Benutzer:Andyk/Unreduzierbares

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Das Unreduzierbare

Die Frage entscheidet über Horizont und Effektivität der Antworten

Müssen wir über das, wovon wir nicht sprechen könnnen, schweigen? Zweifellos, zumindest wenn wir begreifen, warum wir darüber nicht sprechen können und aus welchem guten Grund wir also darüber nichts sagen dürfen. Denn unter dieser Vorbedingung könnte es immer auch sein, dass wir uns einfach nur aus Nachlässigkeit, Unaufmerksamkeit oder Unaufrichtigkeit ins Schweigen zurückziehen. Denn die Unfähigkeit etwas zu sagen, kann sich auch einfach aus unseren Entscheidungen ergeben, den impliziten oder expliziten. Um sich ins Schweigen zurückzuziehen, genügt es zuweilen, dass man immerzu nur gemäß den Bedingungen redet, die gegebenenfalls dem widersprechen, was es zu denken gilt. Wenn es auf die schlecht gestellten Fragen keine Antwort gibt, so ist es doch möglich, diese, anstatt sie kurzerhand wieder fallen zu lassen, einer erneuten Prüfung zu unterziehen, sodass sie vielleicht nicht schon [...] dem widersprechen, was sie erreichen will. Erreichen, denn man kann nicht einfach davon ausgehen, dass hier Begriffe wie "bedeuten", "meinen", oder auch nur "abzielen auf" angemessen sind, die sich dabei vielleicht schon zuviel oder zuwenig zumuten oder, was noch wahrscheinlicher ist, das Ziel überhaupt verfehlen.

Anders gesagt: Wenn es um das geht, was wir mangels Besserem unter Vorbehalt Gott nennen, muss man sich zuerst und vor allem über die Vorbedingungen der Frage selbst unterhalten. Hier, wie überall (aber hier noch schwieriger als anderswo), entscheidet bereits die Frage nicht nur über den ganzen Horizont an dem mögliche Antworten erscheinen können, sondern auch darüber, was diese jemals erreichen werden. Wie kann man im Fall von Gott verlangen, etwas über etwas zu sagen, da es ja zunächst nicht selbstverständlich ist, dass Gott unter die Ordnung von etwas fallen kann oder fallen soll? Auch versteht es sich nicht von selbst danach zu fragen, ob er existiert, da es ja genauso wenig selbstverständlich ist, dass Sein Gott angemessen sein kann und muss.

Noch bevor man über die Antworten diskutieren kann, erfordert die grundlegendste Kritik, dass wir die Angemessenheit unserer Fragen auf den Prüfstand stellen, denn diese sind es, die bereits eine Vorentscheidung über unsere Absicht treffen und über deren Reichweite entscheiden. Vor allem in diesem Fall: Falls es sich, nur als Hypothese, tatsächlich um so etwas wie einen Gott handelt, wird er auf welche Art, in welcher Art und Weise auch immer über die Reichweite dessen, der über ihn zu sprechen beabsichtigt, hinausgehen. Um folglich auch nur die geringste Chance zu haben, es ins Auge zu fassen, und zwar es selbst und nicht einen beliebigen Erstaz, gilt es, es anzuzielen ohne es zu sehen, zu verstehen oder es jemals zu erreichen. Anstatt dieses Paradox kurzerhand abzuqualifizieren, sollten wir es lieber etwas genauer betrachten:

Da Gott unerreichbar ist, worauf beziehen sich unsere Gottesvorstellungen?

In der Sprache der Metaphysik, wird der besagte Sprecher, der die Frage nach Gott stellt, nur eine inadequate Idee von Gott hervorbringen. Inadäquat, das heißt nicht nur eine Idee, die in formaler Hinsicht nicht der objektiven Realität entspricht, die die Idee gerne begreifbar machen würde, sondern auch in Folge dessen eine Idee, die mehr über den zum Ausdruck bringt, der sich diese Idee vorstellt (der Fragende) als über das, was die Idee vorzustellen vorgibt. Ich meine zum Beispiel die Definition der idea bei Spinoza (Ethik, Buch 2, Lehrsatz 17), wo er sagt, dass die idea, die Peter über Paul hat, mehr Informationen über Peter gibt als über Paul.[1][2] [3] Es ist die inadäquate Idee, die mehr über den Sagenden sagt als über das Gesagte, die tatsächlich nur Dinge zum Ausdruck bringt, die sie sich vorstellt, die der Sagende sich also nur selbst vorstellt.

