versuchung, "unmittelbare Gewissheit" gleichzeitig als ungeteilt und als Gewissheit aufzufassen. Aber hier muss man unterscheiden. Eine propositionale Wissensform ist nie und nimmer unmittelbar. Wenn man hinsichtlich des Wissens Unmittelbarkeit ins Auge fassen will, kann man sich an das habituellen Wissen halten. Darin ist Wissen tatsächlich "ungegenständlich" und in gewissem Sinn herrscht auch "Gewissheit" - unproblematische Orientierungsfähigkeit. Wenn man die Habitualität zur Rede stellt, beginnt eine zweite Geschichte, in der "Gewissheit" Sätze betrifft. Alle Redeweisen, die einen Zustand "vor" und einen "nach" einer "Zergliederung" eines "Bewusstseins" nahelegen, führen ins Abseits. (h.h., 5.4.04)
Worauf bezieht sie sich aber dann? Die Antwort muß noch einmal lauten: auf das Unmittelbare3 oder Seiende. Es ist das der "konkrete Inhalt der sinnlichen Gewißheit" (!PhdG, S.82), ein jeweils Einzelnes aus dem All des Begegnenden, denn "sie hat von dem Gegenstande noch nichts weggelassen, sondern ihn in seiner ganzen Vollständigkeit vor sich." (ebd.)
Sie hat noch keine Abstraktionen begangen und befindet sich im reinen Vor-sich-haben. Dabei gerät ihr alles und jedes zu einem Voll-ständigen, weil sie kein Organ besitzt, Fehlendes überhaupt zu konstatieren. So erfüllt und zeigt ihr jeder Eindruck ein und dieselbe Wahrheit: "es ist;...". (ebd.)
In ihrer Genügsamkeit hat sie noch keinerlei Sinn für ein negatives Element. Das Unmittelbare, das in ihrem Aufnehmen als Einzelnes genommen wird, gibt ihr das "Sein der Sache;.." (ebd.) kund, bzw. heißt es präzise: "...ihre Wahrheit enthält allein das Sein der Sache;..". (ebd.)
In dieser unscheinbaren Formulierung verbirgt sich eine philosophische Grundhaltung, die den Charakter der Phänomenologie des Geistes prägt und wohl auch den der Hegelschen Philosophie insgesamt. Es wird dadurch zum Ausdruck gebracht, daß die Wahrheit keinen fixierten, statischen Ort und Inhalt hat,4 den wir entweder eines Tages erreichen und aufdecken können oder dem wir uns durch Modellbildungen immer nur annähern müssen. Beide Optionen kommen für Hegel nicht in Frage.
Die Erläuterung mit Hilfe des "fehlenden Organs" finde ich sehr treffend. Es handelt sich um ein organloses Wissen könnte man mit Deleuze/Guattari sagen. Das indiziert aber auch das Sachproblem. Denn wir sind aufgefordert, uns ein "Wissen" zurechtzulegen, dem das Differenzierungsvermögen fehlt und dennoch Wissen genannt werden soll. Es gelingt mir nicht, das im Subjekt/Objekt-Schema zu denken. Da wird die Unmittelbarkeit der Zusammenfall der Momente und ich stehe vor dem permanenten Rätsel, wie man die wieder aus dem Ungetrennten herausholt. Ich bin bereit, beim habituellen Wissen von "Eingebundenheit in die Umgebung" zu sprechen. Aber da passt die ganze Rede vom "Sein der Sache" nicht dazu. (h.h., 5.4.04)
Ganz im Gegenteil besteht die Wahrheit allererst in der Fähigkeit, einen Inhalt aufzunehmen und zu enthalten. Weder trifft man auf die Wahrheit noch versäumt man sie. Denn das, was sich mit ihr verbindet, hat sich erst an ihrem Begriff oder dem Begriff zu messen. Es bedeutet dies eine Auseinandersetzung, kein zufälliges Auffinden. Es ist gleichsam eine Anforderung an einen bestimmten Inhalt, sich als wahr zu erweisen. Das heißt, daß ein Weg zu beschreiten ist, in dem sich Veränderungen ergeben, deren Resultat das Wahre selbst verändert. Man kommt bei der Wahrheit nicht einfach an, sie ist vielmehr die Bewegung des Inhalts selbst.
Im Sinne der Ph.d.G. ist es das Wissen des Bewußtseins, das sich mit dem zu konfrontieren hat, was es in der Wahrheit enthalten sein läßt:
Zu diesem Thema haben wir im Hegel-Labor schon ziemlich viel Material und Diskussionsstoff gesammelt. Ich möchte (vorsichtig) darauf aufmerksam machen, dass der hier angesprochene Bildungsroman mit seiner kosmischen Interdependenz von Prozess und Resultat nicht nur holistisch, sondern auch direktiv angelegt ist. Und das ist viel verlangt, die Wechselwirkung im Prozess mag ja hingehen, aber die story davon, dass sich auf diese Weise "die Wahrheit" (ein Unding) herausschält, ist nicht mehr vertretbar. (h.h., 5.4.04)
"An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das Ansich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen daran zu messen. Nennen wir das Wissen den Begriff, das Wesen oder das Wahre aber das Seiende oder den Gegenstand, so besteht die Prüfung darin, zuzusehen, ob der Begriff dem Gegenstande entspricht. Nennen wir aber das Wesen oder das Ansich des Gegenstandes den Begriff und verstehen dagegen unter dem Gegenstande ihn als Gegenstand, nämlich wie er für ein Anderes ist, so besteht die Prüfung darin, daß wir zusehen, ob der Gegenstand seinem Begriffe entspricht. Man sieht wohl, daß beides dasselbe ist;..." (!PhdG, S.77, Einleitung)
Wir haben also zu sehen, ob das Unmittelbare, wie es für die sinnliche Gewißheit ist, das Sein als Wahrheit verkörpert, bzw. ob die Wahrheit dasjenige enthalten kann, was vom Wissen als Sein der Sache ausgesprochen wird.
