Kommentare - MuD09 - Gruppe4 - 11.11.

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Frederick Tekook: Simon hat weiter unten einen ganz zentralen Punkt in seinem letzten Satz angesprochen, denke ich. Den nämlich, dass der an unserer Universität zur Zeit ausgetragene Streit einen generellen Missstand in der Gesellschaft widerspiegelt. Ich wüsste offen gestanden nicht zu sagen, welchen Stellenwert Bildung -und ich fand Fabians Sichtweise, Bildung als die Fähigkeit, Zusammenhänge herstellen zu können- in der aktuellen Gesellschaft hat, aber sonderlich hoch kommt er mir nicht hoch. Bei der Masse an Informationen, mit der das Individuum heute konfrontiert wird (es gibt 6,8 Milliarden Menschen auf der Welt, im historischen Vergleich: vor 1900 waren es ca. eine halbe Milliarden - dementsprechend sind aber auch die Zahlen an Publikationen, Zeitungen etc. hoch gegangen, die Informationsüberflutung hört nirgends auf), erscheint es mir nicht verwunderlich, dass Menschen eher über ihre Ausbildung, also die Funktion, die sie potentiell in der Gesellschaft übernehmen können, als über ihre Bildung, deren Bedeutung sich erst nach einer gewissen Reflektion erschließt, beurteilt werden. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass die Hauptfrage, der wir uns im ersten Semester widmen, die nach der Philosophie selbst ist, was sie ist, wozu sie dient und so weiter. Dass Menschen, die sich nicht oder nur wenig mit Philosophie beschäftigen, solche Gedankengänge nicht haben (auch im Sinne der Informationsflut) erscheint mir recht logisch, die Kalamität wird immer offensichtlicher, man könnte vielleicht von "Zwangsveroberflächlichung" der Bildungsschichten sprechen. Von da aus ist der Schritt, die Universität als Ausbildungszentrum zu sehen, auch nicht mehr weit; nun geht das sogar noch einher mit der Tatsache, dass dem Staat weniger Geld zur Verfügung steht, er sich also Ausgaben (so auch im Bildungssystem) besser überlegen muss. Es wird immer offensichtlicher, auf welches Problem ich hinaus möchte, aber es wird auch offensichtlich, wie tief das in der Gesellschaft verankert sein muss, es ist eine absolut logische Folgerung aus historischer Sicht. Nun aber ist es doch laut Kant eine fundamental wichtige Aufgabe der Philosophie, die anderen Wissenschaften zu beobachten und gegebenenfalls zu bremsen - und das zu einer Zeit, in der die Philosophie in der öffentlichen Meinung zu einem "Orchideenfach" verkommen ist. Ich möchte an dieser Stelle bewusst nicht in irgendeiner Form mit einer Meinung oder dergleichen beschließen, ich möchte lediglich einen Gedankenanstoß geben, wie wichtig und gleichzeitig wie kompliziert die Thematik ist, in der wir uns wieder finden. Ich halte es für wichtig, dass etwas passiert, Wissen ist -meiner Ansicht nach, die Begründung kann ich mir wahrscheinlich sparen und als bekannt voraussetzen- ein hohes Gut, das es gegen einen mehr als ungesunden Zeitgeist zu verteidigen geht, aber -an dieser Stelle doch kurz meine Meinung- nicht mit gut klingenden, aber nichts sagenden Parolen und Gedankengängen, die man nicht zu Ende gedacht hat.

Katharina Baur:von meinem Standpunkt aus betrachtet ist es angesichts der aktuellen Krise besonders wichtig das gültige Wertesystem ansich zu überdenken. Im kantschen Sinne hat ja gerade die Philosophie diese Aufgabe. Wo hat die Krise der Universität, die zu der jetztigen Ausnahmensituation mit Demonstrationen und Besetzung geführt hat ihren Ursprung? Wie meine Kollegin habe auch ich teils aus den selben Gründen gezögert, mich für das Studienfach Philosophie zu entscheiden. Die Bewertung der Studienrichtungen nach ihrer ökonomischen und sozialen Verwertbarkeit hat bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch ihre Berechtigung. Allerdings halte ich dies nicht mehr für zeitgemäß, da das gültige Wertesystem allem anschein nach nicht mehr gelten kann oder soll. Vielleicht sollte die kritische Kraft der Vernunft hier nicht nur die Fakultäten in ihren Zweifel ziehen, sondern die Tatsache, dass gewisse Tätigkeiten noch immer anders bewertet werden als andere. Der Schwerpunkt liegt derzeit mehr auf der Reproduktion von Wissen, als auf der Produktion von neuem Wissen. Man darf aber nicht vergessen, dass zur Zeit Kants die Forschung auf einem anderen Stand war, als sie heute ist. Es gab noch viele "weiße Flecken auf der Landkarte". Gerade die Philosophie hat, wie ich denke, dadurch, dass die Psychologie und die Soziologie nun eigenständige Richtungen sind, einen großen Teil ihrer Forschungsaufgabe verloren und konzentiert sich mehr auf das, was wir Ethik nennen.


