Imperativ zur Toleranz?
Einige Gedanken zur bisherigen Diskussion: Allgemein wird der Toleranzbegriff hier meiner Meinung nach zu absolut gesehen. Es wird schließlich nicht nur von Toleranz gesprochen, wenn ich etwas total/absolut toleriere, sondern auch, wenn ich Kompromisse eingehe, d.h. auch wenn ich zumindest teilweise auf meinem Standpunkt bleibe, kann ich tolerant handeln. Das führt wiederum zu folgender These, dass Intoleranz (die ebenso wenig unbedingt absolut ist) nicht grundsätzlich als negative Eigenschaft - ja ganz im Gegenteil - sogar als Notwendigkeit für reflektierende Lebewesen, wie wir Menschen es nun mal sind, anzusehen ist. Indem ein Lebewesen aufhört ausschließlich instinktiv zu handeln und sich somit auch über sein Handeln + Konsequenzen bewusst ist, wird es zwangsweise intolerant. Sobald ich eine Meinung habe und ich traue mich zu behaupten, dass jedes reflektierende Lebewesen eine Meinung hat, egal ob aus dogmatischen Quellen oder aus Reflexion heraus bin ich intolerant. Selbst wenn ich Maßnahmen gegen Intoleranz treffen will, bin ich zumindest der Intoleranz gegenüber intolerant. Die Frage ist also nicht, ob ich tolerant sein soll oder nicht, weil ich eben nie vollkommen tolerant (und übrigens genauso wenig vollkommen intolerant) sein/handeln kann, sondern in welchem Maß ich tolerant sein/handeln soll oder inwieweit es für mein eigenes Sein überhaupt möglich ist. Dasselbe gilt für sämtliche von Menschen geschaffenen Institutionen, Gruppierungen, Religionen, Parteien, etc.: Intoleranz sichert ihre Existenz, es gäbe ja ohne Intoleranz für sie überhaupt keinen Grund zu sein. Das meine ich in dem Sinn, dass sich ja niemand für etwas einsetzen bräuchte, was sowieso unwiderlegbar gegeben ist. --gregs
Keine Frage: Es kann uns weder gelingen, unsere Ansprüche stets und in ihrer Gesamtheit durchzusetzen, noch, sämtliche Ansprüche zu akzeptieren oder tolerieren. Das eigentliche Problem ist jedoch in meinen Augen, wie sich angesichts dieses Sachverhaltes ein schlüssiger, nicht regressiver oder selbstwidersprüchlicher Imperativ der Toleranz begründen läßt. --Jakob 16:13, 2. Nov 2005 (CET)
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir diesen Imperativ der Toleranz überhaupt begründen müssen, da die Notwendigkeit eben dieser durch das tägliche Leben besteht und jeder von uns jeden Tag zwangsweise tolerant bzw. intolerant ist. Und nebenbei bemerkt- sind in jeder Sache so viele Standpunkte vorhanden, dass die Toleranz gegenüber dem einen zwangsläufig Intoleranz gegenüber eines anderen auslöst. Natürlich sage ich auch ich wäre gegen Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und (lassen wir einmal beiseite, dass dies schon wieder Intoleranz ist) begründe das teilweise mit Menschenrechten (in Fragen von Religion etc.) und der persönlichen Überzeugung, dass meine Freiheit dort aufhört, wo sie einen anderen in der seinen stört. Übergänge sind auch hier fließend. --Lucia
Wenn wir ohnehin nur zwangsweise tolerant bzw. intolerant, sprich: in Sachen Toleranz innerlich oder äußerlich determiniert sind, haben wir nur leider das in meinen Augen recht unangenehme Problem, daß wir Toleranz überhaupt nicht mehr fordern oder einklagen können. Man mußte eben so oder so, tolerant oder intolerant handeln. Folglich kann man ihr bzw. ihm auch keinen Vorwurf mehr machen, weil sie oder er intolerant war. Natürlich kann man sagen: Wir brauchen gar kein schlüssiges Konzept von Toleranz, die Menschen handeln ohnehin so oder so. Nur verschließen wir uns damit recht weitgehend die sinnvolle Möglichkeit der Bewertung, Begründung und Forderung von Handlungsweisen überhaupt.--Jakob 22:49, 2. Nov 2005 (CET)