Jetzt wird auch der Halbsatz vor der besprochenen Stelle verständlich: "Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: es ist;..." (!PhdG, S.82) In dieser Formulierung steckt der Hinweis, daß dieses Bewußtsein zumindest implizit mehr weiß als es sagt, bzw. sagen kann. Das Wissen und die Wahrheit kongruieren nicht. Diese Differenz mutet paradox an, denn für das Bewußtsein scheint der Gegenstand "nur so zu sein, wie es ihn weiß; es scheint gleichsam nicht dahinterkommen zu können, wie er nicht für dasselbe, sondern wie er an sich ist,..." (!PhdG, S.78, Einleitung). Aber auch das Ansichsein oder die Wahrheit kann nur für das Bewußtsein sein. Man kann also sagen, daß das Wissen selbst schon genau jenen Anteil enthält, der sich als das veränderte Wahre im Sinne eines neuen Gegenstandes allererst herauskristallisieren wird. Oder noch anders gesagt: im Wissen selbst liegt die Unterscheidung der nur subjektbezogenen Seite und der Seite, die das Objekt in seinem ausschließlichen Selbstbezug kennzeichnen soll. Daher erübrigt sich die Instanz eines äußerlichen Wissens, das diese beiden Seiten zu vergleichen hätte. (vgl. die weiteren Ausführungen in der Einleitung, Abs.9 ff.)
Tja, das sind die Folgen der direktiven kosmischen Interdependenz. Ein "Wissen", in dem ein "Wissen" verborgen ist, das sich erst im Laufe der Zeit und unter der Aufsicht der Philosophie herausbildet. Kritisch ist die Formulierung "im Wissen selbst liegt die Unterscheidung", denn sie überdeckt das komplexe Szenario unterschiedlicher Wissensformen und Wissensrelationen. Im Hintergrund wirkt ein Globalkonstrukt "Bewusstsein", das die systematische Funktion eines Metaprinzips über Subjekte und Objekte erfüllen soll. (h.h., 6.4.04)
Im Unterschied zu späteren Stufen besitzt der geschilderte Sachverhalt bei der sinnlichen Gewißheit jedoch eine besondere Ausprägung. Die sinnl.G. ist nämlich weder auf der Suche nach der wahren Gestalt des ihr Zugänglichen, noch hat sie die Intention den vorhandenen Status zu bewahren und aufrechtzuerhalten. Beides ist ihrer Gewißheit fremd. Nichtsdestotrotz herrscht, wie wir gesehen haben, schon vor dem ersten Beispiel die Differenz zwischen dem, was sie als Wahrheit ausgibt und dem, was den Inhalt ihres Wissens ausmacht. Denn "das Sein der Sache" (!PhdG, S.82) kann nicht ausschließlicher Gehalt des Wissens sein.
Diese Überlegung lässt sich einfach paraphrasieren: Unter dem Blickwinkel der Philosophie erscheint im Alltagsbewusstsein eine Differenz, die es selber nicht thematisiert. Die schwierige spekulative Ausfaltung eines Differenzensystems kann entfallen, denn die Differenz liegt in der Begegnung der Wissensformen. Insbesondere ist es müßig, der "sinnlichen Gewissheit" prä-differenzierte Seinszustände zu unterschieben. Bevor jemand draufgekommen ist, dass sich das Osterfest als Gelegenheit zum Verkauf von Osterhasen verwenden lässt, ist dieser Verkauf nicht insgeheim im Osterfest angelegt gewesen.(h.h., 6.4.04)
Das zeigt sich auch noch an einer anderen Stelle, wo, noch vor dem Verweis auf die Notwendigkeit eines Beispiels, von einem Wesentlichen die Rede ist: Die "Sache ist, und sie ist, nur weil sie ist; sie ist, dies ist dem sinnlichen Wissen das Wesentliche, und dieses reine Sein oder diese einfache Unmittelbarkeit macht ihre Wahrheit aus." (!PhdG, S.83)
Wenn ein Wesentliches erwähnt wird, muß auch ein Unwesentliches angeführt werden können. Es kann sich bei dieser Passage noch nicht um eine der beiden Seiten in der Beziehung von Ich und Gegenstand handeln, weil deren Verteilung nach wesentlich und unwesentlich erst am Beispiel vollzogen wird. Es muß daher ein Moment sein, das noch gänzlich vermittlungslos ist und für die sinnl.G. keinerlei Relevanz besitzt. Auch Hegel gibt darüber keine gesonderte Auskunft. Es ist aber gerade jene Sphäre, die über das Sein als solches hinausgeht und die den verdeckten Ermöglichungsgrund dafür abgibt, daß diese Abstraktion als Wahrheit fungieren kann. Es ist das Unwesentliche im Wissen, das sich der Beschreibung entzieht, für uns aber schon als die Keimzelle des Vermittelten und Negativen erkannt werden kann, das uns als "das entwickelte Negative"5 der Erscheinung entgegentreten wird. Wir werden sehen, daß das, was nun als seiend gilt, davon nicht unberührt bleiben kann.
