Kommentare - MuD09 - Gruppe4 - 11.11.
Zurück Katharina Baur:von meinem Standpunkt aus betrachtet ist es angesichts der aktuellen Krise besonders wichtig das gültige Wertesystem ansich zu überdenken. Im kantschen Sinne hat ja gerade die Philosophie diese Aufgabe. Wo hat die Krise der Universität, die zu der jetztigen Ausnahmensituation mit Demonstrationen und Besetzung geführt hat ihren Ursprung? Wie meine Kollegin habe auch ich teils aus den selben Gründen gezögert, mich für das Studienfach Philosophie zu entscheiden. Die Bewertung der Studienrichtungen nach ihrer ökonomischen und sozialen Verwertbarkeit hat bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch ihre Berechtigung. Allerdings halte ich dies nicht mehr für zeitgemäß, da das gültige Wertesystem allem anschein nach nicht mehr gelten kann oder soll. Vielleicht sollte die kritische Kraft der Vernunft hier nicht nur die Fakultäten in ihren Zweifel ziehen, sondern die Tatsache, dass gewisse Tätigkeiten noch immer anders bewertet werden als andere. Der Schwerpunkt liegt derzeit mehr auf der Reproduktion von Wissen, als auf der Produktion von neuem Wissen. Man darf aber nicht vergessen, dass zur Zeit Kants die Forschung auf einem anderen Stand war, als sie heute ist. Es gab noch viele "weiße Flecken auf der Landkarte". Gerade die Philosophie hat, wie ich denke, dadurch, dass die Psychologie und die Soziologie nun eigenständige Richtungen sind, einen großen Teil ihrer Forschungsaufgabe verloren und konzentiert sich mehr auf das, was wir Ethik nennen.
Zmaritz Michaela:
Nach der Lektüre des Artikels war ich erstaunt, denn für mein Empfinden weist er nach wie vor hohe Aktualität auf. Der angesprochene Spannungszustand zwischen der Reproduktion und der Generierung neuen Wissens ist in jedem Fall ein Notwendiger. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass genau diese gesellschaftliche Reibefläche, die die mittlere Zone sozusagen als Lebensgrundlage wie auch als Existenzberechtigung braucht, mir nicht im entsprechenden Ausmaß gegeben – oder vielleicht besser gesagt – genutzt zu werden scheint. Rein praktisch gesehen, war z. B. für mich genau dieser „alte“ Vorbehalt, Philosophie ist ja ein brotloses Studium, ausschlaggebend, bei der Inskription zu zögern und ein dreiviertel Jahr vergehen zu lassen, da genau jene geschürten Bedenken mich davon abhielten. Zum anderen ist für mich der Forschungsbereich dieser Disziplin auch ein durchaus „verschwommener“ Begriff, da ich mir zu wenig darunter vorstellen kann. Die Reproduktive Verantwortlichkeit im geisteswissenschaftlichen Bereich sehe ich tatsächlich, aus meiner persönlichen Warte heraus, nicht nur als legitim, sondern auch als dringend erforderlich. Ich möchte am Ende nicht in der Position sein, sagen zu müssen: „ Ja, letztlich hat es sich doch als Orchideenfach erwiesen. Die praktische Rückführung in mein primäres bzw. ein verwandtes Tätigkeitsfeld ist leider nicht möglich gewesen.“ Es ist mir bewusst, dass die Erfüllung beider Ansprüche – Reproduktion und wissenschaftliche Forschung in ihrer Gegenseitigen Abhängigkeit – weder leicht zu erfüllen ist, bzw. das es ein fortwährender Grenzgang unter den entsprechenden gesellschaftspolitischen Strömungen ist. Aber ich sehe es auch als Recht und als Pflicht, diesem Anspruch zumindest zu versuchen zu genügen. Dieses Recht- und Pflichtverhältnis trifft meiner Meinung aber genauso auf die Gesellschaft selbst und ihre politischen Vertreter zu, kommen sie doch mehrheitlich aus dieser Liga. Aber auch jedem einzelnen Studierenden ist Recht und Pflicht nicht zu erlassen und es gilt in jedweder Position zu hinterfragen, auf welchem legitimen Boden Forderungen, Anordnungen, Personalbesetzungen, Strukturmaßnahmen getroffen werden. Jede dieser Gruppierungen läuft fortwährend Gefahr, von anderen Gruppierungen, Strömungen, wirtschaftlicher, politischer oder sonstiger Natur instrumentalisiert zu werden. Deshalb sollte Bildung einem aufgeklärten Staat ein kostbares Gut sein und für möglichst viele Menschen zugängig sein. Ob sich dies immer auf dem Boden der Universitäten abspielen muss, ist eine andere Frage. Die Quantität vor die Qualität zu stellen, halte ich für einen zwar gangbaren, aber schlechten Ausweg. Internationale Rankings sind heute der Maßstab der Vergleichbarkeit. Aber nicht die Platzierungen in solchen Rankings sollten dieser Maßstab sein, an dem ein Handlungsbedarf gemessen und initiiert wird, sondern aus dem angesprochenen Selbstverständnis, welches Prof. Nemeth in der Vorlesung angesprochen hat, als Teil der Reproduktion („Die Liebe zur Ordnung,..“) Die Spannung zwischen dem Druck der Marktwirtschaft und der sich zu erhaltenden Legitimation durch das Volk hat in den letzten Jahren zu mehr als nur absurden Wahlzuckerln, Maßnahmenpaketen und ähnlichem geführt und ist scheinbar nur schwer / bzw. kurzfristig auszuhalten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich alle einmal vergegenwärtigen, dass die Probleme dieser Zeit möglicherweise eine eigene Struktur haben. Probleme, die vielleicht vorher noch nie da gewesen sind, bzw. zumindest nicht in diesem rasanten Tempo aufgetreten sind, historische Altlasten mit sich bringen und von großer globaler Dynamik beeinflusst werden.
