DEIBL, Marlene (Arbeit1)
Marlene Deibl – Matrikelnummer a0802743 Abgegeben am 31. März 2009 Referat zum IK Methoden und Disziplinen der Philosophie (Ringvorlesung) Kurzfassung des zum zweiten Vortrag von Univ. Prof. Dr. Elisabeth Nemeth, gehalten am 25. November 2008 Prof. Nemeths zweiter Vortrag stellt Kants in der vorhergehenden Einheit problematisierten Zugang zum Erwerben von Philosophie zwei gegensätzliche zeitgenössische Standpunkte gegenüber. Der erste Teil der Vorlesung hat den Ernst Tugenhats zum Inhalt. Die Geschichte der Philosophie ist ein Steinbruch, der zur Klärung heutiger philosophischer Fragen verwendet werden soll. Das Profil der tugendhat'schen Philosophie ist nicht völlig klar bestimmbar, da er keiner der beiden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Richtungen eindeutig zuzuordnen ist, also weder in die Schublade der „continental“ noch in die der „analytical philosophy“. Eingangs soll dazu ein wenig Biographisches erwähnt werden: Ernst Tugendhat wurde 1930 in Brünn als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er emigrierte im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Venezuela. Zum Studium in Freiburg kehrte er nach Europa zurück, nachdem er einige Zeit in Standford verbracht hatte, wo er klassische Philologie studierte. Sein frühes Werk, das sich besonders mit den Grundbegriffen der theoretischen Philosophie und dem Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger beschäftigt, wurde von letzterem stark beeinflusst (er wird von Prof. Nemeth als „großer continental philosopher“ bezeichnet), später wendet sich Tugendhat nach einem Aufenthalt in den USA der analytischen Philosophie zu. Er propagiert den Versuch der Anwendung moderner, vor allem sprachphilosophischer, Erkenntnisse auf Fragen und Theorien der aktuellen Philosophie, um sie neu zu betrachten und zu entwickeln. In den 1990ern wendet er sich der philosophischen Anthropologie zu und verfasst dazu „Egozentrik und Mystik – eine anthropologische Studie“. Er betrachtet exemplarisch Religion und Mystik als Phänomen menschlicher Selbsterfahrungen und will dieses aus der Grundstruktur menschlicher Sprache heraus verstehen, besonders in Hinblick auf (deren) Egozentrismus, der vermutlich gesondert zu untersuchen wäre. Es stellt sich in seiner Vorgangsweise die wesentliche Grundfrage, ob es berechtigt ist, weit Marlene Deibl – Matrikelnummer a0802743 auseinanderliegende historische Dinge, Vorkommnisse und Phänomene, zusammenzufügen und daraus eine mehr oder minder allgemeingültige anthropologische Grundstruktur bilden zu wollen. Im ersten Kapitel werden unterschiedliche mystische Traditionen werden betrachtet und eine Definition gesucht, die möglichst dessen viel enthält, was über Kultur und Zeit hinaus als „Mystik“ verstanden wird. Als alle Bespiele bearbeitet sind, bleiben zwei wesentliche Punkte: - „voluntatives Haften an Dingen lösen“ - „angesichts des Universums oder einer letzten Realität“ Diese knappe Grundstruktur ist, laut Tugendhat und Nemeth, Ergebnis einer „phänomenologischen Bestandsaufnahme“ verschiedener Kulturen. Ist diese Art des Schlüsseziehens aus Geschichten und Kulturen legitim? Die Überlegungen dazu werden aus zwei Perspektiven angestellt, die mit den unter anderem im ersten Vortrag Prof. Nemeths erwähnten Begriffe des Philosophie Lernens beziehungsweise Philosophieren Lernens vergleichbar sind: • Aus der 1. Person-Perspektive: Erfassen des Verstehens anderer „von außen“, also im Grunde bloße Wiedergabe. • Aus der 2. Person-Perspektive: grundsätzlicher Zugang zu gestellten Problemen aus der eigenen Perspektive. Dies sind die zwei Arten, in denen an Historisches herangegangen werden kann. Hier soll ein Auszug aus dem „Anhang über Historisches und Unhistorisches“ des erwähnten Werkes diesen Standpunkt weiter erläutern: Seite 166: „Ein Philosoph ist nicht jemand, der in einer bestimmten Überlieferung steht, sondern der bestimmte Sachfragen stellt. Den früheren Philosophen wendet er sich nur in dem Maße zu, in dem er glaubt, dass er bei ihnen etwas über diese Sachen lernen kann, und d.h., er verhält sich zu ihnen aus der Perspektive der 1.Person. Das heißt nicht nur, dass er ,was er bei einem Philosophen findet, auf seine Triftigkeit befragen wird, sondern dass er sich nur auf diejenigen Gedanken dieses Philosophen einlassen wird, die ihm wichtig erscheinen. Häufig muss man in Personalunion Philosoph und Historiker sein, weil man weiß, dass wenn man den Gedanken des Philosophen nicht in seinen Zusammenhängen nachgeht, einem Wichtiges entgehen kann, aber was man sich so in der Perspektive der 3.Person erarbeitet, ist nur die Grundlage.“ Das Schema zusammengefasst: A, ein früherer Philosoph, stellt Lehren und Theorien auf, begründet, belegt und übergibt sie der Überlieferung. Die 3.Person-Perspektive von B (einem Späteren) berichtet nun, was A gesagt oder geschrieben hat (und dazu gehört untrennbar auch die eigene Meinung zum Thema). Marlene Deibl – Matrikelnummer a0802743 In der 1. Person-Perspektive geht es B nicht mehr so darum, was A gesagt hat und warum er (A) es für begründet hält, sondern er selbst (B) möchte wissen, ob es wahr und begründbar ist. Das setzt natürlich voraus, dass B sich auf dieselbe Sache (denselben propositionalen Gehalt) beziehen kann wie A, also in dieser Hinsicht eine Art von Ort- und Zeitlosigkeit. In der ersten Person ist B interessierter und wirklich persönlich beteiligt am Thema. Die Stelle ist tiefer als die Formulierung suggeriert – B muss sich auf genau den selben propositionalen Gehalt beziehen können wie A. Hier tritt eine Analogie zu Kant auf: Begründungen für Werte oder Tugenden sollen der Erkenntnis aus der eigenen Vernunft entspringen, sie sollen nicht nur gelernt im Gedächtnis gehalten werden. Da der propositionale Gehalt der Inhalte derselbe sein muss, wird, wie oben erwähnt, Raum- und Zeitunabhängigkeit gegeben sein. Das kann als Ansatz für eine Charakterisierung sprachlicher Philosophie im Sinne Tugendhats dienen. Es handelt sich bei diesen verschiedenen Zugängen um eine Gabelung, die grundsätzlich zu der Art gehört, wie ein Mensch das aufnehmen kann, was ein anderer sagt oder gesagt hat. Entweder er ist nur an dem Faktum interessiert, dass der andere „p“gesagt hat, also eine Theorie oder einen Gedanken geäußert hat, oder, in der anderen Perspektive, ist es nebensächlich, dass es dieser andere war, und es kommt für ihn auf „p“ an und ob „p“ begründet ist. Eine Begründung gehört, wenn wir es zum Beispiel mit einem philosophischen Text zu tun haben, gewöhnlich auch schon zu diesem selbst, und die Differenz der beiden Perspektiven wird in diesem Fall noch deutlicher. Das Beziehen auf philosophische Inhalte ist nur ein Sonderfall der Beziehung auf das von anderen Menschen Gesagte, wobei die Philosophie an bestimmten Sachfragen interessiert ist. Sie stellt diese und wendet sich der früheren Philosophie zu in der 1. Person. Häufig muss man dabei Philosoph und Historiker in Personalunion sein. Da der propositionale Gehalt der Inhalte derselbe sein muss, wird, wie oben erwähnt, Raum- und Zeitunabhängigkeit gegeben sein. Das kann als Ansatz für eine Charakterisierung sprachlicher Philosophie im Sinne Tugendhats dienen. Die Philosophie braucht beide Perspektiven, um Antworten zu finden. Nach Kant brauchen wir einen Vorrat an Erkenntnissen als Grundlage (uns selbst zu fragen, ob Gründe da sind). Hier liegt der Ansatzpunkt eines Projekts, zeitgenössisch relevante Fragen der Philosophie in sprachlichen Zusammenhängen