Benutzer Diskussion:Melly 89

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Virtuelle Realität

Vor einigen Jahren hätte sich kaum einer eine dermaßen enge Beziehung zwischen Mensch und Computer vorstellen können, wie wir sie heutzutage erleben. Die wachsende Intensität dieser Beziehung teilweise sogar einer Ehe – mental marriage to technology – gleichgesetzt. Wir leben in einer zunehmend virtualisierten Welt – Begriffe wie der der virtuellen Realität (virtual reality) und des Cyberspace beschreiben die technisch geschaffenen Erlebniswelten und die Möglichkeiten zur Mensch-Computer-Interaktion. „Virtual Reality is an event or entity that is real in effect but not in fact“. (A Min Tjoa, Virtuelle Welten. In: Magerl/ Komarek, Virtualität und Realität, 180) Diese Begriffe beschreiben allerdings viel mehr als nur die Interface-Technologie, es handelt sich hierbei um einen völlig veränderten Lebensstil – eine eigene Philosophie. Die virtuelle Welt lässt sich nicht auf ein einziges Medium oder eine bestimmte Umgebung beschränken, sie wird zum Bestandteil unseres Lebens – und somit der „wirklichen“ Realität. Auf der einen Seite werden uns immer realer aussehenden 3D-Darstellungen vor Augen geführt und auf der anderen Seite bilden wir Menschen selbst virtuelle Gemeinschaften. (vgl. Bente/Krämer/Petersen, Virtuelle Realität als Gegenstand und Methode in der Psychologie. In: Bente/ Krämer/ Petersen, Virtuelle Realitäten, 2002, S.2-8)


Virtuelle Gemeinschaften

Virtuelle Gemeinschaften werden von Menschen selbst geformt. In ihnen werden Freundschaften geknüpft, Identitäten und ganze Welten geschaffen. Rein text-basierte Gemeinschaften (MUDs - multi-user-dungeons) sind der Beweis dafür dass es nicht auf die Anzahl der angesprochenen Sinneskanäle ankommt, ob eine Welt als „real“ empfunden wird oder nicht. Auch jene rein textlichen Gemeinschaften ermöglichen es einem, in eine andere Welt einzutauchen.

Diese Gemeinschaften sind Interessen-Gemeinschaften, wie wir sie auch im „real life“ vorfinden. Menschen mit gleichen Interessen fühlen sich also bestimmten Gemeinschaften zugehörig. Der Unterschied hier ist jedoch, dass man es nicht mit persönlichen Kontakten zu tun hat. Virtuelle Gemeinschaften sind – im Gegensatz zur Wirklichkeit – beispielsweise eher anonym gehalten, was eventuell zu anderen Verhaltensmustern der Mitglieder führen kann. Hier stellt sich also die Frage, wie „echt“ solche Gemeinschaften und somit auch die in ihr geknüpften Freundschaften tatsächlich sind! Besonders in diesem Zusammenhang ist also Vorsicht geboten. „People who use computers to communicate, form friendships that sometimes form the basis of communities, but you have to be careful to not mistake the tool for the task and think that just writing words on a screen is the same thing as real community.” (vgl. Utz, Interaktion und Identität in virtuellen Gemeinschaften. In: Bente/ Krämer/ Petersen, Virtuelle Realitäten, 2002, S.159-172)


Virtual Reality und Real Life

Die Virtualität wird also in unser normales Alltagsleben integriert, sei es nun über Chat, soziale Netzwerke oder interaktive Online-Spiele, die beispielsweise Rollenspiel-Charakter aufweisen. Wenn die virtuelle Realität der Wirklichkeit immer ähnlicher wird, ist natürlich die Frage unerlässlich, wie und ob wir die beiden Realitäten zukünftig unterscheiden können und welche Konsequenzen daraus folgen werden. Während einige Menschen der vollkommenen Verschmelzung der zwei Welten entgegenfiebern, macht sich bei anderen eine ungeheuerliche Verzweiflung breit. Jedoch: kann es tatsächlich möglich sein, dass sich die Grenzen zwischen Realität und VR-Umgebung vollständig auflösen? In der heutigen Zeit weist die virtuelle Umgebung immer einen medialen Charakter auf. Wir betreten die virtuelle Welt also aktiv und bewusst über ein Medium. (vgl. Schreier, Realität, Fiktion, Virtualität: Über die Unterscheidung zwischen realen und virtuellen Welten. In: Bente/ Krämer/ Petersen, Virtuelle Realitäten, 2002, S.48f)

