14.10.2010 Lacan, Jacques (1949): Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint
Um einen kleinen Hinweis auf die Weitläufigkeit der Quellen zu geben, aus denen Lacan schöpft: Die Quadratur der Ich-Prüfung: vgl. Vitruv, De architectura libri decem, III.1.3 "Homo ad circulum et ad quadratum":"Ferner ist natürlicherweise der Mittelpunkt des Körpers der Nabel. Liegt nämlich ein Mensch mit gestreckten Armen und Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und schlägt einen Kreis, dann werden von dem Kreis die Fingerspitzen beider Hände und die Zehenspitzen berührt. Ebenso wie sich am Körper ein Kreis ergibt, wird sich auch die Figur des Quadrats an ihm finden. Wenn man nämlich von den Fußsohlen bis zum Scheitel Maß nimmt und wendet dieses Maß auf die ausgestreckten Hände an, so wird sich die gleiche Breite und Höhe ergeben wie bei Flächen, die nach dem Winkelmaß quadratisch angelegt sind." Wobei der Nabel im übertragenen Sinn dem auf einen Punkt zentrierten cogito entspricht und die Fingerspitzen - als äußerste Grenze des "Organismus"- der Beziehung zur "Umwelt". Der Nabel als Auge und die res extensa von den Fußsohlen bis zum Scheitel- so verfangen sich die Netze die Lacan unablässig auswirft und wieder einholt. Christine Brandner 10:07, 26. Okt. 2010 (UTC)
Thomas Karner: Das Spiegelstadium als Initialzündung der "Menschwerdung" im wahrsten Sinne des Wortes! Dieser Text erinnerte mich stark an die Tathandlung bei Fichte. Die Selbstsetzung des ICH, das Heraustreten aus der Unmittelbarkeit der Tierheit. Die Fähigkeit des Menschen sich zu exzentrieren und in Gegensatz zu sich selbst zu treten. Die Entgegensetzung des eigenen Seins durch das Bild im Spiegel. Diese Entgegensetzung, durch die Selbst - Bewusstsein überhaupt erst ermöglicht wird, ist für mich wirklich eine der Kernfragen des Menschseins überhaupt! Die Frage: Wer bin ich überhaupt? Diese Frage kann hier zum ersten mal gestellt werden. In welcher Beziehung stehen Körper und Geist? Wo ist die Verknüpfung? Diese Entgegensetzung des eigenen Ich, die auch diese Entfremdung impliziert, ist wie ich finde, ein zentraler Punkt der Frage, was der Mensch überhaupt sei. Der Text war wirklich nicht einfach zu lesen, aber dies hier Geschriebene sind einige, wenn auch nicht alle, meiner unmittelbaren Gedanken zum Gelesenen.
Daniel Attia:
Lacan sützt sich auf die Beobachtung Baldwins, und nimmt die Beobachtung, dass das Kind sich zwischen dem 6. und 18. Monat im Spiegel erstmals selber erkennt, zum Anlass folgender Theorie: es findet erstmals eine Identifikation statt; das Bild, die GEstalt die das Kind erstmals von sich selbst erlangt sorgt für eine folgenreiche Veränderung im Bewusstsein. Das Kind erfährt, dass es ebenso wie seine Mitmenschen, einen Körper besitzt, es erfährt den Blick der Anderen auf sich selbst wodurch es zu einer erstmaligen Spaltung zwischen dem Je (Ich) und Moi (Ich). Dabei könnte man vielleciht (in Ahnlehnung an Mead), das Je als das intuitive, spontane Ich bezeichnen, während das Moi dem Ideal-Ich (wie Freud das genau verstanden hat, könnte man diskutieren) gleicht. Dieses Moi ist auf einer"Fiktiven Linie situiert" und nicht einholbar, es ist das Ich von Außen betrachtet. Indem sich das Kind als Teil der Umwelt, als ihr zugehörig erfährt, kann erstmals eine Beziehung zwischen Organismus und Realität, Innenwelt und Umwelt für das Kind hergestellt werden. DIe ursprüngliche Zwietracht (die Lacan in Zeichen von Unbehagen und motorischer Inkoordination in den ersten Monaten festmachen will) springt auf. Das Spiegelstadium ist sowohl geschtlichtlicher Natur, als sie auch eine ontologische Struktur des Menschen ist.
