Benutzer:Panopeia/WS08-OSP-03-17 10 08
Inhaltsverzeichnis
- 1 Open Source Philosophie – Einheit 03: 17.10.2008
- 1.1 Einleitende Bemerkungen
- 1.2 Kurze Exkursion: athenische Demokratie - Perikles volksnah
- 1.3 Geistiges Eigentum und die Verkäuflichkeit von Gedanken
- 1.3.1 Erstes Hauptkapitel – Warum Demokratiedilemma?
- 1.3.2 Philosophie - Geld - Ökonomie
- 1.3.3 Kommerz- vs. Philosophiefraktion: Kann man Gespräche finanziell abwickeln?
- 1.3.4 Die Abhängigkeit des Nichtwissenden und das Erfordernis des Wissens
- 1.3.5 Ökonomische Fragestellung und Open Source Software: Warum Wissen gratis zur Verfügung stellen?
- 1.3.6 Sokrates, der erste Open Source Vertreter
- 1.4 Frage aus dem Auditorium – Warum kann diese Art der „Bezahlung“ nicht auch im Fall der Baukunst gelten?
- 1.5 Peer review und die Anerkennung unter Gleichberechtigten
- 1.6 Das sokratische Qualitätsprüfungsverfahren von Wissensansprüchen: Die Elenchos-Methode
- 1.7 Frage aus dem Auditorium: Ist Sokrates nie der Gedanke gekommen, dass Wissen auch etwas kostet?
- 1.8 Aus dem Auditorium – Akademische Tätigkeit im alten Griechenland eine Freizeitbeschäftigung?
- 1.9 Rhetorik der Nutzlosigkeit und deren Nutzen
- 1.10 Zurück zur Elenchos-Methode – „Wir halten während der Analyse Dialog!“
- 1.11 Methodologie allgemeiner - unterschiedliche Formen der Wissensproduktion
- 1.12 Aus dem Auditorium: Warum ist die Elenchos-Strategie eine Form der Wissensproduktion, wenn sie dekonstruiert?
- 1.13 Aus dem Auditorium: Ergebnislose Wissensproduktion?
Open Source Philosophie – Einheit 03: 17.10.2008
- Vortragender: Herbert Hrachovec
- Zur Stoffzusammenfassung: Geistiges Eigentum und Verkäuflichkeit
Einleitende Bemerkungen
Verfügbarkeit von Mp3’s zur Vorlesung – Experiment und Sonderheit
Es ist erstaunlich, wie etwas was man als Experiment und als Sonderheit betrachtet, relativ schnell zu einer Selbstverständlichkeit wird. Auf die Frage: „Wo gibt's das Mp3 zur letzten Vorlesung", mit der zusätzlichen Anmerkung, dieses noch vor der nächsten Vorlesung hören zu wollen, kann ich zunächst einmal mit der Gegenfrage: „Wo gibt's überhaupt Mp3's für Vorlesungen" antworten. Die zweite, konstruktivere Antwort ist: „in der philosophischen Audiothek". Zur leichteren Handhabung sind die entsprechenden Links direkt auf der Hauptseite zur Vorlesung zur Verfügung gestellt.
Mitarbeit, Mittschnitte, Transkription, Zeugniserwerb
Der zweite Punkt, der die Mitarbeit bzw. Mitschnitte betrifft, bezieht sich auf das Transkript, das Andreas Kirchner von der ersten Vorlesung angelegt hat und auch von der zweiten Vorlesung gerade dabei ist anzulegen. Nachdem ich in der letzten Einheit vermutet habe, dass er die Transkripte mit Hilfe eines Spracherkennungsprogramms erstellt, teilt er uns hier mit, dass er auf die Idee, eine bestimmte Software zu verwenden, noch gar nicht gekommen ist und derzeit nur einen Audioplayer, ein Office Programm und seine Fähigkeit, schnell zu tippen, verwendet. In diesem Zusammenhang ist zu sagen, dass diese Leistung einer einzelnen Person allen zugute kommt, aber auch ein nicht unerheblicher Aufwand ist. Darum finden Sie hier am Ende die Message: "Part 2 - coming soon - Hilfe erwünscht". Ich kann dieses Hilfeansuchen einerseits rhetorisch stark unterstützen, andererseits mit ein bisschen einem Incentive und mache daher den Vorschlag, wenn Sie eine Vorlesung dieser Art transkribieren und so aufbereiten wie Andreas Kirchner das macht - wobei sich deutlich machen sollte, dass Sie nicht nur blind tippen, sondern den Inhalt strukturieren und wichtige Stellen auszeichen etc. - dann bekommen Sie dafür auch ein Zeugnis. Die Transkription einer Vorlesungseinheit wäre, neben einer aktiven Teilnahme am Wiki, die ich Ihnen bereits vorgeschlagen habe, eine weitere mögliche Form des Zeugniserwerbs. Hierzu allerdings noch eine Anmerkung: Ich habe ein bisschen Bedenken gegen diesen Vorschlag deswegen, weil man das als „Studierende für sich selber arbeiten lassen" betrachten könnte - nämlich „für mich arbeiten lassen" - eine schöne sprachliche Verwirrung an dieser Stelle [...] Dieser Punkt hat mich zögern lassen, aber - und das ist ein wesentlicher Punkt in Bezug auf das Thema, auf den ich immer wieder zurück komme - Studierende, die Vorlesung für sich selber abtippen lassen, heißt eben auch für die Studierenden und damit für uns alle. Es handelt sich hierbei somit um eine Aktion, die sich jenseits der traditionellen Muster davon, wie eine Vorlesung üblicherweise von statten geht, nämlich „da gibt's jemanden dessen Vorlesung ist das, der hat das Wissen abzulassen, und Sie haben das Wissen aufzufangen" - zumindest versuchsweise - bewegt und damit auch diese Form der Qualifikation akzeptabel macht. Wenn Sie diese Möglichkeit nutzen wollen, dann schlage ich vor, dass Sie Andeas Kirchner auf seiner Wiki-Page eine Notiz hinterlassen, damit er die Sache koordinieren kann. (Aufteilung der Transkripterstellung)
Weiterer Verlauf der Vorlesung
Ich möchte jetzt die Politik, sowohl gegenwärtig als auch in Griechenland hinter mir lassen - bis auf einen kleinen Exkurs, den ich mir nicht verkneifen kann, um nochmal eine weitere Facette in diesem athenischen radikalen Demokratieansatz zu beleuchten. Danach werde ich mich für diese Stunde und vermutlich auch die nächste in eine griechische Philosophieumgebung begeben und werde Ihnen Stellen aus platonischen Dialogen explizieren, die die Absicht haben, Ihnen die Entstehung der Philosophie aus diesen politischen Kontexten und in Hinblick auf Überlegungen zu geistigem Eigentum und zur Verkäuflichkeit von Gedanken darzustellen.