Es wäre also keine "wirkliche sinnliche Gewißheit" (!PhdG, S.83), die bei der reinen Unmittelbarkeit stehenbliebe. Ihre Wirklichkeit erschöpft sich nicht in der bloßen Wiederholung des Ist-Sagens. So rein und dem Sein gemäß die Proponenten von Ich als "reiner Dieser" (!PhdG, S.82) und Gegenstand als "reines Dieses" (ebd.) auch sein mögen, schon bloß ihre eigene Unterschiedenheit voneinander widerspricht dem "reinen Sein" (!PhdG, S. 83), konstituiert aber die Gewißheit. So kann gesagt werden, daß Ich und Gegenstand immer schon aus dem reinen Sein "herausfallen" (ebd.) müssen, um die sinnl.G. zu realisieren.
Eine "unmittelbare reine Beziehung" (ebd.) zwischen vereinzelten Bezugspunkten wird nur dann behauptbar, wenn jegliche Vielfalt hintangehalten wird. Als Voraussetzung geht sie aber niemals verloren, weil das Wissen sich ansonsten selbst aufheben würde. Aber schon bloß der Umstand, die Wahrheit ausschließlich darin bestehen lassen zu wollen, wäre wie ein Wissen, das sich das Wissen von etwas verbietet. Denn jeglicher Inhalt, der als ein Unmittelbares gewußt wird, bietet sich als Konglomerat von vielen Beziehungen dar, die an ihm (vgl.Logik: Etwas u. ein Anderes) zum Ausdruck kommen. Im Vollzug des wirklichen Wissens eröffnen sich all diese Aspekte, die für die sinnliche Gewißheit aber nur den Charakter des Beiherspielens haben. Sie kann ihnen keine Aufmerksamkeit schenken, weil sie die Beständigkeit des Seins nicht zum Vorschein bringen. Trotzdem ereignet sich die Gewißheit nur im Bei-Spiel, wobei dessen Umfang durch zwei Extreme begrenzt wird: durch die "Hauptverschiedenheit" (ebd.) von "Dieser als Ich" (ebd.) und "Dieses als Gegenstand" (ebd.). Ihre beanspruchte Einzelheit soll sie gegenüber sonstigen Vermittlungen resistent machen. Außerdem gelten nicht beide als vermittelt. Vielmehr bleibt der Gegenstand "als das einfache unmittelbar Seiende oder als das Wesen gesetzt" (ebd.) und bloß das Wissen muß, (aus der Perspektive der sinnl.G.), die Bürde des Unwesentlichen und Vermittelten tragen. Das Wissen hat gleichsam eine Ahnung seiner Flexibilität, die sich hier als Unstetigkeit äußert. Es ist dasjenige, "das sein oder auch nicht sein kann. Der Gegenstand aber ist, das Wahre und das Wesen; er ist, gleichgültig dagegen, ob er gewußt wird oder nicht; er bleibt, wenn er auch nicht gewußt wird; das Wissen aber ist nicht, wenn nicht der Gegenstand ist." (!PhdG, S.84)
Das Problem solcher Passagen sehe ich darin, dass die verwendeten Termini "Wissen", "Vermittlung", "Unmittelbarkeit" etc. nicht peinlich genau auf die betroffenen Wissensformen bezogen werden. Zum Beispiel die ersten drei Sätze. Es ist plausibel, dass die philosophische Betrachtung etwas "hintanhalten" muss, wenn sie einer anderen Wissensform den Charakter reiner Beziehung zuspricht. (Abgesehen davon, ob dieser Zuspruch überhaupt verständlich ist.) Ebenfalls plausibel scheint zu sein, dass eine Unterscheidung von philosophischer Seite "nicht verlorengeht", denn da kommt sie ja her. Wo aber wäre das "Wissen, das sich das Wissen von etwas verbietet" angesiedelt? Und entsprechend das Wissen, das sich nichts verbietet? Hier oder dort oder auf beiden Seiten? Diese Wissensinterferenzen sind schon interessant, aber dem Gestus der systematischen Entwicklung, der durch intensives Reflektieren über die reinen Ausgangsbedingungen eine Entfaltung von "Wahrheit" zu erzielen meint, kann ich nichts abgewinnen. (h.h., 6.4.04)
Bevor nun die 3 Stufen der wirklichen sinnlichen Gewißheit zusammenfassend dargestellt werden, soll noch darauf hingewiesen werden, in welcher Art und Weise diese Standhaftigkeit des Seienden charakterisiert wird.
Zu Beginn des Absatzes 7 heißt es: "Das Jetzt, welches Nacht ist, wird aufbewahrt, d.h. es wird behandelt als das, für was es ausgegeben wird, als ein Seiendes;..." (ebd.) Im Aufbewahren und Erhalten erfüllt sich also der Sinn des Seienden. Es hat den Stellenwert eines Beständigen und Bleibenden, als Gegeninstanz zum Wechselnden,6 worunter sich auch das Wissen subsumiert.
Wir erblicken darin das Konzept einer seienden Substanz, deren Dignität im folgenden unter die Lupe genommen werden soll. Außerdem orientiert sich die Beschreibung am Beharrlichen, wodurch sich die Zeitlichkeit in den Vordergrund drängt. Erst durch das endgültige Hervortreten des Allgemeinen wird über diese einseitig zeitliche Komponente hinausgegangen. Auch um die Weise des Erscheinens adäquat zu verstehen, wird es erforderlich sein, aus einem nur zeitlichen Gesichtspunkt herauszutreten.
b. Die 3 Stufen der sinnlichen Gewißheit:
Die sinnliche Gewißheit soll nun ihr Wesen verifizieren, indem sie über die Einzelheit ihres Gegenstandes als Dieses Auskunft gibt.
"Sie ist also selbst zu fragen: Was ist das Diese?" (ebd.)
