Aus: Was ist eigentlich ein Begriffsschema?

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Version vom 29. März 2006, 20:30 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge)
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Aber wie beeindruckend derartige Beispiele mitunter sein mögen, sie sind nicht so extrem, daß es unmöglich wäre, die Änderungen und die Gegensätze mit Hilfe der Mittel einer einzigen Sprache zu erklären und zu beschreiben. Whorf, der nachweisen möchte, daß die Hopisprache eine Metaphysik beinhaltet, die der unseren so fremd ist, daß Hopi und Englisch nicht einander entsprechend »adjustiert« werden können (wie er es formuliert), bedient sich des Englischen, um den Inhalt von Mustersätzen der Hopisprache mitzuteilen.' Kuhn gelingt es glänzend, darzulegen, wie die Dinge vor der Revolution standen, indem er unsere nachrevolutionäre Ausdrucksweise verwendet — welche sonst?2?' Quine vermittelt uns einen Eindruck von der »prä-individuativen Phase der Evolution unseres Begriffsschemas«3, während Bergson schildert, wohin wir uns begeben können, um einen Ausblick auf einen Berg zu gewin­nen, der nicht durch diese oder jene ortsgebundene Perspektive verfälscht wird.

Die bestimmende Metapher des Begriffsrelativismus — das Bild der unterschiedlichen Standpunkte - scheint eine zugrundeliegende Paradoxie zu verraten. Verschiedene Standpunkte haben zwar Sinn, aber nur wenn es ein gemeinsames Koordinatensystem gibt, in dem man ihre Stelle abtragen kann; doch das Vorhandensein eines gemeinsamen Systems straft die These der überwältigenden Unver­gleichbarkeit Lügen. Was wir brauchen, ist, wie mir scheint, eine gewisse Vorstellung von den Überlegungen, die der begrifflichen Gegensätzlichkeit Grenzen setzen. Es gibt extreme Annahmen, die an Paradoxen oder Widersprüchen scheitern, und es gibt harmlose Beispiele, die wir ohne weiteres verstehen. Wodurch wird bestimmt, an welcher Stelle wir den Schritt vom bloß Fremden oder Neuartigen zum Absurden tun?

Akzeptieren können wir die Theorie, die den Besitz einer Sprache und den Besitz eines Begriffsschemas miteinander verknüpft. Diese Verbindung kann man sich so denken: Wo Begriffssche­mata auseinandergehen, unterscheiden sich auch die Sprachen. Den Sprechern verschiedener Sprachen kann jedoch ein Begriffs­schema gemeinsam sein, sofern eine Möglichkeit besteht, die eine Sprache in die andere zu übersetzen. Die Untersuchung der Ubersetzungskriterien ist daher ein Weg, unser Augenmerk auf die Identitätskriterien der Begriffsschemata zu richten. Werden Begriffsschemata nicht in dieser Weise mit Sprachen verknüpft, wird das ursprüngliche Problem unnötig verdoppelt, denn wir müßten uns ausmalen, daß der Geist mit Hilfe seiner normalen Kategorien eine Sprache mit ihrer eigenen Ordnungsstruktur handhabt. Unter diesen Umständen würden wir gewiß die Frage stellen wollen, wer denn hier das Sagen haben soll.

Demgegenüber gibt es auch die Vorstellung, daß jede Sprache die Realität verfälscht, was implizit besagt, daß der Geist, sofern er überhaupt an die Dinge, wie sie eigentlich sind, herankommt, dies nur wortlos vermag. Das heißt die Sprache als ein träges (wiewohl unweigerlich verzerrendes) Medium aufzufassen, das unabhängig ist von den menschlichen Handlungsinstanzen, die sich seiner bedienen — eine Sprachauffassung, die sicher nicht aufrechterhalten werden kann. Doch wenn sich der Geist ohne Verfälschung mit dem Realen auseinandersetzen kann, müssen dem Geist seinerseits Kategorien und Begriffe abgehen. Dieses Selbst ohne Gestalt kennt man aus Theorien, die ganz unter-schiedlichen Bezirken der philosophischen Landschaft angehö­ren. So gibt es z. B. Theorien, nach denen die Freiheit in Ent­scheidungen besteht, die unabhängig von allen Wünschen, Gewohnheiten und Dispositionen des Handelnden getroffen werden; und es gibt Erkenntnistheorien, die geltend machen, der Geist könne die Gesamtheit seiner eigenen Wahrnehmungen und Ideen betrachten. In jedem dieser Fälle wird der Geist von den Merkmalen getrennt, die für ihn konstitutiv sind — eine Schluß­folgerung, die, wie gesagt, unumgänglich ist, wenn man bestimm­ten Gedankengängen folgt, uns jedoch stets überzeugen sollte, die Prämissen abzulehnen.