Zmaritz Michaela:

Nach der Lektüre des Artikels war ich erstaunt, denn für mein Empfinden weist er nach wie vor hohe Aktualität auf. Der angesprochene Spannungszustand zwischen der Reproduktion und der Generierung neuen Wissens ist in jedem Fall ein Notwendiger. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass genau diese gesellschaftliche Reibefläche, die die mittlere Zone sozusagen als Lebensgrundlage wie auch als Existenzberechtigung braucht, mir nicht im entsprechenden Ausmaß gegeben – oder vielleicht besser gesagt – genutzt zu werden scheint. Rein praktisch gesehen, war z. B. für mich genau dieser „alte“ Vorbehalt, Philosophie ist ja ein brotloses Studium, ausschlaggebend, bei der Inskription zu zögern und ein dreiviertel Jahr vergehen zu lassen, da genau jene geschürten Bedenken mich davon abhielten. Zum anderen ist für mich der Forschungsbereich dieser Disziplin auch ein durchaus „verschwommener“ Begriff, da ich mir zu wenig darunter vorstellen kann. Die Reproduktive Verantwortlichkeit im geisteswissenschaftlichen Bereich sehe ich tatsächlich, aus meiner persönlichen Warte heraus, nicht nur als legitim, sondern auch als dringend erforderlich. Ich möchte am Ende nicht in der Position sein, sagen zu müssen: „ Ja, letztlich hat es sich doch als Orchideenfach erwiesen. Die praktische Rückführung in mein primäres bzw. ein verwandtes Tätigkeitsfeld ist leider nicht möglich gewesen.“ Es ist mir bewusst, dass die Erfüllung beider Ansprüche – Reproduktion und wissenschaftliche Forschung in ihrer Gegenseitigen Abhängigkeit – weder leicht zu erfüllen ist, bzw. das es ein fortwährender Grenzgang unter den entsprechenden gesellschaftspolitischen Strömungen ist. Aber ich sehe es auch als Recht und als Pflicht, diesem Anspruch zumindest zu versuchen zu genügen. Dieses Recht- und Pflichtverhältnis trifft meiner Meinung aber genauso auf die Gesellschaft selbst und ihre politischen Vertreter zu, kommen sie doch mehrheitlich aus dieser Liga. Aber auch jedem einzelnen Studierenden ist Recht und Pflicht nicht zu erlassen und es gilt in jedweder Position zu hinterfragen, auf welchem legitimen Boden Forderungen, Anordnungen, Personalbesetzungen, Strukturmaßnahmen getroffen werden. Jede dieser Gruppierungen läuft fortwährend Gefahr, von anderen Gruppierungen, Strömungen, wirtschaftlicher, politischer oder sonstiger Natur instrumentalisiert zu werden. Deshalb sollte Bildung einem aufgeklärten Staat ein kostbares Gut sein und für möglichst viele Menschen zugängig sein. Ob sich dies immer auf dem Boden der Universitäten abspielen muss, ist eine andere Frage. Die Quantität vor die Qualität zu stellen, halte ich für einen zwar gangbaren, aber schlechten Ausweg. Internationale Rankings sind heute der Maßstab der Vergleichbarkeit. Aber nicht die Platzierungen in solchen Rankings sollten dieser Maßstab sein, an dem ein Handlungsbedarf gemessen und initiiert wird, sondern aus dem angesprochenen Selbstverständnis, welches Prof. Nemeth in der Vorlesung angesprochen hat, als Teil der Reproduktion („Die Liebe zur Ordnung,..“) Die Spannung zwischen dem Druck der Marktwirtschaft und der sich zu erhaltenden Legitimation durch das Volk hat in den letzten Jahren zu mehr als nur absurden Wahlzuckerln, Maßnahmenpaketen und ähnlichem geführt und ist scheinbar nur schwer / bzw. kurzfristig auszuhalten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich alle einmal vergegenwärtigen, dass die Probleme dieser Zeit möglicherweise eine eigene Struktur haben. Probleme, die vielleicht vorher noch nie da gewesen sind, bzw. zumindest nicht in diesem rasanten Tempo aufgetreten sind, historische Altlasten mit sich bringen und von großer globaler Dynamik beeinflusst werden.