Die Antwort gibt aber nicht das Bewußtsein selbst, weil für dessen Gewißheit ein auch nur mögliches Fraglichwerden ihres Gegenstandes ausgeschlossen ist. Um dennoch zu erfahren, welche Bewandtnis es mit dem Diesen hat, müssen wir es in derjenigen "gedoppelten Gestalt seines Seins" (ebd.) nehmen, in welcher es sich am unmittelbarsten präsentiert. Es ist dies die Augen-Blick-lichkeit eines "Jetzt" (ebd.) und das An-wesende eines "Hier" (ebd.). In der Konzentration des Gegebenen auf Jetzt und Hier machen wir deutlich, daß keinerlei "Bedeutung einer mannigfaltigen Vermittlung" (!PhdG, S.83) zugelassen ist.
"Auf die Frage: was ist das Jetzt? antworten wir also zum Beispiel: das Jetzt ist die Nacht." (!PhdG, S.84)
Für uns könnten wir nun schon feststellen, daß die Nacht selbst gar kein Jetztseiendes oder Jetziges ist, sondern eine Dauer aufweist, die dem Jetzt gerade widerspricht. Dabei würden wir aber selbst "mannigfaltig den Gedanken" (!PhdG, S.82) bewegen und gerade nicht beim schlichten Auffassen verharren. Denn für die sinnliche Gewißheit besteht nur die Fixierung der Tatsache, die sich erst durch das Verschwinden der Nacht relativiert. So hat sich erst zu "Mittag" (!PhdG, S.84) die angebliche Wahrheit dieses Satzes aufgelöst oder ist, wie Hegel sagt, "schal" (ebd.) geworden.
Die angebliche Dauerhaftigkeit des Seienden widerlegt sich selbst. Auch angemessenere Varianten der Wahrheitssicherung als es diejenige des Aufschreibens ist, bewahren das Jetzt, das an einen fixierten Inhalt gebunden ist, nicht davor, sich "als ein Nichtseiendes" (ebd.) zu erweisen. Im Gegenstand liegt also das Bleiben nicht, obwohl jedes Jetzt auf einen Gegenstand hinweist. Dasjenige Jetzt, das sich dennoch erhält, ist nicht ein Unmittelbares, sondern ein durch die Änderung des Gegenstandes jeweils Vermitteltes. Das Jetzt verdankt sein Bestehen der Negation von allem, das mit ihm verknüpft wird und ist dennoch ebensosehr von dessen Sein abhängig. Dabei vervielfältigt es sich nicht, sondern ist "eben noch so einfach als zuvor" (ebd.). Die Gleichgültigkeit und gleiche Gültigkeit alles Andersseins macht sein Wesen aus. "Ein solches Einfaches, das durch Negation ist, weder Dieses noch Jenes, ein Nichtdieses, und ebenso gleichgültig, auch Dieses wie Jenes zu sein, nennen wir ein Allgemeines; das Allgemeine ist also in der Tat das Wahre der sinnlichen Gewißheit. (!PhdG, S.85)
Das wahre Jetzt ist somit ein konkretes Allgemeines, weil das Diese nicht nur der Nichtigkeit überführt wird, sondern weil es nun erst einen positiven Gehalt gewinnt. Konkret auch deshalb, weil es nicht aus einem Prozeß der Verallgemeinerung hervorgeht. Denn die sinnliche Gewißheit fischt nicht nach dem Bleibenden im herakliteischen Fluß, in dem sie selber schwimmt. Sie hätte nicht die Möglichkeit, eine Diesheit oder Jetztheit zu konstruieren, die sie von den vielen Jetzt abheben könnte. Das Allgemeine wird weder erstellt noch willkürlich behauptet. Vielmehr ist es das einzig Wahre der sinnlichen Gewißheit, ohne daß daneben noch das unmittelbare Jetzt bestehen bliebe. So trifft auch das nicht zu, was Aristoteles die sinnlose Verdopplung nannte, nämlich neben dem einzelnen Jetzt noch ein allgemeines zu erzeugen.
Diese Feststellung ist deshalb so wichtig, weil die (erst viel später auftretende) übersinnliche Welt analog dazu begriffen werden muß. Auch sie ist weit davon entfernt, durch Verallgemeinerung zu entstehen. Es wird lauten: "Das Übersinnliche ist das Sinnliche und Wahrgenommene, gesetzt, wie es in Wahrheit ist;..."7
Man muß sich dieses Satzes schon hier, beim ersten Auftauchen des Allgemeinen in der sinnlichen Gewißheit, bewußt sein, um ihn später in seinem eigenen Kontext verstehen zu können.
Aber zurück: Das konkrete Allgemeine. Tut sich in der ersten Dialektik des Diesen nur ein solches hervor? Nein, es gibt auch "das rein Allgemeine" (!PhdG, S.85). Was hat es damit auf sich?
Die sinnliche Gewißheit weiß von Seiendem, die Wahrheit ihres Wissens ist aber die Unmittelbarkeit des reinen Seins.8 Indem nun aufgewiesen wird, daß das Sein als ihr Wesen nur durch Vermittlung aufrechtzuerhalten ist, entbirgt sich zugleich, daß es dadurch eine Abstraktion und rein Allgemeines ist. Die Reinheit bedeutet hier das Losgelöstsein von besonderem Inhalt, was für das konkret Allgemeine gerade nicht zutrifft. Die Konkretion korrespondiert dem Seienden, die Abstraktion dem reinen Sein als solchen. Hegel formuliert diesen schwierigen, aber entscheidenden Gedankengang wiefolgt:
"Dieser sinnlichen Gewißheit, indem sie an ihr selbst das Allgemeine als die Wahrheit ihres Gegenstandes erweist, bleibt also das reine Sein als ihr Wesen, aber nicht als Unmittelbares, sondern ![als] ein solches, dem die Negation und Vermittlung wesentlich ist, hiermit nicht als das, was wir unter dem Sein meinen, sondern das Sein mit der Bestimmung, daß es die Abstraktion oder das rein Allgemeine ist;..." (!PhdG, S.85f.)