Kurze Exkursion: athenische Demokratie - Perikles volksnah
Diese eine kleine Exkursion finden sie hier in den Präliminarien unter Perikles volksnah. Hier habe ich Ihnen eine Verweisung auf eine Notiz im Perseus Projekt zur Verfügung gestellt. Perseus Projekt ist ein ausgesprochen reichhaltiges Materialien- und Textprojekt, das für antike Themenstellungen ganz allgemein schon vor langer Zeit angelegt worden ist. Ich verwende das an dieser Stelle als einen kurz zusammenfassenden Hinweis auf eine Problemstellung, die Sie im Netz auch anderswo finden, und die mit der athenischen Demokratie etwas Wichtiges zu tun hat: Perikles gilt als die Hauptinstanz bzw. der Träger und Garant dieser Form der athenische Demokratie. Zu Beginn seiner politischen Karriere hat er einen Schachzug gemacht, der uns aus völlig anachronistischer Sicht heutzutage sehr bekannt vorkommt: Perikles hat ein Staatsbürgerschaftsgesetz eingereicht, welches auch von der Mehrheit beschlossen wurde und besagt, dass nur diejenigen Kinder athenische Staatsbürger sein dürfen, die sowohl einen Vater als auch eine Mutter in Athen haben. „Wir sind zu Hause in Ordnung" oder „Daham is daham" heißt das in einem gegenwärtigen politischen Jargon. Um es in einer objektiveren Art und Weise zu sagen: Ein Gemeinwesen mit bestimmten Errungenschaften der Mitbestimmung, der Demokratie, das gleichzeitig aufgrund von Silbervorkommen und der imperialen Geste von Athen, ein ausgesprochen wohlhabendes ist, beschließt ein Gesetz, welches besagt, dass niemand anderer Teil dieser Gemeinschaft sein und am Reichtum teilhaben darf. Dieser Punkt ist mir deswegen wichtig, weil man sehen muss, dass demokratische Verhältnisse nicht nur die Züge haben, die ich das letzte Mal sehr deutlich gemacht habe, nämlich die Züge eines Nivellierens bzw. auch eines Empowerment. Wir kommen darauf noch zurück. Es gibt also diese Ermächtigungszüge, die darin liegen, dass die alten Hierarchien nicht mehr laufen und es gibt - wie wir sehen werden - ganz spezifische Probleme mit dem Abbau dieser Hierarchien. Noch bevor es diese Probleme gibt, muss man aber auch sehen, dass es in der Logik dieser Form von Gemeinwesen, schon in Athen genauso wie bei uns auch, Abschlusstendenzen gibt. Um es noch ein bisschen provokanter zu sagen: aus der Gewerkschaftspolitik ist bekannt, dass sich diese - wenn man's vorsichtig formuliert - immer in dieser Spannung befindet, nämlich zwischen Schutz und Unterstützung derjeniger, die schon drinnen sind, gegen die, die nicht dabei sind, aber hinein wollen, gegen die man sich dann quasi verteidigen muss und die nicht Schutz in diesem Zusammenhang beanspruchen können, weil sie auch nicht die Mitgliedsbeiträge über Jahre bezahlt haben. Aber auf der anderen Seite ist es nie so eindeutig, sondern vielmehr so, dass diese Form von Solidarität (die sich darin zeigt und sich damit verbindet, dass es hier um Selbstverteidigung und Selbstgestaltung geht), von der Logik her einen allgemeineren Aspekt hat. Es besteht hier einfach ein eklatanter Bruch zwischen den Versprechen der Selbstbefreiung, Selbstverteidigung, Selbstgestaltung und der Linie, die man dann zieht: „Du hast keine athenische Mutter? - Pech gehabt!". Das ist eine Sache, die nicht nur in Athen eine Rolle spielt. Sie können sich die Details, hier in diesem Perseus Projekt Eintrag zumindest von der Basis her auch ansehen.
Geistiges Eigentum und die Verkäuflichkeit von Gedanken
Erstes Hauptkapitel – Warum Demokratiedilemma?
Die Antwort darauf habe ich jetzt gerade angedeutet. Sie bezieht sich auf das Spannungsverhältnis, welches darin besteht, dass es eine Entgrenzung bzw. Enthierarchisierung gibt, die - verbunden mit einer möglichen Neugestaltung - selber wiederum problematisch ist. Ich habe Ihnen das letzte Mal in kurzen Abrissen etwas über die Sozialsituation in Athen angedeutet, aus der diese Art von Fragen entstehen. Ich werde jetzt in der eher klassischen philosophischen Art und Weise nicht auf die sozioökonomische Basis zurückkommen, sondern mich an den Texten orientieren, die wir als Reaktion auf diese Form von Umständen überliefert haben und die uns eine philosophische Lehre darstellen.
Philosophie - Geld - Ökonomie
Ich beginne mit drei Textzitaten, die ich aus der Politeia und dem Gorgias herausgehoben habe. In diesen Zitaten fokussiere ich auf die wesentlichen Dinge, die mit Philosophie und Geld zu tun haben. Es geht dabei zunächst um die Debatte darüber, in welchem Zusammenhang es steht, dass wir gedanklich tätig und gleichzeitig wirtschaftliche Wesen sind. Es handelt sich dabei um Highlights, die zeigen und belegen sollen, dass ich mir meine Darstellungen der griechischen Philosophie nicht willkürlich aus dem Hut zaubere, nur weil Philosophen viel mit griechischen Texten zu tun haben und ich quasi diese Texte in eine Open Source Vorlesung hineinzerren möchte. Ich will Ihnen vielmehr zeigen, dass dieser Aspekt in den griechischen Texten als Problem angesprochen wird. Im Anschluss daran, möchte ich zwei Dialoge genauer betrachten und Ihnen die entsprechenden Kontexte vorführen, um Sie mit den Details in den Texten vertraut zu machen, um die es hier geht.
Kommerz- vs. Philosophiefraktion: Kann man Gespräche finanziell abwickeln?
Thrasymachos ist ein Sophist, d.h. ein bezahlter Wanderlehrer, der im ersten Buch des Staats von Platon auftritt und dem Projekt des Sokrates gegenüber ausgesprochen unwillig ist. Er sagt mehr oder weniger: „also diese platonischen Dialoge sind ja zum Teil auch wirklich unterhaltsam und amüsant zu lesen...Sokrates mit seinem ganzen Gelabere in Zusammenhang mit Gesprächsführung und Wahrheit..das ist eigentlich nur ärgerlich". Er will Sokrates also zunächst einmal belehren. Wir haben ein Projekt „Platons Staat interaktiv", wo wir uns mit dieser Sache näher beschäftigen wollen. Ich nehme diesen Kontext jetzt aber ein bisschen heraus und bringe Ihnen die entsprechenden Zitate hier im Hauptkapitel: Das Demokratiedilemma:
(Thrasymachos) Wie ist's nun, sprach er, wenn ich in betreff der Gerechtigkeit eine Antwort zum besten gebe, die anders ist als alle diese und besser als sie: wozu erbietest du dich dann?
Man muss dazu sagen, bevor er das sagt, hat Sokrates mit Polemachos (link) schon über Gerechtigkeit geredet und zwar in der charakteristischen non-conclusive Form; d.h. er ist da nicht wirklich zu einem Resultat gekommen. Und Thrasymachos sagt nun ganz einfach: „also, statt eurer Herumrederei, sage ich euch jetzt, was man über Gerechtigkeit zu sagen hat...und, was bekomm ich dafür?".
(Sokrates) Zu was anderem, erwiderte ich, als was gebührendermaßen der Nichtwissende zu leiden hat? Und das ist: zu lernen von dem Wissenden. Dem will denn auch ich mich unterziehen.
In der sokratischen Voraussetzung steckt drinnen, dass im Bereich des Gesprächs zwischen Freunden oder in Zusammenhang von Feste und Marktauseinandersetzungen, ein give and take vorhanden ist; eine Art Symposium-Charakter: jeder gibt zum Besten, was er zu sagen hat; eine Geschichte, einen Witz oder sonstiges. Ich werde auf diese Sache später noch bei den Diskussionsbeiträgen, die wir für diese Sequenz schon haben, zu sprechen kommen. Der eine Teil der Antwort von Sokrates wäre also die Vorstellung: „wenn du mit mir sprichst, dann ist es doch gebräuchlich, das wir uns nicht, nachdem wir miteinander gesprochen haben, eine Rechnung vorlegen". Man stelle sich vor: Zwei Leute treffen sich auf der Straße, fragen wie es dem jeweils anderen geht, einer der beiden will wissen, wann die nächste Vorlesung stattfindet und der eine antwortet: „Ja kann ich dir schon sagen, aber nur dann, wenn du mir einen Euro dafür gibst". Also Gespräche finden im Sinne Sokrates auf der Basis nichtfinanzieller Abwicklung zwischen Gleichberechtigten statt. Sie kennen vermutlich genau die Irritation, wenn Sie sich im Ausland befinden, jemanden nach dem Weg fragen und dieser Geld für seine Auskunft verlangt. Von dieser Situation spreche ich hier.