Weronika Macyznska:Meiner Meinung nach sollte man kein Studium anstreben wenn das Resultat allein der Titel sein soll, denn dann bildet sich genau das was in der oeh-Zeitung geschrieben wurde: eine Gesellschaft die für Großkonzerne geschaffen wird. Nicht die Arbeitsplätze werden für ausgebildete Akademiker geschaffen sondern Akademiker für Arbeitsplätze. Ich kann das Prinzip der Ökonomisierung der Universitäten nachempfinden, denn unsere Gesellschaft ist definitiv leistungsorientiert und auf eine immer höhere Produktivität jedes Einzelnen programmiert. Somit entscheiden wir uns selbst zur Einschränkung indem wir nur einen Titel anstreben, anstatt ein Studium als eine Bereicherung und Weiterentwicklung unserer Individualität ansehen. Bildung sollte jedermann/frau zugänglich sein ohne Einschränkungen, was auch laut der Verfassung für Menschenrechte theoretisch sein sollte, doch jeder einzelne von uns entscheidet sich selbst, was er/sie aus dieser Bildung in Zukunft macht. Schließlich sind auch die Ideen der Umstrukturierung der Universitäten und das Bologna System von Akademikern ins Leben gerufen worden. Da sollten wir uns doch fragen was ein „Master“ oder gar ein „MBA“ über uns aussagt?!

Simon Pötschko: Ich persönlich finde, dass die Darstellung der Universität als Ort, wo zum einen altehrwürdiges und hoffentlich reflektiertes Wissen reproduziert wird und zum anderen als gleichzeitige Kontrollinstanz des bestehenden Wissens, d.h. als Ort wo Wissen kritisch überprüft und nach neuem Wissen geforscht wird, als durchaus akzeptabel und gut getroffen. Wie bei jedem Dualismus überwiegt manchmal der eine, manchmal der andere Aspekt. In den heutigen Tagen wird kritisiert, die Uni sei zu sehr an ökonomischen Interessen orientiert und konzentriere sich zu sehr darauf die Bildung in eine bestimmte, von außen vorgegebene, Richtung zu lenken. Bildung statt Ausbildung ist somit die Forderung, bzw. eine der vielen Forderungen, der Demonstranten. Ich persönlich finde, dass dieser Zweikampf der beiden Ideologien, wenn man sie so nennen kann, wirklich fundamental für eine gute Universität ist und deshalb sollte unter allen Umständen versucht werden diesen Zustand auch aufrecht zu erhalten, bzw. ihn wiederherzustellen sollte er nicht mehr gegeben sein. Mein Augenmerk liegt hierbei allerdings darauf, im Ganzen einen Ausgleich zwischen den beiden Richtungen zu finden und nicht die eine oder andere zu favorisieren. Mir kommt vor, eine allgemeine Einführung und Erläuterung der allgemeinen Thematik eines Studiums ist zu Beginn desselben durchaus Sinnvoll und kann einem für später Helfen sich in seinen Interessen besser zu orientieren. Als Abschluss möchte ich sagen, dass es mir vorkommt, dass die momentane Situation auf den Universitäten in Österreich nicht nur ein einzelnes Phänomen unter demonstrationswilligen Studenten und Lehrenden ist, sondern, dass es einen allgemeinen Missstand in der Gesellschaft wiederspiegelt. Eine Verbesserung der Zustände auf den Universitäten würde nur zu einer temporären Besserung führen und nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Sofern dieser auch erreicht werden kann.


Andreatta Benjamin: Die Universität als Treffpunkt der Forschung und Lehre ist weitgehend anerkannt, allerdings wirft der Aspekt, Studenten sollen für die Gesellschaft ausgebildet werden, für mich Zweifel und Fragen auf. Wenn die Forschung frei sein soll, muss sie sich dann nicht von der Gesellschaft/Wirtschaft und deren Interessen auch distanzieren? Und inwiefern kann heutzutage die Philosophie noch die Wissenschaften und die Gesellschaft beeinflussen?

In der heutigen Zeit ist es unmöglich als Laie ernsthafte Kritik an einer Neuheit der Forschung zu üben. Nicht einmal die Philosophie kann dies, da die heutige Wissenschaft extrem spezifisch geworden ist und wer kein Meister seines Faches ist, kann den Sachverhalt unmöglich überblicken. Zum Beispiel in der Genforschung und Manipulation: Über 90% der Experten sind heute in der Wirtschaft tätig und vertreten deren Interessen, maximalen Profit. Als Laie ist es unmöglich Risiken und Auswirkungen der neuesten Errungenschaften abzuwägen, höchstens im Nachhinein. Für mich hat deshalb die Philosophie ihren Stellenwert als Kritiker der Oberen Fakultäten verloren. Eine seriöse und systematische Kritik kann nur noch aus den eigenen Reihen kommen.