Es ist sogar die Bestimmung des Seins, sich als "absolute Abstraktion" (W.d.L.II, S.124) herauszustellen, was im eminenten Sinn nur in der Logik möglich ist. In der Phänomenologie des Geistes wird diese absolute Abstraktion als reines Denken in der offenbaren Religion offenbar. Die betreffende Passage ist auch für den nunmehr besprochenen Zusammenhang sehr aufschlußreich. Sie lautet wiefolgt:
"Denn der Begriff des Wesens, erst indem er seine einfache Reinheit erlangt hat, ist er die absolute Abstraktion, welche reines Denken und damit die reine Einzelheit des Selbsts sowie um seiner Einfachheit willen das Unmittelbare oder Sein ist. - Was das sinnliche Bewußtsein genannt wird, ist eben diese reine Abstraktion, es ist dies Denken, für welches das Sein das Unmittelbare ist." (!PhdG, S.553, Abs.13 der offenbaren Religion)
Zwar weiß sich die sinnliche Gewißheit ganz und gar nicht als denkend. Insofern sie jedoch menschliche sinnliche Gewißheit ist, können wir sagen, daß sie sehrwohl durch das Denken ausgezeichnet ist. Ihre Wahrheit ist dem aber entgegengesetzt: denn diese besteht in der Negation des Denkens, wobei ihr das Negative lediglich in verobjektivierter Form (gegen-ständlich) entgegenkommt. Daß das Sein Wesen ist, dessen wird sich erst das religiöse Bewußtsein bewußt.
Hier formiert sich aber zumindest die Einsicht, daß das reine Sein, das von der Vermittlung getrennt sein soll, nur gemeint werden kann.9 D.h., daß wir dieses Wort weder schreiben noch sagen dürften, um seine Reinheit nicht zu beflecken. Wir können davon nur eine unsprachliche "Meinung" (!PhdG, S.85) haben, die nicht einmal ein Gedanke, sondern eine bloße Vorstellung ist. Und das betrifft genauso das Diese, das ein unvermittelt an sich seiendes Einzelnes sein soll. Kein Ausdrucksmittel ist in der Lage, die Einzelheit des Diesen transparent zu machen. Das, was wir damit meinen, kann nicht gesagt werden. "Indem ich sage: dieses Hier, Jetzt oder ein Einzelnes, sage ich: alle Diese, alle Hier, Jetzt, Einzelne;..." (!PhdG, S.87)
Die Abgeschlossenheit der Einzelheit verkehrt10 sich zur Umschlossenheit der Allheit. Am klarsten zeigt sich das an der Sprache,11 denn es ist das "Sprechen, welches die göttliche Natur hat, die Meinung unmittelbar zu verkehren". (!PhdG, S.92) Und zugleich ist dies eine Aussage über den Menschen, denn in "alles, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt wird, was er zu dem Seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt". (W.d.L.I, S.20)
Trotzdem hält die sinnliche Gewißheit am Meinen fest, weil darin die Unmittelbarkeit noch ursprünglich vorhanden ist. Der Inhalt des Meinens ist in der Meinigkeit des Ich noch ein unmittelbarer. In die Verschlossenheit des nur Meinigen, d.h. ins Ich, ist die Vermittlung noch nicht vorgedrungen. Das "Meinen ist eine Form des Subjektiven" (W.d.L.I, S.95) und als solche hat es sich auch zu bewähren.
Das ver-mein-tliche Wissen der Gewißheit ist nun zwangsläufig zum Wesentlichen geworden. Der Gegenstand hingegen wurde durch seine Allgemeinheit ein bloß unwesentlicher. Die Ausgangslage der zweiten Stufe der sinnlichen Gewißheit ist demnach der ersten geradezu entgegengesetzt. "Die Kraft ihrer Wahrheit liegt also nun im Ich, in der Unmittelbarkeit meines Sehens, Hörens usf.; das Verschwinden des einzelnen Jetzt und Hier, das wir meinen, wird dadurch abgehalten, daß Ich sie festhalte. Das Jetzt ist Tag, weil Ich ihn sehe; das Hier ein Baum, eben darum." (!PhdG, S.86)
Die erreichte Form der Gewißheit erzeugt aber dies, daß sie sich selbst zum Beispiel wird. Ihre Meinung ist nur ein vereinzelter Fall, der vor der Meinung anderer durch nichts ausgezeichnet ist. Ein "anderer Ich" (ebd.) behauptet auch eine andere Wahrheit. Damit wird zum ersten Mal ein anderes Bewußtsein erwähnt. Freilich ist es noch völlig unthematisch, denn beide stecken so in ihrer sinnlichen Gewißheit, daß sie zu einer Bezugnahme nicht imstande sind. Wir stellen daher die Basis bereit, zu der die sinnl.G. "herzutreten" (!PhdG, S.88) möge, um sie darauf "aufmerksam" (ebd.) zu machen, daß sich die "Versicherung beider über ihr Wissen" (!PhdG. S.86) aufhebt und eine in der anderen "verschwindet" (ebd.).
Hegel verneint also die Möglichkeit einer beliebigen Anhäufung von Ansichten, die den Stellenwert der Wahrheit unberührt lassen, wenn überhaupt noch ein solcher eingeräumt wird. Denn die Entgegnung gerät nie zum bloßen Nebeneinander, sondern wird zur Auseinandersetzung, in der es sich zu ergeben hat, was die Wahrheit noch "enthalten" (siehe a.) kann.