Der Text scheint sehr stark an den Thesen Freuds anzuknüpfen, die man ihrerseits wieder kennen müsste, um den Text genauer zu verstehen. So scheint mir der ASpekt der Entfremdung in Lacans Text einerseits nicht klar, andererseits auch nicht genau genug erläutert. Zudem ist mir nicht klar inwiefern die "spezifische Vorzeitigkeit der menschlichen Geburt" - dass also der Mensch "unfertig" zur Welt kommt und im Gegensatz zu den Tieren relativ lang für die Entwicklung des Nervensystems etc. braucht - mit der "ursprünglichen Zwietracht" einhergeht.
Begriffe wie Fata Morgana und Imagines sollten auch noch geklärt werden. Auch der Zusammenhang von Spiegel-Ich zum Sozialen Ich, bzw. der Begriff des sozialen Ich selbst, bereiten mir Unverständnis.
- Inwieweit ist es notwendig sich selbst im Spiegel zu sehen, um die Spaltung des Je und Moi, den Blick von Außen, zu gewinnen? - Lacan stütz sich scheinbar auf Annahmen, die er kaum zu Beweisen versucht: Das Aha-Erlebnis des Kindes, das an einer gewissen Freude festzumachen sein soll bzw. die Interpretation des Erlebnisses, die Annahme einer ursprünglichen Zwietracht die unruhig darauf wartet hervorzutreten.
- Dazu: Bei der klassischen Vorstellung des "aha-Erlebnisses", also ein 'echter' Spiegel, sammt der Eltern/Bezugspersonen: Das Kind sieht sich und dann- oder davor- 'jubeln' die Bezugspersonen dem Kind zu, bestätigen es "ja,das bist du,schau tada". Welche Wirkung hat das, diese Bestätigung, oder fallweise Provokation des "aha-Erlebnisses"?? --C.o.S. 21:01, 15. Okt. 2010 (UTC)
Nebenfragen
- ist mit der Mehtode der symbolischen Reduktion, eine Reduktion phänomenologischer Art gemeint?
- der intraorganischer Spiegel - so etwas wie Spiegelneuronen??
Fabian M. Kos
Schatullenartig möchte ich einige Hinsichten im Anschluss an Jacques Lacans Text kompakt aufmachen. „Der Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt“ (S. 67) kann uns als Übergangspunkt für eine Klarstellung und weiterführende Thematisierung der unerschöpflichen Quadratur der Ich-Prüfungen dienen, insofern das Bestreben des Kindes (beziehungsweise später verstärkt des Erwachsenen) in der dauerhaften Darstellung einer im Spiegel kurzzeitig erfahrenen (scheinbaren) Ganzheit liegt. Den resultierenden Folgen und einer Nüchternheit des Bildes, die sich nach zunächst jubilatorischen Gesten einstellen wird, kommt in diesem Punkt somit besondere Brisanz zu. Insbesondere unter der Berücksichtigung, dass eben dieses Bild „eher bestimmend als bestimmt“ (S. 64) ist und sich somit gestaltend auf das Subjekt auswirkt. Cartesischer Dualismus sieht wahrlich anders aus. Hintan gilt es für den Laien wie mich einen adäquaten Umgang mit dem Spiegelbegriff zu erfragen, insbesondere unter dem trivial gedachten Aspekt, ein Kind käme nie mit Spiegeln in Berührung.