Die Diskurse über Gott im Allgemeinen taugen von vornherein zumeist und ausschließlich nur als Symptom ihrer selbst und keineswegs als Entwürfe von Gott. Das was man über Gott sagt, gibt uns von zumeist nur Auskunft über diejenigen, die sprechen, aber betrifft in keinster Weise das, was Gott möglicherweise sagen wollen könnte (im doppelten Sinn (a.) seiner möglichen Bedeutung und b.) seines möglichen Ergreifens der Worte). Diejenigen, die das Wagnis eingehen von Gott zu sprechen, in welcher Weise sie es auch riskieren mögen, sagen unheimlich viel mehr über sich selbst als über diesen vermeintlichen Gott. Und dass sie sich einbilden über Gott zu sprechen bleibt ein Vorwand, ein Pretext, gegenüber dem wirklichen Text, der sich auf diejenigen bezieht, die sprechen.

In der Sprache der Theologie sagt man, dass jede sichtbare oder begriffliche Vorstellung, jede Aussage oder Definition von dem oder über das, was unter die Bezeichnung Gottes angezielt wird, keinerlei Zugang zu diesem Gott gewährt, aber dafür einen vollkommenen Blick auf diejenigen bietet, die die Definition hervorbringen oder empfangen. Augustinus sagt in De Civitate Dei, Buch 12, Nummer 18: "profecto non deum, quem cogitare non possunt, sed se met ipsos pro illo cogitantes, non illum, sed se ipsos, nec illi, sed sibi conparant".[4] Anders gesagt: Alles läuft auf ein Idol hinaus. Und das Idol, um es noch einmal deutlich zu sagen, hat nichts von einem Trugbild an sich, weil es genau das zeigt, was es zeigt, ohne Schatten, ohne Entzug. Aber es zeigt immer nur das, was man in ihm ins Auge fasst, nämlich diejenigen, die es ins Auge fassen und nicht das, von dem sie sagen, dass sie es ins Auge fassen. Das Idol steckt in seiner Gestalt das Maß des Übermaßes an Sichtbaren ab, den ein solcher Blick ertragen kann und zwar genau bis an die äußerste Grenze des Erträglichen. Das, was das Idol sichtbar macht, reflektiert wie ein unsichtbarer Spiegel, die Reichweite und das Fassungsvermögen von denen, die sehen und sprechen. Das Idol enthüllt also immer eine Wahrheit, aber nicht die von Gott sondern von demjenigen, dem er sich als ein Idol offenbart, ihm selbst und ihm allein, indem er dieses Angezielte als das höchste Maß seiner Vorstellung vom Unendlichen, den äußersten Punkt seiner Fähigkeit sich zu verstellen, und als die äußerte Grenze seines phänomenalen Erlebens, anerkennt.

Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Und jetzt?

Wenn also die vorausgesetzte Frage nach Gott nur solche Antworten ermöglicht, die denjenigen betreffen, der sie stellt, und niemals das betreffen, wovon er zu sprechen beansprucht, oder kurz gesagt: wenn sich die vorausgesetzte Frage nach Gott tatsächlich nur auf mich bezieht, ohne zu wissen, was ich da sage, sollte man dann nicht auf sie verzichten? Aber darauf verzichten würde genau genommen darauf hinauslaufen, die vorausliegenden Bedingungen der Frage einfach kritiklos anzunehmen und nicht die eigentlichen Aufforderungen dessen zu tragen, woraufhin sie abzuzielen beansprucht. Wie also lässt sich die Frage von der Hypothese der bereits allzu bekannten Antworten befreien? Wie lässt sie sich von dem herauslösen, was nur mich betrifft, der ich die Frage nach Gott nur darum stelle, um für mich selbst zu bürgen und mir selbst zu entsprechen, oder genauer, um mir selbst meinen Platz zuzuweisen? Es bleibt daher nur ein Weg offen, die Antwort zu reduzieren, um die Frage zu wahren. [? Aber was sagt die Antwort?]

Über die Verbindlichkeit des Idols lässt sich nicht streiten, eben weil es nur den betrifft, der es hervorbringt [...]. Aber diese Verbindlichkeit, mag sie auch begrenzt sein, hat einen Preis. Das Idol führt niemals bis an Gott heran, es kehrt immer wieder zu mir zurück, der ich Gott sage, und sei es, um mich zu verleugnen [...] um mich in erster Linie zu widerrufen [...].