Die Abhängigkeit des Nichtwissenden und das Erfordernis des Wissens
Dass Sokrates sagt, in Gesprächen wäre eine Bezahlung nicht gebräuchlich, ist also ein Teil des Punkts von Sokrates. Der zweite Teil bezieht sich auf die Aussage: „...was gebührendermaßen der Nichtwissende zu leisten hat". Und das ist natürlich jetzt gerade der Punkt: Denn, wenn ich den Weg nicht weiß, dann bin ich ein Nichtwissender und damit angewiesen auf Antworten. Ich bin als Nichtwissender in einem Gespräch in einem asymmetrischen Verhältnis. Hierbei ist es ist nicht so angelegt, das wir gegenseitig gleichwertige Beiträge austauschen, sondern es wird der Maßstab des Wissens anlegt. D.h. wenn es in einem Gespräch nicht einfach um Unterhaltung, Zeitvertreib, Plauderei oder sonst etwas geht, sondern um das Erfordernis des Wissens, indem eine Fragestellung vorausgesetzt ist, die man in irgendeiner sinnvollen Art und Weise gemeinschaftlich verfolgen will, dann setzt das voraus, dass man etwas weiß; dass man Wissen in die Waagschale wirft und dieses verteidigen und vertreten kann.
Ich habe das in dem gestrigen Platon-Seminar an einem Schuster-Beispiel ausgeführt, v.a. weil Schuster bei Platon häufig vorkommen. Wenn man sich ein bisschen mit Schuhwerk und dem Produktionssektor bei Schuhen umsieht, dann findet man dabei so etwas wie das Kürzel "Mbt". Die Frage, die sich in dem Zusammenhang sofort ergibt, ist: „Was ist 'Mbt'?“ Dazu muss man etwas wissen. Es gibt an dieser Stelle eine Antwort: „Marsai Barefoot Technology", womit Schuhe gemeint sind, die einen wiegenden Charakter haben und quasi die Barfuß-Bewegung auf einem afrikanischen Steppenboden simulieren. Warum dieses Beispiel? Wenn ich eine Frage ernsthaft verfolgen will, dann brauche ich jemanden, der die Kompetenz hat diese Frage zu beantworten. An dieser Stelle ist das der/die Wissende, an die ich gebunden und von der ich in diesem Fall abhängig bin. Gerade die Frage nach dem Charakter dieses „Wissens" - also die Frage: Was ist eigentlich darunter zu verstehen bzw. worin besteht diese Kompetenz des Wissens? - ist eine der wichtigen platonischen Fragen.
Ökonomische Fragestellung und Open Source Software: Warum Wissen gratis zur Verfügung stellen?
Im Fall der genannten Beispielsfrage ist es nun so, dass Sie etwas brauchen und in einer Situation sind, das von jemandem zu verlangen. Hier ergibt sich nun in diesem ersten Zusammenhang die prinzipielle Diskrepanz, die bei Thrasymachos hier auftritt, nämlich insofern als auf der einen Seite jemand sagt: "ok, ich sag's dir" und die Hand aufhält; also Geld für seine Auskünfte verlangt und auf der anderen Seite jemand einfach die Antwort gibt und im Gegenzug nichts dafür verlangt. Und die Frage in Bezug auf letzteres ist, damals wie heute - eine, die Sie bei OS sofort als ökonomisches Untersuchungsgebiet finden können (ich habe die entsprechende Literatur bereits angegeben, werde später noch darauf zu sprechen kommen) und die, die Ökonomen als erstes gestellt haben, nachdem sich herausgestellt hat, dass es eine Bewegung wie OS Software gibt - war jene: „Warum tun die das? Was haben die davon?“ Die ökonomische Fragestellung in dem Zusammenhang mit OS ist ganz unausweichbar und ich bin auch der Auffassung, dass es sich hierbei um eine vollkommen plausible Frage handelt, worauf es auch sehr plausible Antworten gibt. Warum tut man so etwas? - also Wissen und Produktionsergebnisse gratis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Sache werden wir noch kommen.
Hier im Dialog zwischen Sokrates und Thrasymachos ist diese Diskrepanz genau angelegt: Warum soll Thrasymachos dem Sokrates seine souveränen Erkenntnisse über Gerechtigkeit gratis zur Verfügung stellen? - und er tut es auch nicht; ist nicht gewillt es zu tun. Während Sokrates auf der anderen Seite ganz selbstverständlich naiv der Auffassung ist, dass die Anerkennung, die Thrasymachos von ihm bekommt, weil er etwas von ihm gelernt hat, ausreichend wäre.
Sokrates, der erste Open Source Vertreter
Wir kommen nun zum dritten Ausschnitt: „Sokrates unbezahlt". Diese Stelle aus dem Georgias passt hier genau dazu und ist geradezu ein blendendes Zeichen dafür, dass Sokrates der erste OS Vertreter ist. Sokrates sagt hier zu Kallikles das Folgende:
(Sokrates) Darum ist auch, wie es scheint, in andern Dingen seinen Rat für Geld erteilen, in Sachen der Baukunst etwa und andern Künsten, gar nichts schändliches.
(Kallikles) So scheint es.
Wenn also Thrasymachos ein Baumeister ist und eine Technologie vorschlägt, wie man besonders gut wärmeisolierte Häuser baut oder ähnliches und für seine Kenntnisse Geld verlangt, dann wird das niemand für skandalös halten. Das ist die Art und Weise wie unsere Wirtschaft funktioniert. Damit ist Sokrates auch durchaus einverstanden. Nun geht's aber weiter:
(Sokrates) In dieser Angelegenheit aber, auf welche Weise wohl jemand möglichst gut werden könnte, und sein Hauswesen oder seinen Staat gut verwalten, darin wird es für schändlich angesehen, wenn jemand seinen Rat versagen wollte, wofern man ihm nicht Geld dafür gäbe. Nicht wahr?
(Kallikles) Ja.
Hier haben Sie das Motiv dafür, es als schändlich anzusehen, wenn jemand Geld für seine Auskünfte verlangt. In diesem Fall in Zusammenhang des guten Verwaltens des Hauses oder des Staates. Man kann auch analog dazu sagen, wenn man Gesundheitstipps braucht oder wissen will, was Gerechtigkeit ist und der dazu Befragte Geld verlangt, kommt der Schändlichkeitsvorwurf ebenfalls zutage. Diese Schändlichkeit ist auch genau das Problem bzw. die Formulierung in der Auseinandersetzung zwischen Sokrates und den Sophisten. Die Sophisten sind nämlich keineswegs der Auffassung, dass es schändlich ist, Geld für solche Ratschläge zu nehmen. Sokrates ist an dieser Stelle eine Partei. Das interessante an diesem Zitat besteht nun in der Begründung, die Sokrates dafür gibt, dass es schändlich ist:
(Sokrates) Und offenbar ist doch dies die Ursache, weil unter allen Dienstleistungen diese allein dem empfangenden das Verlangen erregt, wieder hilfreich zu sein. So daß dies ein ganz gutes Kennzeichen ist, wer diesen Dienst gut erwiesen hat, dem wird auch wieder gedient werden, wer aber nicht, dem nicht. Verhält sich dies wirklich so?
Also, ich bin völlig egoistisch, wenn ich Ihnen alle diese Inhalte der Vorlesung zur Verfügung stelle, weil ich in diesem egoistischen Akt für mich selber das beste Resultat erhoffe - nämlich, dass Sie, wenn Sie diese bekommen und Ihnen eine Anregung gibt, darauf wiederum antworten, so dass ich auch etwas davon habe. Es baut sich zwischen uns also eine Struktur des einander Helfens und durch das einander helfen auch des Weiterkommens auf, die als Wert für sich belastbar ist und eine Charakteristik hat, die man als Alternative zum Bezahlen auffassen kann.
Frage aus dem Auditorium – Warum kann diese Art der „Bezahlung“ nicht auch im Fall der Baukunst gelten?
- Diese Struktur des einander Helfens könnte für das weiter oben genannte Beispiel der Baukunst ja eigentlich auch gelten. Warum ist die Bezahlung mit Geld in diesem Fall nicht schändlich und kann nicht auch durch den gegenseitigen Austausch von Wissen gegen Wissen erfolgen?