"Das Spiegelstadium als Bildnis der Ichfunktion"
Seite 63/Absatz 2: Dazu möchte ich anmerken, dass nicht nur der Menschenjunge sondern auch ein intelligenter Affe erkennen kann, dass er es ist, den er im Spiegel sieht. Forscher haben Versuche mit Affen gemacht, indem sie ihnen einen Punkt auf die Stirne malten, sie vor einen Spiegel setzten und beobachteten. Dabei fiel ihnen auf, dass sich das jeweilige Tier immer wieder an die Stirne griff und die bemalte Stelle anfasste. Für mich ein Hinweis, dass sich der Affe als Individuum im Spiegel erkannte.
- @es gibt denselben Versuch auch mit Kindern (»Rouge«-Test). Dabei wird den Kindern ein geruchloser roter Punkt auf die Stirn gerieben, wobei Kinder erst im Alter von circa zweieinhalb Jahren darauf reagieren. Es ist damit jedoch keine Aussage getroffen, ob sich das Kind (oder der Affe) als Individuum erkennt. Die Beobachtung stellt nur fest, dass eine Beziehung zwischen der gespiegelten Darstellung und dem Wesen vor dem Spiegel vorhanden ist, die identitätslogisch gedacht werden kann. Inwiefern hier der Begriff ›Individuum‹ mitschwingt, ist für mich nicht geklärt. --9876543210 21:24, 14. Okt. 2010 (UTC)
- @Wiedererkennen im Spiegel: Es wäre diesbezüglich interessant zu fragen, von woher Lacan diese empirischen Daten bezieht? Hat er hier »Feldstudien« durchgeführt oder zitiert er hier implizit bestimmte Wissenschaftsströmungen seiner Zeit. Wenn ja, welche? --9876543210 21:24, 14. Okt. 2010 (UTC)
Seite 66//Absatz 2: Wie ist das zu verstehen, wenn von der menschlichen Erkenntnis als einer "paranoisch" strukturierten gesprochen wird? Ist damit die Spannung zwischen Spiegel-Ich und sozialem Ich gemeint?
Im Online-Reader habe ich zum Thema Spiegelstadium (auf Seite 34) folgendes gelesen: "Störungen des Denkens äußern sich ausschließlich als Störungen der geschriebenen Sprache". Manche Menschen sind mathematisch, andere musisch begabt, einige Sprachengenies, etc. Kann das als Störung angesehen werden, wenn jemand mathematische Probleme blitzartig lösen kann, jedoch grosse Schwierigkeiten mit der Grammatik hat? --Joechtl 12:53, 13. Okt. 2010 (UTC)
- Dazu: Spontan fällt mir die Frage ein, was denn als Störung klassifziert sein könnte. Sind Störungen nicht immer auch eine 'Abweichung der Norm'? Und was sind schlussendlich Normen... . Im Online Reader ist es, denke ich, so gemeint: Die Störung liegt im Bezug zur Sprache, nicht in der grammatikalischen Fähigkeit oder derlei "formellen" Bedingungen?!--C.o.S. 20:55, 15. Okt. 2010 (UTC)
- @Sprache: Ich möchte hier auch gerne einsetzen: Wir haben es – strukturell betrachtet – hier mit einer äußerst interessanten Figur zu tun: Es gibt ein Wesen, welches sich im Wiedererkennen ein ganzheitliches Bild von sich macht. Dieses Bild schiebt sich nun nachträglich über seine Vorgängigkeit. Das ist ein Vorgang, den wir an uns ständig beobachten können: In dem Moment, wo uns eine bestimmte Einsicht zugänglich wird, wird es unmöglich zu einer Betrachtung zurückzukehren, die dieser Einsicht vorauslag. Das Ich (moi) [Spiegel-Ich, imaginäre Ich] operiert in diesem Sinne: In dem Moment, wo sich die Gestalt (schlagartig) gegenwärtigt, ist das Vorangegangene nicht mehr zugänglich und es unterläuft (als Phantom) dieses nur vorgestellte Bild. Es gibt also eine ursprüngliche Differenz, die dem Ich (moi)-Bild zu Grunde liegt. Über diese Figur stülpt sich nun eine zweite Figur: Dieses Ich (moi) ist