Und das ist im vorliegenden Fall nicht dieses Ich, sondern das Ich "als Allgemeines" (ebd.). Zwar wird ebenfalls ein einzelnes Ich gemeint, aber "indem ich sage: Ich, dieser einzelne Ich, sage ich überhaupt: alle Ich; jeder ist das, was ich sage: Ich, dieser einzelne Ich." (!PhdG. S.87) Jedes menschliche Aussagen ist ein Aussagen über Menschen, niemals auf absolut Individuelles beschränkt.
Es ereignet sich bezüglich des einzelnen Ich derselbe Umschlag ins Allgemeine wie in der ersten Stufe bezüglich des einzelnen Gegenstandes:
"Die sinnliche Gewißheit erfährt also, daß ihr Wesen weder in dem Gegenstande noch in dem Ich und die Unmittelbarkeit weder eine Unmittelbarkeit des einen noch des anderen ist; denn an beiden ist das, was ich meine, vielmehr ein Unwesentliches, und der Gegenstand und Ich sind Allgemeine, in welchen dasjenige Jetzt und Hier und Ich, das ich meine, nicht bestehen bleibt oder ist." (ebd.)
Die nun folgende dritte Stufe konfrontiert die wirkliche sinnliche Gewißheit mit ihrem eigenen Wesen. Die "unmittelbare reine Beziehung" (!PhdG, S.83), die am Beginn des Kapitels die Gewißheit in ihrer Beispiel-losigkeit kennzeichnete, wird als solche virulent. Denn der einzige Ausweg, der noch vor dem Unwesentlichen schützt, besteht darin, die Vergleichung zu anderen Gegenständen oder anderen Ich völlig abzuschneiden. Bisher war die Gleichberechtigung einer Vielzahl von sinnlichen Gewißheiten ausschlaggebend für die Fortentwicklung. Das Jetzt ist die Nacht, aber auch der Tag, und das Hier ist ein Baum wie auch ein Haus. Daraus generierte sich die Allgemeinheit. Ebenso war es die ebenbürtige Gewißheit eines anderen Ich, welche zum Ich als Allgemeinem führte. Jedesmal mußte über das Einzelne, das nicht das Einzige war, hinausgegangen werden. Zwar wurde weder der Gegenstand noch das Ich als mannigfaltig bestimmt, das Anderssein drang aber immer von außen in die Beziehung ein, wodurch die Unmittelbarkeit verloren ging. Dieser Umstand wird im dritten Versuch, die Wahrheit der Unmittelbarkeit zu bekräftigen, radikal beseitigt. Das Ungleichwerden durch Äußeres wird vermieden, indem sich das Bewußtsein auf ihre eigene "sich selbst gleichbleibende Beziehung" (!PhdG, S.87) zu ihrem Gegenstand beschränkt. Damit ist es "das Ganze der sinnlichen Gewißheit" (!PhdG, S.87), das als ihr "Wesen" (ebd.) gesetzt ist. Die Teilung des Wesens in wesentlich und unwesentlich wird aufgegeben. So fehlt die Grundlage für mögliche Übergänge, die einen Aspektwechsel innerhalb des Wesens zur Folge hätten.
Das Ich ist "reines Anschauen" (!PhdG, S.88), weil jegliche Verschiedenartigkeit des Anschauens getilgt ist. Perspektivenlos hält das Ich "an einer unmittelbaren Beziehung fest". (ebd.) Aus dieser Isolierung geht die sinnliche Gewißheit nicht mehr heraus, sodaß wir zu ihr gehen müssen, um uns das Jetzt, das behauptet wird, "zeigen" (ebd.) zu lassen. Das Zeigen darf aber nicht als Akt des Hinweisens verstanden werden, weil dadurch eine Distanz initiiert wäre, in welche von der Gewißheit Abweichendes eingefügt werden könnte. Damit überhaupt etwas gezeigt werden kann, müssen wir uns dem Bewußtsein soweit annähern, daß wir "in denselben Punkt der Zeit oder des Raums eintreten". (ebd.) Es hat eine Identifikation zu erfolgen, in der kein äußerlicher Standpunkt mehr zugelassen ist. Nur indem wir uns in die aufgezeigte Beziehung vollkommen hineinversetzen, kann sich ergeben, ob sich darin endgültig das Wesen des unmittelbaren Gewiß-Seins realisiert.
"Es wird das Jetzt gezeigt, dieses Jetzt. Jetzt; es hat schon aufgehört zu sein, indem es gezeigt wird; das Jetzt, das ist, ist ein anderes als das gezeigte, und wir sehen, daß das Jetzt eben dieses ist, indem es ist, schon nicht mehr zu sein." (ebd.)
Das Jetzt, das gezeigt wird, ist nicht jetzt. Was sich zeigt, ist nicht das Jetzt als gegenwärtiges, sondern Jetzt als bereits vergangenes oder gewesenes. Das Gewesene hat aber nicht die Wahrheit des Seins und "was gewesen ist, ist in der Tat kein Wesen; es ist nicht, und um das Sein war es zu tun." (ebd.) So sind wir also nicht beim seiend Substantiellen angelangt, sondern bekommen die Selbstwiderlegung desselben vorgeführt. Aber der Schritt zum Gewesensein stellt noch nicht die Vollendung der "Bewegung" (!PhdG, S.89) des Aufzeigens dar. Eine Bewegung, die kein zeitliches Nacheinander impliziert, sondern diejenigen Momente aufzählt, die das Jetzt ungetrennt und untrennbar in sich enthält.
