Hans Lenk u. Matthias Maring: Natur – Umwelt – Ethik
Hans Lenk, Matthias Maring, Natur – Umwelt – Ethik, (Münster [u.a.], Lit, 2003).
Hans Lenk und Matthias Maring haben 2003 Buch Natur – Umwelt – Ethik veröffentlicht. Das elf Kapitel umfassende Werk erschien im Lit Verlag in Münster.
Der Berliner Hans Lenk ist emeritierter Professor am Institut für Philosophie an der Universität Karlsruhe. Lenk, der als wichtiger Vertreter der deutschen Gegenwartsphilosophie gilt, studierte von 1955 bis 1961 Mathematik, Philosophie, Soziologie, Sportwissenschaft, Psychologie in Freiburg und Kiel. Später widmete er sich während seiner Assistentenzeit an der TU Berlin, auch dem Studium der Kybernetik. Lenk habilitierte sich in Berlin in Philosophie und Soziologie. 1969 übernahm er den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Karlsruhe. Lenk interessiert sich besonders für die praxisnahe Philosophie. Seine Schwerpunkte sind unter anderem die Wissenschaftstheorie der Natur- und Ingenieurwissenschaften, Philosophie und Soziologie der Technik, Wissenschafts-, Technik-, Wirtschafts- und Informationsethik und die Chance der Vernunft in der gegenwärtigen Gesellschaft. (Technische Universität Cottbus: www.tu-cottbus.de)
Matthias Maring ist außerplanmäßiger Professor an der Universität Karlsruhe und Leiter des dortigen Leiter des Ethisch-Philosophischen Grundlagenstudiums des Instituts für Philosophie. Seine Interessensgebiete sind Wirtschafts-, Technik- und Wissenschaftsethik sowie Wissenschaftstheorie insbesondere der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit Gender Studien sowie mit Interdisziplinäre Fragen und Probleme kollektiver und korporativer Verantwortung. Wie Hans Lenk interessiert sich auch Matthias Maring für den Bereich der praktischen und praxisorientierten Philosophie. (Universität Karlsruhe: www.philosophie.uni-karlsruhe.de)
Das in den Biographien der Autoren beschriebene Interesse an einer praxisnahen Philosophie ist auch in ihrem Buch Natur – Umwelt – Ethik erkennbar. Sie fordern ein „neues öffentliches Engagement der Philosophie“ und eine „neue pragmatische Philosophie der lebenspraktischen Fragen“, so Lenk und Maring am Klappentext des Buches. Dabei sollen gesellschaftliche, wissenschaftliche, soziotechnische, ökologische und ökonomische Bereiche behandelt werden. Das Buch beschäftigt sich mit den Herausforderungen die Natur- und Umweltschädigungen an die Ethik stellen. Die Autoren beschäftigen sich Nachhaltigkeitskonzepte, die umwelt-, human- und sozialverträglich sein sollen. Auch das Thema der „ökonomischen Nachhaltigkeit“ wird behandelt. In den einzelnen Kapiteln werden grundlegende Bereiche wie „Werte als Interpretationskonstrukte“ oder die „Operativistischen Fehldeutungen des Naturbegriffs in der Neuzeit“ behandelt, aber auch konkretere Themen wie beispielsweise „Wasser als Kollektivgut“ oder die „intergenerationelle Verantwortung“ bearbeiten die Autoren. (Lenk/Maring 2003) Im Besonderen sollen in den folgenden Essays die Kapitel „Wandel und Relevanz der Natureinstellungen und Quasirechte der Natur“ sowie „Umweltschutz: Privateigentum und meritorische Gemeingüter“ behandelt werden.
Sonja Hödl, 2. November 2008
Literatur:
Technische Universität Cottbus: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans Lenk in: http://www.tu-cottbus.de/BTU/Fak2/ TheoArch/Wolke/deu/namen/lenk.htm (Letzter Zugriff am 2. November 2008)
Lenk, Hans/Maring, Matthias: Natur – Umwelt – Ethik. Münster [u.a.]: Lit 2003.
Universität Karlsruhe: apl. Prof. Dr. phil. Dipl. rer. pol. Matthias Maring in: http://www.philosophie.uni-karlsruhe.de/members.php?id=9 (Letzter Zugriff am 2. November 2008)
Kapitel 1: Praxisnahe Philosophie in der interdisziplinären und der ökologischen Herausforderung}, S.1-23
Zu Beginn stellen sich Lenk und Maring die Frage, ob Philosophie zu aktuellen Fragestellungen unserer Zeit überhaupt noch etwas beizutragen hat. Diese Frage ist im Sinne der Autoren mit Ja zu beantworten, doch nur, wenn Philosophie aus ihrer (selbstgewählten) Isolation heraustritt und sich auch praktischen Problemen zuwendet.