Andererseits hat die Wissenschaft natürlich den Zweck für die „Menschheit“ zu forschen und zu lehren, welchen anderen Zweck hätte sie sonst? Doch wer kann allen Ernstes behaupten, das Wohl der Menschheit zu kennen und zu deren Gunsten zu handeln?


Gertrude Dvornikovich:Diese Vorlesung habe ich äußerst interessant gefunden. Prof. Nemeth hat uns deutlich gemacht, wie es um die Universitäten steht, welche Gemeinsamkeiten die Problematik bereits im Jahre 1996 und der jetzigen war und ist. Es zeigt den Widerwillen der Studenten und Lehrenden gegen die Einsparung der Regierung. Die Staatsspitze kümmert sich bevorzugt um Banken, AUA, ÖBB, Post, ASFINAG,usw.

Der freie Zugang zu den Universitäten muss für alle Bürger gegeben sein. Die überfüllten Lehrsäle gibt es auch, weil der freie Zugang für alle EU-Bürger möglich ist. Der Gesetzgeber hat sich leider keine gesetzliche Regelung einfallen lassen, damit die Österreicher entsprechend studieren können. Wie Prof. Nemeth auch anmerkt, tragen alle akademischen Fähigkeiten zu wesentlich besseren Chancen in der Gesellschaft bei.

Prof. Nemeth sprach über das Buch von Pierre Bourdieu „Homo Acedimicus“, eine empirische Studie zum französischen Bildungssystem (20. Jhdt.) und war verblüfft, dass so viele Ähnlichkeiten mit der heutigen Situation auf unseren Universitäten sind. Sie machte uns klar, dass schon immer ein Spannungszustand zwischen der „Aufgabe der Reproduktion von anerkanntem Wissen auf der einen Seite, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Uni innerhalb einer Gesellschaft zu erfüllen hat. Aber auch eine Liebe zur Ordnung sollte da sein, die ebenso ein Ergebnis akademischer Bildung ist, wie auch Bordieu sagt. Auf der anderen Seite ist die produktive Funktion, neues Wissen hervorzubringen. Die Notwendigkeit steht mit der Reproduktion im Gegensatz, weil sie einen Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung vorschreibt. Auf der Ebene der Akteure herrscht Spannung, es dominiert immer das eine das andere. Zu Kants Streit der Fakultäten (1798), sind die Universitäten charakterisiert durch einen irreversiblen Spannungszustand zwischen den beiden Aufgaben: Reproduktion (auch bei Kant sind dies Jus, Medizin und hier auch Theologie), sind die sog. oberen Fakultäten. Diese stehen der philosophischen Fakultät, der sog. unteren Fakultät gegenüber. Damit sind auch alle Fakultäten gemeint, die neues Wissen hervorbringen (Mathematik, Astronomie usw.). Aufgabe der unteren Fakultät ist, der oberen Fakultät Einwürfe zu stellen und die verbreiteten Auffassungen in Zweifel zu ziehen. Die Uni ist ein gesellschaftlicher Ort, an dem der Streit ums Volk geführt wird. In welcher Weise soll gelehrtes Wissen gesellschaftlich wertvoll sein? Die Uni ist der Ort, an dem der philosophischen Fakultät erlaubt ist, den „eingesetzten Geschäftsleuten öffentlich entgegen zuarbeiten. Die Uni ist der Ort, an dem die magische Kraft des Wissens sowohl gepflegt, als auch entgegengearbeitet wird. Die von Bourdieu dargestellte „mittlere Zone“ setzt Kants Aussagen im „Streit der Fakultäten“ im modernen Sinn um.

Vermutung Prof. Nemeth, dass Philosophie immer wieder durch die Oberen bedroht wird. Mich persönlich hat schon immer Philosophie interessiert. Auf eine Frage eines 60jährigen Mediziners, welches Fach ich studiere, musste ich leider eine negative Äußerung hören. Somit kann ich mich nur der Vermutung von Frau Prof. Nemeth anschließen. Wie auch schon meine Kollegin Baur erwähnt hat, wäre das gültige Wertesystem an sich zu überdenken. Die momentane Situation auf den Universitäten in Österreich ist nicht nur ein einzelnes Phänomen unter demonstrationswilligen Studenten und Lehrenden, sondern, es spiegelt einen allgemeinen Missstand in der Gesellschaft wieder, wie Hr. Pötschko erwähnt.

Die These von Prof. Nemeth, wenn wir eine lebendige Uni wollen, brauchen wir nicht nur die unabhängige Kraft des Denkens, sondern auch eine Etablierung des immer neuen Überlegens. Dadurch entsteht der oben beschriebene Spannungszustand. Produktion kann nur mit Reproduktion existieren, allerdings nur wenn öffentliche Zweifel gezogen werden können.