Die platonische Schematik: Téchne als Voraussetzung einer simpel gedachten Volkswirtschaft
Ich habe mich in der Darstellung, dass es im Fall von Baukunst nicht schändlich ist, quasi an die platonische Schematik gehalten. Diese Schematik besagt folgendes: Es gibt so genannte téchnes, damit sind Künste, Fähigkeiten - meine Übersetzung wäre „Fachkompetenzen" - gemeint, die sich in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft ausgebildet haben. Das als Hinweis auf die athenische Situation im Rahmen derer davon ausgegangen wird, dass es eine Marktwirtschaft gibt. Damit diese funktioniert, braucht man Kompetenzbereiche wie den Schuster, Baumeister, Gerber, Bootskapitän etc. Der Kick-off der Marktwirtschaft liegt nun darin, dass man das nicht alles teilen kann und damit in der Separation, die sich in einer Weise auch rentieren muss. Wenn jemand SchusterIn ist, dann hat er/sie die Fertigkeit mehr zu produzieren als er/sie selbst braucht und kann es verkaufen, um aus dem Verkauf der eigens produzierten Güter soviel Geld zu gewinnen, dass jene Sachen, die er/sie währenddessen nicht selbst herstellen kann, wiederum für sich selbst gekauft werden können. Das ist der Punkt in einer relativ simpel gedachten beginnenden Volkswirtschaft. Wenn die Volkswirtschaft komplizierter wird, wie sie das bei uns mittlerweile ist, kann man das natürlich in Frage stellen und so etwas wie ein OS-Modell auch auf elementare Produktionsprozesse anwenden Es gibt z.B. nicht nur OS-Software, sondern durchaus auch Open Hardware-Überlegungen.
Peer review und die Anerkennung unter Gleichberechtigten
Sokrates zieht den Unterschied mit Thrasymachos insofern als er sich quasi naiv stellt und sagt: „Ich kann dir nur Anerkennung anbieten". Das ist der weitere Punkt, der mich dazu geführt hat „Thrasymachos im peer review“ hinzuschreiben. Die Anerkennung unter Gleichberechtigen ist eine Leistung, die konstitutiv quer zu diesen Marktmechanismen steht. Marktmechanismen, wie gerade angekündigt, basieren darauf, dass ich etwas besser kann als andere und damit einen Gewinn produziere. Das ist die eine Form. Das andere ist, dass wir in bestimmten Bereichen - und hier gibt es zwei wichtige Bezugsgruppen, einerseits innerhalb der Leute, die sich in einer Sache auskennen (also die peers, die KollegInnen in dem jeweiligen Fachbereich, z.B. die Schusterinnung) und andererseits im Bereich des Politischen und damit in einer Situation, wo wir die jeweiligen Fachkompetenzen transzendieren - ein Verhalten zeigen, dass ich Ihnen an dem Gesprächsbeispiel charakterisiert habe: In normalen Gesprächen schreiben wir nicht eine Honorarnote an die/den GesprächspartnerIn. In einer gleichberechtigten Austauschsituation des Wissens gibt es, abgesehen von der Unterhaltung selbst, einen ganz bestimmten Effekt und zwar dann, wenn jemand so etwas zu hören bekommt wie: „Du hast eigentlich recht...An das hab ich noch gar nicht gedacht...Ja, stimmt eigentlich...Toll". Das sind die Basisstrukturen von Anerkennung. Nun gibt es aber auch Leute, deren Anerkennung in Form von: „Das ist toll" oder "Das find ich gut" ich vielleicht entgegennehme, aber die mich eigentlich nicht sehr bewegt, weil ich sie selbst nicht anerkenne oder schätze (Leuten bspw. die etwas dafür bezahlt bekommen oder mich deswegen anerkennen, weil sie sich von mit etwas versprechen). Die Art von Anerkennung, von der ich vorher gesprochen habe - darum auch der peer review Bezug - ist eine Anerkennung unter freien und gleichgestuften Personen. Anerkennung unter Freien und Gleichen ist quasi etwas, was in sich ruhen kann, ist etwas Angenehmes und Positives, womit man gut leben kann. Worauf Sokrates sich an dieser Stelle eben auch bezieht, indem er mehr oder weniger sagt: „Wenn du mit mir ein Gespräch führst, dann wird das auf diese Anerkennung hinaus kommen. Ich kann dir kein Geld geben, aber das kann ich dir zumindest geben; und das ist ja auch nicht ohne".
Das sokratische Qualitätsprüfungsverfahren von Wissensansprüchen: Die Elenchos-Methode
Platon nimmt in die Darstellung dieser Dialogsituation zuerst einen ironischen und dann einen konfrontativen Faktor mit hinein. Der ironische Faktor ist der, dass Thrasymachos gewissermaßen sagt: "Sehr freundlich, dass du mir deine Wertschätzung anbietest, wenn ich dir das Richtige gesagt haben will; aber außer dem Lernen musst du auch Geld zahlen". Worauf Sokrates erwidert, er wäre ja gerne bereit Geld zu zahlen, wenn er welches habe. Die Ironie besteht nun darin, dass sich Glaukon - der so gespannt darauf ist, wie das Ganze weiter geht - dazu bereit erklärt für Sokrates zu zahlen und sich als Sponsor für dieses Gespräch mit Thrasymachos erweist - vorausgesetzt es kommt wirklich etwas dabei heraus und er werde erhellt. Thrasymachos ist aber an der Stelle auch ein bisschen gewitzig und weist auf etwas hin, was der zweite Aspekt dieser Gesprächssituation ist, die ich Ihnen vorhin schon skizziert habe: Es gibt die Gesprächssituation in dem Sinne der Anerkennung und dann gibt es aber zudem die Frage des Kriteriums - wenn Gespräche nicht einfach Unterhaltung oder Zeitvertreib sind, sondern an bestimmten Themen orientiert sind, dann kommt einerseits Wissen mit ins Spiel, andererseits kommen auch Prüfverfahren dazu. Damit sind wir in diesem Zitat in eine Verfahrensweise bzw. Praxis von Sokrates selbst hineingestoßen, die Thrasymachos kennt und hier anspricht, indem er quasi sagt: "na wir wissen schon Sokrates, wie das geht...auch wenn du mir jetzt zuhören willst, dann weiß ich schon was normalerweise deine Strategie ist...":
(Thrasymachos) ...damit Sokrates es wieder macht wie gewöhnlich und selbst keine Antwort gibt, sondern die Antworten anderer aufgreift und widerlegt.