In diesem Sinn bedeutet es erst den ersten Schritt, daß das Jetzt als ein gewesenes erwiesen wird, denn das Augenblickliche ist das schon Entschwundene, ein bereits "Aufgehobenes". (ebd.) Das führt zum zweiten Schritt, in dem das Gewesensein festgehalten und als Wahrheit ausgegeben wird. Aber auch das widerspricht dem Jetzt. Es bleibt eben kein gewesenes; das Aufgehobensein hebt sich im dritten Schritt seinerseits auf. Die Negation des unmittelbaren Jetzt wird selbst negiert und zum Jetzt, das ist, zurückgekehrt. "Aber dieses in sich reflektierte erste ist nicht ganz genau dasselbe, was es zuerst, nämlich ein Unmittelbares, war; sondern es ist eben ein in sich Reflektiertes oder Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist: ein Jetzt, welches absolut viele Jetzt ist;..." (ebd.)
An dieser Stelle halte ich es nicht für sinnvoll, einen Unterschied zwischen dem Jetzt und dem Jetzigen zu konstruieren, wie das in manchen Interpretationen geschieht. Es stellt sich nämlich leicht das Mißverständnis ein, daß zwar einerseits das Jetzige vergeht, sich aber andererseits das Jetzt stets erhält. Die Dialektik des Jetzt weist aber keine solchen Hinsichten auf. Auch die aristotelische Analyse des Jetzt verteilt die Hinsichten, sodaß ich, anhand eines Satzes aus der Physik, den Unterschied zu Hegel herausstellen möchte. Aristoteles sagt dort nämlich:
Das Jetzt bildet den Zusammenhang von Zeit, wie gesagt wurde; es hält ja die vergangene und zukünftige Zeit zusammen. Und es ist auch die Grenze von Zeit, stellt es doch des einen Anfang, des anderen Ende dar, nur ist dies nicht so sichtbar wie bei dem Punkt, der ja bleibt. Es teilt der Möglichkeit nach; und sofern es diese Eigenschaft zeigt, ist das Jetzt immer ein anderes, insofern es dagegen zusammenknüpft, ist es immer dasselbe". (Aristoteles´ Physik, Buch IV, Kapitel 13; Ph.B.Meiner, S.227 / 222a10)
Die Zeit ist nicht durch das Jetzt eingeteilt, denn die Teilung gilt bloß der Möglichkeit nach. Aber nichtsdestotrotz zeigt sich dadurch das Jetzt als immer anderes. Das entspricht dem zweiten Moment bei Hegel, nur daß diese Seite nicht selbst als einseitig und unwahr zurückgewiesen wird, sondern neben der anderen Seite bestehen bleibt. Diese andere Seite entspricht dem dritten Moment, wobei es aber nicht als Negation der Negation aufgefaßt wird, sondern schlicht als eine positive Eigenschaft beschrieben wird. Es sei das Zusammenknüpfende, indem das Jetzt (auch) immer dasselbe bleibt.
Beide Kennzeichnungen des Jetzt fungieren als Zwischeninstanz für mögliche Zeitspannen. Bei Hegel aber, und das ist der entscheidende Unterschied, ist das "wahrhafte Jetzt" (!PhdG, S.89) selbst eine Zeitspanne, das "Jetzt als einfacher Tag, das viele Jetzt in sich hat, Stunden; ein solches Jetzt, eine Stunde, ist ebenso viele Minuten und diese Jetzt gleichfalls viele Jetzt usf." (ebd.)
Aristoteles trennt die Aspekte des Jetzt12 durch das Insofern, Hegel setzt sie zu bloßen Momenten herab, die zu ihrer Wahrheit das Jetzt als "absolut viele Jetzt" (ebd.) haben. Letztlich liegt die Differenz beider Positionen im Satz des Widerspruchs begründet, was aber hier nicht ausgeführt werden soll.
Das Jetzt als einzelnes ist sowenig konkret wie der einzelne Gegenstand oder das einzelne Ich, und im Zeigen-lassen kommt die "sinnliche Allgemeinheit" (!PhdG, S.105 bzw. S.96) schlußendlich am genuinsten zum Vorschein. "Das Aufzeigen ist also selbst die Bewegung, welche es ausspricht, was das Jetzt in Wahrheit ist, nämlich ein Resultat oder eine Vielheit von Jetzt zusammengefaßt; und das Aufzeigen ist das Erfahren, daß Jetzt Allgemeines ist." (!PhdG, S.89)
Die gemeinte Punktualität des Hier durchläuft dieselben Momente.
(1.) Ich zeige das Hier auf, es ist als das Wahre behauptet; ich zeige aber schon darüber hinaus auf ein Dort, d.h. auf das Andere des Hier. Also behaupte ich (2.) das aufgehobene Hier des Dort als zweite Wahrheit. Aber das Aufgehobensein des Dort ist (3.) selbst nicht zu fixieren, es hebt sich seinerseits auf in das Andere des Dort. Ich negiere damit die Negation des ersten Hier.
Im Durchschreiten der vermeintlichen Hier stoße ich nie auf das letztlich vereinzelte Hier eines reinen Punkts. Vielmehr ent-decke ich dadurch ein bereits Räumliches, das eine "einfache Komplexion vieler Hier" (!PhdG, S.90) darstellt. Das vollkommen Einzelne ist kein Zugängliches, es ist immer schon überschritten. Was sich aber erhält, ist das Zusammensein der vielen Hier oder das Hier als Allgemeines. Wie der Tag oder die Nacht eine "einfache Vielheit der Jetzt" (ebd.), so ist der Baum oder das Haus eine "einfache Vielheit der Hier". (ebd.) Ein Dieses als Nicht-Dieses wird so zu einem Zeigbaren.