Begriffsschemata können wir demnach mit Sprachen gleichsetzen bzw. richtiger: mit Mengen ineinander übersetzbarer Sprachen, denn wir ziehen die Möglichkeit in Betracht, daß mehr Sprachen als nur eine dasselbe Schema zum Ausdruck bringen können. Sprachen werden sich nach unserer Auffassung nicht von den Seelen trennen lassen; eine Sprache sprechen ist kein Merkmal, das der Mensch verlieren kann, während er sein Denkvermögen bewahrt. Es beste­hen also keine Aussichten, jemand könne einen Beobachtungspo­sten zum Vergleich von Begriffsschemata beziehen, indem er zeit­weilig sein eigenes abstreift. Können wir demnach behaupten, daß zwei Personen verschiedene Begriffsschemata haben, wenn sie Sprachen sprechen, die sich nicht ineinander übersetzen lassen?

Im folgenden betrachte ich zwei Arten von Fällen, mit denen man rechnen könnte: vollständige und teilweise Unübersetzbarkeit. Vollständige Unübersetzbarkeit läge vor, wenn sich kein nennens­werter Bereich von Sätzen der einen Sprache in die andere überset­zen ließe; teilweise Unübersetzbarkeit bestünde dann, wenn ein Bereich übersetzt werden könnte, ein anderer Bereich dagegen nicht (mögliche Asymmetrien werde ich vernachlässigen). Meine Strategie wird die sein, zu argumentieren, daß wir der vollständigen Unübersetzbarkeit keinen Sinn abgewinnen können, und dann in knapperer Form Beispiele für partielle Unübersetzbarkeit zu untersuchen.

Zunächst also die angeblichen Fälle vollständiger Unübersetzbarkeit. Es ist verlockend, sich hier überaus kurz zu fassen und schlicht zu behaupten: Nichts könne als Beleg dafür gelten, daß sich eine bestimmte Form von Tätigkeit in unserer Sprache nicht interpretie­ren lasse, ohne zugleich ein Beleg dafür zu sein, daß diese Form von Tätigkeit kein Sprachverhalten ist. Wäre dies richtig, sollten wir wahrscheinlich dafürhalten, daß eine Tätigkeitsform, die sich in unserer Sprache nicht als Sprache interpretieren läßt, kein Sprachverhalten ist. Diese Formulierung der Sachlage ist jedoch unbefrie­digend, denn sie erreicht kaum mehr, als die Übersetzbarkeit i in eine bekannte Sprache zu einem Kriterium der Sprachlichkeit zu erklä­ren. Als willkürliche Festsetzung genommen, fehlt dieser These die gewinnende Eigenschaft der Selbstevidenz; sofern sie wahr ist— und das ist sie meines Erachtens tatsächlich —, sollte sie als Konklusion eines Arguments in Erscheinung treten.

Die Glaubwürdigkeit dieser Position wird erhöht, wenn man über die engen Beziehungen nachdenkt, die zwischen der Sprache und der Zuschreibung solcher Einstellungen wie Glauben, Wünschen und Absicht bestehen. Einerseits ist klar, daß das Sprechen einer Sprache eine Vielzahl fein unterschiedener Absichten und Über­zeugungen voraussetzt. Wer behauptet, daß Beharrlichkeit der Ehre Glanz bewahrt, muß sich z. B. als jemanden darstellen, der glaubt, daß Beharrlichkeit der Ehre Glanz bewahrt, und er muß beabsichtigen, sich als jemanden, der dies glaubt, darzustellen. Andererseits erscheint es unwahrscheinlich, daß wir einem Spre­cher derart komplexe Einstellungen verständlich zuschreiben können, ohne imstande zu sein, seine Worte in unsere zu übertra­gen. Es steht außer Zweifel, daß die Beziehung zwischen der Fähigkeit, jemandes Sprache zu übersetzen, und der Fähigkeit, seine Einstellungen zu beschreiben, sehr eng ist. Dennoch, solange wir nicht mehr darüber sagen können, was für eine Beziehung das ist, bleiben die Einwände gegen unübersetzbare Sprachen unklar.