immer schon in eine sprachliche Ordnung (ich vereinfache den Begriff der symbolischen Ordnung bewusst) eingebettet. Noch bevor das Kind zur Welt kommt, haben sich die Eltern schon einen Namen für das Kind überlegt (ist bereits ein bestimmter Platz in der symbolischen Ordnung für das Kind vorbereitet). Das Ich (moi) tritt nachträglich [das wäre nun gleichzeitig eine erste Frage (a)!] in eine symbolische Gesamtstruktur ein. Indem es in dieser symbolischen Struktur seinen Platz einnimmt, wird das Ich (moi) von der symbolischen Ordnung überschrieben [das Ich (je) stülpt sich also über das Ich (moi)]. Das Spiegel-Ich geht über zum sozialen Ich. Damit verbunden ist nun eine zweite Differenz, nämlich jene zwischen der Sprache und dem was der Sprache vorausliegt. Die Sprache ist uns nicht von Geburt an geläufig, sondern wir lernen die Sprache als Fremdsprache. Erst mit Hilfe der Sprache können wir unser Begehren artikulieren, was nun weitere Differenzfiguren hervorbringt. Was mich hier am meisten interessiert: (a) Wie funktioniert das im Detail? Warum kann man hier von einem narzißtischen Verhältnis sprechen? Warum paranoisch? Diese Begriffe können in Lexikas nachgeschlagen werden und sind – als Begriffe – zugänglich. Hierzu gehört auch der Begriff des Komplexes (aus dem Lacan im Aufsatz über die Familie den Imago-Begriff ableitet) Aber wie OPERIEREN diese Begriffe innerhalb dieser zwei Figuren im Detail? Hierzu gehört auch: Lacan verwendet Form, Gestalt, Bild, Imago – kann man diese Begriff differenzieren, stehen sie nebeneinander? Wie? (b) Lacan schreibt von einem dialektischen Verhältnis, er differenziert sogar in zeitliche Dialektik, gesellschaftliche Dialektik; Das ist auf einer abstrakten begrifflichen Ebene verständlich: Auch hier hakt es bei mir am Detail: Was genau bedeutet ›Dialektik‹? Lacan übernimmt den Begriff meines Wissens von Kojève, der Hegel mit marxistischem Einschlag liest. Hierin läge aber bereits eine fundamentale Differenz: Hegel: These-Antithese-Synthese (Aufstiegsmodell); Marx: Ellipse These+Gegenthese bringen erst eine bestimmte Form hervor, die an sich weitere Formen bedingt (aber soweit ich das bisher gelesen habe weniger im Sinne eines Aufstiegs zu sondern als einer analytischen Beschreibung von) (c) Hat man diese Operationsmodi auf der Ebene des Spiegelstadiums verstanden, stellt sich natürlich die Frage, wie funktioniert der Übetritt vom Spiegel-Ich zum sozialen Ich im Detail? Warum ist die Sprache wie ein Unbewußtes organisiert? Was bedeutet hier Sprache im Detail? Das Strukturmoment ist auch hier verständlich (Differenz zwischen der Sprache und dem der Sprache vorgängigem), allerdings verstehe ich nicht, wie sich dieses Strukturmoment erzeugt. --9876543210 08:31, 17. Okt. 2010 (UTC)
Ich möchte an dieser Stelle noch ein Bsp. für die Identitätsbildung aus dem Tierreich geben, wobei dem Bild eine besondere Bedeutung zukommt. Die Reifung der Geschlechtsdrüsen bei der Taube setzt den Anblick eines Artgenossen voraus. Diese Wirkung kann auch durch das Spiegelbild ausgelöst sein. --Michael Hartinger 21:25, 16. Jan. 2011 (UTC)
Christine Brandner
Zu den Begriffen Fata Morgana und Imagines:
Fata Morgana ist die vielleicht etwas unglücklich gewählte Wiedergabe des Begriffs mirage, den Lacan an dieser Stelle verwendet. Mit seinem Erscheinungsbild, zusammengesetzt aus miroir und image passt er Lacan ausgezeichnet ins Gefüge des ganzen Aufsatzes.