Das würde ich nicht so sagen und die Notwendigkeit von der ich gesprochen habe ist nur einerseits das, dass unsere Entscheidungen sowieso immer (in-)tolerant sind sondern andererseits auch, dass ein friedliches und menschenwürdiges Zusammenleben nur dann möglich ist, wenn man einen gewissen Respekt für den anderen zeigt. Und will man das tun, dann kommt man an der Toleranz nicht vorbei. Aber du hast schon irgendwie recht, doch mein Problem ist vielmehr nicht die Frage ob man Toleranz fordern kann, sondern ob sie für alles einforderbar ist. Ich habe nämlich kein Problem damit mich für Toleranz gegenüber anderen Religionen etc. einzusetzen, während Toleranz gegenüber der Meinung von Faschisten für mich etwas ganz anderes ist. Da das alles sehr subjektiv ist, wer oder was sagt uns dann wem gegenüber wir (in-)tolerant sein sollen und bis zu welchem Grad wir in unserer Toleranz gehen können? --Lucia 00:40, 3. Nov 2005 (CET)
Deine letzte Frage trifft im Grunde durchaus das, worauf ich auch hinaus will. Vielleicht habe ich mich auch ein wenig mißverständlich ausgedrückt. Ich denke natürlich nicht, daß die Existenz des Phänomens, das wir Toleranz nennen, davon abhängt, ob wir es durchgängig und schlüssig rational schematisieren und begründen können. Allerdings wäre das in meinen Augen erstrebenswert, wenn wir vermeiden wollen, daß das bloß alles sehr subjektiv ist und sich nicht einstellungstranszendent kalkulieren läßt, gegenüber wem und welchen Verhaltensweisen Toleranz angebracht ist oder auch nicht. Dann fällt nämlich, so scheint mir, das, was wir Toleranz nennen zurück auf die Stufe einer unbegründeten subjektiven Einstellung unter anderen. Dann gibt es eben die Toleranz gegenüber Vertretern anderer Religionsgemeinschaft und jene gegenüber Gewaltverbrechern. Unterscheiden sich die wirklich nur durch subjektive Vorlieben? Wie gesagt, versteh mich nicht falsch: Vielleicht ist das so. Nur wird damit in meinen Augen das ganze Konzept der Toleranz mehr oder weniger hinfällig. [Wenn Toleranz nicht auch so etwas wie eine prinzipielle Bereitschaft zur Einstellungsrelatvierung (und das bedeutet wohl letztendlich ein Moment der universellen Einforderbarkeit) impliziert, dann kommen wir von den widerstreitenden dogmatischen Objekt-Standpunkten nur auf widerstreitende dogmatische Meta-Standpunkte (die einen tolerieren aus subjektiven Vorlieben dieses, die anderen jenes)]. --Jakob 07:55, 3. Nov 2005 (CET)
Es ist keine Frage, dass die Auffassung und sogar alleine die Definition von Toleranz, eine sehr subjektive ist. Hätte jeder von uns die selbe Auffassung von dem Begriff Toleranz, wäre diese Diskussionsseite schließlich mehr oder minder überflüssig. Jeder von uns hat individuelle Toleranzgrenzen, deren Ausmaß abhängig von unseren individuellen Gegebenheiten ist. Was jedoch gleich ist, ist, dass bei jedem von uns überhaupt solche Grenzen gegeben sind, welche die prinzipielle Bereitschaft zur Toleranz genannt werden können. Was ich damit sagen will ist: Auch wenn der Toleranzbegriff sehr subjektiv ist, kann man auf ein gemeinsames, objektives Konzept kommen, solange die Lage der Toleranzgrenzen nicht zu weit voneinander abweicht. --gregs
Ein paar Punkte:
- Eine Meinung - im Unterschied zu einer Überzeugung - zu haben, ist noch nicht intolerant.
- Aber man kann nicht auf der Basis bloßer Meinungen leben. Es ist tatsächlich unvermeidlich, Positionen einzunehmen, die andere ausschließen.
- Ein "Imperativ" ist auf dieser Ebene nicht nötig und sinnvoll. Allerdings entsteht die Frage danach, wie mit der Unvereinbarkeit unter den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen umzugehen ist.
- Ein Weg, sich diesem Thema zu nähern, ist das juridische Paradigma: es bestünde ein Recht auf Toleranz. Das setzt einen "Gesellschaftsvertrag" voraus - d.h. den Rahmen des Liberalismus.
- Die liberalistische Gesellschaftsauffassung hat ihre eigene Logik und Wirksamkeit. Sie ist durchaus normativ (nicht neutral) und läßt sich diskutieren und verteidigen. Zu unterscheiden ist das vom "Phänomen" der Toleranz, also dem empirischen und/oder in der Selbstbesinnung auftretenden Verständnis.
--anna 09:36, 3. Nov 2005 (CET)
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