Das Gegebene ist somit als Allgemeines präsent und das Einzelne vorerst in es versenkt, denn die Wahrheit des Bewußtseins wird nicht ersetzt, sondern bleibt als aufgehobene so aufbewahrt, daß sie in anderer Gestalt auch wieder hervorzutreten vermag. Mit dem Verlassen der sinnlichen Gewißheit tradiert sich das Moment der Einzelheit weiter. Zunächst hat ihre Dialektik aber das "Prinzip" (!PhdG, S.93) der Allgemeinheit entstehen lassen, die ihrerseits noch eine sinnliche ist. Zu dieser Dialektik bemerkt Hegel folgendes:
"Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anderes als die einfache Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anderes als nur diese Geschichte ist." (!PhdG. S.90)
Das ist keine bloß metaphorische Phrase. Die Bedeutung der Geschichte wird ohnehin später intensiviert, sie muß nicht hier extra hervorgehoben werden. Doch an dieser Stelle kommt zum Ausdruck, daß das Bewußtsein nicht nur eine Geschichte hat, sondern in einem tieferen Sinn diese Geschichte ist. Es ist die einfache Geschichte ihrer Bewegung. D.h., daß im Bewußtsein das vergangene Vielfache als eine ein-fache Gegenwart vorhanden ist. In ihm nimmt sich das zur Einheit zusammen, was in wechselnder Abfolge vollzogen wurde. Die sich ständig aufhebende Zerstreuung des Gewesenen macht die volle Anwesenheit des Bewußtseins aus. Das Wissen und das Gewußte sind die Exponenten einer einzigen Bewegung, die in den sich ablösenden Unterscheidungen entwickelt wird. Dabei handelt es sich hier um die "Bewegung des Aufzeigens" (!PhdG, S.93). Aufgrund ihrer hat sich nun eine neue Wahrheit eingestellt.13 Es ist das Allgemeine, das als "einfaches Zusammen vieler Hier" (!PhdG, S.92) an-nehmbar geworden ist und demgegenüber das Bewußtsein, das sich dieses Wahre nimmt, als Wahrnehmung bezeichnet wird.
Fußnoten:
1!PhdG, S.82
2"Das Wissen, wie es zuerst ist, oder der unmittelbare Geist ist das Geistlose, das sinnliche Bewußtsein." (!PhdG., S.31) Als "das Geistlose...ist es in der Tat das Geistreichste,..." (!PhdG., S.577), aber die "reichste Erkenntnis" (!PhdG, S.82) ist in ihrer Unmittelbarkeit zugleich "die abstrakteste und ärmste Wahrheit". (ebd.)
3Ebenso wird im absoluten Wissen die sinnliche Gewißheit als eine "Gewißheit vom Unmittelbaren" (!PhdG., S.589) gekennzeichnet. Dort begreift sie Hegel als über die Wissenschaft (der Logik) vermittelt. Denn diese enthält die "Notwendigkeit, der Form des reinen Begriffs sich zu entäußern" (ebd.), wodurch wiederum der "Übergang des Begriffs ins Bewußtsein" (ebd.) gesetzt wird.
4Es "muß behauptet werden, daß die Wahrheit nicht eine ausgeprägte Münze ist, die fertig gegeben und so eingestrichen werden kann." (!PhdG, S.40, Vorrede)
5!PhdG, S.116 (Abs.12 des Verstandeskapitels)
6Der "Wandel und Wechsel" (Abs.24 des Verstandeskapitels, S.126) wird sich geradezu als Kennzeichen der Erscheinung herausstellen.
7!PhdG, S.118 (Abs.16 des Verstandeskapitels)
8Vgl. Jenaer Logik in: Jenaer Systementwürfe II, F. Meiner, S.102f.: "Die Einfachheit des Dieses ist es, was als absolutes Sein und als absolute Gewißheit sich im gemeinen Erkennen als absolute Wahrheit geltend macht."
9"Das Sein ist einfaches, als unmittelbares; deswegen ist es ein nur Gemeintes und kann man von ihm nicht sagen, was es ist;..." (W.d.L.II, S.275)
10Das Verkehren beginnt in der sinnlichen Gewißheit!
11vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, S.50, Zusatz § 258: "Das Jetzt hat ein ungeheures Recht, - es ist nichts als das einzelne Jetzt; aber dies Ausschließende in seiner Aufspreizung ist aufgelöst, zerflossen, zerstäubt, indem ich es ausspreche."
12"Das Jetzt hat die Doppelfunktion, dass es die Zeit zusammen und auseinander hält. Das Jetzt als Gegenwart ist es nämlich, das als Übergang aus dem Noch-Nicht in das Nicht-Mehr gewissermaßen alle Zeit in sich enthält. Die Gegenwart ist nichts anderes als dieser beständig beharrende Übergang aus der Vergangenheit in die Zukunft, und somit als das einzige, was von der Zeit wirklich ist und ständig dableibt, die Kontinuität der Zeit selbst. Zugleich aber ist das Jetzt Grenze zweier Zeiträume. In jedem Zeitpunkt hört ein Zeitraum auf und fängt ein anderer an." Zit.n. Walter Bröcker: "Aristoteles", V. Klostermann, Frankfurt/M. 1987, S. 106
13Vgl. W.d.L.II, S.300: "Dieses ist; es ist unmittelbar; es ist aber nur Dieses, insofern es monstriert wird. Das Monstrieren ist die reflektierende Bewegung, welche sich in sich zusammennimmt und die Unmittelbarkeit setzt, aber als ein sich Äußerliches." - Die Unmittelbarkeit der sinnlichen Gewißheit bestimmt sich zur sich äußerlichen Unmittelbarkeit der Wahrnehmung. Das Dieses 'als ein sich Äußerliches' ist ein Ding und seine gesetzte Äußerlichkeit die Eigenschaften.
![Redigiert und Wiki-Web-gerecht formatiert, Thomas Auinger, 06.04.2004]
(UK,4.4.2004)
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