Imagines: An dieser Stelle verwendet Lacan den Begriff imagos möglicherweise ein nicht so ganz simpler Plural von imago.
René Hügel
ad. "Seite 63/Absatz 2: Dazu möchte ich anmerken, dass nicht nur der Menschenjunge sondern auch ein intelligenter Affe erkennen kann, dass er es ist, den er im Spiegel sieht. Forscher haben Versuche mit Affen gemacht, indem sie ihnen einen Punkt auf die Stirne malten, sie vor einen Spiegel setzten und beobachteten. Dabei fiel ihnen auf, dass sich das jeweilige Tier immer wieder an die Stirne griff und die bemalte Stelle anfasste. Für mich ein Hinweis, dass sich der Affe als Individuum im Spiegel erkannte." von Fabian M. Kos (Bemerke: Dieser Beitrag stammt nicht von mir; F. K.)
Meines Erachtens besteht der große Unterschied des Erkennens des eigenen Bildes zwischen dem Menschen- und dem Schimpansenjungen in der Mimik des Aha-Erlebnisses. Diesem folgen eine Reihe von Gesten, welche das Kind sein eigenes Bild als solches als Teil einer Umwelt erkennen lässt. Wie Lacan schreibt, löst der Intelligenz-Akt, welcher sich in einer Wahrnehmung der Situation ausdrückt, "beim Kind sofort eine Reihe von Gesten aus, mit deren Hilfe es spielerisch die Beziehung der vom Bild aufgenommenen Bewegungen zur gespiegelten Umgebung und das Verhältnis dieses ganzen virtuellen Komplexes zur Realität untersucht, die es verdoppelt, bestehe sie nun im eigenen Körper oder in den Personen oder sogar in Objekten, die sich neben ihm befinden." (Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, 1978: 63) Für mich stellt sich das Anfassen des Punktes auf der Stirn des Affen als ein bloßes "Erkennen" dar und kann nicht, wie beim Menschenjungen, als intelligenter Akt bezeichnet werden. Der Affe erkennt "nur" sich selbst und womöglich ist es für ihn unmöglich sich in einem Kontext, also als Teil seiner Umgebung, im Spiegel zu erkennen. Mich würde weiters auch interessieren was man unter einem intelligenten Affen verstehen kann und was einen solchen von einem "normalen" bzw. unintelligenten Affen unterscheidet. Ist es folglich einigen intelligenten Exemplaren eigen, dass sie sich im Spiegel erkennen?
Eine weitere Frage bezieht sich auf die Funktion des Spiegelstadiums und im Speziellen auf die Vorzeitigkeit der menschlichen Geburt ähnlich der Formulierung vom Kollegen Attia im ersten Beitrag. Ist das Unbehagen und die motorische Inkoordination in den ersten Monaten des Neugeborenen, welche sich als Zwietracht äußert, rein auf die Unvollendetheit im anatomischen Sinn zu erklären?
Interessant wäre auch zu wissen, welches Schicksal einem Kind blühen würde, welches in einer "spiegelfreien" Umgebung aufwächst. Was würde das für die Ich-Bildung bedeuten?