Simona Stockreiter: Durch die Einführung der Baccalorstudien hat sich die Problematik der Trennung von Forschung und Lehre verstärkt. Der ursprüngliche Sinn der Universität besteht doch darin eine Einheit von Forschung und Lehre zu bilden. Durch den Bolognaprozess tritt aberoft eher eine Berufsausbildung als eine wissenschaftliche Berufsvorbildung in den Vordergrund. Durch modularisierte und durchstrukturierte Studien wird die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung stark eingeschränkt. Durch den Bologna-Prozess ist es, denke ich, unmöglich ein relativ ausgeglichenes Spannungsverhältnis zwischen produktivem und reproduktivem Wissen zu ermöglichen. Ich denke, auch wenn die zahl der Studienabschlüsse auf Grund der Reformen steigen wird, bergen sie für mich, besonders als Philosophiestudentin, eher einen Nachteil, da diese durchstrukturierung des Studiums eine Selbstbestimmung und Freiheit des Forschens eher einschränkt. Durch ECTS-Punkte, Modularisierung wird jede Vorlesung, jedes Seminar strategisch bewertet. Wir stehen unter dem Druck eine bestimmte Anzahl solcher Leistungspunkte zu erreichen. Dieser Druck könnte dazu führen, dass weniger der Inhalt, die Sache selbst im Zentrum steht sondern mehr, die Leistungspunkte, Modulzugehörigkeiten und Anrechnungsvarianten. Unter diesen Voraussetzungen, sinkt könnte die Neugierde an der Wissenschaft selbst sinken. Da jedes erworbene Wissen einem Punktesystem untergeordnet ist. Ich bin auch der Meinung, dass die momentane Situation an den Universitäten, die heutige Gesellschaft und ihre Wertevorstellungen spiegelt. Wichtig ist eine bestimmte Anzahl von Leistungspunkten zu erreichen um schnell in die Berufswelt eintreten zu können. Ziel ist, das Studium kostensparend und ohne Zeitverlust zu absolvieren. Doch der ursprüngliche Sinn einer Universität liegt nicht oder weniger in einer beruflichen Ausbildung sondern besonders in der Entwicklung von Wissenschaft und Forschung. Eine Verschulung der Universitäten kann dies aber nicht ermöglichen. Besonders in den geisteswissenschaftlichen Fächern, sind meiner Meinung nach, die neuen Regelungen stark beeinträchtigend, denn gerade in diesen Fächern ist es doch fast absurd individuelle, originelle Forschungsansätze zu behindern. Aber auch in Fächern, in denen ausschließlich anwendungsorientiertes, verwertbares Wissen erworben werden soll, ist es doch ebensowichtig dieses erworbene Wissen zu reflektieren. Ich denke, dass die Philosophie auch in den oberen Fakultäten einen wichtigen (und oft unterschätzten) Stellenwert hat, da sie notwendig ist um das erworbene Faktenwissen reflektieren und kritisieren zu können, um das Spannungsverhältnis aufrecht erhalten zu können.


David Bogner: Frau Professor Nemeth stellt dem Slogan der aktuellen Studentenproteste „Bildung statt Ausbildung“ die Überlegungen zweier Denker gegenüber, die beide besonderen Wert auf den Reibungsraum zwischen der Reproduktion von anerkanntem Wissen auf der einen Seite und der Produktion von neuem Wissen auf der anderen Seite legen. Es ist egal, ob es bei Bordieu die Institute wissenschaftlicher Forschung und die Institute höherer Bildung sind, mal das eine oder das andere dominieren kann und der Spannungszustand dieser Kräfte auch innerhalb der einzelnen Fakultäten und sogar Individuen zu finden ist oder ob im Sinne Kants davon gesprochen wird, dass die oberen Fakultäten immer die unteren dominieren, aber wieder beide notwendig sind um den Raum zu schaffen, in dem Vernunft ihre aufklärerische Kraft gewinnt.

Denn es ist ein Irrtum, dass sich dieses häufig skandierte „Bildung statt Ausbildung“ auf die angeführte Dichotomie bezieht. Bildung im Sinne des studentischen Protest schließt nicht nur wirtschaftlich schwer verwertbare Orchideen Studien im Bauch der Alma Mater sondern auch Jus, Medizin und Wirtschaft mit ein und stellt die Forderung, die Möglichkeit zur ganzheitlichen Bildung zu gewähren. Ausbildung als Gegensatz meint nicht bestimmte Fachrichtungen oder Fakultäten, sondern finanzielle und strukturelle Gegebenheiten, die es Studierenden nur schwer ermöglichen einen über das eigene Studium hinausgehenden Bildungsbegriff zu verfolgen. Das wird deutlich, wenn man einmal die Forderungen statt der Transparente anschaut. Deshalb kann ich auch das Zahnarzt-Beispiel schwer gelten lassen.

