30.10.2013 ONLINE DISKUSSION Ricoeur, Paul (1969): Erstes Buch. Kapitel II. Der Konflikt der Interpretationen

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Version vom 5. November 2013, 17:24 Uhr von Jan Wagner (Diskussion | Beiträge) (Zum Textverständnis)
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Beantworten Sie einzelne der folgenden Fragen bitte in Ihren eigenen Worten und kennzeichnen Sie Ihre Einträge bitte durch Ihre Signatur mit Zeitstempel.

Für den Umgang mit der Doppelsinnigkeit von Symbolen bedarf es der Interpretation. Ricoeur unterscheidet in diesem Kapitel zwei Weisen, den Interpretationsbegriff zu fassen. Er gibt an, weshalb sie für ihn nicht passend sind. Welche Gründe nennt er?


Der eine Interpretationsbegriff ist zu lang, der andere zu kurz. Der von Aristoteles herrührende Begriff sei zu weit, da damit alles, was verlautbart wird und Bedeutung trage, gemeint sei (vielleicht lässt sich das umschreiben mit 'bezeichnende Stimme' = Interpretation), er ist zu umfassend gedacht und das Problem der Mehr+Eindeutigkeit tauche auf. Der Begriff aus dem Bereich der bibl. Exegese erscheint zu kurz gedacht, da hier sich der Interpretationsbegriff auf das bezieht, was als Text durchgehen kann. Außerdem spricht er hier vom Problem der Analogie. --CoS (Diskussion) 14:30, 29. Okt. 2013 (CET)


Die Frage ist hier, was mit „nicht passend“ gemeint ist. Ricoeur beschreibt den aristotelischen Begriff der Hermeneutik als sehr weit gefasst („lang“), den exegetischen, auf die Interpretation der Bibel bezogenen sehr eng gefasst („kurz“). Ist das in dem Sinn bereits eine Kritik? Aristoteles argumentiert als Philosoph, und er erkennt sehr treffend, dass alles, was bezeichnet wird, sei es ein Name oder eine durch den Satz näher bestimmte Gegebenheit, also praktisch alles sagbare, Interpretation ist. Wenn nun „nicht ein Bestimmtes“ bezeichnet wird, sagt man in Wahrheit nichts. Im Gegensatz dazu ist es nur allzu plausibel, dass die Exegese am anderen Ende der Wahrheitssuche angesiedelt ist, denn die Hüter des Heiligen hüten sich aus verständlichem Grund vor ausufernden Interpretationen. Ricoeur sagt darauf nichts anderes, als dass sich der Begriff der Interpretation für moderne Philosophen wie Nietzsche, Marx und Freud gewandelt hat, dass aber dennoch Elemente analogisch übertragen wurden. „Schrift“ wird zu „Text“ bei Freud (der selbst wohl nichts mit heiliger Schrift zu tun hatte; das ist hier Ricoeurs Analogie), und das Problem der Lüge und Wahrheit wird zum Problem der Illusion (in gewisser Weise eine Abschwächung der beiden Begriffe in Form eines mittleren Begriffs). Was Ricoeur wohl am modernen Hermeneutikbegriff befürwortet, ist die Möglichkeit der Herstellung eines aktualisierten Sinns. Durch Bewusstwerden der Illusion wird neuer, entmystifizierter Sinn gestiftet. Ob dieser Mittelweg der Hermeneutik für Ricoeur der letztlich passende ist, bleibt vorerst, wie ich meine, offen.--Jan Wagner (Diskussion) 17:01, 5. Nov. 2013 (CET)



Was heißt „Symbol“ bei Aristoteles? (Vgl. Fußnote 1, S. 33f.)

Ein Symbol zeige an, was sich durch/aus einer Seele verlautbart (Schrift, Sprechlaut,..), fallweise verstand er scheinbar darunter auch Bedeutung --CoS (Diskussion) 14:30, 29. Okt. 2013 (CET)



Das folgende Zitat (von S. 36) steht in Zusammenhang mit unseren Überlegungen zum semantischen Dreieck vergangene Woche. Erläutern Sie, wie.

Ricoeur Ausschnitt3.jpeg


Vielleicht steht das im Zusammenhang mit dem Problem der Erfüllung der symbolischen Bedeutung, wie sie Ricoeur auf Seite 44 beschreibt. An den Beispielsignifikanten Fleck – Beschmutzung, Abweichung – Sünde, Gewicht – Schuld zeigt er, dass diese eine Verbindung von Sinn zu Sinn darstellen. Mir scheint, dass Ricoeur zeigen will, dass zwischen Referenten (dem äußeren Ding) und dem interpretierenden Menschen, immer die Interpretation ist. Der Zugang zur Welt ist immer schon einer von Mehrdeutigen Symbolen, so dass sich dem Ding nie rein und unmittelbar genähert werden kann. --Thanu (Diskussion) 10:59, 5. Nov. 2013 (CET)


Interpretation hat gemäß Aristoteles einen anderen Zweck als bei Ricoeur für sein Problem des Doppelsinns. Und doch sieht Ricoeur Gemeinsamkeiten. Welche? (Vgl. dazu S. 37)

Bei Aristoteles laufe es auf eine binäre Logik hinaus, wahr oder falsch, was wiederum die Annahme der Eindeutigkeit der Wörter voraussetzt. "Etwas von etwas aussagen", also Interpretation könne wahr oder falsch sein. Vielleicht taucht die Gemeinsamkeit auf, wenn sich Ricoeur auf Aristoteles Metaphysik bezieht, "der Begriff des Seienden läßt bekanntlich keine eindeutige Definition zu"(S.36) und eben diese Vielheit ziehe sich durch die ganze Rede.--CoS (Diskussion) 18:50, 29. Okt. 2013 (CET)

Meiner Ansicht nach ist Ricours Ansatz eine Synthese der beiden Interpretationsweisen (der langen bei Aristoteles und der kurze der biblischen Exegese). Das Problem der Doppeldeutigkeit, wie es von Aristoteles hervorgebracht wird, zieht sich durch jede Interpretation. Diese ist immer sowohl der Versuch der Entmystifizierung und der Wiederherstellung des Sinnes. --Thanu (Diskussion) 11:47, 5. Nov. 2013 (CET)



Ricoeur stellt die biblische Exegese als eine skripturale Wissenschaft der Freudschen Methode gegenüber. Wie argumentiert er das? (Vgl. S. 39)

Während sich die Exegese an der Auslegung der Schrift orientiert,steht für Freud der Text im Vordergrund. Denn für ihn bietet sich nicht nur die "Schrift" zur Deutung dar, sondern die Gesamtheit von Zeichen, die sich als entzifferbarer Text betrachten lassen. Entzifferbarer Text kann für Freud alles sein, ein Traum oder ein neurotisches Symptom, ein Ritus, ein Mythos, ein Kunstwerk, ein Glaubensinhalt. So sieht Freud ja auch in der Analyse der Trauminhalte, in welcher ein unverständlicher durch einen verständlichen Text ersetzt wird, etwas ähnliches wie eine Übersetzung von einer Sprache in die andere. (IA) 29.10.13 18h16




Worin sieht Ricoeur die Hauptschwierigkeit der modernen Hermeneutik? (Vgl. S. 40)

Die Hauptschwierigkeit der modernen Hermeneutik liegt darin, dass es im hermeneutischen Feld keine Einigung über Methode und zugrundeliegende Theorie des Interpretierens gibt. Ricoeur führt zur Veranschaulichung die beiden Extreme dieses Feldes an: auf der einen Seite die Interpretation als Wiederherstellung und Manifestation des Sinns (man denke an "die Offenbarung des Heiligen"), auf der anderen Seite die Interpretation als Entmystifizierung, Wegräumung von Idolen und Illusionen (als Ziel in der Psychoanalyse Freuds). --Galimathias (Diskussion) 15:41, 30. Okt. 2013 (CET)


Ich könnte mir die Hauptschwierigkeit Ricoeurs darin vorstellen, dass die moderne Hermeneutik zwar entmystifiziert, die Illusionen klärt und zur „nackten Realität“ (49) führt, dass aber gerade dieser Umstand nicht zum erwünschten „Sinn“ führt, sondern in eine harte kalte Realität. „…fehlt dieser Disziplin des Wirklichen … nicht die Gnade der Imagination…“? (49) Anders gesagt: Braucht der Mensch tatsächlich die Desillusion um „freier“ und „glücklicher“ (48) zu werden, oder will er nicht doch lieber in Sinn stiftender Illusion leben?--Jan Wagner (Diskussion) 17:24, 5. Nov. 2013 (CET)



Kommentieren Sie - mit Blick auf die psychoanalytische Sprechsituation - das folgende Zitat (von S. 45), in welchem Ricoeur beschreibt, wie Symbole im Bereich des religiösen Glaubens funktionieren:

Ricoeur Ausschnitt4.jpeg


Wenn Ricœur von Symbolen spricht, meint er etwas zusammengefügtes was wesentlich mehr als ein Zeichen sei. Es gibt Anlass zum Denken, in Vergleich zu den Zeichen die eindeutig sind und etwas direktes aussagen. Symbol und Zeichen gehören zu zwei unterschiedlichen Welten. Das Zeichen ist ein Teil der physischen Welt, das Symbol gehört eher zur menschlichen Bedeutungswelt. Das Zeichen ist etwas materielles, was einen Gegenstand bzw. eine Eigenschaft ersetzen will. Das Symbol ist vielseitige Kategorie, das Verhältnis der gegenständlichen Natur zur tiefliegenderen Bedeutung. In einer psychoanalytischen Sprechsituation stellt sich oft heraus, dass das Symbol mehr aussagt, als was auf dem ersten Blick zu erkennen ist. Es bietet die Möglichkeit einer offen Kommunikation. Wenn wir von Bindung, was den Sinn an den Sinn bindet, sprechen, meinen wir die Gesamtheit der Sprache, dass ein Sinn in den anderen impliziert ist oder sogar inne wohnt. Symbole sind auch doppelt gebunden- an und durch- und geben was sie aussagen. Die "existentielle Angleichung meines Seins an das Sein, gemäß der Bewegung der Analogie" ist nicht nur auf die Theologie, sondern auch auf die Psychoanalyse ein adaptierbarer Hintergedanke. --Ekaterina Kremsner (Diskussion) 21:16, 3. Nov. 2013 (CET)


Welche Vorurteile nennt Ricoeur gegenüber den drei Ausformungen einer Schule des Zweifels? (Vgl. S. 46)

Die Vorurteile, dass den drei großen Meistern des Zweifels im Bewusstsein, Marx, Nietzsche und Freud schablonenhafte Zuordnungen auferlegt werden: Marx wird in den Ökonomismus verbannt, Nietzsche in den Biologismus und Freud - ausstaffiert mit einem simplizistischen Pansexualismus - in die Psychiatrie. (IA) 29.10, 18h 46)




Für Ihre Fragen zum Text wurde von einigen SeminarteilnehmerInnen bereits auf der Seite „Diskussion“ (siehe diese Seite ganz oben) eine Rubrik begonnen.

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