Ich glaube nicht, dass es tatsächlich einen Spiegel im Sinne des Gegenstandes selbst braucht. Ich verstehe den Spiegel eher als Metapher für den Akt (besser Prozess) der Selbsterkennung durch etwas anderes. Ob es jetzt tatsächlich mein eigenes Spiegelbild sein muss, wage ich zu bezweifeln. Ich vermute es gibt eine Phase in der Ontogenese des Menschen in der es einen Bruch von Innen und Außenwelt gibt. Der Kollege Rhemann nennt oft als Kennzeichen eines Lebewesens die Innen-Außen Differenz. Als Kleinkind ist diese noch nicht ausgeprägt und das Kind unterscheidet nicht zwischen sich und dem Rest der Welt, die beiden Dimensionen fallen bei dem Kind zusammen. Das Spiegelstadium ist für mich eher als Prozess zu verstehen, in dem das Kind lernt seine Umwelt von seinem Selbst zu unterscheiden, um dieses Neugewonnene wieder in sich zurück zu binden. Festzustellen dass man Einer unter Vielen ist, die so sind wie man selbst, ist meiner Meinung nach ein ausschlaggebendes Erlebnis. Die Allmacht zu verlieren, derer man sich im Besitz geglaubt ebenso (siehe Piagets Stufenmodell, das natürlich wissenschaftlich gesehen nicht mehr Hand und Fuß hat). Dies alles führt zu einer Art Identitätsverlust und Identitätsgewinn gleichermaßen. Psychische Folgen sind da wohl vorprogrammiert. (Im Allgemeinen ist dies auch der Fall wenn für Erwachsene ein Weltbild zusammenbricht) --Thomastobias 15:43, 17. Okt. 2010 (UTC)
Philip Waldner:
Die jubilatorische Aufnahme seines Spiegelbildes […] wird von nun an […] in einer exemplarischen Situation die symbolische Matrix darstellen, an der das Ich (je) in einer ursprünglichen Form sich niederschlägt, bevor es sich objektiviert in der Dialektik der Identifikation mit dem andern und bevor ihm die Sprache im Allgemeinen die Funktion eines Subjektes wiedergibt. (S.64)
Mich interessiert hier vor allem die zweite Hälfte des Satzes, die etwas enorm Wichtiges fast wie beiläufig thematisieren könnte. „Bevor es sich objektiviert“ soll wohl heißen, bevor sich das ursprüngliche Ich (je) im Spiegelbild als ein anderer selbst erblickt und sich dabei narzisstisch identifiziert bzw. aufspaltet. Was hat die Bemerkung zu bedeuten, dass die Sprache dem Ich „die Funktion eines Subjektes wiedergibt“? Heißt das, dass die Sprache eine Art Ausweg darstellt, mit der Abwesenheit des imaginär Identifizierten zurechtzukommen? Lacan hebt ja die Unmöglichkeit einer Annäherung bzw. ihren „asymptotischen“ Charakter hervor und erteilt damit dem einheitsstiftenden "cogito"-Gedanken eine Absage. Kann die Sprache als eine harmonische Repräsentation, als eine Überbrückung der traumatischen Kluft zwischen dem Subjekt und dem anderen gesehen werden?
- @Objektiviert:: Ich bin hier auch hängen geblieben. Was bedeutet ›objektiviert‹? Lacan liest Hegel durch Kojève (behauptet die Sekundärliteratur): Ich habe mich leider nie mit Kojève beschäftigt und weiß nur, dass er Hegel mit marxistischem Einschlag liest. Also habe ich folgendes versucht: Objektiviert bedeutet in Bezug auf die Ware (vereinfacht!) nichts anderes, als das sich die menschliche Arbeitskraft in ihr vergegenständlicht. Auf Lacan umgelegt: das was dem Bild vorgängig ist (das disparate Sein) »vergegenständlicht« (im Sinne von festigt, fixiert) sich im vorgestellten Bild (Ich [moi]). In Bezug auf deine Frage: Was passiert wenn man diesen Begriff eher in Bezug auf die Sprache denkt?: Was den Text für mich so schwer macht sind die zwei Verschiebungen: einerseits zum Ich (moi), andererseits das Ich (je) wie es sich über das Ich (moi) schiebt; Mich würde das auch sehr interessieren: Wie kann man ›Objektiviert‹ hier verstehen? Der Begriff ›Objekt‹ taucht bei Lacan immer wieder auf (Beispielsweise: ›objekt a‹); er verwendet diesen Begriff immer wieder -> Was gibt es hier für einen Zusammenhang zwischen Objekt - objektivieren? --9876543210 09:02, 17. Okt. 2010 (UTC)
Daniel Attia:
Zum Vergleich mit den Affen: Lacan war sich sehr wohl bewusst dass auch bspweise Schimpansen sich erkennen, jedoch verlieren diese wieder rasch das Interesse, da es für sie scheinbar keinen weiteren Belang hat. Im Gegensatz eben zum Menschen, in dem etwas aufbricht.