Wir wollen diese reflexive [Charakteristik] der Antworten noch erläutern und an einigen Beispielen aufzeigen, dass sie die eigentliche Frage nach Gott in die Irre führen. Zu sagen: "Ich glaube an Gott" oder "Ich glaube nicht an Gott" sagt noch nichts über Gott aus, aber bereits sehr viel über mich selbst. Noch nichts über Gott, denn es handelt sich ja um einen bloßen Glauben, den man in der Metaphysik als eine Meinung bezeichnet, der zudem keinerlei Wesenheit definiert [...] und eine solche noch viel weniger beweist. Aber es sagt sehr viel über mich, z.B.:

  • dass ich entweder das, was ich nicht sehe, als wahr annehmen kann. Oder im Gegenteil: Nur das als wahr annehme, was ich als Objekt überprüfen kann.
  • dass ich entweder die Absicht habe, mich in eine Gemeinschaft einzuschreiben, die sich über den Bereich des nur-menschlichen hinaus erstreckt bis hinein ins Göttliche. Oder umgekehrt: nur die Gemeinschaft des Menschen gelten lasse, sozusagen eine politische Position.
  • dass ich entweder in dieser Annahme von Gott zweifellos einen Halt, ein Vertrauen, eine Sicherheit, usw. erfahre (eine psychologische Disposition der Heteronomie). Oder dass ich im Gegenteil jede äußere oder transzendente Entität zurückweise (eine psychologische Disposition der Autonomie).

Aber in alledem verweist nichts auf Gott.

Könnte man nicht einwenden, dass die Aussage "Ich glaube an Gott (oder nicht)", dennoch etwas über etwas aussagt, nämlich über die Existenz Gottes? Weil damit ja gemeint ist: Ich glaube, dass Gott existiert, oder nicht. Es handelt sich folglich, objektiv betrachtet, um eine propositionale Aussage die man beweisen oder widerlegen könnte, oder kurz gesagt, mit der man sich aufgrund von Argumenten auseinandersetzen könnte. Das aber ist nur ein bloßer Schein. Im streng metaphysischen Sinne zu sagen, dass Gott existiert (oder nicht), sagt immer noch fast nichts über Gott, aus mindestens zwei Gründen:

  • Zuerst weil die Aussage noch nicht das zeigt, was sie in den Vordergrund rückt und weil, wie die Geschichte der Philosophie bestätigt, die Beweisführung pro und contra sich nicht von selbst versteht. Daher lässt die Aussage, und selbst die rein theoretische, alles unentschieden. Sie sagt daher, de jure, nichts Entscheidendes über Gott, außer dies: Was Gott betrifft, kommt die Entscheidung nicht Gott zu, sondern demjenigen, der ihn denkt. Was dann sogar die Metaphysik selbst als Idolâtrie bestätigt.
  • Dann zweitens, weil die Aussage voraussetzt, dass die Existenz Gott als Attribut zugeschrieben werden kann, was aber nicht selbstverständlich ist. Zuerst, weil Existenz zweifellos genauso wenig eine Definition zulässt wie der Begriff des Seins selbst, sodass sich über sie, würde man sie Gott zuschreiben, nichts sagen ließe. Und dann: Auch wenn die Existenz in diesem Fall eine Bedeutung annimmt (eine notwendige, unendliche, in-sich-seiende, usw. Existenz, die nur Gott zukommt) müsste man sie begreifen, und also wiederum in unsere univoken Begriffe des Seienden miteinschließen, damit wir folglich etwas Wirkliches denken. Nun aber verweist nichts unmittelbarer auf das Ego als dieses Seiende, das auf die Stufe eines bloßen Konzepts reduziert wird, das durch dieses Ego begriffen wird, und das begriffen wird als ein einfaches und reines [?...]. Von daher also noch einmal die Bestätigung des Seins selbst als Idolâtrie.

Gestehen wir also ein für alle mal den idolâtrischen Status jeder Aussage über Gott ein.

Tatsächlich, und wer wüsste dies nicht, geht meine Entscheidung über mich selbst dem Urteil über die Existenz Gottes voraus und bedingt es, sie resultiert nicht aus ihm. Niemand denkt: "Gott existiert nicht, also glaube ich nicht an ihn". Sondern im Gegenteil: "Ich glaube nicht an ihn, ich kann es nicht, oder ich will es nicht, also existiert er nicht." Was übrigens auch erklärt, dass "existieren" hier keinerlei Bedeutung hat, keinerlei Relevanz. Und wenn sogar die metaphysische Aussage sich als das herausstellt, was mehr auf denjenigen hinführt, der sie macht, als auf das, worauf sie abzielt, so wird dies noch umso mehr für diejenigen Aussagen gelten, die in direkter Weise denjenigen implizieren, der spricht. Zum Beispiel: Falls die Idolâtrie [...?] gilt, so bedeutet jede Aussage "Gott existiert in Wirklichkeit", dass er mit uns ist, also dass wir es sind, die existieren. Vor allem gegen die anderen. Es handelt sich dabei um eine Idolâtrie, die im eigentlichen Sinne politisch ist und die soweit geht, dass sie sich ohne Weiteres mit einer schlichtweg logischen Absurdität abfindet. "Gott existiert nicht, aber wir sind ein Volk". Oder anders gesagt: "Wir glauben nicht, dass Gott existiert, aber dies zu glauben, bleibt unser Privileg. Und dieses Privileg zeichnet uns gegenüber den anderen aus, die nicht einmal dazu auserwählt sind, Gott zu verneinen oder zu leugnen."

Aber die ganze Absurdität verschwindet, wenn man in Betracht zieht, dass Gott hier ausschließlich jene betrifft, die von ihn sprechen und keineswegs das, wovon sie zu sprechen behaupten. Dasselbe gilt für die Idole in der Moral. Und mehr als alles andere für die vermeintliche Frage nach dem Bösen, die ebenso unlösbar wie unsachgemäß gestellt ist. Nach gängiger Auffassung müsste diese Frage mit Gott verknüpft sein und zwar aufgrund des Prinzips des zureichenden Grundes, das für jede Wirkung eine Ursache verlangt, in diesem Fall also einen Schuldigen. Das Böse existiert, so sagt man, also muss man einen Grund für es finden, der nur Gott sein könnte. Dieses Argument, wenn es denn eines ist, taugt selbstverständlich nichts:

  • Zuerst, weil es ja sein könnte, dass das Böse streng genommen gar nicht existiert und folglich nicht die geringste Wirkursache verlangt sondern nur einen Mangel an Sein bezeugt und daher auch nicht unter den Satz vom Grund fällt.
  • Dann, weil die Schlussfolgerung, die aus Gott den universalen Verantwortlichen für das Böse macht, zwei Schlüsse erlaubt, die im Gegensatz zueinander stehen:
    • Entweder man sagt: "Gott existiert nicht, verdient es nicht zu existieren, da es das Böse tatsächlich gibt, das mit seiner vermeintlichen Güte unvereinbar ist." Oder man sagt:
    • "Gott muss existieren, genau deshalb, um ihn dafür anklagen zu können, das Böse heraufzubeschwören und ihn dazu zu verdammen, nicht mehr zu existieren." Gott muss aus seiner Nichtexistenz heraustreten, zumindest für die Zeit, in der man ihn anklagt. Er muss genau soweit existieren, dass seine Nichtexistenz selbst das Ergebnis meiner alleinigen und souveränen Entscheidungen sein kann. Zitat, von der einzigen Dichtung, von [Sartre?] geschrieben, im Gefängnis: "Ich wünsche mein Leben in Schoß des Atheismus zu legen, der niederträchtige Gott, der mich erschrecken soll, sei nun von mir begriffen. Wärst du fähig, einen Augenblick lang zu existieren, damit ich mich des Spaßes erfreuen mag, dich zu beleidigen."

Dem Widerspruch der Schlussfolgerungen "Gott existiert, aber er existiert nicht" ist dennoch eine gewisse Logik nicht abzusprechen, da ja jede These aus dem einzig entscheidenden Punkt des Arguments herrüht: Für das Böse einen anderen Verantwortlichen, eine andere Ursache zu finden, als mich selbst. Anders gesagt: Das Argument, bezogen auf Gott, hat nichts als das Symptom meiner eigenen Situation anzubieten. Ich bin unglücklich und böse, also existiert Gott nicht, oder im Gegenteil, also muss er existieren um dafür verantwortlich zu sein. Der Widerspruch verschwindet, noch einmal, sobald man ihn von einem ethischen Standpunkt aus betrachtet, der im vorliegenden Fall auf den idolâtrischen Standpunkt meiner selbst hinausläuft, der ich von Schuld besessen bin und der seine eigene Unschuld beteuert.

Man muss zuerst das in Klammern setzen, was der eine oder andere über Gott glaubt, da diese Aussagen ja nur jene betreffen, die sie äußern und stützen. Die Frage betrifft möglicherweise Gott nur dann, wenn der Unterschied zwischen dem der glaubt und dem der nicht glaubt aufgehoben ist und damit auch alle anderen Unterschiede, diejenigen zwischen Juden und Christen, Sklaven und freien Menschen, zwischen Männern und Frauen selbstverständlich, zwischen Atheisten und Theisten, Philosophen, Männern von Welt, Journalisten, und so fort; vor allem der Unterschied zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen, denn diese glauben alle beide, dass das, was sie glauben, sowohl Gott als solchen vorstellen würde, während in Wirklichkeit ihre Überzeugung nur dazu dient, meistenfalls jedenfalls, sich selbst eine Identität zu sichern, die ansonsten sehr zweifelhaft bliebe.

Die Reduktion der Idee Gottes

Die Frage nach Gott kann möglicherweise nur dann auf ihn abzielen, wenn sie freibleibt von allen Antworten die ihn von Idolâtrie aufgedrängt werden. Es bleibt also nur die Frage nach Gott auf Gott sozusagen zurückzuführen, indem man Gott alle [...] metaphyischen Antworten in Klammern setzt. Wenn es sich daher als möglich herausstellen sollte, alle Idolâtrien zu reduzieren, und wenn dann in diesem Fall noch ein Rest zu sagen und zu sehen sein sollte, dann wäre es angemessen, diesen Rest Gott als dem Unreduzierbaren zuzuschreiben.

Dass eine solche Reduktion von Gott auf Gott in Betracht gezogen werden muss, und bis zu einem gewissen Grade sogar durchgeführt werden kann, hat Husserl selbst dargelegt (in Ideen 1, Sektionen 58[5]). Doch bis zu welchem Grade? Die Philosophie muss hier zugestehen, dass sie auf diesem Wege nicht wirklich weit vorankommen kann und deutlich diesseits der Theologie zum Stillstand kommt. Aber sie kann noch zumindest einige erste Schritte auf den Weg gehen zu [...] Gott, d.h. in der Zurückführung von Gott auf Gott. Die Idee von Gott drängt sich ständig auf, selbst wenn die Existenz in Klammern gesetzt ist. Der Wegfall der Existenz schließt Gott als Frage nicht aus, sondern er erlaubt es, sie in ihrer Einzigartigkeit und Vorgängigkeit näher zu bestimmen. Zunächst deshalb, weil Gott die Existenz zuzuschreiben nicht selbstverständlich ist, da sie sich entweder aufgrund der Universalität des Seienden als überflüssig, oder aber aufgrund der Mehrdeutigkeit des Seienden als unverständlich erweist. Und dann, weil der Mangel an Existenz, die negative Existenz, immer wieder gefordert wird, um Gott als Gott zu denken.

Damit sich also der Tod Gottes nicht einfach auf den Tod eines bloßen Idols beschränkt, sondern auch den wahren Gott betrifft, muss vorausgesetzt werden, dass ein Gott ohne Sein Gott bleibt, damit das was stirbt ohne Existenz immer noch das göttliche Wesen ist. Und damit ein neuer Gott sich uns allein als ein wahrer Gott ereignen kann, muss man ebenso zugeben, dass das, was im Kommen bleibt, wenn auch noch ohne Existenz, dennoch bereits den Namen eines Gottes verdient, auch wenn diese Forderungen widersprüchlich und unbeweisbar erscheinen, sie mögen es tatsächlich sein, so könnte dies dennoch manche unter den größten Denker nicht daran hindern sie zu unterstüzten. Vor allem, und weil Gott sich mehr als durch seine metaphysische Identifikation mit der Existenz selbst gerade dadurch als solcher auszeichnet, dass er über die Existenz und über das Sein im Allgemeinen hinausgeht. Um dies zuzugestehen, genügt es zu bedenken, dass die Göttlichkeit und Größe Gottes nicht in der univoken Abstraktion der Existenz von Tatsachen gedacht werden können oder dürfen. Die Existenz hat nur Sinn und Berechtigung für das, was die Welt als Seiendes enthüllt, das in ihr zu sein hat, nicht aber für das, was sich in der Welt nur im Modus dessen manifestiert, was in ihr nicht dauerhaft ist. Wenn Gott sich jemals unserer Welt offenbart, dann offenbart er sich in ihr so, dass er nicht in ihr ist, seinen Seinsmodus, seine Existenz nicht aufhebt. Was Gott, und er allein, unter den Namen Schöpfung und Auferstehung vollbringt, besteht darin, die Unterscheidung zwischen Sein und Nicht-Sein außer Kraft zu setzen, das was ist umzukehren, und das was nicht ist auf das Konto dessen zu überweisen, was ist.

In der Reduktion: Gott gibt sich als exception, die sich der Reduktion widersetzt

Die Idee Gottes kann also von der Existenz nicht nur abgelöst werden, sondern es ist gerade das Außer-Kraft-Setzen der Existenz, das Gott als solchen näher bestimmt. Darum kann derjenige, der Gott verneint als auch derjenige, der ihn bejaht, es mit umso größerer Bestimmtheit tun, wie sie ihn von der Existenz befreien. Denn Gott geht über die Existenz in sich hinaus, seine Idee setzt diese folglich in Klammer. Kann man die Idee Gottes jenseits der Existenz nicht redzieren? Jenseits, oder besser noch diesseits der Existenz, wie das Wesen selbst, das Wesen das die Möglichkeit jedes Seienden durch seine Nicht-Widersprüchlichkeit bestimmt. Hat die Idee Gottes also über seine Möglichkeit hinaus Bestand? Oder anders gesagt: Lässt sich Gott in der Situation der Unmöglichkeit denken? Es scheint selbstverständlich zu sein, dass kein Wesen, keine Definition und keine Aussage der Möglichkeit widersprechen kann, nicht sich selbst widersprechen kann, indem es sich die Unmöglichkeit auferlegt, um seiner eigenen Unmöglichkeit [zu entkommen]. Aber wenn die Idee Gottes für Gott tauglich ist, d.h. wenn man Gott als den annimmt, als der er sich gibt, nämlich als Ausnahme[...] par excellance vom Wesen, von der Definition, von der Aussage, dann bleibt die Idee Gottes nicht undenkbar im Zustand der Unmöglichkeit, sondern dann zeichnet sie sich gerade durch diese einzigartige Möglichkeit aus, nämlich durch die Möglichkeit der Unmöglichkeit. Gott bürdet es seiner Idee auf, seine Möglichkeit in ihr eingeklammert zu lassen. Seine Unmöglichkeit verbietet nicht die Idee Gottes. Denn wenn es um Gott geht, wird die Unmöglichkeit selbst unmöglich.

Der Unterschied zwischen dem Sterblichen und dem Göttlichen, oder genauer noch zwischen dem Menschen und Gott, lässt sich zunächst nur vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Einstellung gegenüber der Unmöglichkeit bestimmen: Die Menschen definieren sich als Sterbliche gemäß dem Gegensatz zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen. Sie leben im Möglichen nur solange, wie dieses besteht, und sie sterben, sobald das Mögliche dem Unmöglichen unterliegt. Ihr Tod setzt sie der Unmöglichkeit aus, weil die Unmöglichkeit selbst auf eine noch unbedingtere Weise ihnen ausgehend von der Unmöglichkeit der Möglichkeit den Tod eröffnet. Die Sterblichen leben im Möglichen und sterben im Unmöglichen. Wenn es sich aber um Gott handelt, dann geht es dabei im Gegenteil um das Unmögliche. Insofern es um das Unmögliche geht, muss es sich um Gott handeln. Es handelt sich um Gott, wenn das Unmögliche sich ereignet, wenn er das Unmögliche bewirkt. Zitat: "Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott. Denn für Gott ist alles möglich" (Markus 10,27). Diese Formel definiert tatsächlich die Grenzen des Menschen und das Vorrecht Gottes. Anders gesagt: Die Aussage, dass nichts für Gott unmöglich ist, muss als eine analytische, tautologische und apriorische Aussage verstanden werden. Daher erscheint es auch unmöglich, dass die Idee Gottes das Unmögliche nicht umfasst. Und es scheint auch ein Widerspruch zu sein, dass sie dem Widerspruch nachgibt. Nur solange das Denken nicht in den Bereich des Unmöglichen eintritt oder zumindest nicht dessen Grenzen berührt, die für uns unüberschreitbar sind, kann es sich nicht im Eigentlichen um Gott handeln. Solange es um das Mögliche geht, das logisch- aber auch das faktisch-existenziell Mögliche, begnügt sich der Mensch damit, es in aller Gelassenheit zu verwalten. Und die Sterblichen haben dabei weder das Bedürfnis, noch einen Grund, darin nach Gott zu rufen. Aber sobald man Zugang zum Unmöglichen erlangt, oder besser gesagt: Gerade keinen Zugang zu ihm erlangt, sobald man auf es stößt, dann tut sich für sie ein Bereich auf, in dem es sich um Gott handeln kann. Nicht dass es genügen würde, das Unmögliche zu erfahren, um eine Erfahrung Gottes zu machen, so als ob jedes Unmögliche für uns schon ausreichen würde, um von Gott eine Idee zu bekommen. Doch sobald sich der Bereich des Unmöglichen einmal geöffnet hat, genügt es, dass etwas in einen Widerspruch zu ihm stehen kann, damit wir das Recht haben, ihm die Bezeichnung Gott zu verleihen. Wenn und solange dieses "Das ist unmöglich" [?...?] erkennen kann, dann und nur dann kann es sich um Gott handeln. Aber das Unmögliche bleibt per definitionem und ganz offensichtlich für uns immer ein Unmögliches so wie für Gott seine Differenz zum Möglichen verschwindet. Ein solches Unmögliches aber hat nur in unserem Begriff einen Sinn. Und auch das Unmögliche und unserem Begriff verständlich gemäß analytischen,tautologische Aussage a priori. Daraus folgt, dass das Unmögliche für uns sowie es unsere Endlichkeit und jeder unserer Begriffe definiert, Gott nicht de-finieren kann, oder vielmehr nur das Symptom seiner Wirkung auf unsere Endlichkeit definieren würde. Es erweist sich daher als unmöglich zu sagen: Gott ist unmöglich. Denn die Unmöglichkeit, ihn zu begreifen, das heißt, ihn mit unserem Begriff zu begreifen, ist das was Gott ausdrücklich und genau genommen in erster Linie kennzeichnet. Das bedeutet nicht, dass alles Unmögliche mit Gott gleichzustellen wäre, aber ohne etwas Unmöglichen wäre es nicht mehr möglich, dass von Gott die Rede sein könnte. Denn wenn es nicht genügend Unbegreifliches und Unmögliches gibt, damit von Gott die Rede sein kann, wenn es sich nocht nicht um Unmögliches und auch noch nicht um Unbegreifliches handelt, dann könnte es sich sehr wohl auch nur um ein Idol handeln. Die Unmöglichkeit für uns, einen Begriff von Gott zu haben, definiert sein Wesen. Dass Gott nur Gott allein begreiflich wird und uns also unbegreiflich bleibt, dies hat nichts Unbegreifliches und auch nichts Absurdes an sich. Würde Gott begreiflich und möglich werden ohne damit unserer Endlichkeit zu widersprechen, so würde vor allem dies als unbegreiflich und absurd erscheinen. Gott allein geht über seine Unmöglichkeit für uns hinaus, Gott übersteigt völlig das Wesen und die Existenz Gottes. Die Idee von ihm bleibt für uns denkbar, selbst nach der Einklammerung seiner Existenz und seines Wesens, vor allem nach dieser Reduktion.