So ein Unschuldslamm ist Sokrates also nicht, dass er sich Auskünfte bezahlen lässt und dann dafür dankt, dass er die entsprechenden Antworten bekommen hat, sondern Sokrates hat hier vielmehr gehörig etwas im Hintergrund. Und das ist jetzt genau der Punkt, der in die philosophische Frage hinein wirkt und dann von Platon ausgebaut wird. Was Sokrates im Hintergrund hat, ist sehr schlagwortartig gesagt, eine tiefgehende Skepsis gegen bezahlte Wanderlehrer. Jemand der für seine Auskünfte Geld verlangt, ist also konfrontiert mit diesem bereits angesprochenen Schändlichkeitsverdacht. Für Sokrates ist das aber nicht nur ein Verdacht. Vielmehr ergibt sich daraus die ganze Kraft seiner Tätigkeit. Er versucht Leute, die so wie Thrasymachos daherkommen, auf's Glatteis zu führen, indem er eine unglaubliche Fertigkeit darin entwickelt, diese Form von Bezahlauskünften in einer Art und Weise zu befragen, dass sich herausstellt, sie sind nur ziemlich beschränkt vertretbar und haltbar. Diese Form von auf's Glatteis führen, heißt technisch gesprochen Elenchos und ist ein Terminus aus der juridischen Sphäre. Ein gegenwärtiger Begriff diesbezüglich wäre „Kreuzverhör“ zwecks Überprüfung, ob das wofür man hier zahlen soll, sich auch auszahlt, bezahlt zu werden. Hier sind wir jetzt in einer doppelten Welt: Auf der einen Seite habe ich Ihnen gerade über die Annehmlichkeiten von open peer-Austausch und wie viel alle davon haben, erzählt. Auf der anderen Seite habe ich Ihnen jetzt gerade ein Szenario dargestellt, in dem es einfach nicht so angenehm zugeht, sondern wo jemand eine These riskiert und diese These der Widerlegung aussetzt. Das ist - um es mit einem übermodernen Wort zu sagen - ein Qualitätsprüfungsverfahren von Wissensansprüchen, das an dieser Stelle auch notwendig ist, wenn das Gespräch nicht, wie gesagt nur Vergnügung und Unterhaltung sein soll. Sokrates ist hier ein ultragenauer Kontrollor; ist ein angenehmer und unangenehmer Gesprächspartner gleichzeitig. Den Sophisten gegenüber ausgesprochen unangenehm, weil er bestimmte Ansprüche mit hinein nimmt. Welche das sind und wie diese funktionieren, werden wir noch sehen. Das hier ist also keine Form von leichtem Dialog, sondern eine Auseinandersetzung, in der es um etwas Wichtiges geht, nämlich um den Stil des Umgangs mit geistiger Produktion. Um das noch mehr zu beleuchten, möchte ich an dieser Stelle auf die Diskussionsseite gehen, die sich über dieses erste Hauptkapitel schon ergeben und extrem wichtige Punkte herausgebracht hat. Die Diskussion wurde von zwei Kollegen ausgelöst, die schon einiges an Praxis diesbezüglich haben und hier nicht neu sind. Ich habe noch kaum etwas von den Leuten, die hier sitzen und die ich nicht kenne, gehört - auch im Wiki nicht. Ich möchte Sie also auffordern, wenn Sie Zeit haben, sich vielleicht da ein bisschen zu versuchen und an dieser Stelle auch beizutragen.
Frage aus dem Auditorium: Ist Sokrates nie der Gedanke gekommen, dass Wissen auch etwas kostet?
- Sokrates lehnt die Sophisten ab, weil sie für die Weitergabe von Wissen Bezahlungen entgegennehmen. Heutzutage wissen wir aber auch, dass wir ohne bezahlte Lehrer oder Professoren nicht auskommen. Wir brauchen also Menschen, die wir dafür bezahlen, dass sie Wissen weitergeben. Ist Sokrates diese Idee selber noch nie gekommen oder wollte er diese Art der Lehre einfach nur auf's Glatteis führen, weil er gemerkt hat, die Sophisten vertreten ein Wissen, das er nicht teilt?
Dieser Hinweis ist sehr wichtig und erinnert mich daran, dass ich vorgehabt habe etwas als Beispiel zu bringen, was ich dann weggelassen habe - und zwar Studiengebühren. Es wäre ja ganz lächerlich zu meinen, dass unser Erziehungssystem nichts kostet. Die Studiengebühren sind eine sehr fragile, fast schon komödiantische Erinnerung daran, dass es genau dieses Problem gibt, nämlich dass Wissen etwas kostet. Wenn Wissen etwas kostet, wenn der ganze Erziehungsapparat etwas kostet, dann muss man nur weiter fragen: Wer soll denn die Kosten tragen? In den USA kostet ein durchschnittliches College pro Semester ungefähr 28.000 Dollar - für Harvard wären es dann zwischen 40.000-50.0000 - nur damit man sich das einmal vorstellt. In den USA herrscht also eine Situation, in der die Universitätsausbildung eine langfristige Verschuldung der Leute mit sich führt, die sich dafür entschließen. Nur zur Erinnerung: Wir haben ein andere Tradition, nämlich dass wir unsere Erziehungs- und Bildungssysteme im Wesentlichen von den Steuergeldern bezahlen, weil wir davon ausgehen, dass das Gemeinwesen davon profitiert und diese Form von Erziehung braucht. Das nur als Beispiel dafür, dass das von Ihnen angesprochen Problem ein ausgesprochen aktuelles ist.
Ist Wissen eine Ware?
Wissen kostet etwas, wenn es um institutionalisierte Prozesse der Wissensvermittlung geht. Aber Ihre Frage geht eigentlich weiter und darauf will ich so antworten: Eine institutionalisierte Philosophie gab's im athenischen Zusammenhang ja in Form der platonischen Akademie. D.h. es gab relativ rasch nach Sokrates, also bereits zu dem Zeitpunkt, als dieser Dialog geschrieben worden ist, eine Art von Bildungsinstitution. Diese hat natürlich etwas gekostet, was - so meine Vermutung - von reichen Sponsoren bezahlt wurde. Um die Akademie zu bauen und die entsprechenden Lehrer zu bezahlen, haben sich vermutlich also auch Geldmittel gefunden. In dem Moment in dem es um gesellschaftlich institutionalisierte Prozesse der Wissensvermittlung und -vermehrung geht, gibt es keinen Ausweg, sich damit zu konfrontieren, dass in einer bestimmten Art und Weise Hochschulausbildung genauso ist wie auch die Baumeisterei. Es braucht Materialien, Räume, Unterrichtende und Wissen - das sage ich an der Stelle so deutlich, denn wenn ich jetzt hier auf den Gang hinaus gehe und sage: „Wissen ist auch ein Ware", dann werden sich - in meiner Phantasie zumindest - sofort alle Türen öffnen und die Leute werden mich beuteln und sagen: „Bist du wahnsinnig geworden? Wissen ist keine Ware." - Das ist nicht falsch, würde ich sagen, aber richtig ist es auch nicht. Es ist vielmehr eine Sache, die genau zu prüfen ist. In einem gewissen Sinn ist Wissen eine Ware. Zum Beispiel, dass Sie hier sitzen kostet jemanden etwas. Es ist nicht so, dass man das ignorieren könnte. Die wichtige Sache ist die - und da komme ich zurück auf das was ich vorher gesagt habe - das kostet etwas, das kostet auch wirklich Geld. Es gibt zur Abrechnung und zur Gestaltung gesellschaftlicher Zusammenhänge aber nicht nur Geld, sondern eben auch andere Mechanismen der Gratifikation. Und es gibt in einigermaßen komplexen Zusammenhängen schwierige, komplizierte, interessante Verbindungen zwischen verschiedenen Gratifikationen, so dass jemand, der sagt: „Wissen ist nicht Ware" natürlich etwas Richtiges im Auge hat, indem er/sie darauf hinweist, dass man nicht einfach so verfahren dürfte wie Thrasymachos, und nach jeder Auskunft eine Rechnung stellt. Den wichtigen Punkt habe ich aber damit noch nicht getroffen. Wenn sie sich die platonische Akademie vorstellen: das ist institutionalisiert und läuft unter diesen Gesichtspunkten. Die Radikalität von Sokrates besteht aber darin, dass er in einer Art und Weise präinstitutionell ist. Ihm ist es wirklich egal - zumindest ist das die literarische Suggestion Platons. Er spricht, tauscht Einschätzungen aus, hat eine geistige Kapazität; und wenn ihn Freunde dafür bezahlen, dass er seine Show abspielt, ist ihm das auch recht. Wenn sie ihn nicht bezahlen, stört ihn das auch nicht. Er ist auf gewisse Art und Weise eine singuläre Erscheinung, die singlehanded gegen all jene Ansätze auftritt, die sich mit der Ökonomisierung von Wissensansprüchen verbinden.
Das Beispiel des Straßenmusikanten
Um ein karikatureskes Beispiel zu nennen - ein Straßenmusikant. Jemand stellt sich in die Fußgängerzone, hat nur seine Geige oder seinen Körper dabei und ist in der Lage aufgrund seiner pantomimischen oder musikalischen Fertigkeit ein gewisses Einkommen zu haben. Gehen wir noch sehr idealisierend davon aus, dass sie/er leidenschaftlich gerne Musik spielt. Es bringt ihm selbst etwas, es passt zu seiner Lebensform und er bekommt dafür auch Geld. Aber die Pointe ist nicht, dass er Geld verdient; sondern in der Stadt, in der Öffentlichkeit einer Aktivität zu folgen, aus der man selber Gewinn bezieht und die anderen Leuten gegenüber eine Anregung ist.