abzubilden. Das ist eine sehr eigenständiger und anspruchsvoller Ansatz, der systematisch und klar dargestellt wird. (Vergleiche Handout Seite 14: Aristoteles- Politeia). Menschen können, sagt Tugenhat hier, danach charakterisiert werden, dass ihre Beziehung nicht Marlene Deibl – Matrikelnummer a0802743 (nur) durch Absonderung chemischer Auslöser funktioniert, sondern auch Rede zwischen Menschen über Vorstellungen davon, was für sie gut ist; auch abstrakte Inhalte und zwar situationsunabhängig in einer prädikativen Sprache. Tugendhat verwendet Aristoteles quasi als Steinbruch und will mit Hilfe von heutigen (sprachanalytischen) Verfahren weiterentwickeln, wozu Aristoteles einfach nicht das nötige Werkzeug und Vorwissen hatte. Die prädikative menschliche Sprache versetzt uns in die Lage, Dinge zum Subjekt eines Aussagesatzes zu machen. Dahinter steht der (philosophisch seit Aristoteles zentral behandelte) Analyseansatz. Die Termini, mit denen wir herausgreifen und beziehen sind ein Hauptthema der modernen Sprachphilosophie. Der zweite Teil der Vorlesung beschäftigt sich mit dem Philosophiehistoriker Kurt Flasch und dessen Zugang zum Thema. Die Einführung in die Philosophie einer vergangenen Epoche soll „das Erkennen fruchtbarer, weil mehrdeutiger Situationen“ lehren. Das Werk Kurt Flaschs, auf das sich die Vortragende vornehmlich bezieht, trägt einen bezeichnenden Titel: „Wozu erforschen wir die Philosophie des Mittelalters?“ (siehe unten) Schon die Ankündigung im Titel ist ambivalent. Er wählt einen radikal anderen Zugang als Tugendhat oder Kant, die sich die Frage in dieser Form vermutlich gar nicht stellen würden. Flasch wird im Allgemeinen als Philosophiehistoriker geführt und ist Spezialist für die Philosophie des Mittelalters. Anders als bei Tugendhat spielt im Vortrag seine Biographie keine Rolle. Er stellte auch bedeutende, auf das 20. Jahrhundert bezogene historische Untersuchungen an, nämlich zur Rolle der deutschen Intellektuellen vor und während des Zweiten Weltkrieges. Zum Zweck dieser Forschungen benutzte er historische Werkzeuge, die aus der Analyse und Interpretation der Philosophie und Geschichte des Mittelalters gewonnen wurden. Diese Philosophie stellt sich zum Teil seltsam anmutende, unzeitgemäße Fragen wie nach der Seele im Purgatorium. Solche Fragen und Problemstellungen rufen Gefühle der distanzierten Faszination hervor in ihrer Unverständlichkeit und der Inkongruenz der Gesamtheit bestimmter Fragestellungen und Diskussionen in Philosophie und Theologie,. Dergleichen hält ein Philosophiehistoriker als gleichsam unbelebtes Forschungsobjekt fest und stellt Beobachtungen und Betrachtungen darüber an. Sein heutiges Interesse richtet sich auf Fragen wie: Was heißt Begründen in einer (auch sprachlich gefassten) Welt, in der Theorien ganz anders aufgebaut und aufgefasst werden als heute? Marlene Deibl – Matrikelnummer a0802743 Unsere Haltung bei der Beantwortung solcher Fragen soll nicht oder möglichst wenig vorgefertigt sein, indem wir etwa unser Verständnis von Begründung mitbringen – wir sollen die von Thomas von Aquin verteufelte curiositas an den Tag legen und möglichst unvoreingenommen sein. Warum forschen wir so? Was kommt so deutlicher ans Licht? Es gibt dafür mehrere von Flasch angeführte Gründe. Zum einen rückt die mittelalterliche Philosophie spätere Philosophie und Philosophen oder geschichtliche Entwicklungen in ein neues Licht. Spätere Erkenntnisse und Entdeckungen, wie die der frühneuzeitlichen Denker und Forscher (Descartes, Galilei, Bruno etc.) können viel besser bewertet werden, wenn ihr denkgeschichtlicher Hintergrund gut bekannt ist. Das genaue Erforschen einer Epoche führt auch dazu, dass Philosophie und Historie eine differenziertere Sichtweise entwickeln. Wird