Simon Pötschko: Ich persönlich finde, dass die Darstellung der Universität als Ort, wo zum einen altehrwürdiges und hoffentlich reflektiertes Wissen reproduziert wird und zum anderen als gleichzeitige Kontrollinstanz des bestehenden Wissens, d.h. als Ort wo Wissen kritisch überprüft und nach neuem Wissen geforscht wird, als durchaus akzeptabel und gut getroffen. Wie bei jedem Dualismus überwiegt manchmal der eine, manchmal der andere Aspekt. In den heutigen Tagen wird kritisiert, die Uni sei zu sehr an ökonomischen Interessen orientiert und konzentriere sich zu sehr darauf die Bildung in eine bestimmte, von außen vorgegebene, Richtung zu lenken. Bildung statt Ausbildung ist somit die Forderung, bzw. eine der vielen Forderungen, der Demonstranten.
Ich persönlich finde, dass dieser Zweikampf der beiden Ideologien, wenn man sie so nennen kann, wirklich fundamental für eine gute Universität ist und deshalb sollte unter allen Umständen versucht werden diesen Zustand auch aufrecht zu erhalten, bzw. ihn wiederherzustellen sollte er nicht mehr gegeben sein. Mein Augenmerk liegt hierbei allerdings darauf, im Ganzen einen Ausgleich zwischen den beiden Richtungen zu finden und nicht die eine oder andere zu favorisieren. Mir kommt vor, eine allgemeine Einführung und Erläuterung der allgemeinen Thematik eines Studiums ist zu Beginn desselben durchaus Sinnvoll und kann einem für später Helfen sich in seinen Interessen besser zu orientieren.
Als Abschluss möchte ich sagen, dass es mir vorkommt, dass die momentane Situation auf den Universitäten in Österreich nicht nur ein einzelnes Phänomen unter demonstrationswilligen Studenten und Lehrenden ist, sondern, dass es einen allgemeinen Missstand in der Gesellschaft wiederspiegelt. Eine Verbesserung der Zustände auf den Universitäten würde nur zu einer temporären Besserung führen und nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Sofern dieser auch erreicht werden kann.
Andreatta Benjamin: Die Universität als Treffpunkt der Forschung und Lehre ist weitgehend anerkannt, allerdings wirft der Aspekt, Studenten sollen für die Gesellschaft ausgebildet werden, für mich Zweifel und Fragen auf. Wenn die Forschung frei sein soll, muss sie sich dann nicht von der Gesellschaft/Wirtschaft und deren Interessen auch distanzieren? Und inwiefern kann heutzutage die Philosophie noch die Wissenschaften und die Gesellschaft beeinflussen?
In der heutigen Zeit ist es unmöglich als Laie ernsthafte Kritik an einer Neuheit der Forschung zu üben. Nicht einmal die Philosophie kann dies, da die heutige Wissenschaft extrem spezifisch geworden ist und wer kein Meister seines Faches ist, kann den Sachverhalt unmöglich überblicken. Zum Beispiel in der Genforschung und Manipulation: Über 90% der Experten sind heute in der Wirtschaft tätig und vertreten deren Interessen, maximalen Profit. Als Laie ist es unmöglich Risiken und Auswirkungen der neuesten Errungenschaften abzuwägen, höchstens im Nachhinein. Für mich hat deshalb die Philosophie ihren Stellenwert als Kritiker der Oberen Fakultäten verloren. Eine seriöse und systematische Kritik kann nur noch aus den eigenen Reihen kommen.