Die Schizophrenie der Philosophie: Institutionalisierung und die Freude am Argumentieren um der Wahrheit willen.
Ihre Frage hat's wirklich in sich, weil der Punkt, der sich jetzt aus dem Gesagten ergibt, ist folgender: Die gemachten Ausführungen deuten bereits darauf hin, dass es in der Philosophie eine entscheidende Verdoppelung oder auch Schizophrenie gibt, nämlich zwischen jenen beiden Modi, die ich gerade in Bezug auf die Frage, ob Wissen eine Art von Ware ist, beschrieben habe. Zum Ersten ist Philosophie etwas, was hier gelehrt wird; wofür irgend jemand bezahlt; etwas was institutionalisiert ist und damit so ähnlich funktioniert, wie das Bauwesen auch. Ob ich jetzt hier Brückenzeichnungen oder Aristotelesdiagramme aufzeichne ist in beiden Fällen in gewisser Weise ein Teil des Erziehungsapparates. Zum Zweiten hat Philosophie seit ihrer Gründung diesen Touch von: "Ich bin dem enthoben; nehme kein Geld, brauche kein Geld; mich freut allein das Argumentieren um der Wahrheit willen - und Wahrheit kann doch nicht bezahlt werden." Das ist etwas, was in dem Moment verunreinigt wird, in dem man zum Beispiel so wie ich angestellt ist und unterrichtet. Damit habe ich bereits eine Verpflichtung, nämlich Ihnen u.a. Fertigkeiten beizubringen, die im Rahmen der Fachkompetenz liegen und womit Sie auch etwas anfangen können bzw. woraus Sie eine Lehre ziehen können. Für Ihr oder des Staates Geld muss etwas produziert werden. Gleichzeitig erzähle ich Ihnen aber auf der anderen Seite, dass im Rahmen der geistigen Produktion diese Art von ökonomischer Orientierung, möglicherweise nicht wichtig oder nur Eines oder ähnliches ist.
Aus dem Auditorium – Akademische Tätigkeit im alten Griechenland eine Freizeitbeschäftigung?
- Ich habe letztes Semester ein Seminar besucht, in dem – soweit ich mich erinnern kann - erwähnt wurde, dass im alten Griechenland die Tätigkeit auf der Akademie neben der tatsächlichen Arbeit passiert ist. Die dort Lehrenden waren keine Akademiker, in der Hinsicht, dass sie nur akademisch tätig waren und dort geistige Lehren verbreitet haben, sondern dass es vor allem ein Zusatz zur täglichen Arbeit war. Also, dass sie sich eigentlich mit anderen Dingen ihr Geld verdient haben und sich in ihrer Freizeit durch die geistige Beschäftigung erweitert haben.
Ich kenne diesen Aspekt jetzt nicht im Einzelnen, aber dazu vielleicht noch als Kommentar: Aus meinen vorbereitenden Lektüren über das athenische Stadtleben geht auch hervor, dass es eine relativ breite Schicht von Leuten gegeben hat, die es sich leisten konnten, am öffentlichen Leben halb bezahlt teil zu nehmen. Zum Beispiel wurde man - etwas was Perikles neben dem Staatsbürgerschaftsgesetzt auch eingeführt hat - für Schöffendienste, also wenn man als juristischer Laie an Gerichtsverhandlungen teilgenommen hat, dafür bezahlt. Zwar nicht so gut, dass man davon gut hätte Leben können, aber die relativ reichen athenischen Stadtbürger, die einen Großteil der politischen Aktionen getragen haben, hatten zu Hause Sklaven, Grundbesitz und einen gewissen Wohlstand. Von daher würde ich sagen, haben die einerseits zu Hause darauf geachtet, dass das alles läuft und hatten aber Zeit genug, sich auch den Ausbildungen in der Akademie zu widmen. Es war also eher nicht so, dass sie den ganzen Tag gearbeitet haben und dann am Abend in die Abendkurse gegangen sind, sondern die Athener hatten schon einen einigermaßen belastbaren ökonomischen Status.
Rhetorik der Nutzlosigkeit und deren Nutzen
Nun, wie angekündigt zur dieser Wiki-Diskussion im Wiki zum ersten Hauptkapitel. Diese Diskussion passt insofern in die Ambivalenzen hinein, die ich in Zusammenhang mit der Frage: Wissen als Ware und Wissen als nicht-Ware, angesprochen habe, weil es mir Gelegenheit gibt, auf das Folgende hinzuweisen: So wie ich dabei bin die Situation darzustellen, gibt es eine Kommerz-Fraktion und eine Philosophie-Fraktion - also Thrasymachos und Sokrates, die sich sehr gut als Gegenüber eignen. Ich habe auch schon angedeutet, dass die entscheidende Message der Philosophie darin besteht, dass man sagt: „Wir nehmen nicht Geld, sondern wir fragen nach der Wahrheit; fragen danach, was Gerechtigkeit wirklich ist und es ist geradezu eine Garantie dafür, dass wir unsere Frage für so wichtig und ernsthaft halten, dass es uns nicht darauf ankommt Geld dafür zu bekommen; d.h. wir machen unsere Gerechtigkeit nicht davon abhängig, dass die Message, die wir haben auch bezahlt werden kann. Denn das verzerrt die Frage. Wir wollen eine Frage nach Gerechtigkeit anführen, die nicht nach diesem Zweck orientiert ist". Wenn man's in der gegenwärtigen Terminologie sagt: Es gibt angewandte Forschung und Grundlagenforschung im Universitätsbereich. In der Technik oder in der Chemie können Sie einen bestimmten Werkstoff untersuchen, können bestimmte Operationen mit einem solchen machen und sich diese Unternehmung von einem Betrieb sponsern lassen, der dann auch das Recht auf die Ergebnisse hat. Das ist ja durchaus innerhalb der Fachkompetenzen, die an den Universitäten auch gelehrt und ausgeübt werden. Oder, Sie können auch in der Chemie, Physik, Mathematik Grundlagenforschung betreiben, die Sie sich in derselben Art und Weise nicht bezahlen lassen können. Die Logik, auf der die Universität zu einem wichtigen Teil aufbaut, ist jene, dass wir auch Grundlagenforschung brauchen und das diese eine Aktivität ist, die für sich selber wertvoll genug ist, um finanziert zu werden, auch wenn sie keinen direkten Effekt hat.In der Philosophie ist es gerne Praxis, sich selbst als eine der nobelsten und abstraktesten Beispiele für Grundlagenforschung dieser ökonomischen Fraktion gegenüberzustellen. Man kann sagen, es gehört gewissermaßen zur Rhetorik der Philosophie und ist deren rhetorische Argumentationsweise, wenn es darum geht, einen Kuchenteil des Budgets zu bekommen, nämlich dass argumentiert wird, wir brauchen das Geld deswegen, weil es auch für etwas, das nicht nützlich ist, Geld geben soll. Man kann es auch unter dem Stichwort: Vom Nutzen der Nutzlosigkeit betrachten.
Dieser Hinweis auf die Rhetorik der Nutzlosigkeit führt mich zu dem Diskussionsbeitrag von Richard Demiray. Er weist nicht zu Unrecht darauf hin, dass - so wie ich die Sache ein bisschen schwarz und weiß darstelle -, wir heutzutage die Sache nicht mehr einfach sehen und jeder, der ein bisschen genauer hinschaut, weis und sieht, dass sich hier die Fronten verschieben. Dass die Rede von der Wahrheit bzw. Wahrheitssuche in der Philosophie nicht nur so etwas schön Abstraktes, sondern auch etwas Ambivalenteres und Mehrgestaltiges ist. Das möchte ich aber an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Sie können sich meine Antwort darauf hier auf der Diskussionsseite genauer ansehen.