Lenk und Maring sehen für die Philosophie, indem sie sich ihrer „erkenntnisrelevanten, kulturellen, intellektuellen und politischen Funktionen“ besinnt, sechs neue Herausforderungen und Aufgaben. (S. 2) Erstens könnte der Philosophie so etwas wie eine Integrationsfunktion zukommen; d. h. sie könnte die Rolle des Vermittlers zwischen den verschiedenen Disziplinen übernehmen und so die Perspektive des Allgemeinen bzw. der Allgemeinheit stärken. Zweitens verstehen die Autoren die Philosophen als Fachleute für eine „argumentative Behandlung des Normativen“; dies allerdings nicht im Sinne einer absoluten Moralphilosophie. (S. 3) Drittens könnte die Philosophie eine Erziehungsfunktion in Hinblick auf logische und sachliche Argumentation erfüllen. Viertens sollte sich die Philosophie wieder erlauben, Utopien zu entwerfen und dieses Feld nicht nur den vermeintlich empirischen Wissenschaften überlassen. Fünftens sollte sich die Philosophie wieder der „Diagnose des Zeitgeistes der Gegenwart“ zuwenden und sechstens öffentliche „Probleme im Bereich der Philosophie und von seiten der Philosophie“ thematisieren. (S. 4)
10 Thesen zu einer praxisnahen Philosophie:
These 1: Philosophische Themen und Fragestellungen sind nach wie vor von Bedeutung, auch wenn diese heute von den Sozialwissenschaften, den System- und Ökowissenschaften, die den Begriff „philosophisch“ vermeiden, transportiert werden.
These 2: Die Philosophie hat eine wichtige Aufgabe bei „der Untersuchung von Wertsystemen und bei der Konstruktion einer global orientierten Moral“, ohne ein absolutes, auf Letztbegründungen beruhendes, Moralsystem liefern zu können oder zu müssen. (S. 11)
These 3: Erkenntnis ist nicht zerstückelbar. Wissenschaftliche Erkenntnisse, Lebenspraxis und philosophische Probleme sind miteinander verbunden. Die Wissenschaftstheorie zeichnet sich gerade dadurch aus, vor allem in der interdisziplinären Zusammenarbeit, solche Verbindungen herzustellen bzw. zu analysieren. Zwar setzen die Autoren ein „fachwissenschaftliches Mitverständnis“ in der Zusammenarbeit mit den empirischen Wissenschaften voraus, doch ist das Fehlen von spezifischen Fachkompetenzen kein Schaden. (S.13) Aus diesem Mangel erwächst den Philosophen vielmehr „intellektuelle Narrenfreiheit“, die es ihnen ermöglicht, neue Probleme unvoreingenommen anzugehen. (S. 13 f.)
These 4: Von der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den empirischen Wissenschaften profitiert auch die Philosophie. Ohne Anregungen durch die Einzelwissenschaften, etwa der Umweltwissenschaften, können Philosophen zu aktuellen Problemen keine Stellung nehmen.
These 5: Metaphysische Ideen sind unverzichtbar. Zumindest haben diese Ideen Einfluss auf herrschende Ideologien; darüber hinaus sind metaphysische Spekulationen Antrieb des wissenschaftlichen Fortschritts. Kritische Metaphysik zu betreiben, ist allerdings schon immer Aufgabe der Philosophie gewesen.
These 6: Die Philosophie ist der methodischen Kritik und dem Mut zu inhaltlichen Entwürfen verpflichtet; in diesem Sinne sollten sich Philosophen für das Leitideal der Vernünftigkeit einsetzen. Der kritischen Vernunft könnte so, insofern sie sich an den Realbedingungen orientiert, in wissenschaftlichen, politischen und ökologischen Debatten eine regulative Funktion zukommen.
