Textpassagen von Meder/Swertz (AW)
Wenn Neue Technologien aber zugleich neue Kulturtechniken darstellen, dann sind davon Erziehung und Bildung zentral betroffen.
Wenn man diese Hypothese von einer neuen Kulturtechnik macht, dann stellt sich sofort die Frage, was es denn ist, was einer Innovation den Rang kulturtechnischer Erneuerung oder auch nur kulturtechnischer Veränderung verleiht. Eine Technologie kann dann als Kulturtechnik gelten, wenn sie das ganze gesellschaftliche Leben auf allen Ebenen menschlicher Aktivitäten durchdringt und wenn sie zugleich ein gesellschaftliches Problem betrifft, dessen Lösung als ein Wert an sich angesehen wird.
Der Grad der Abstraktheit des Computers ist durchaus vergleichbar mit dem Buchdruckkonzept, das ja auch noch keinen Inhalt hat - gleichsam ein Blindband mit möglichen Zeichenmengen ist - und erst durch 'Programmierung', d. h. hier durch schriftstellerische Tätigkeit zum Roman oder zur wissenschaftlichen Abhandlung wird. Genau dieser Umstand kann die notwendige Abstraktheit eines Mediums für die Darstellung der Auseinandersetzung mit Welt genannt werden.
Wenn man in einer vergleichsweise schlichten und bloß strukturellen Weise den Bildungsprozeß definiert als die Herstellung eines individuellen Verhältnisses zur Welt, zur Gesellschaft und zu sich selbst und wenn man zugleich im Einklang mit den Klassikern unter den Bildungstheoretikern annimmt, daß dies nur in einem Darstellungs- und Kommunikationsmedium möglich ist, dann liegt der Bildungswert des Buches ebenso wie der Bildungswert des Computers darin, daß beide auf ihre je spezifische Weise es erlauben, diese drei Verhältnisse in bezug auf Problemlagen der gegenwärtigen Welt und Gesellschaft herauszubilden.
Indem jene Verhältnisse, die ich oben als strukturelles Definiens von Bildung eingeführt habe, selbst reflexiv werden, wird in und anläßlich der Computertechnologie Bildung an sich selbst und damit doppelt reflexiv. Man muß sich dies klarmachen: im Kontext von Bildung geht es damit nicht mehr nur einfach darum, ein geeignetes Verhältnis zu Welt, Gesellschaft und mir selbst zu bilden, sondern es geht jetzt darum, die Konstruktionsprinzipien eben dieses Verhältnisses mit zu reflektieren, d. h. es kommt ein viertes Verhältnis hinzu, in dem ich Position zu beziehen habe und das Verhältnis zur Konstruktion jenes vordergründigen dreifachen Bildungsverhältnisses für mich klären muß. Man sieht sofort, daß dies es schwerer macht, gebildet zu sein. Ich will es nochmals unter dem Aspekt der Sprache formulieren. Wenn bisher das dreifache Verhältnis im Begriff der Bildung in aller Selbstverständlichkeit als sprachliches Verhältnis verstanden wurde, dann gilt es nun auch noch zu dieser Sprachlichkeit ein Verhältnis auszubilden, weil diese angesichts auftretender Vielfalt und Alternativen fragwürdig geworden ist. Ich möchte dies in der These radikalisieren, daß mit der Computertechnologie zum ersten Mal Bildung selbst zu einem Bildungsproblem wird - sie muß sprachlich konstruiert und legitimiert werden.
Dieser kognitive Strukturzusammenhang gilt spätestens seit der Moderne als ein Bildungswert. Das Besondere der Computertechnologie besteht nun darin, daß jenes gedankliche Probehandeln in konkreter sinnlicher Form eingeübt werden kann, d. h. es wird in seinen einzelnen Schritten, Teilresultaten und dem Gesamtresultat am Bildschirm oder einem anderen Ausgabegerät des Computers sinnlich wahrnehmbar. Damit wird die kognitive Leistung von der Imagination, d. i. von der Ebene des inneren Bildes, auf die äußere sinnliche Wahrnehmung, d. i. auf die Ebene des äußeren Bildes, verlagert.
Ein Internet-Forum ist beispielsweise eine simulierte Konferenz oder - wie man heute gerne sagt: eine virtuelle Konferenz. Wenn man, wie üblich, virtuell als Gegensatz zu real versteht, dann ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß nicht die Kommunikation virtuell ist, sondern nur das Arrangement der Konferenz. Kommunikation im engeren Sinne kann gar nicht virtuell sein, sie ist immer real - auch im Mensch-Maschinen-Dialog innerhalb einer Simulation. Sonst wäre beispielsweise ein Unterrichtsgespräch über geografische Themen, die anhand von Landkarten erörtert werden, virtuell. Mir scheint, daß Kommunikation nur in der Form virtuell sein kann, in der ich mir in Gedanken einen möglichen Dialog mit einem mir mehr oder minder bekannten Menschen vorstelle. Das Klassenzimmer mag virtuell sein, aber wenn in ihm kommunizierend gelernt wird, dann ist dies stets real.
Es gilt nämlich ein inneres Bild der Schlüsselloch-Umgebung zu erzeugen, obwohl für diese Umgebung kein äußeres Bild vorliegt. Der Akteur vor dem Bildschirm muß deshalb bei der Lösung dieses Problems unterstützt werden. Die Form der Unterstützung, die sich durchgesetzt hat, besteht darin, die nicht sichtbare Umgebung des Bildschirms als Icon (Sinnbild) in den Bildschirm selbst hineinzunehmen. Das klingt paradox, aber es geht und schafft neuartige kognitive Verhältnisse.
Faßt man die Reflexionen auf die 7 Grundzüge der Neuen Technologien zusammen, dann kann der Gebildete in der Informationsgesellschaft nur ein Sprachspieler sein, denn jenes komplexe Verhältnis, das ich Bildung genannt habe, läßt sich nur noch in einer in sich selbst gebrochenen, in sich selbst gedoppelten und reflexiv gewordenen Sprache ausbilden. Dies gilt natürlich nur, sofern man die Neuen Technologien als die entscheidende Kulturtechnik unserer Gesellschaft annimmt, was ich in Abschnitt 2 versucht habe, argumentativ zu begründen. Sprachspieler muß der Gebildete deshalb genannt werden, weil jener Bruch in der Sprache, der durch die Reflexion des Sprachlichen auf sich selbst hervorgebracht wird, durch kein geregeltes Verfahren einheitlich gekittet werden kann. Er eröffnet vielmehr einen unbestimmten Raum für spielerische Lösungen.
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