Zurück zur Elenchos-Methode – „Wir halten während der Analyse Dialog!“
Was mir aber in der Logik dessen, was wir heute besprochen haben wichtiger ist, ist eine Diskussion zum zweiten Punkt hier - die Andreas Kirchner angezettelt hat - über dieses Thema von Thachymachos und peer review. Er hat noch eine Übersetzungsvariante für die Stelle, die ich vorher auch zitiert habe. Das ist die folgende Stelle in der Sokrates sagt:
- „Wenn wir nun", sagte ich, "Rede gegen Rede setzen und dabei die Vorteile des gerechten Lebens anführen, und wenn er dann antwortet und wir ihm, dann werden wir die Vorteile zählen müssen und abmessen, wieviel wir ein jeder anführen, und dazu brauchen wir wohl etliche Richter zur Entscheidung. Wenn wir jedoch wie früher uns jeweils während der Untersuchung verständigen, sind wir zugleich Richter und Sprecher."
Andreas Kirchner sagt dazu: Ich hab es mir so paraphrasiert: "Wir halten während der Analyse Dialog!" . Dieses Zitat ist eines an dem man jetzt gut auseinander nehmend zeigen kann, welche Strategien wir bisher besprochen haben. Denn es gibt auf der einen Seite diese Struktur mit: Wir brauchen Richter. Das kommt aus einer Vorstellung von Sachverstand, also die Schusterinnung bestätigt zum Beispiel: das ist ein korrekter Schuh und wenn es einen Disput darüber gibt, gibt es immer noch ein Fachgremium. Für den Fall, dass jemand einen Prozess führt und sagt, der Schuh ist mir schon am dritten Tag auseinander gegangen und die Schuhproduktionsfirma ist nicht der Auffassung, dass dieser sachgerecht verwendet wurde, gibt es ein Sachverständigengutachten. D.h. man greift auf diese Form von einem peer review zurück. Der Sachverständigengutachter ist an dieser Stelle der Richter. Das ist eine Situation, die Sokrates aus der normalen Lebenserfahrung übernimmt und auf den Bereich der Behandlung von Gerechtigkeit überträgt. Also wir sind jetzt in der Situation, in der Thrasymachos und Sokrates sich einander mit verschiedenen Statements, Reaktionen und Konsequenzen zum Thema Gerechtigkeit konfrontieren. Damit das nicht nur so ein willkürliches Hickhack ist, müssen wir eine Entscheidungsinstanz vorsehen. Das habe ich schon über Wissen gesagt, also ist es etwas, das Wissen mit sich bringt. Wir brauchen, um von Wissen reden zu können, Instanzen, die das, was wir sagen, autorisieren, weil sonst wiederum jeder irgend etwas sagen kann. Wissen hat einen Überzeugungs- und Bestätigungsbedarf. Eine Form, diesen Autorisierungsprozess einzuleiten, ist eine Richterliche-, in dem Sinn eine Fachgutachtenmentalität. Die andere Art ist diejenige, die Sokrates nun als zweiten Punkt anführt, indem er quasi sagt: Reden wir doch miteinander. Wir sind die Richter und brauchen keinen externen Richter. Wir, die wir uns mit dieser Frage beschäftigen sind diejenigen, die letztlich auch verantwortlich sind für die korrekte Antwort. Wer soll's denn sonst sein? Wenn die Sache so arrangiert ist, dass wir in diesen Bereichen, die von Gerechtigkeit, von Gesundheit, von Frömmigkeit handeln, keine zu bezahlenden Fachvertreter zulassen (die Sophisten bieten sich ja als das an), und es damit letztlich selber sind. Die Situation, die sich aus dieser zweiten Möglichkeit ergibt, ist etwas, was in dieser Formulierung: „Wir halten während der Analyse Dialog" steckt. Andreas Kirchner zieht daraus eine Konsequenz, die mir zwar verständlich ist, die ich aber ein wenig korrigieren möchte. Er sagt, es geht nicht nur so sehr um peer review, sondern es geht an dieser Stelle auch um mehr, nämlich um ein offenes Gespräch, einen Diskurszusammenhang, eine Diskursethik fast; um einen Dialog, in dem wir uns aneinander orientieren und abarbeiten. Nun sagt er an dieser Stelle etwas, was ungemein genau wiedergibt, was Sokrates wirklich macht, nämlich:
„…ein im Gespräch involvierter Freund oder Kollege ist, der im Moment, während das "Endprodukt" sich sozusagen noch in der Produktion befindet, die Aussagen Thrasymachos' durch Fragen erschüttert. Und dann formuliert Thrasymachos die Aussage anders, um auf die Fragen Sokrates einzugehen - denn er will ja Recht behalten. Sokrates zeigt ihm dann, durch welche Folge von Aussagen (die er alle bejahen musste) man genau zu der gegenteiligen Aussage, die Thrasymachos vertrat, kommen kann, und Thrasymachos muss seine ursprüngliche Überzeugung fürs Erste aufgeben. Ist ein tolles Verfahren …"
Das ist völlig richtig und eine ausgesprochen plastische Beschreibung dessen, was ich als Elenchos charakterisiert habe, also das Widerlegungsverfahren. Jemand riskiert eine Aussage und dann fühlt man der auf den Zahn - um eine andere Metapher als vorhin zu verwenden. Man testet diese Aussage, indem man sagt: „wenn du diese Aussage machst, dann musst du auch dieses und jenes für richtig halten und dann folgt daraus wiederum das, etc.“ Damit produziere ich dann eine These aus der sich ergibt, dass sich mein Gegenüber eigentlich im Widerspruch mit sich selber befindet und seine Aussage nicht aufrechterhalten kann. Das ist die Elenchos-Methode.
Die ist hier absolut richtig beschrieben, aber was mir nicht korrekt zu sein scheint, in dieser Sicht der Dinge, ist folgendes: Eine Elenchos-Methode würde ich mir in einem normalen Gespräch nicht antun. Wenn jemand in einem kollegialen Gespräch meine Aussage so verhandelt, dass er sagt: „Also so hältst du das fest, dann testen wir's mal und ich widerleg' mal schnell was du sagst.“ Diese Situation werde ich dann nicht als ein kollegiales Gespräch nehmen, sondern als ein Prüfverfahren - und es ist auch ein Prüfverfahren. Sokrates nimmt hier ein Prüfverfahren in den peer-Kontext mit hinein. Es hat damit also beides an dieser Stelle: den kritischen Anspruch auf eine Sache zu kommen und das auch um den Preis der Widerlegung von Irrtümern - das ist eine richterliche Funktion. Aber es ist gleichzeitig so, dass diese richterliche Funktion nicht der Amtsrichter ausübt, sondern er und alle anderen dürfen sie übernehmen. Darum steht hier gerade: Wir sind zugleich Richter und Sprecher. Es gibt einen schönen Ausdruck im Deutschen, der das genau mit hinein bringt - Laienrichter. Es ist für unseren speziellen Zusammenhang ein bisschen zu eng, weil wir ihn nur in dem juridischen Kontext in einem Geschworenengericht haben, aber was Sokrates an dieser Stelle anbietet, ist die Methode der Laienrichter für alle die Fragen, in denen es jenseits von einzelnen Fachkompetenzen darum geht, Themen zu behandeln und über Themen Wissen zu produzieren, die die politische Allgemeinheit angehen. Soviel als zusammenfassendes Statement, extrahiert aus diesem Zusammenhang und als Reaktion auf die hier niedergelegten Bemerkungen.
Methodologie allgemeiner - unterschiedliche Formen der Wissensproduktion
Die Vorgänge, von denen ich hier gesprochen habe, kann man mit Recht, so wie es auch Richard Demiray sagt, als unterschiedliche Formen der Wissensproduktion bezeichnen. Wie schon mehrfach gesagt, an der Stelle, an der nicht auf der einen Seite Geld bzw. Markt geleitetes Fachwissen eine Rolle spielt und es auf der anderen Seite, nicht einfach nur um Unterhaltung geht, sondern Wissen über allgemeine, gesellschaftlich zentrale Themen angesprochen ist, an diesem Schnittpunkt ergibt sich jetzt die Frage: Wie wird wissen nicht nur geprüft, sondern entwickelt? Also die Frage nach der Wissensproduktion.