Ob sich dieser Umstand in Zukunft ändern wird bzw. kann, ist jedoch ungewiss. Zu denken, dass dieses Ereignis völlig abwegig ist, wäre wohl falsch – die Vision für ein Leben in derartig verschmolzenen Welten gibt es schon seit Längerem. Möglicherweise lässt sich also eine Verschmelzung der Welten, wie wir sie beispielsweise in „Matrix“ sehen, in entfernter Zukunft realisieren. Möglich wäre auch, dass wir es dann wie in „Inception“ mit mehreren Ebenen von Realität zu tun haben, sodass uns nach einer gewissen Zeit gar nicht mehr bewusst ist, dass wir uns in einer künstlich erschaffenen Realität befinden. Schon heute ist es beispielsweise möglich, mittels Lasererfassungsmethoden synthetische Personen herzustellen. Der Laser erfasst das komplette Aussehen einer Person, also deren Gesichtszüge, Statur etc., außerdem ihre Mimik und Bewegungen, und berechnet die gespeicherten Daten. So entsteht ein lebensnahes und animierbares Abbild eines Menschen, das beispielsweise über einen Fernseher-Bildschirm kaum von der echten Person zu unterscheiden sein wird. (vgl. Bühl, Die virtuelle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, S.369)


Verlust des Selbst

Auch ist es möglicherweise nicht nur eine mögliche Täuschung, die wir von Seiten der Technik zu erwarten haben, sondern die Selbst-Täuschung, die von uns selbst ausgeht. Auch ohne die vollendete Simulation der Wirklichkeit ist es im Hier und Jetzt jedem möglich, die virtuelle Welt als „seine“ Wirklichkeit anzusehen und sich somit in dieser Wirklichkeit zu verlieren. Unter Umständen wird das Dasein in der virtuellen Welt zum Lebensinhalt und die für sich geschaffene Persönlichkeit wird zum „wirklichen Selbst“.

Könnte es also sein, dass wir unser Selbst in der virtuellen Welt verlieren? Dass sich unser Denken, Handeln und schlicht unser ganzes Leben dermaßen auf die technisierte Welt einstellt, dass wir als Menschen gar nicht mehr in dieser Form leben (können)? Eine sehr passende Aussage des Soziologen Baudrillard sei hier genannt: „Das Ganze des menschlichen Wesens, seine biologische, muskuläre, tierische Körperschaftigkeiten ist in die mechanischen Prozesse übergegangen. Nicht einmal mehr unser Hirn ist uns geblieben, sondern flottiert in den unzähligen Hertzschen Wellen und Vernetzungen, die uns umgeben.“ (Münker, Philosophie nach dem ‚Medial Turn‘, S.160) In diesem Falle würde sich das Ich auflösen zu einer allgemeinen Masse an Menschen, die im Netz nichts weiter als Daten sind.


Was ist also das Reizvolle am Cyberspace? Es sind wohl die Orte, an die man sich in der virtuell geschaffenen Realität begeben kann, die erlebten Situationen, die in der „Wirklichkeit“ in der Art und Weise nicht vorkommen könnten und auch die Möglichkeit des Menschen, in eine völlig andere Rolle zu schlüpfen und somit für eine gewisse Zeit jemand anderes sein zu können.


Quellenangaben:

Magerl, Gottfried/Komarek, Kurt [Hrsg.]: Virtualität und Realität. Bild und Wirklichkeit in den Naturwissenschaften. Wien/Köln/Weimar/Böhlau: Böhlau Verlag, Band 2, 1998

Bente, Gary/Krämer, Nicole C./Petersen, Anita [Hrsg.]: Virtuelle Realitäten. Internet und Psycho-logie. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle: Hogrefe Verlag, Band 5, 2002

Bühl, Achim: Die virtuelle Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Sozialer Wandel im digitalen Zeitalter. Wiesbaden: VS Verlag, 2000

Münker, Stefan: Philosophie nach dem ‚Medial Turn‘. Beiträge zur Theorie der Mediengesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag, 2009