These 7: Die Philosophie als pragmatische, praxisnahe Philosophie muss sich in bezug auf soziale und öffentliche Probleme engagieren; dies schließt die „durch die Wissenschaften und durch soziotechnische sowie ökonomische und ökologische Umstände gegebenen Probleme“ mit ein. (S. 18) Die Autoren vermissen diesbezüglich „Ansätze zur Wissenschaftstheorie der Umweltwissenschaften, der Systemwissenschaften, der Planungsdisziplinen, einschließlich der seriösen Zukunftsforschung.“ (S. 18)
These 8: Philosophen, die „Spezialisten für das Allgemeine“, können nicht „Spezialisten für alles sein.“ (S. 19) Die Autoren plädieren für eine „sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Einzelwissenschaft und Philosophie und auch innerhalb der Philosophie selbst“. (S. 19) Eine gewisse Fachkenntnis seitens der Philosophen ist allerdings unumgänglich, um z. B. zu ökologischen Problemen Stellung nehmen zu können. Die verbleibende Distanz zu einem bestimmten Fachgebiet unterscheidet die Philosophen jedoch vom Fachexperten und nur durch diese Distanz entsteht ein Freiraum, in dem philosophische Methoden zum Einsatz kommen können, „insbesondere das vernünftige Argumentieren im Bereich normativer Entscheidungsvorbereitung.“ (S. 20) Gerade im Bereich der Werte und Normen, von den spezialisierten Fachwissenschaften oft vernachlässigt, sehen Lenk und Maring Aufgaben für philosophisches Denken.
These 9: Aus den Spezialisierungen innerhalb der Philosophie ergibt sich nun die Notwendigkeit einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit unterschiedlicher philosophischer Schulen, im Sinne eines „sokratischen“ Dialogs. Dialog ist hier „nicht nur als geistiges Florettfechten der Rechthaberei“ zu verstehen. (S. 20)
These 10: Lenk und Maring fordern eine neue Öffentlichkeitsarbeit der Philosophen, „ohne Besserwisserei und ohne herrschend erhobenen Zeigefinger“. (S. 21)
Die Zeit absoluter philosophischer Wahrheitsansprüche ist vorbei. Damit ist nicht gesagt, dass philosophisches Denken ausgedient hat, denn „[e]ingewoben in die geistige Tradition des Abendlandes, können, wollen, dürfen wir nicht das denkende Spiel der Freiheit, das Philosophieren, aufgeben, wenn wir nicht Freiheit und Selbstsein verlieren oder gefährden wollen.“ (S. 23)
Christoph Reichel, 21.11.2008
Kapitel 7: Wirkungsforschung in vernetzten Systemen: Systemtheorie – Hierarchiemodelle – Verantwortung, S. 159-188
In der Analyse der Umweltproblematik sind interdisziplinäre und systemerklärende Herangehensweisen wichtig; die Umweltverschmutzung hat viele Ursachen und kann aus unterschiedlichen Perspektiven heraus erklärt werden. Darüberhinaus ist lineares Kausaldenken allein nicht fähig, komplexe Wirkstrukturen ausreichend zu beschreiben. „Systemperspektiven sind unerläßlich“, kausales Analysieren aber ebenso. (S. 160)
Nun ist die Systemtheorie keineswegs eine Wissenschaft mit einheitlichen Theorien und Methoden. Sie liefert vielmehr unterschiedliche Systemmodelle, die zumeist keine inhaltliche Aussagekraft haben, vor allem was die abstrakten mathematischen Systemtheorien betrifft. „Die Modelle sind theoretische Voraussetzungen, Regelkonstruktionen, Kalküle, Mittel der Erfassung, Beschreibung, Darstellung und Strukturierung von Zusammenhängen.“ (S. 160 f.) Doch „auf die exakte analytische Methode zu hoffen, die ohnehin in komplexen Systemen nur unzureichend möglich ist“, ist angesichts der „Dringlichkeit der Systemprobleme“ nicht sinnvoll. (S. 163) Vereinfachungen im Verstehen von komplexen Zusammenhängen sind sowieso nicht zu vermeiden. Gerade in diesem Verstehen sehen die Autoren eine Chance für die Philosophie, im Sinne einer praxisorientierten Philosophie, einer pragmatischen Systemphilosophie. Die Autoren charakterisieren diese als „hypothetisch-realistisch, praxis- und problemnah, interaktiv und kooperativ orientiert.“ (S. 163)
Anhand des Untergangs der Fähre „Estonia“, bei dem 1994 hunderte Menschen ertranken, und der nachfolgenden Untersuchung zeigen die Autoren das komplexe Zusammenwirken der verantwortlichen Handlungsebenen. Ein Ergebnis der Analyse des Estonia-Unglücks ist, dass es „trotz individueller Fehler und Versäumnisse keinen Alleinverantwortlichen“ gibt. (S. 178) Die Analyse ist zu detailiert, um sie hier vollständig wiedergeben zu können. Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass zu laxe gesetzliche Sicherheitsbestimmungen und der fehlende Wille der Reederei, mehr als unbedingt gefordert in die Sicherheit zu investieren, sowie individuelle Fehler der Besatzung zum Untergang der Estonia geführt haben. Somit lassen sich in der Analyse drei relevante, allerdings nicht exakt zu trennende Systemebenen unterscheiden: 1. Makroebene des (Wettbewerbs-) Systems und der (Welt-) Gesellschaft, 2. Mesoebene der Korporationen, 3. Mikroebene der Individuen. (S. 178)
Auf der Makroebene werden die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb geschaffen. Diese beinhalten u. a. Sicherheitsstandards für den Fährbetrieb. Die auf dieser Ebene anzusiedelnden regelsetzenden Instanzen (Regierungen, internationale Vereinigungen, etc.) sind daher im Falle eines Unglücks mitverantwortlich.
