25.11.2010 Lacan, Jacques (1964): Seminarsitzung IX, aus: ders.: Das Seminar. Buch XI (1964). Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse
Hallo!
Entschuldigt, dass ich diese Diskussionsseite benütze dafür benutze, aber: Bereitet noch jemand das Referat zu "Is the gaze male?" vor? Ich denke, es wäre ganz sinnvoll die Referatsbeiträge abzugleichen/zu vereinen/ gegenüberzustellen. Ich kann leider am 25.11 nicht in die Sitzung kommen. Meine Emailadresse ist sophie_haas@gmx.at--So.ha 13:35, 25. Nov. 2010 (UTC)
Liebe KollegInnen,
An einer Feststellung, die Lacan im Zuge seiner IX. Seminarsitzung im Zusammenhang mit dem „Zu-sehen-Geben“ (Lacan 1980, 122) gegenüber dem Blick, das seinerseits den „Appetit des Auges“ (Ebd.) stille, tätigte, stieß ich mich bei der Lektüre des Textes ganz besonders. Es ist dies die Folgende:
„Dieser Appetit des Auges, den es zu speisen gilt, macht den zauberischen Wert der Malerei aus. Wir suchen diesen auf einer viel niedrigeren Ebene, als man annehmen könnte: in dem nämlich, was es mit der wahren Funktion des Augorgans auf sich hat, das Auge voll Gefräßigkeit, das der böse Blick ist.“ (Ebd.)
Dass das Auge prinzipiell ein, wie Lacan es drastisch bezeichnet, „gefräßiges“ Organ ist, dem stets nach Reizen und Eindrücken dürstet, scheint auch mir zweifelsohne evident. Dass das menschliche Auge in seiner „wahren Funktion“ (!) allerdings nur dem „bösen Blick“ Ausdruck zu verleihen vermag, leuchtet mir keineswegs ohne Weiteres ein. Noch viel weniger, wenn Lacan weiter unten im Text behauptet:
„Es ist, betrachtet man die Universalität der Funktion des bösen Blicks, überraschend, daß es nirgends auch nur die Spur eines guten Blicks, eines Auges, das Segen bringt, gibt“ (Ebd.)
Der liebende Blick der Mutter/des Vaters dem eigenen Kind gegenüber, der innige Blick zweier Verliebter, der vertrauensvolle Blick zwischen Geschwistern etc., hier kann doch nicht der „böse Blick“ und mit ihm dessen „tödliche Funktion“ (Ebd.), wie Lacan später auch schreibt, vorherrschen, oder?--Carina Miesgang 19:57, 24. Nov. 2010 (UTC)
Grundsätzlich schließe ich mich der Meinung an, dass der Blick noch mehr Facetten als allein die des bösen Blickes in sich birgt, die zu diskutieren spannend wären. Lacan scheint es in seinen Ausführungen jedoch weder darum zu gehen die verschiedenen Varianten des Blickes zu erläutern, noch die Existenz eines guten Blickes in Abrede zu stellen. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass alle Varianten des guten Blickes, derer ich mich entsinnen kann, auf einer Art zwischenmenschlichem Einverständnis beruhen, nicht aber tatsächlich Gutes schaffen, in der selben Weise wie der böse Blick eine zerstörerische Wirkung entfaltet. Lacan verdeutlicht das später auch, als er auf den bannenden Blick angesprochen wird, der zwar abwehren, nicht aber heilen kann.
Einen weiteren Grund für die Vernachlässigung des guten Blickes in Lacans Text sehe ich darin, dass im guten Blick kein Begehren zum Ausdruck gebracht wird. Nur der böse Blick wirkt, wie Lacan es drastisch formuliert als „Separationsgewalt“ und wirft das Subjekt auf sich selbst zurück.--SarahG 11:26, 25. Nov. 2010 (UTC)
Thomas Karner:
Die Ansicht von Lacan, dass im Bösen Blick das wahre Wesen des menschlichen Organes Auge liegt, stieß auch bei mir auf Verwirrung. Was bedeutet der Begriff "Böse" überhaupt für Lacan? Ist seine Interpretation die Augustinische? Der Akt des Schauens, des visuellen Aufnehmens, bringt sicherlich eine grundsätzliche und fundamentale Art des Begehrens zum Ausdruck. Der Versuch den Phallus, das begehrte Objekt des Mangels sich durch den Blick einzuverleiben, ist schon ein interessanter Gedanke. wie verhält es sich mit dem Blick der Liebenden? Ist nicht gerade hier der visuellle Konsum des Geliebten, das Verschlingen des Anderen mit den Augen, eine Art sich des Objektes klein a zu bemächtigen? Was ist mit der Mutter, die ihr Kind betrachtet? Stellt dieses Kind, als Leibesfrucht der Mutter nicht auch eine Form der Vervollkommnung für die Mutter dar? Das Kind, als Spiegelbild der Mutter, die sich selbst beim Anblick ihrer Schöpfung gefällt? Nicht dass hier etwa das Missverständnis aufkommt, ich hielte den Blick für determiniert böse, aber es galt zu versuchen, einem vermeintlich guten Blick hinter den Vorhang zu blicken.--Thomas Karner 13:29, 25. Nov. 2010 (UTC)
Besonders interessant an diesem Text fand ich das Verhältnis von Blickzähmung und Augentäuschung, das Lacan etwa in der Mitte anspricht. Eine wichtige Stellung nimmt hier offenbar die (schon im vorherigen Seminar erwähnte) Geschichte von Parrhasios ein, der Zeuxis durch einen gemalten Vorhang (hinter dem dieser die Trauben vermutete) täuschen konnte. Es handelt sich also eigentlich um eine doppelte Vortäuschung: sie entsteht nicht durch ein irreführendes Bild, das eine Überschreitung verbergen oder kaschieren soll, sondern durch die Vortäuschung es gäbe eine vorgetäuschte Überschreitung. Lacan überträgt das auf die Malerei: „…es kommt darauf an, dass die Augentäuschung der Malerei sich für etwas anderes ausgibt, als sie ist.“ (S. 119)
Sehe ich das richtig, dass hier die Kunst (Malerei) als etwas verstanden wird, was den Blick „zähmt“ (wodurch ja auch ihre reinigende Wirkung hervorgeht), durch eine doppelte Täuschung, einen Schein, der nur so tut als würde sich dahinter etwas verbergen? Ist das nicht eine extrem negative Sicht? --Philip Waldner 15:05, 25. Nov. 2010 (UTC)
Lacan schildert auf Seite 115, dass es auf seiten der Dinge den Blick gibt. Die augenlose Welt der toten Dinge sieht mich sozusagen an. Auch Günther Anders bezieht sich bei der Verteidigung seiner These der "Prometheischen Scham" auf empirische Experimente im psychoanalytischen Bereich, bei denen festgestellt werden konnte, dass sich der Mensch selbst in der ungestörtesten Natureinsamkeit in Bezug auf die noch wirksamen Schamhemmungen, wie ein >>Gesehener<< benimmt. Es liegt hier wohl ein gewisser Anthropomorphismus vor, den man in die Dinge hineinlegt; denn sich eine, metaphorisch gesprochen, augenlose Welt der Dinge vorzustellen, die absolut blind ist, in der es keinen Appetit des Auges gibt, ist von abenteuerlicher Befremdlichkeit. Interessant ist auch Lacans Ausführung über die Augentäuschung in der Malerei. Die These, dass nicht das Bild mit dem Schein, der "doxa" nach Platon, rivalisiert, sondern mit dem, was Platon als die Idee bezeichnet, ist einleuchtend. Ein Bild, in dem ich etwas erkennen kann, sei es eine Figur oder etwas dergleichen, ist auch immer abstraktes Symbol, das zur Formulierung des Gegebenen als vermittlende Instanz eintritt; nur stellt sich die Frage, was ist dieses Symbol? Ist es die Idee selbst? Oder ist es der Schein, der sich wie eine halb-transparenter "Schirm" vor die nicht innerzeitliche Idee legt?--L.M. Steiner 16:22, 25. Nov. 2010 (UTC)
„Tatsächlich vermag der Mensch mit der Maske zu spielen, ist er doch etwas, über dem jenseits der Blick ist. Der Schirm ist hier Ort der Vermittlung.“ (Lacan, Das Seminar. Buch XI, 114)
Folgende Behauptungen drängen sich auf: Dieses Spiel ist de facto ein immerwährendes, welches das angeblickte Subjekt- das gar nicht unbedingt bewusst vollziehen muss- vor dem betrachtenden, begehrenden Gegenüber aus der geometralen Ebene suspendiert und die Realität zum bloß Marginalen verkommen lässt. Seine Intensität jedoch kennt unterschiedliche Ausmaße.
So ließe sich in dieser Konzeption beispielsweise ein abstufendes Modell adäquat denken, in welchem die Ebene ein grundlegendes Quantum Schirm stets behält und sich emporsteigend verdichtet. Weitergehend stellt sich die Frage, ob es an dieser Stelle angebracht ist, das variable Begriffspaar bewusst/unbewusst, wie oben angedeutet, im trivialen Sinne einer willentlichen Steuerung einzuschleusen. F. Kos --Zwakkelmann 09:28, 29. Nov. 2010 (UTC)