Was das Problem am Bologna-Prozess und an der Einführung des Bachelors ist, verstehe ich auch nicht. Gegen eine gesamt europäische Vereinheitlichung ist meiner Meinung nach nichts einzuwenden, genauso wenig wie gegen ein gemeinschaftliches Europa, in dem es möglich ist an vielen verschiedenen Universitäten gleichwertige Abschlüsse zureichen aber an denen nicht notwendiger Weise die gleichen Fächer unterrichtet werden müssen.


Fabian M. Kos : Während Prof. Nemeths Ausführungen zur konfliktreichen, mittleren Zone, in welcher sich die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften wiederfinden, musste ich immerzu an einen bestimmten Begriff denken, Avantgarde, der ursprünglich aus dem Sprachschatz des französischen Militärs stammt. Er bezeichnet die Vorhut und somit jenen Truppenteil, der als erster Feindberührung hat. Ebenjene spannungsreiche Zone möchte ich zur Veranschaulichung direkt mit der Avantgarde verbinden. Diese darf sich nicht zu weit von den anderen Truppenteilen, in unserem Sinne „Sektoren des Wissens“, entfernen, da sie sonst an ihrer Wirkung erheblich verliert. Wenn sie sich dann überhaupt im Stande fühlt einen Angriff zu starten, so nur unter jener Bedingung, nicht selbst in den Würgegriff der Reproduktion genommen zu werden. Also aus einer Position der Zurückhaltung heraus. Auch dieses „für sich selbst sein“ hemmt ihre eigentlichen Funktionen und Ziele. Beide Aspekte münden im Endeffekt auf die Beschränkung, dass sie sich im Wesentlichen zwar kritisch, doch wenig reproduktiv zeigt. Ganz im Gegenteil hätte sie aber jeden Grund vollkommen selbstbewusst aufzutreten. Im Übrigen bedeutet Bildung für mich ganz generell Zusammenhänge herstellen zu können. Das Hauptaugenmerk wurde innerhalb der Vorlesung hierbei auf die mittlere Zone gelegt. So würde mich die Diskussion um diesen Versuch einer Definition der Bildung, wie auch ihre Wichtigkeit für die, bei Kant, obere Fakultät reizen. Schließlich stellt sich die Frage, wie sich diesem Bildungsbegriff, wenn wir ihn verwenden wollen, angenähert werden kann. Wäre die Annäherung der oberen Fakultät an den mittleren Reizsektor sinnvoll, oder zu schön, um wahr zu sein, vielleicht aber sogar unproduktiv?


Wolfgang Krenn: Ich bin nicht der Meinung, dass „freie Bildung“ sich von jeder ökonomischen Verwertbarkeit abkoppelt. Schließlich verfolgen die meisten von uns, nehme ich zumindest an, das Ziel mit ihrem absolvierten Studium zukünftig ihren Unterhalt und noch ein paar weitere Schmankerl, die das Leben so bietet, zu finanzieren. Weniger bin ich der Annahme, dass jemand den Plan verfolgt sich zu einem überqualifizierten Arbeitslosen bzw. Tellerwäscher zu machen.

Freie Bildung im Kontext der Proteste kämpft gegen Zulassungsbeschränkungen jeglicher Art, auf die ich später noch zurückkommen will, verpflichtende Studieneingangsphasen, modularisierten Aufbau des Studiums, der den Ablauf genau diktiert, und Erweiterungscurricula, sprich eingeschränkte Wahlfachpakete.

Ökonomisierung der Universitäten wird meines Erachtens nach dahingehend kritisiert, dass Spezialisten ausgebildet werden, vgl. Dot-Com-Blase oder Subprime-Krise. Man befürchtet, dass Absolventen nur über einen sehr engen Raum an Wissen verfügen und diesem möglicherweise nicht kritisch gegenüberstehen. Weiters versucht man durch den straffen Studienplan die Studiendauer möglichst gering zu halten. Die Studienabschnitte sollen so effizient wie nur möglich absolviert werden, sodass eine Orientierungs- bzw. Besinnungsphase für den Studierenden wohlmöglich ausbleibt. Auf der aktuellen Forderungsliste wird außerdem noch die Verteilung der Mittel erwähnt und deren Abhängigkeit von der Anzahl der Absolventen der Studiums bzw. eines Abschnitts.

