Interpretation

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Die Frage ist inwiefern nicht Interpretation immer auch schon Veränderung ist, so sie artikuliert wird, also nicht nur in der Gedankenwelt des Rezipienten bzw. Interpreten verbleibt. Wobei hierbei wiederum fraglich ist, ob es überhaupt möglich ist etwas zu interpretieren und die Interpretation dann nicht zumindest unwillkürlich respektive unbewusst in einen Ausdruck (Geste etc.) zu integrieren also zu artikulieren. Werden wir nicht durch jede Interpretation ein Stück weit geprägt, also verändert, und impliziert dies nicht schon zumindest die Möglichkeit auch andere(s) zu verändern?

Bsp.: Wir interpretieren den Satz:

"Was immer sich in einem Kunstwerk ausdrückt, kann anders nicht gesagt werden. Könnte es anders gesagt werden, erübrigte sich das Kunstwerk." (Liessmann, Konrad Paul: Philosophie der modernen Kunst, Wien: WUV, 1999, 125)

Dies wird in der Regel dazu führen, dass wir Kunstwerke von nun an aus einer anderen Perspektive, kontextual und in seinem Content differenzierter inspizieren. Voraussetzung dafür ist, dass wir den Satz verstanden haben. Verstehen heißt hier jedoch nicht, ihn richtig verstanden zu haben - denn was wäre schon der Maßstab an dem man die Richtigkeit zu messen hätte? Verstehen heißt hier lediglich, dass er uns etwas sagt (was dieses sei, ist auf dieser Ebene nicht relevant) und uns nicht völlig ratlos aufgrund seiner totaliter Struktur zurücklässt, denn dann könnten wir ihn nicht anwenden. Weiters müssen wir zumindest in der Lage sein ihn wenn schon nicht richtig, so doch wenigstens falsch anzuwenden, um sagen zu können wir haben ihn (in welche Richtung auch immer) verstanden. Die bloße Interpretation führt also zu einer Veränderung. Wenn wir unsere Interpretation des Satzes (der selbst Interpretation ist) jemandem vermitteln, so kann dies auch dort zu einer Veränderung ihrer/seiner Wahrnehmung führen, so sie/er ihn als richtig anerkennt und ihn nicht als irrelevant in die jeweilige Kunstbetrachtung einbezieht. Hier sind immer Voraussetzungen und Bedingungen am Werk die in ihrer komplexen Totalität nicht völlig transparent sein können.

Schon die bloße Interpretation eines Sachverhaltes ist somit eine Art von Veränderung. So gesehen ist auch etwa ein bloßer Interpret wie Simplikios (um einen Typus des klassischen "vita passiva" Interpreten zu gebrauchen) jemand der verändert hat.

Marx hat also entweder die Begriffe "interpretieren" und "verändern" anders definiert als wir bzw. in einen anderen Kontext gesetzt oder aber die Implikationen einer Interpretationsleistung verkannt, was unwahrscheinlich ist. Die rigorose Differenzierung von Interpretation und Veränderung diente wohl seiner Absicht bewusst zu machen, dass bloßes Auslegen (und Hinnehmen) von Texten und auch gesellschaftlichen Zuständen (für ihn) unbefriedigend bzw. ungenügend sei und aktiv verändert werden müsse.

Das Interpretieren und das Verändern scheinen eine dialektische Beziehung einzugehen. Die Interpretation verändert und das Veränderte wird wiederum interpretiert.

Differenz zwischen Ontologie und Ethik hinsichtlich des Vorlesungstitels

Die Vorlesung scheint mehr auf eine ethische Lesart von "Interpretieren oder Verändern" abzuzwecken denn auf eine ontologische. Etwas zu verändern kann nämlich zum einen nicht ontologisch gefordert werden, zum anderen scheint bereits jede Interpretation in ontologischer Hinsicht Veränderung (bspw. meiner Gedanken, die sich spontan ausdrücken können, wenn sie etwas - was immer es auch ist - verstanden haben) zu implizieren. Veränderung also läge so ohnedies ontologisch hinreichend auch ohne ethische Ambitionen durch bloßes wertneutrales Interpretieren (als bloßes Gedankenkonstrukt verstanden) vor. Es kann nur ein ethisches Postulat sein, ethisch etwas zu verändern.