@Spiegelstadium: MENSCH-TIER: Nachdem die Tiervergleiche bereits mehrfach angesprochen wurden: Mich würde interessieren, warum für Lacan überhaupt die Notwendigkeit besteht, diese Vergleiche anzustellen. Geht es hier um eine Absicherung der vorgestellten Thesen oder wurden diese Vergleiche zum Zeitpunkt des verfassten Textes wissenschaftlich heftig diskutiert? Waren diese Thesen wissenschaftlich vielleicht allgemein akzeptiert und verweist er deshalb auf sie? Geht es hier um die Verortung des Begriffs ›Mensch‹ und einer Differenzierung vom Tier? Hier taucht ein ganzer Fragenkomplex auf, die biologische Differenz der unterschiedlichen Spezies noch gar nicht berücksichtigt. --9876543210 20:36, 14. Okt. 2010 (UTC)
Saskia Hnojsky: Ich habe diesen Text auf Hintergrund eines Textes von Freud gelesen („Zur Einführung des Narzissmus“ 1914) – dabei kamen bei mir folgende Fragen auf: Lacan beschreibt in seinem Text zunächst den Prozess einer Differenzierung von einem schwach strukturierten Innen und einem gestaltgebenden Außen. Dieser Prozess bildet eine der Bedingungen für die Möglichkeit einer Identifikation. Die Metapsychologie Freuds sieht als weitere Bedingung für die Möglichkeit von Identifikationen überhaupt eine stabile Libidobesetzung an. Das Spiegelstadium wird als Geburt des Narzissmus betrachtet, doch frage ich mich wie es sich metapsychologisch beschreiben ließe. In den ersten 6 Lebensmonaten, der Phase des Spiegelstadiums vorgängig, regiert ein Zustand der Unkoordiniertheit, die Besetzungen orientieren sich an Partialobjekten, Selbsterhaltungs- und Sexualtriebe sind miteinander vermengt. Dann, im Spiegelstadium identifiziert sich das Kind mit einer Gestalt, die nicht unmittelbar mit seinem Körper zusammenfällt. Es projiziert diese Gestalt zurück auf seinen Körper und entwickelt erste Ansätze eines Körperbildes. Diesen hochkomplexen Vorgang einzig auf menschliche Intelligenz zurückzuführen, greift meiner Ansicht nach zu kurz. Indem sich das Kind mit seinem Spiegelbild identifiziert, zeigt es dass es fähig ist, seine Libido auf etwas zu richten, das in seinem Erleben nicht unmittelbar mit seinem Körper zusammenfällt. Im Gegensatz dazu waren die ersten (Partial-) Objekte des Kindes entweder Teil des eigenen Körpers (Autoerotismus) oder wurden vom Kind seinem Körper zugehörig erlebt (Brust der Mutter). Im Narzissmus erscheint die Libido in einem autonomen Verhältnis zu den Selbsterhaltungstrieben. Diese Trennung der Libido von der Selbsterhaltung unterscheidet den Menschen vom Tier. --Saskia 13:51, 17. Okt. 2010 (UTC)
Für eine vertiefende Auseinandersetzung von Interesse: Lacan, J.: Freuds technische Schriften. Seminar I (Abschnitt X: Die zwei Narzissmen, Abschnitt XI: Ich-Ideal und Ideal-Ich)--Saskia 14:03, 17. Okt. 2010 (UTC)
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Liebe KollegInnen,
Ich möchte mich hiermit der bereits angelaufenen Diskussion über Jacques Lacans Text „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion“ mit dem folgenden Beitrag anschließen:
Ad Mensch-Tier-Vergleich: Nicht zuletzt aufgrund der hartnäckigen verbalen Barriere zwischen Mensch und Tier wird Ersterer (voraussichtlich) niemals im Stande sein, animalisches Verhalten vollends aufzuklären. Ob also das Erkennen des eigenen Abbildes durch das Affenjunge die Entstehung von Bewusstsein impliziert, sei dahingestellt. Dass das Gegenteil, nämlich die Annahme eines quasi tiefergreifenderen Erkennens, jedoch auch nicht mit absoluter Sicherheit vom menschlichen Säugling behauptet werden kann, räumt Lacan sehr wohl ein, wenn er in ebendiesem Kontext schreibt:
„Solche Aktivität behält für uns bis zum Alter von achtzehn Monaten den Sinn, den wir ihr geben. Sie verrät nicht nur einen libidinösen Dynamismus, der bis dahin problematisch geblieben ist, sondern auch eine ontologische Struktur der menschlichen Welt, die in unsere Reflexionen über paranoische Erkenntnis eingeht.“ (Lacan 1978, 63f)
Auch formuliert er weiter unten merklich vorsichtig, indem er anmerkt:
„Die jubilatorische Aufnahme seines Spiegelbildes durch ein Wesen, das noch eingetaucht ist in motorische Ohnmacht und Abhängigkeit von Pflege, (…) wird von nun an – wie uns scheint – in einer exemplarischen Situation die symbolische Matrix darstellen, an der das Ich (je) in einer ursprünglichen Form sich niederschlägt, (…)“(Lacan 1978, 64)
Ich persönlich habe demnach nicht so sehr den Eindruck, dass Lacan in der Mensch-Tier-Thematik allzu kategorisch argumentieren würde.
Fragen sind auch meinerseits aufgetaucht, wobei die folgenden beiden mich besonders beschäftigen:
1. Der Begriff der „paranoischen Erkenntnis“:
Siehe dazu Zitat weiter oben (von S. 63f) sowie:
„Wir haben in der gesellschaftlichen Dialektik, welche die menschliche Erkenntnis als eine paranoische strukturiert, den Grund gezeigt, (…)“(Lacan 1978, 66)
Ist dieses Konzept so zu denken, dass es stets Bilder sind, die uns Menschen in Wahrnehmung und Denken gleichsam verfolgen, sich verdichten und schließlich Erkenntnis initiieren, indem sie Zusammenhänge deutlich werden lassen und explizieren, oder bin ich da komplett auf dem Holzweg?
2. Der Begriff des „Subjekts“ bei Lacan:
„Die jubilatorische Aufnahme seines Spiegelbildes (…) wird von nun an – (…) in einer exemplarischen Situation die symbolische Matrix darstellen, an der das Ich (je) in einer ursprünglichen Form sich niederschlägt, bevor es sich objektiviert in der Dialektik der Identifikation mit dem andern und bevor ihm die Sprache im Allgemeinen die Funktion eines Subjektes wiedergibt.“ (Lacan 1978, 66)
Mir scheint es, als sei hier das Vermögen der Sprache konstitutiver Bestandteil des Subjekts an sich. Widersteht also jedes präverbale Entwicklungsstadium in der menschlichen Ontogenese dem Subjektbegriff oder ist der Komplex „Sprache“ hier weiter zu denken?--Carina Miesgang 16:24, 18. Okt. 2010 (UTC)
"Embryos unterscheiden schon in der 14. Schwangerschaftswoche zwischen sich selbst, dem Mutterleib und ihren Geschwistern" http://derstandard.at/1287099426688/Fruehe-Sozialkontakte-Zwillinge-streicheln-einander-bereits-im-Mutterleib