Mitunter wird die Ansicht vertreten, die Übersetzbarkeit in eine bekannte Sprache — etwa ins Deutsche — könne kein Kriterium der Sprachlichkeit abgeben, weil die Beziehung der Übersetzbarkeit nicht transitiv sei. Dabei denkt man an folgende Möglichkeit: daß eine Sprache, etwa das Saturnische, ins Deutsche übersetzbar ist, und daß eine weitere Sprache, etwa das Plutonische, ins Satur­nische übersetzbar ist, ohne daß sich das Plutonische jedoch ins Deutsche übersetzen läßt. Es könne sein, daß sich genügend übersetzbare Unterschiede zu einem unübersetzbaren summie­ren. Indem wir uns eine Reihe von Sprachen ausmalen, deren jede der ihr vorangehenden nahe genug steht, um in akzeptabler Weise in sie übersetzt zu werden, können wir zur Vorstellung einer Sprache gelangen, die vom Deutschen so verschieden ist, daß sie gar keine Übersetzung in dieses zuläßt. Dieser entlegenen Spra­che würde ein Begriffssystem entsprechen, das uns völlig fremd ist.


Nach Kuhn sind Wissenschaftler, die in verschiedenen wissen­schaftlichen Traditionen (im Rahmen verschiedener »Paradig­men«) arbeiten, »in verschiedenen Welten tätig« .4 Strawsons Buch The Bounds of Sense beginnt mit der Bemerkung: »Es ist möglich, sich Arten von Welten vorzustellen, die von der Welt, wie wir sie kennen, ganz verschieden sind.«5 Da es höchstens eine Welt gibt, sind diese Pluralgebilde metaphorisch oder bloß vorge­stellt. Diese Metaphern sind jedoch keineswegs gleich. Strawson fordert uns auf zu der Vorstellung möglicher nicht-wirklicher Welten: Welten, die sich durch den Gebrauch unserer jetzigen Sprache beschreiben ließen, indem man die Wahrheitswerte in verschiedenen systematischen Weisen anders auf die Sätze ver­teilt. Die Deutlichkeit der Gegensätze zwischen Welten beruht in diesem Fall auf der Annahme, daß unser Schema der Begriffe — unsere Beschreibungsmittel — unverändert bleibt. Kuhn dagegen will, daß wir an verschiedene Beobachter derselben Welt denken, die mit inkommensurablen Begriffssystemen an sie herangehen. Strawsons viele vorgestellte Welten werden vom selben Stand­punkt gesehen, gehört oder beschrieben; Kuhns eine Welt wird von verschiedenen Standpunkten gesehen. Es ist die zweite Meta­pher, mit der wir uns beschäftigen wollen.

Die erste Metapher verlangt, daß in der Sprache zwischen Begriff und Inhalt unterschieden wird: Wir beschreiben alternative Wel­ten, indem wir ein starres System von Begriffen (Wörtern mit feststehenden Bedeutungen) verwenden. Manche Sätze werden einfach aufgrund der beteiligten Begriffe oder Bedeutungen wahr sein, andere aufgrund der Beschaffenheit der Welt. Bei der Beschreibung möglicher Welten spielen wir nur mit Sätzen der zweiten Art.

Die zweite Metapher deutet statt dessen auf einen Dualismus ganz anderer Art hin, auf einen Dualismus zwischen Gesamt‑ schema (oder Sprache) und uninterpretiertem Inhalt. Ein Eintre­ten für den zweiten Dualismus steht zwar nicht in Widerspruch zur Befürwortung des ersten, kann jedoch durch Angriffe auf den ersten begünstigt werden. Das geht womöglich wie folgt: Wenn man die Unterscheidung zwischen analytisch und synthe­tisch als eine Grundlage des Sprachverstehens fallenläßt, gibt man damit die Idee auf, wir könnten deutlich zwischen Theorie und Sprache unterscheiden. Die Bedeutung — das Wort in vagem Sinne gebraucht — ist kontaminiert durch die Theorie, durch das, was für wahr gehalten wird. Feyerabend formuliert das so:

Unser Argument gegen die Bedeutungsinvarianz ist einfach und, klar. Es geht davon aus, daß einige der Prinzipien, die mit der Bedeutungsbestim­mung früherer Theorien oder Standpunkte zu tun haben, gewöhnlich in Widerspruch stehen zu den neuen ... Theorien. Unser Argument ver­weist darauf, daß es natürlich ist, diesen Widerspruch aufzulösen, indem man die störenden früheren Prinzipien eliminiert und durch Prinzipien oder Theoreme einer neuen . .. Theorie ersetzt. Und abschließend zeigt unser Argument, daß ein solches Vorgehen auch zur Eliminierung der früheren Bedeutungen führt.'

Nun verfügen wir, wie es scheint, über eine Formel zur Erzeu­gung verschiedener Begriffsschemata. Wir erhalten ein neues Schema aus einem alten, sobald die Sprecher einer Sprache einen wichtigen Bereich von Sätzen, die sie früher für falsch hielten, als wahr akzeptieren (und umgekehrt natürlich auch). Diesen Wan­del dürfen wir nicht so beschreiben, als handele es sich um nichts weiter, als daß die Sprecher früher Falsches später für etwas Wah­res erachten, denn eine Wahrheit ist eine Proposition, und was die Sprecher nun — indem sie einen Satz als wahr anerkennen – akzeptieren, ist nicht dasselbe, was sie früher, als sie den Satz für falsch hielten, abgelehnt haben. Eine Veränderung hat die Bedeu­tung des Satzes erfaßt, denn jetzt gehört er zu einer neuen Spra­che.

Dieses Bild des Vorgangs, wie neue (vielleicht bessere) Schemata aus einer neuen und besseren Wissenschaft hervorgehen, ist ziem­lich genau das gleiche Bild, das Wissenschaftsphilosophen wie Putnam und Feyerabend und Wissenschaftshistoriker wie Kuhn für uns gemalt haben. Eine damit zusammenhängende Idee geht aus dem Vorschlag einiger anderer Philosophen hervor, wonach wir in begrifflicher Hinsicht unser Geschick verbessern könnten, wenn wir unsere Sprache mit einer vervollkommneten Wissen­schaft in Einklang brächten. So räumen Quine wie auch Smart — in etwas unterschiedlicher Form — mit Bedauern ein, daß unsere jetzige Redeweise die Möglichkeit einer ernsthaften Verhaltens-wissenschaft ausschließe. (Wittgenstein und Ryle haben ähnliches gesagt, allerdings ohne Bedauern.) Nach der Meinung von Quine und Smart liegt das Heilmittel darin, unsere Redeweise zu ändern. Smart befürwortet (und prognostiziert) die Veränderung, um uns auf den wissenschaftlich geraden Pfad des Materialismus zu bringen; Quine geht es mehr darum, einer rein extensionalen Sprache den Weg freizumachen. (Ich bin, was ich vielleicht nicht unerwähnt lassen sollte, der Ansicht, daß unser tatsächliches Schema, unsese tatsächliche Sprache am besten extensional und materialistisch aufgefaßt werden.)

Ich für mein Teil glaube nicht, daß es die Wissenschaft oder unser Verständnis weiterbrächte, wenn wir diesen Rat befolgten, obwohl es uns vielleicht sittlich fördern würde. Hier geht es jedoch nur um die Frage, ob wir, wenn solche Veränderungen stattfänden, berechtigt wären, sie als Veränderungen unseres fun­damentalen Begriffsapparates zu bezeichnen. Das Problematische dieser Bezeichnung ist leicht einzusehen. Denken wir uns, ich will in meinem Amt als Minister für Wissenschaftssprache den neuen Beamten davon abhalten, Wörter zu verwenden, die sich etwa auf Emotionen, Gefühle, Gedanken und Absichten bezie­hen, und statt dessen soll er von den physiologischen Zuständen und Ereignissen reden, von denen angenommen wird, sie seien mehr oder weniger identisch mit dem mentalen Plunder. Wie soll ich angeben, ob mein Rat befolgt worden ist, wenn der neue Beamte eine neue Sprache spricht? Soweit ich weiß, können die funkelnagelneuen Wendungen — obwohl sie der alten Sprache entlehnt sind, in der sie sich auf physiologische Regungen bezie­hen — aus seinem Munde kommend dieselbe Rolle spielen wie die liederlichen alten Begriffe.




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