Nach der Reduktion: Kein Entkommen vor dem Einfall Gottes

Zum Schluss: Wir können unmöglich von Gott keine Idee haben, vor allem nicht nach der Reduktion. Unreduzierbar gibt sich die Idee Gottes als diejenige, die man nicht nicht haben kann, weil ihre mögliche Unmöglichkeit sie für uns näher bestimmt. Man könnte sie dadurch mit einer Bedeutung ohne Inhalt oder einer Vorstellung ohne Gegenstand vergleichen. Denn die Besonderheit von Widersprüchen und Unmöglichkeiten besteht darin, dass wir sie uns weder als Seiende noch als Gegenstände vorstellen können, aber sie dennoch denken, und sei es auch nur, um sie als Widersprüche oder Unmöglichkeiten zu identifizieren. Wir denken sie folglich - ohne Vorbedingung - als reine Gegebenheiten. Und so verhält es sich auch mit der Idee Gottes. Sobald die Möglichkeit Gottes nach der Reduktion einmal auf sich reduziert ist, kann sie uns nicht mehr als Vorstellung von irgendetwas zukommen. Trotzdem ereignet sie sich für uns, nämlich als etwas Unreduzierbares. Denn um eine Definition Gottes zu kritisieren, sie in ihrer Unangemessenheit zu beanstanden, oder ihre Unmöglichkeit oder Unverständlichkeit herauszustellen, muss man streng genommen schon einen Zugang zu ihr haben. Und wir haben tatsächlich immer einen Zugang zu ihr. Niemand kann leugnen, eine Idee von Gott zu haben, von demjenigen, den wir alle kennen, zumindest dem Namen nach. Das ist eine ein wenig komische Formulierung von Jules Renard:

"Dieu, celui que tout le monde connaît, de nom."
(Jules Renard / 1864-1910 / Journal - 14 avril 1894)

Wie erscheint sie uns, diese Idee Gottes? Auch hier wieder als Gegebenes. Gemäß der minimalistischen Bedeutung als eine reine Gegebenheit. Zitat von Descartes: "wenn es die Idee Gottes gibt, und es ist offenkundig das es sie gibt..." Weniger deshalb, weil der Gegenstand unter Seiendem fehlt, sondern weil es dabei um das geht, was in keinster Weise, in keinster Form als Gegenstand irgendeiner Vorstellung dienen kann. Das wodurch Gott ins Denken einfällt setzt nichts voraus, nicht einmal das Nichts und bleibt auf nichts reduzierbar, nicht einmal auf die Reduktion. Das Unreduzierbare zwingt sich auf wie das Unwiderrufliche: die Unmöglichkeit Gott zu entkommen. Das ist eine Formulierung von Levinas[6].

