Toleranz im liberalen Rechtsstaat

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  • Muss eine Überzeugung zu haben schon intolerant sein? Stellt sich die Frage der Toleranz nicht erst dann, wenn ich mit meiner Überzeugung anderen ins Gehege komme, also wenn meine Überzeugung nicht nur Anforderungen an mich, sondern auch an andere stellt und daher meine Toleranz gefordert ist, wenn diese anderen diesen Anforderung nicht folgen?
  • Inwiefern nähern wir uns mit dem juridischen Paradigma der Frage an, wie mit der Unvereinbarkeit unter den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen umzugehen ist? Durch den Gesellschaftsvertrag wird Toleranz nur institutionalisiert. Aber die Frage wer was warum zu tolieren hat, oder wer oder was ein Recht auf Toleranz hat, geht dem Gesellschaftsvertrag voraus und kann daher nicht durch ihn beantwortet, sondern nur die Antwort darauf durch ihn fixiert werden. Die liberalistische Gesellschaftsauffassung ist auch nur Ausfluss des bei jenen, die sie vertreten, auftretenden "Phänomens" der Toleranz. Jene, die universelle Gültigkeit ihrer Überzeugungen beanspruchen, können eine solche Gesellschaftsauffassung nicht annehmen. Damit wären wir wieder bei dem Problem der Intoleranz gegenüber der Intoleranz.

Ich weiß auch nicht, ob eine liberalistische Gesellschaftsauffassung wirklich etwas mit Toleranz zu tun hat. Ist es nicht das Wesen des Liberalismus das zu "tolerieren", wo es einem gleichgültig ist, was andere machen? Zum Beispiel der Streit um die wahre Religion aus der Ringparabel: Wenn wir kein Problem mit anderen Religionen haben, dann ist das doch nicht deshalb, weil wir so tolerant wären, sondern weil wir mit Religion überhaupt nichts am Hut haben oder das alles zumindest nicht so eng sehen und uns denken: "Soll doch jeder spintisieren wie er will, solange er uns andere in Ruhe lässt." Wäre also so ein liberalistischer Gesellschaftsvertrag nicht die Intoleranz derjenigen, denen es einfach wurscht ist, gegenüber jenen, denen es nicht wurscht ist?--Anton 20:21, 5. Nov 2005 (CET)

Angesichts dessen, dass der Mensch niemals nur Subjekt, sondern immer auch gleichzeitig ein gesellschaftliches Wesen ist, ist die Frage nach einer allgemeinen Toleranzforderung nicht nur berechtigt, sondern sogar unbedingt notwendig. Wie die Antwort darauf aussehen mag ist - wie bereits besprochen - natürlich schwer zu sagen, da jeder ein unterschiedliches Veständnis von Toleranz hat. Aber wahrscheinlich liegt die Lösung des ganzen Problems mit der Toleranz - oder viel eher mit der Intoleranz - in einer ausschließlich uns Menschen gegebenen und somit den Menschen charkterisierenden Eigenschaft: nämlich dem reflektierenden Denken. Würden wir diese Gabe besser nutzen um uns von determinierenden Vorurteilen - welche uns die Kultur, in die wir hineingeboren werden, aufdrängt - zu befreien, würde die Intoleranz gegenüber der Toleranz vielleicht einen entscheidenden Schritt zurücksteigen müssen. --Gregs 23:21, 3. Nov 2005 (CET)


  • "das juridische paradigma":
es ist mir schleierhaft, weshalb der liberale rechtsstaat toleranz institutionalisieren sollte.
minderheiten sind in einer demokratie auf politische interessensvertretung und lobbying angewiesen, die umsetzung ihrer anliegen ist per se weder durch verfassungen noch getze gewährleistet. dass allen menschen in einer republik die gleichen grundrechte zukommen, bürgt mitnichten dafür, dass interessensgruppen sich in einem parlament gehör verschaffen und ihre bedürfnisse in form von gesetzen artikulieren können. behindertengleichstellung, zivilehe für gleichgeschlechtliche paare, diskriminierungsverbote am arbeitsplatz u. dgl. sind junge errungenschaften, die auf einem interimistisch stabilisierten gesellschaftlichen konsens beruhen und keine ewigen werte repräsentieren. niemand kann in einem demokratischen staat davon abgehalten werden, für intolerante gesinnungen (solange sie verfassungskonform sind) partei zu ergreifen - der staat ist kein "embodiment of an impersonal constitutional structure which derives its validity from universalizable principles" (David Heyd). er ist keine unpersönliche, statische, invariante struktur, sondern ein historischer, gestaltbarer raum. - randgruppen bleiben in der modernen republik auf kompromissbereitschaft und toleranz von seiten der mehrheit(en) zutiefst angewiesen.
  • "muss eine überzeugung zu haben schon intolerant sein?" - die frage trifft in meinen augen etwas wesentliches: handelt es sich beim paradigma der toleranz tatsächlich um einen normativen entwurf, der ideologisch abgeschlossene denkmodelle strategisch ausschließt?
  • zur analyse der universellen begründbarkeit eines toleranz-imperatives sollte sich vielleicht die frage gesellen, ob toleranz wirklich die via regia für die lösung gesellschaftlicher probleme ist, oder ob sie nicht strukturelle abhängigkeitsverhältnisse und heterogenität zementiert. lassen sich der immer wieder virulente regligionsstreit in nordirland oder der nahost-konlikt mit dem toleranz-postulat lösen?
lukas, 6. Nov., 3:20




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