eine charakteristische Philosophie für das gesamte europäische Mittelalter angenommen, wird das Bild undifferenziert und langweilig. Die Schritte der Geschichte und der Entwickelung von Denkströmen wird nachvollziehbar. Es bestehen genauso Gefahren, die auftreten können, wenn man Gegenwärtiges im eigenen Denken zu sehr voraussetzt zum Beispiel die Deformation der „Fakten“ durch Überinterpretation und Herüberrettung. Dazu zählt das fragwürdige Ausmachen von Vorläufer der modernen Physik im Mittelalter. Nach Flasch ist dieses Verfahren ist für Philosophie besonders ungeeignet. In der Philosophie, Kunst, Literaturgeschichte entindividualisiert und verallgemeinert die erwähnte Vorgangsweise Leistungen Einzelner viel zu stark. In dieser Hinsicht ist die Philosophie der Kunst viel näher als der Wissenschaft. Die Forschung in der Geschichte der Philosophie kann auch üble Auswirkungen haben: Bestimmte Kontinuitäten etwa werden im Zuge der Untersuchung einfach erst konstituiert. Die Untersuchung von Problemstellungen versieht oft stark unterschiedliche Problemstellungen mit ähnlichen Namen oder ordnet sie falsch ein. So kommt es zu seltsamen Vorstellungen von geschichtlichen Vorkommnissen oder Begriffen, die dann auch zu ideologischen Zwecken missbraucht werden können. Die Rekonstruktion des Mittelaltars ist für Flasch notwendig, um individuelles und kollektives Selbstverständnis zu prägen, da eine gewisse Tendenz besteht, mittelalterliche Inhalte eins zu eins in heutig zu betrachten. Es ist entscheidend, das Mittelalter als Periode mit eigenem Recht und hohem theoretischem Anspruch zu sehen. Es darf kein Kurzschluss mit heutigen Probleme angestellt werden. Theorien sind kein einfach willkürlich aus ihren Zusammenhängen herauslösbaren Blöcke. Marlene Deibl – Matrikelnummer a0802743 Kontinuität ist zwar vorhanden, aber eher als Minimalkontinuität in einzelnen Traditionen und Strömungen. Je besser eine philosophische Theorie aufgearbeitet ist, so Kurt Flasch, desto mehr enthält sie von ihrer Zeit und desto mehr gehört sie in ihre (gegenwärtige) Welt. Flasch will den Verbindungen zur vergangenen Welt nachgehen und sie rekonstruieren. Er strebt eine Konfrontation mit Vergangenem an: Historische Lehre soll auf den Gesamtzusammenhang des damaligen und heutigen Philosophierens achten und ihn beschreiben: Was heißt Begründung in unserer Zeit; Wie unterscheidet sich unser Verständnis von früheren? Das Vorhandensein und das Herstellen eines historischen Zusammenhangs ist möglich, als historische Besinnung. Auch bei Flasch ist die Reden von einer Erste-Person-Perspektive: Alle vorhandenen zeitlichen Punkte haben eine Struktur, in der der Blick auf die vergangene Theorie-Welt für die eigene Betrachtungsweisen und Fragestellungen möglichst genutzt werden kann. Sie betrifft die persönliche Herangehensweise des Forschers (Vergleiche Handout). Dieser geht in Flaschs Überlegung auf die Suche nach einer reflektierten Position auf das, was heute unter Wahrheit, strenger Wissenschaft, Beweisführung und Ähnlichem verstanden wird. In diesem Sinne kann im weiteren Fortschreiten auch von lang Vergangenem fruchtbar sein. Buchempfehlungen Zu Tugendhat Ernst Tugendhat: „Egozentrizität und Mystik. Eine anthropologische Studie“ C.H.Beck Ernst Tugendhat / Ursula Wolf: „Philosophisch-Logische Propädeutik“ Interviews mit Ernst Tugendhat (unter anderem vom Prof. Nemeth geführt): http://audiothek.philo.at/index.php?id=2 Zu Flasch Kurt Flasch: Wozu erforschen wir die Philosophie des Mittelalters? In: W. Vossenkuhl / R. Schönberger (Herausgeber): Die Gegenwart Ockhams, Weinheim 1990, S.393-409 (daraus Zitate oben) Kurt Flasch. Einführung in die Philosophie des Mittelalters, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft