Benutzer:Sandmann

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Sandmann alias Nenad Petkovic 0901148



Protokoll zum Vortrag vom 21.01.2010

Der Vortrag von Richard Heinrich vom 21.01.2010 handelte von der Beziehung der Philosophie zu den Wissenschaften und vor allem – wie wir in der Vorlesung gesehen haben – zur Kunst.

Ausgangspunkt für den Vortrag war ein Bild vom Maler Paul Klee, welcher zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gehörte. Der Name des Bildes lautet "Rechnender Greis" und stammt aus dem Jahre 1929. Es hat eine Größe von 30 x 23 cm und erlangte einen Wert von rundum 20.000$. Weitere Werke von Paul Klee, welche Heinrich vorstellte, sind "Abend in Ägypten"(1929), "Die Sonne streift die Ebene" (1929), "Komposition ohne Titel" (1929), "Gestrüpp" (1928), "Kopf eines alten Mannes" (1929), "Angelus Novus" (1920) und "Schellenengel" aus dem Jahre 1939.

Wir sehen vorerst mehrere auffällige Gemeinsamkeiten in den Bildern von Paul Klee. Der "rechnende Greis" weist Ähnlichkeiten mit dem Bild "Abend in Ägypten" auf. Es sind die waagrechten Linien, die sich über das gesamte Bild erstrecken und es scheinbar in einzelne Segmente teilt. Auch in "Die Sonne streift die Ebene" weist diese Struktur auf. Wenn wir uns das Bild "Kopf eines alten Mannes" ansehen, finden wir auch das Gesicht eines älteren Mannes. Dieser scheint zwar nicht, wie der rechnende Greis zu rechnen, sich dafür aber umso mehr mit einem anderen Bild von Klee ähnelt, und zwar dem "Angelus Novus". Die Position dieser scheinbar schwebenden Gestalt ist auf den beiden Bildern fast ident. Auch der "rechnende Greis" scheint gewisse Ähnlichkeiten mit einem anderen Werk Klees zu haben, in diesem Falle mit dem "Schellenengel". Auffällig ist die den Bildern ähnliche Form des Kopfes, die scheinbar (ineinander) zwei (oder gar drei?) Köpfe enthält. In diesem Vortrag beschränken wir uns jetzt auf den "rechnenden Greis".

Für Neugierige und zum Nachsehen: hier die Folien zu Heinrichs Vortrag:

Das Rechnen eines Greises

Beim Betrachten des Bildes stellt sich als Erstes die Frage - vor allem wenn mensch ein wenig über den Titel nachdenkt - womit denn der Greis rechnet. Es gäbe da zwei Möglichkeiten:

- mit dem Kopf

- mit den Fingern

So haben wir dies anschließend im Detail analysiert.

Der rechnende Kopf

Der Kopf ist mitunter das wichtigste "Instrument" um zu rechnen. Ohne ihn, würde das Kopfrechnen nicht funktionieren; wie sieht es nun beim alten Greis aus?

Das erste Problem, über das wir stoßen, wenn wir uns den Kopf des Greises näher ansehen ist die Unklarheit über Anzahl der Köpfe. Es scheint ganz klar und deutlich ein Gesicht zu geben, doch der erste Blick trügt. Bei genauerem Hinsehen, können wir zwei verschiedene "Hauptköpfe" vernehmen. Der erste ist derjenige, mit den rundlicheren Zügen, mit dem runden Kinn, bei welchem mensch beide Augen klar erkennen kann. Perspektivisch gesehen blicken wir teils von der Seite, teils von vorn auf den Kopf. Das andere Haupt, "versteckt" sich im ersten drinnen. Es ist zur Seite gewendet, dargestellt ist es im Profil, nur ein Auge des Mannes ist erkennbar. Das Kinn nimmt spitze Züge an, mensch vernimmt überhaupt viel spitzere Züge in diesem "neuerkannten" Gesicht. Eine spezielle Frage würde sich hierbei jedoch unabweisbar stellen: Würden wir jetzt lediglich diese Profilhaltung des Kopfes als den Kopf des "rechnenden Greises" betrachten, wessen (Halb-)Kopf ist es dann im Hintergrund, welches so im Hintergrund sein Dasein fristet? Ist es der Kopf eines anderen Mannes? Oder muss mensch die andere Sichtweise des Hauptes des alten Mannes als die "richtige" anerkennen? Oder hat der Mann gar zwei Gesichter? Dies ist eine eher unklare Sache, doch etwas Licht können wir beim Analysieren des Kopfrechnens hineinbringen.

Paul Klee selbst stellte den Begriff der "negative[n] Individualität" auf, und zwar im Zusammenhang mit den waagrechten Linien. Diese haben eine kontinuierliche "Frequenz", d.h. die Unterschiede zwischen den Abständen zwischen jenen ist nie sehr groß. Wir nehmen den Hintergrund als Orientierungshilfe. Betrachten wir nun den Kopf (oder die Köpfe) des Mannes, so bemerken wir, dass die Frequenz zwischen den Linien eindeutig anders ist als im Hintergrund. Klee bezeichnete diese Linien individuell, und zwar im Sinne von "endlich teilbar". Unterschiede von Strukturen zu anderen Strukturen können auf Grund dieser Strukturen leichter verglichen werden. Diese Unterschiede können entweder durch Betonung (der Linien) oder Lücken (also längere Frequenzen zwischen den Linien) signalisiert werden. In diesem Fall bemerken wir die grandiosen Lücken im Kopf des Mannes im Vergleich zu seinem Hintergrund und kommen daher zu dem Schluss: Der Kopf des rechnenden Greises ist leer!

Doch wie ist das zu denken? Ein Mensch, welcher gleichzeitig rechnet und einen leeren Kopf hat? Setzt die Fähigkeit im Kopfe zu rechnen nicht einen Inhalt im Kopf voraus? Wie ist sowas möglich? Das einzige, was momentan in unserer Macht steht, ist erst mal zu sagen, dass der Mann bestimmt nicht im Kopf rechnet und abzuwarten. Denn wir sehen ja, der rechnenede Greis ist ja nicht alleine! Er hat noch seine Finger!

Die Finger des Greises

Das Erste, das uns auffällt, wenn wir die Finger betrachten (ja noch bevor wir herausgefunden haben, dass es sich bei der Fratze um eine inhaltslose handelt) ist das sprachliche Zeichen, welches uns vermittelt wird. Der alte Greis, gespannt sitzend (oder stehend?), rechnende und vor allem die Finger als Hilfsmittel für den Kopf dabei verwendend.

Aber nun, da wir wissen, dass der Kopf leer ist, fragen wir uns jetzt: Wie rechnet der Mann? Mit den Fingern? Wenn wir uns die Finger genauer ansehen, merken wir als Erstes, das in diesem Fall etwas nicht stimmt. Die Finger sind sehr merkwürdig gestaltet. Sie sind in mehreren Paaren gebildet und sehen eher klauenartig aus. Das Ganze schaut weniger wie die Haltung von Fingern, die vorhaben, ihrem Besitzer das Rechnen zu erleichtern, aus, als wie eine Haltung von Fingern, die es gewohnt sind, Saiten einer Geige hinunterzudrücken. Es ist - laut Richard Heinrich - bekannt, dass Klee ein Geigervirtuose war. Das Entscheidende an der ganzen Sache ist - wie wir drauf gekommen sind -, dass die Finger den Händen vor allem nicht eindeutig zuordbar sind. Weiß der alte Mann, welcher Finger welcher Hand entsprungen ist? Wenn nicht, so scheint auch eine Rechenmethode alleinig mit den Fingern unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich!

Besonders interessant wird die Sache aber erst dann, wenn mensch sich Gedanken macht, ob dies nun wirklich eine linke und eine rechte Hand sein kann. Denn wenn mensch genauer hinsieht, so ist es im Grunde nicht zu übersehen, dass der werte Herr auf dem Bild scheinbar zwei rechte (oder gar Arme) besitzt! Natürlich würde die Möglichkeit existieren, dass jemand anders ihm eine Hand reicht, doch egal wie wir uns entscheiden, die Finger sind eindeutig nicht als Instrumente der Rechenkunst zu gebrauchen. Conclusio: Der rechnende Greis rechnet nicht mit den Fingern!

Zusammenhänge

Auf der Suche nach einer Antwort, wie denn der Greis zum Rechnen kommt, sind wir nun in zwei "Sackgassen" geraten. Die eine Theorie war, er rechne mit dem Kopf. Da sich sein Haupt aber als leer herausgestellt hat, fällt dies nun weg. Die andere Theorie war, dass der Mann die guten alten Finger benutzt. Doch scheinbar sind diese weniger als Werkzeuge zum Rechnen tauglich als Instrumente der Verwirrung. Der Greis rechnet definitiv nicht mit den Fingern.

Doch wie rechnet er dann? Es wäre eine ungeheuer starke Hypothese zu sagen, der Greis rechnet nicht. Wie ist dies mit dem Titel, der doch zweifelsfrei "Rechnender Greis" lautet? Angenommen, das Gemälde hätte keinen Titel: würden wir dann eigentlich zur Hypothese kommen, dass der Mann rechnet? (Dies wäre ein möglicher Punkt zum Anknüpfen) Tatsache wäre – so meine Meinung, dass es der Tatsache entspricht -, dass wir uns damit auf einer vollkommen anderen Ebene der Interpretation bewegen würden. Der Titel „Rechnender Greis“ setzt unserem Denken – oder besser gesagt, dem Bereich, in welchem sich unser Denken für diese Interpretation bewegt, der uns „gute“ Interpretationsvorschläge verspricht – eine Grenze.

(Meine Überlegungen hierzu: Er ist somit ein Raster, der uns vom Künstler im Grunde vollkommen unwillkürlich auferlegt wird. Wir können uns dagegen, ohne dass wir jetzt das Bild nicht ansehen wollen, in keinster Weise wehren, denn selbst, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass dies ein Raster für unser Gehirn darstellen soll, und wir dementsprechend Widerstand leisten, so wird jeglicher Widerstand gegen die „Zwangsauferlegung“ dieses Titels ein krampfhaft gegen uns selbst gehender. Die Erkenntnis über den Zwang des Titels wird zur Voraussetzung und Begründung unseres „neuen“ (krampfhaften) Schauens, einen anderen Sinn oder eine andere Interpretation im Bilde zu erkennen. Das bedeutet für mich: Der Künstler ist in der Lage – noch bevor wir das Bild selbst gesehen haben – uns mit dem Titel so zu manipulieren, dass unser Denken automatisch in ein Raster gezogen wird, aus dem es scheinbar keinen Ausweg wieder hinaus gibt. Den jeder Versuch würde Widerstand, und dieser bewegt sich genauso im Vorverständnis des Rasters.)

Da das Bild nun mal einen Titel hat, sollten wir nun versuchen diesen dementsprechend zu berücksichtigen. Wie kann ein rechnender Greis nicht rechnen können? Könnte es sein, dass der Alte das nicht kann, eben weil er ein Greis ist? Daher kann er auch nicht mehr rechnen, weder mittels der Kunst des Gehirns, noch mittels der Fertigkeit seiner Finger. So wissen wir alle - oder können es zumindest annehmen -, dass dieser Mensch auf dem sicher einmal jung gewesen sein muss. Und zwar jung und fähig sich des Rechnens zu bedienen (vielleicht sogar sowohl mit dem Kopf als auch mit den Fingern). Doch nun, im Begriffe zu zerfallen, jetzt, wo die letzten Stündchen zu schlagen kurz davor stehen, scheitert er. Der Mann hat es verlernt. Genauer: Er kann sich nicht mehr erinnern. Wer sich nicht erinnern kann, kann auch nicht rechnen!

Nun zur Philosophie

Die Leere im Kopf ist also deutbar als eine Art Erinnerungslosigkeit. Der Mann scheitert am Rechnen, sowohl mit dem Kopf als auch mit den Fingern, und zwar eben weil er ein Greis ist, der sich nicht mehr erinnern kann. Was hat dies alles nun mit Philosophie zu tun? Wenn wir ein wenig weiter denken, können wir das Bild doch mit dem Innen/Außen-Verhältnis der Philosophie verknüpfen? Und schon haben wir das philosophische Problem des Bildes: Das Rechnen mit den Fingern, welches für das Äußere steht, und das Kopfrechnen, welches für das Innere steht. Heinrich zitiert Wittgenstein:

"Das Innere ist eine Täuschung."

Wittgenstein setzte sich, laut Heinrich, oft mit dem Kopfrechnen auseinander. Einige Fragen wären an dieser Stelle zu stellen: Ist es möglich nur im Kopf zu rechnen, ohne jemals schriftlich oder mündlich gerechnet zu haben? Ist es möglich einem ganzen Volk das Rechnen im Kopf als alleinig beizubringen? Und schließlich: Ist das Rechnen im Kopf „unwirklicher“ als das schriftliche Rechnen?

Wie konnte der Mann das Rechnen eigentlich verlernen? Hier ist wieder das Innen/Außen-Problem zu erkennen. Heinrich hat zur Verbildlichung das Schließen der Heckklappe seines Wagens als Beispiel genannt: Nehmen wir an, nur Heinrich selbst ist als einziger Mensch auf der Welt in der Lage, diese (besondere) Heckklappe, mittels eines besonderen Handgriffs (welchen nur er beherrscht) zu schließen. Nun fährt er in den Urlaub (nicht mit seinem Auto) und bleibt dort für etwa zwei Jahre. Nehmen wir nun an, dass - nachdem er zurückkommt - er diesen einen Handgriff verlernt hat. Nun ist er - und jetzt ist es keiner - nicht mehr in der Lage die Heckklappe zu schließen. Dies wäre so ähnlich, wie Wittgensteins Beispiel von einer Tabelle, die mensch nicht in der Vorstellung nachschlagen kann. In diesen beiden Fällen ist das Innere fest mit einem Äußeren verbunden. Die Vorstellung vom Griff für das Öffnen der Hecktür mit dem tatsächlichen oder die Vorstellung einer Tabelle mit der tatsächlich existierenden. Das Rechnen hat jedoch in diesem Bezug einen eher besonderen StellenwertMit dem Rechnen verhält es sich jedoch anders: Das Rechnen hat in sich selbst einen Erinnerungsfaktor. Mensch kann z.B. nicht addieren, wenn der erste Summand beim Denken des zweiten Summanden bereits wieder vergessen ist (sozusagen eine syntagmatische Beziehung in sich selbst).

Sehen wir uns die Zeichnung noch einmal an: Sie zeigt nur die Unfähigkeit eines alten Mannes eine Rechnung zu bewerkstelligen, und zwar auf Grund des Nicht-mehr-erinnern-könnens. Die Finger haben lediglich zwei Funktionen: Zum Einen sind sie da, um das Kinn zu stützen, zum Anderen um ineinander verhakt zu sein.

Conclusio

Nach Heinrichs Interpretation stellt das Bild eine Aufspaltung der Zeichnung in Zeichen und Rechenzeichen dar. Conclusio: Die Unfähigkeit des rechnenden Greises zu rechnen ist eine „Vertuschung“ für eine andere Unfähigkeit: und zwar jene, eine Rechnung zu zeichnen.

Wir werden in diesem Fall nie zu einer wirklich konkreten Antwort kommen können. Das Bild ist trotz des Titels, welcher uns eintrichtert einen rechnenden Greis zu sehen, offen für Interpretationen. Richard Heinrich hat einen Versuch unternommen, das Bild aus einer philosophischen Perspektive mit uns zu analysieren und uns einen Einblick in die Ästhetik zu öffnen. Die Frage, was Philosophie denn mit Kunst zu tun hat, finde ich persönlich mit diesem Vortrag mehr als zufriedenstellend beantwortet. --Sandmann 12:09, 28. Jan. 2010 (UTC)