Auf der Mesoebene handeln Korporationen, z. B. Unternehmen wie Reedereien. Ihr Handeln kann als „Handeln eigener Art“, d. h. als „sekundäres Handeln“, aufgefasst werden. (S. 170) Dies ermöglicht eine Analyse der strukturellen und hierarchischen Zusammenhänge innerhalb eines Unternehmens in Hinblick auf die moralische Verantwortung desselben. Indem Korporationen die Fähigkeit zu handeln zugeschrieben wird, können auch moralische Beurteilungskriterien auf diese angewandt werden. Als nützlich erweist sich diese Möglichkeit, wenn sich Unternehmen zwar innerhalb des rechtlichen Rahmens bewegen, dieser aber unzureichend ist, etwa in Hinblick auf Sicherheitsbestimmungen. So kann die öffentliche Ächtung von moralisch verwerflichem Handeln eines Unternehmens verhaltenssteuernd auf dieses wirken.
Auf der Mikroebene agieren Individuen, im Estonia-Beispiel der Kapitän und die Besatzungsmitglieder. Deren Mitverantwortung ist im Unglücksfall ebenfalls zu analysieren und zwar unter Berücksichtigung „der Stellung, des Rangs und der Eingriffsmöglichkeiten des einzelnen“. (S. 184) Unter Umständen hätte der Kapitän den Untergang der Estonia verhindern können, die Alleinverantwortung ist ihm allerdings nicht zuzuschreiben. Doch die „individualistischen Konzepte der Alleinverantwortung“ führen gerade dazu, dass die „Schuld“ ausschließlich bei einzelnen gesucht wird. (S. 184) Dabei werden überindividuelle Handlungsformen, sowie die Vernetzung der beschriebenen Ebenen kaum berücksichtigt.
Ein Verständnis für die Verschränkung dieser Ebenen ist aber gerade beim Entwurf von Maßnahmen, die ökologische Katastrophen verhindern sollen, notwendig. Wie können nun Mikro-, Meso- und Makroebene in Bezug auf Verantwortung und Sicherheit zusammenwirken? Die Autoren vertreten diesbezüglich folgende programmatische These: „Was auf individueller Ebene nicht lösbar ist, […], sollte auf der nächsthöheren […] Ebene angegangen werden.“ (S. 185) So kann z. B. auf der Ebene der Korporationen einsames ethisches Handeln von Unternehmen zu Wettbewerbsnachteilen führen. Sicherheits- und Umweltstandards müssen jedoch für alle gelten. Diese können zwar schon auf der Mesoebene festgelegt werden, etwa durch Branchenkodizes, rechtlich verbindlich werden diese Standards allerdings erst durch Eingreifen der gesellschaftlichen Makroebene, d. h. durch Gesetze und Kontrollen. Solche rechtlichen Instrumente entbinden die Mikro- und Mesohandlungssysteme freilich nicht von ihrer Verantwortung. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, welches besagt, dass die übergeordnete gesellschaftliche Ebene, z. B. der Staat, nur für die Aufgaben zuständig sein soll, die die nachgeordnete Ebene nicht bewältigen kann, soll die Eigenverantwortung des einzelnen gestärkt werden. In diesem Sinn verstehen die Autoren das Prinzip der Subsidiarität als „Prinzip der größtmöglichen Eigenverantwortung“, es gilt: „so wenig Eingriffe von ranghöheren gesellschaftlichen Ebenen wie möglich, so viele wie eben gerade nötig“. (S. 186) Mithilfe dieser Leitlinie können Regelungen geschaffen werden, die z. B. der Förderung des Gemeinwohls oder des Umweltschutzes dienen und zwar dort wo freiwillige Verpflichtungen allein nicht greifen.
In einem komplexen System kann nicht die ganze Last der Verantwortung vom Einzelnen getragen werden. Eine Ethik, die ausschließlich beim Individuum ansetzt, ist unzureichend. Umgekehrt darf der Einzelne seine Verantwortung nicht zur Gänze auf das System, dessen Teil er ist, abwälzen. Im Sinne von Lenk und Maring sollte die Systembetrachtung die Analyse von Einzelfaktoren nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Christoph Reichel, 21.11.2008