In der Vorlesung wurde erwähnt, dass viele Bachelorabsolventen mit einem Masterstudium fortfahren. Das kann ich sehr gut verstehen. Oft ist die Rede davon, dass die Wirtschaft mit dem Bachelor noch nichts anzufangen weiß. Demnach kann ein Bachelor nicht wirklich abschätzen, wie er vom Arbeitsmarkt aufgenommen wird. Viel mehr nährt sich in ihm Ungewissheit, ob sein Bildungsstatus zu gering sei und sicherheitshalber setzt er noch einen Master drauf, da man Master mit Magister oftmals gleichsetzt und dieser ist altbewährt. Ein nettes Beispiel hierfür ist die WU-Studienrichtung Wirtschaftsrecht. Im Prinzip hat man keine Ahnung welche Jobaussichten für diese Richtung im Falle eines Bachelorabsolventen bestehen. Im Laufe meines 1. Semesters hat sich herauskristallisiert, dass man für renommierte Rechtsberufe wie Anwalt zumindest einen Master und natürlich auch die Anwaltsprüfung braucht.

Nun könnte man mit dem Bachelor eine gewisse ökonomische Unverwertbarkeit riskieren. So hängt man einen Master dran. Problematisch würde sich eine Zugangsbeschränkung für Masterstudiengänge erweisen. Wir werden einer Möglichkeit unsere Ungewissheit zu bekämpfen beraubt. Schade!

@ Daniel: Gleichwertige Abschlüsse im gesamten europäischen Raum hören sich traumhaft an. Ich glaube, hierbei handelt es sich momentan wirklich um eine Illusion. Ich höre immer wieder von StudienkollegInnen die Probleme mit Anrechnungen bzw. einem Wechsel ins Ausland haben. Anscheinend ist Maschinenbau in Deutschland nicht unbedingt, dasselbe wie in Österreich. Vielleicht hatten meine Freunde auch nur Pech und das ist bloßer Zufall. Ich weiß es nicht genau.

Sicher(er) (ist schon ein bisschen her, dass ich das Skript durchgelesen hab) ;) weiß ich, dass zB Dienstleistungen innerhalb der EU nicht allzu leicht anerkannt werden. Rechtsanwälte müssen bestimmte Auflagen erfüllen, die mitunter mehrere Jahre in Anspruch nehmen können, ehe sie in einem anderen Lande des EU-Binnenmarkts arbeiten können.

Lediglich der Kapitalverkehr kennt innerhalb der EU keine Einschränkungen, aber das wars auch schon.

Mathias Pöschko: Interessant ist für mich die Frage, ob wir nicht auch zu Philosophen ausgebildet werden wollen? Oder ein Jus- Student zum Juristen, ein Medezin- Student zum Arzt, aber eben gerade wir zu Philosophen? Ist das ein Paradoxon? Klar: Bildung ist umfassender als Ausbildung. Ein gebildeter Mensch wirft die Atombombe nicht ab, die ein ausgebildeter konstruiert hat. Insofern trägt die Politik riesiege Verantwortung zu gewährleisten, dass die Menschen gebildet werden, oder- und das trifft die Sache viel mehr: sich bilden. Denn: Kann ich überhaupt gebildet werden? Das klingt schon sehr nach Formung. Wollen wir überhaupt, dass die Uni uns bildet. Es gehört doch vielmehr dazu, dass ich mich bilde- in der Uni. Dieser Aspekt sollte bei diesem Protest nicht aus den Augen gelassen werden.