Anmerkungen

  1. Ein bisschen Kontext: Spinoza setzt ein axiomatisches System ein, das von einem unendlichen Wesen ausgeht und fragt sich durch deduktive Explorationen, wie unser kognitiver und körperlicher Apparat in Gott aufgehoben ist. Schlussendlich soll gezeigt werden, dass "das unendliche Wesen Gottes und seine Ewigkeit allen bekannt sind", und weil sie allen bekannt sind, kann Spinoza schon zu Beginn der Ethik "aus dieser Erkenntnis sehr viel adäquate Erkenntnis ableiten". Dass das unendliche Wesen Gottes aber so schwer zu begreifen ist, besteht darin, dass das Phänomen, mit einem Namen "Gott" versehen, suggeriert, dass es ein sichtbares Einzelding gäbe, das mit diesem Namen bezeichnet würde. Denn so kommunizieren wir üblicherweise. "In der Tat bestehen die meisten Irrtümer darin allein, daß wir den Dingen ihre Benennungen nicht genau anpassen." "[... W]ie leicht man sich täuscht, wenn man das Allgemeine mit dem Einzelnen und die Dinge, welche nur in der Vernunft sind, das Abstrakte, mit den wirklichen Dingen vermengt."
  2. Der im Vortrag erwähnte Lehrsatz 17 in Spinozas Ethik lautet: "Wenn der menschliche Körper von einer Erregungsweise erregt ist, welche die Natur eines äußerlichen Körpers in sich schließt, so wird der menschliche Geist diesen äußern Körper als wirklich existierend oder als gegenwärtig betrachten, bis der Körper eine andere Erregung empfängt, welche die Existenz dieses Körpers oder seine Gegenwart ausschließt."
  3. Die Stelle, auf die Marion Bezug nimmt, findet sich in den Anmerkungen zu diesem Lehrsatz: "Außerdem verstehen wir jetzt vollkommen (aus dem vorigen Zusatz und dem Zusatz II zu Lehrsatz 16 dieses Teils) den Unterschied zwischen der Idee z.B. des Peter, welche das Wesen des Geistes des Peter selbst ausmacht, und zwischen der Idee von Peter, welche in einem andern Menschen, etwa in Paul, ist. Denn jene drückt das Wesen des Körpers des Peter selbst direkt aus und schließt die Existenz nur ein, so lange Peter existiert. Diese dagegen zeigt mehr den Zustand des Körpers des Paul als die Natur des Peter. Daher wird der Geist des Paul, solange jener Körperzustand des Paul dauert den Peter, auch wenn er nicht existiert, als sich gegenwärtig betrachten."
  4. Deutsche Übersetzung: "so setzen sie in Gedanken wirklich sich selbst an Stelle Gottes, den sie mit ihren Gedanken nicht zu erfassen vermögen, und vergleichen nicht Gott mit Gott, sondern sich mit sich selbst"
  5. Husserl schreibt an dieser Stelle: "Die systematische Erforschung aller Teleologien, die in der empirischen Welt selbst zu finden sind, z. B. die faktische Entwicklung der Reihe der Organismen bis zum Menschen hin [...] ist mit den naturwissenschaftlichen Erklärungen all solcher Gebilde aus den gegebenen faktischen Umständen und nach den Naturgesetzen nicht erledigt. Vielmehr führt der Übergang in das reine Bewußtsein durch die Methode der transzendentalen Reduktion notwendig zur Frage nach dem Grunde für die nun sich ergebende Faktizität des entsprechenden konftituierenden Bewußtseins [... zur Frage nach einem Vernunftgrund ...]. Was uns hier angeht, ist, dass [ein außerweltiches "göttliches" Sein] nicht bloß der Welt, sondern offenbar auch dem "absoluten" Bewußtsein transzendent wäre. Es wäre also ein "Absolutes" in einem total anderen Sinne als das Absolute des Bewußtseins, wie es andererseits ein Transzendentes in total anderem Sinne wäre gegenüber dem Transzendenten im Sinne der Welt. Auf dieses "Absolute" und "Transzendente" erstrecken wir natürlich die phänomenologische Reduktion. Es soll aus dem neu zu schaffenden Forschungsfelde ausgeschaltet bleiben, sofern dieses ein Feld des reinen Bewußtseins selbst sein soll." (Download von Husserls Ideen 1 (1913) als PDF vom Freiburger Dokumentenserver)
  6. Levinas im Zusammenhang mit dem Phänomen der Scham: "Was in der Scham zur Erscheinung kommt, ist also genau das An–sich–selbst–Gefesseltsein, die radikale Unmöglichkeit, uns selbst zu entkommen, uns vor uns selbst zu verstecken: die unverzeihliche Selbstgegenwart des Ich. [...] unsere Gegenwart vor uns selbst, ist Anlaß der Scham. Sie enthüllt nicht unsere Nichtigkeit, sondern die Gesamtheit unserer Existenz." (Zit. bei einer Proseminararbeit an der Universität Zürich von Timon Georg Boehm: Ansätze zu einem Verständnis von Scham vor dem Hintergrund des Griechischen aidos (2006))