Die Elenchos-Methode als eine Strategie der Wissensproduktion
Die Elenchos-Strategien, der themenhaften Festlegung und Widerlegung, sind eine Form der Wissensproduktion. Allerdings zunächst einmal eine negative Form, nämlich insofern, als sie dazu dienen falsche Wissensansprüche zu widerlegen. Es handelt sich hierbei quasi um Säuberungsaktion, um bestimmte Defensivmaßnahme, um zu sagen: So und so kann es nicht sein. Dass man weiß, bestimmte Sicherheiten kann man so nicht anwenden, ist auch schon ein Teil der Wissensproduktion. Als Beispiel für eine solche simple und eingängige Säuberungsaktion, also eine defensive, mit Elenchos versehene Strategie der Wissensproduktion, die zunächst einmal im Negativen bleibt, aber trotzdem, obwohl sie negativ ist, einen positiven Beitrag leistet, fällt mir immer jenes der Tapferkeit aus dem Laches (früher sokratischer Dialog) ein. In dem Fall ist es nicht der Sophist, sondern der Feldmarschall, der doch weiß was Tapferkeit ist. Sokrates fragt ihn: „Kannst du uns sagen was Tapferkeit ist?“ und er sagt: „Na klarerweise, in der Schlacht nach vorne gehen und dort stehen bleiben und die Position halten, wenn der Feind angreift - das ist Tapferkeit“. Sokrates sagt: „Ja, ist ein gutes Beispiel…aber was ist eigentlich mit den Skythen, die unglaublich tapfer sind und die eine andere Kampfstrategie haben, nämlich angeblich zurückweichen, und wenn sie dann die Schlachtlinie aufgelöst haben, plötzlich wieder angreifen und attackieren - das ist auch Tapferkeit.“ Und dann steht der General da mit seiner Definition von Tapferkeit und mit seiner Fachkompetenz. Das ist die typische sokratische Strategie: die Leute, die sich aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Beitrags zum Gemeinwesen, ihrer sozialen Stellung usw. einbilden, dass ihre Antworten nicht nur im einzelnen Fall richtig sind, sondern allgemein gelten, versucht er in Frage zu stellen. Sokrates untergräbt diesen Auftrittsweisen systematisch immer das Wasser ab - in einer zum Teil ausgesprochen amüsanten Art und Weise. Um noch ein Beispiel zu nennen: Thrasymachos ist bekannt dafür, dass er sagt: „Gerechtigkeit ist, was den Starken nützt“. Und Sokrates sagt darauf: „Ja, ist eine gute Antwort, aber du meinst jetzt nicht, dass Rindfleisch Gerechtigkeit ist, weil starke Leute gerne Rindfleisch essen“.
Wichtig ist, dass die elenchische Methode eine Form der Wissensproduktion ist. Wir sind allerdings im Rahmen dessen was ich Ihnen hier skizziert habe, auch schon auf eine ganze Reihe anderer Formen der Wissensvermittlung gekommen. Wir haben insbesondere schon in Bildungs- und Erziehungsansprüche hineingeschaut - also in etwas was sich bei Platon auch durchaus findet, nämlich die sukzessive Erweiterung der menschlichen Kapazitäten aufgrund von Qualitäten und Idealen, die diese Menschen im politischen Allgemeinbereich haben. Wir sind sogar noch so weiter gegangen, dass wir den hermeneutischen Aspekt, also jenen eines allgemeinen gleichberechtigten Gesprächs, der sich bei Platon noch nicht findet berührt haben.
Ich weise nur darauf hin, dass wir auf der Ebene dieser Frage, nämlich welche Strategien und Methoden zur Wissensproduktion zur Verfügung stehen, auf der einen Seite ein genaueres Bewusstsein von den sokratischen Strategien haben, aber das auch auf zeitgenössische Formen erweitern können, die dann auch mehr mit OS zu tun haben.
Aus dem Auditorium: Warum ist die Elenchos-Strategie eine Form der Wissensproduktion, wenn sie dekonstruiert?
- Ich wollte fragen, warum Elenchos eine Strategie der Wissensproduktion ist, wenn sie eigentlich nur Wissen "dekonstruiert" - oder ist Elenchos so zu verstehen: die einzige Form des Wissens ist, dass man weiß, dass man nichts weiß?
Die sokratische „Nicht-Kosten“-Philosophie
Das Wissen vom Nichtwissen liegt einem da auf der Hand. Die einfache Antwort ist die: Das Wort "Dekonstruktion" ist insofern ein sehr schönes Wort, als da "Konstruktion" drinnen steckt. Und das ist durchaus von Derrida und auch von Heidegger so gedacht - also Dekonstruktion ist nicht Destruktion. Die Art und Weise wie ich es mir immer darlege ist folgende: In einer komplexen Warenwelt, muss man Produkte sachgerecht entsorgen. Wenn ich einen Laptop habe, kann ich ihn aus dem Fenster oder auf den Mist werfen, aber das ist genau nicht die richtige Art der Entsorgung. Die richtige Dekonstruktion eines Laptops besteht darin, dass man die richtigen Schrauben herausdreht und die richtigen Teile auseinander nimmt. Nur dann wird er in einer akzeptablen und schonenden Art und Weise verschwinden, so dass keine Nebenwirkungen zu befürchten sind. Dazu muss man aber wissen, wie er auseinander zu nehmen ist und erst wenn man ihn richtig auseinander nimmt, dann wird er verschwinden. Das ist die Heidegger'sche Vorstellung auch von Metaphysik: Man kann mit dem Hammer philosophieren, d.h. man schlägt mal kräftig drauf und sagt: „Das war's dann, da rührt sich nichts mehr“. Das ist erfahrungsgemäß nicht die korrekte Art und Weise mit Phänomenen umzugehen, weil man sie damit nicht kaputt bekommt. Wenn, dann muss man sie sachgerecht zerlegen. Das ist etwas was Heidegger und Derrida machen wollten. Und Elenchos hat auch so eine Form von Konstruktivität. Es ist durchaus ein starker destruktiver Anteil drinnen, aber gerade wenn ich mit den Beispielen über Tapferkeit und Gerechtigkeit operiere, dann steckt in der Art und Weise wie Laches und Thrasymachos abmontiert werden, etwas ausgesprochen Positives, nämlich in dem Sinn, dass sich hier eine ganz neue Art des Umgehens mit dieser Sache aktualisiert wird. Diese ist zwar noch nicht ausgeprägt, weil das Resultat an der Stelle negativ bleibt. Ich wollte herauskristallisieren, wie die sokratische "nicht-kosten Philosophie" ein Arbeitsgebiet eröffnet, das wesentlich davon abhängig ist, dass man das andere abblockt und das man - um es in der Fechtsprache zu sagen - pariert, also den Angriff des Thrasymachos pariert, um den Freiraum zu bekommen, das machen zu können was man selber für richtig hält. Insofern kann man glaube ich sagen, dass es auch einen positiven Effekt hat.
Aus dem Auditorium: Ergebnislose Wissensproduktion?
- Meine Frage war nur, warum man das dann als Produktion bezeichnet. Wenn es sich um Wissensproduktion handelt, dann muss es doch ein Ergebnis geben.
Ja, und dieses Ergebnis ist das was Platon nachliefert. Ich habe heute eigentlich etwas von Sokrates gesprochen und er ist derjenige, der durch diesen Gestus diesen Freiraum schafft. Das alleine würde es nicht machen. Platon ist dadurch charakterisiert, dass er auf dem damit gewonnen Freiraum eine neue Produktion macht, eine philosophische Systembildung, wenn man so will, die ausgesprochen positiv ist. Das ist das, was nach dem ersten Buch des Staates zu beobachten ist; dann fängt er an positiv zu operieren.
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