Paula Unterwurzacher: Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich mir nach meinem Entschluss Philosophie zu studieren die Frage, was ich denn nach Abschluss des Studiums damit anfangen wolle, anhören musste. Jene meiner Antworten, die sich nicht auf ein konkretes Berufsfeld bezogen, wurden abgetan oder ignoriert, es interessierte jeden schlicht und einfach, wie ich vorhabe, als „Philosophin“ Geld zu verdienen. Nach meinem Entschluss Philosophie zu studieren, erkannte ich zum ersten Mal, dass ein Großteil meiner Mitmenschen die Universität als Ort der Berufsausbildung sahen. Ich jedoch habe das immer anders gesehen und sehe die Universität heute noch als Ort der Bildung. Wenn in diese Bildung auch Berufsausbildung miteinfließt, ist das natürlich keinesfalls schlecht sondern sogar wünschenswert. Jedoch darf dieser Aspekt meines Erachtens nach nicht Überhand nehmen, besonders im Philosophiestudium wäre das für mich auf keinen Fall denkbar. Lernt man im Philosophiestudium nicht wie man kritisiert, wie man auf der Basis von anerkanntem Wissen genau dieses neu ordnet, wie man Selbstverständlichkeiten hinterfragt und zu einer sinnvollen Neuansicht gelangt, so hat man meiner Meinung nach nicht die Philosophie studiert. Wäre das Philosophiestudium allerdings nur darauf bezogen, ökonomisch verwertbar zu sein, was bliebe dann noch davon übrig? Für mich ist die Uni der Ort, an dem ich nicht für ein bestimmtes Berufsziel lerne, sondern für mich, für alles, womit ich in Zukunft konfrontiert sein werde, ich erwarte mir, dort Fähigkeiten und Wissen zu erlangen, die mich als Persönlichkeit (und nicht als Berufstätiger) für immer und in jeder Situation begleiten werden. Neben dem Studium habe ich schließlich noch etwas Zeit auch Berufserfahrungen zu sammeln und in Kombination dieser beiden Aspekte habe ich vor, später einmal meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wer in seinem Studium reine Berufsausbildung erlebt, dem fehlt in meinen Augen ein wichtiger Teil des Lebens. Ich bin mir natürlich dessen bewusst, dass es zahlreiche Schüler gibt, die sich nicht dazu entschließen zu studieren und möchte keineswegs den Eindruck erwecken, diese als Menschen anzusehen, die im Leben etwas verpasst haben. Jenen bleibt ja immer noch die Möglichkeit, sich auf eigene Faust zu bilden und über sich in ihrem Interessensfeld befindliche Themen Informationen zu sammeln. Klarerweise kann das auch jeder Student machen, der das Gefühl hat, in seinem Studium nur aus- und nicht gebildet zu werden. Doch dann wäre für mich einfach der Charakter der Uni verloren gegangen und das wäre schade, denn Möglichkeiten zur Berufsausbildung gibt es doch genügend, wo aber wäre dann noch Platz für die Bildung, für den Ort, an dem das Fach an sich gelehrt wird ohne Rücksichtnahme auf die ökonomische Verwertbarkeit dessen? Eine Möglichkeit wäre, wie ich vorhin bereits kurz erwähnt habe, die eigene Bildung selbst in die Hand zu nehmen, doch, wie Kant im „Streit der Fakultäten“ feststellt, dann hätte dieses Wissen keine gesellschaftliche Relevanz mehr und Möglichkeiten zur Reflexion dessen, was ökonomisch verwertbar ist, wäre nicht mehr möglich. Darum darf der Bildungscharakter der Uni in meinen Augen auf keinen Fall zu weit in den Hintergrund gerückt werden geschweige denn komplett verloren gehen.


Thomas Karner: Wenn eine der Forderungen von den protestierenden Studenten lautet: „Freie Bildung“, dann frage ich mich, was fällt da alles hinein. Jeder sollte die Möglichkeit einer universitären Ausbildung haben. Es muss daher von den Regierenden gewährleistet werden, dass es für die – glücklicherweise – stetig steigende Anzahl von Studierenden genügend und ausreichend gut betreute Studienplätze gibt. Was ohne weitere Finanzielle Mittel wohl nicht möglich sein wird. Dem Slogan „Bildung statt Ausbildung“ stehe ich allerdings skeptischer gegenüber. Bildung ist meiner Meinung nach immer auch immer Zweckgebunden. Dass Menschen an Universitäten für den Berufsalltag, sei es für die Wirtschaft oder wiederum für das Bildungssystem, „aus“- gebildet werden, liegt wohl in der Natur ihrer Existenz. Ich trete keineswegs dafür ein, dass an den Universitäten lediglich programmierte Automaten für den Gebrauch im Neoliberalen Wirtschaftssystem erzeugt werden. Ganz im Gegenteil, gerade die geisteswissenschaftlichen Fächer sind es, welche die Tendenzen unserer immer schnelllebigeren Zeit, in welcher der Leistungsdruck auf das einzelne Individuum stetig wächst und der Mensch mehr und mehr lediglich zum Produktionsmittel verkommt, die wichtige Aufgabe haben diese, meiner Meinung nach, bedrohliche Entwicklung aufzuzeigen und ihr entgegenzuwirken. Dies ist aber natürlich nur dann möglich, wenn es viele Menschen gibt, denen es möglich ist, (oft brotlos genannte) Fächer wie Philosophie oder Soziologie zu studieren. Ich bin jedoch auch der Meinung, dass es ohne Leistungsorientierung an den Universitäten nicht geht. Was die Zugangsbeschränkungen betrifft möchte ich anmerken, dass jemand, der die Reifeprüfung bereits geschafft hat und bereits an die Tore der Universität klopft, ohnehin schon ein Sieger ist. Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt überhaupt die Möglichkeit eine höhere Schule zu absolvieren, welche ihnen einen Universitätszugang erst ermöglichte. Gründer hierfür sind nicht zuletzt soziale Umstände, aber besonders wichtig wäre die in letzter Zeit so häufig diskutierte Reform des Schulsystems – Stichwort: „neue Mittelschule“, um mehr Jugendlichen die Erlangung der Reifeprüfung zu ermöglichen.



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