Andererseits hat die Wissenschaft natürlich den Zweck für die „Menschheit“ zu forschen und zu lehren, welchen anderen Zweck hätte sie sonst? Doch wer kann allen Ernstes behaupten, das Wohl der Menschheit zu kennen und zu deren Gunsten zu handeln?
Gertrude Dvornikovich:Diese Vorlesung habe ich äußerst interessant gefunden. Prof. Nemeth hat uns deutlich gemacht, wie es um die Universitäten steht, welche Gemeinsamkeiten die Problematik bereits im Jahre 1996 und der jetzigen war und ist. Es zeigt den Widerwillen der Studenten und Lehrenden gegen die Einsparung der Regierung. Die Staatsspitze kümmert sich bevorzugt um Banken, AUA, ÖBB, Post, ASFINAG,usw.
Der freie Zugang zu den Universitäten muss für alle Bürger gegeben sein. Die überfüllten Lehrsäle gibt es auch, weil der freie Zugang für alle EU-Bürger möglich ist. Der Gesetzgeber hat sich leider keine gesetzliche Regelung einfallen lassen, damit die Österreicher entsprechend studieren können. Wie Prof. Nemeth auch anmerkt, tragen alle akademischen Fähigkeiten zu wesentlich besseren Chancen in der Gesellschaft bei.
Prof. Nemeth sprach über das Buch von Pierre Bourdieu „Homo Acedimicus“, eine empirische Studie zum französischen Bildungssystem (20. Jhdt.) und war verblüfft, dass so viele Ähnlichkeiten mit der heutigen Situation auf unseren Universitäten sind. Sie machte uns klar, dass schon immer ein Spannungszustand zwischen der „Aufgabe der Reproduktion von anerkanntem Wissen auf der einen Seite, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die Uni innerhalb einer Gesellschaft zu erfüllen hat. Aber auch eine Liebe zur Ordnung sollte da sein, die ebenso ein Ergebnis akademischer Bildung ist, wie auch Bordieu sagt. Auf der anderen Seite ist die produktive Funktion, neues Wissen hervorzubringen. Die Notwendigkeit steht mit der Reproduktion im Gegensatz, weil sie einen Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung vorschreibt. Auf der Ebene der Akteure herrscht Spannung, es dominiert immer das eine das andere. Zu Kants Streit der Fakultäten (1798), sind die Universitäten charakterisiert durch einen irreversiblen Spannungszustand zwischen den beiden Aufgaben: Reproduktion (auch bei Kant sind dies Jus, Medizin und hier auch Theologie), sind die sog. oberen Fakultäten. Diese stehen der philosophischen Fakultät, der sog. unteren Fakultät gegenüber. Damit sind auch alle Fakultäten gemeint, die neues Wissen hervorbringen (Mathematik, Astronomie usw.). Aufgabe der unteren Fakultät ist, der oberen Fakultät Einwürfe zu stellen und die verbreiteten Auffassungen in Zweifel zu ziehen. Die Uni ist ein gesellschaftlicher Ort, an dem der Streit ums Volk geführt wird. In welcher Weise soll gelehrtes Wissen gesellschaftlich wertvoll sein? Die Uni ist der Ort, an dem der philosophischen Fakultät erlaubt ist, den „eingesetzten Geschäftsleuten öffentlich entgegen zuarbeiten. Die Uni ist der Ort, an dem die magische Kraft des Wissens sowohl gepflegt, als auch entgegengearbeitet wird. Die von Bourdieu dargestellte „mittlere Zone“ setzt Kants Aussagen im „Streit der Fakultäten“ im modernen Sinn um.
Vermutung Prof. Nemeth, dass Philosophie immer wieder durch die Oberen bedroht wird. Mich persönlich hat schon immer Philosophie interessiert. Auf eine Frage eines 60jährigen Mediziners, welches Fach ich studiere, musste ich leider eine negative Äußerung hören. Somit kann ich mich nur der Vermutung von Frau Prof. Nemeth anschließen. Wie auch schon meine Kollegin Baur erwähnt hat, wäre das gültige Wertesystem an sich zu überdenken. Die momentane Situation auf den Universitäten in Österreich ist nicht nur ein einzelnes Phänomen unter demonstrationswilligen Studenten und Lehrenden, sondern, es spiegelt einen allgemeinen Missstand in der Gesellschaft wieder, wie Hr. Pötschko erwähnt.
Die These von Prof. Nemeth, wenn wir eine lebendige Uni wollen, brauchen wir nicht nur die unabhängige Kraft des Denkens, sondern auch eine Etablierung des immer neuen Überlegens. Dadurch entsteht der oben beschriebene Spannungszustand. Produktion kann nur mit Reproduktion existieren, allerdings nur wenn öffentliche Zweifel gezogen werden können.
Simona Stockreiter: Durch die Einführung der Baccalorstudien hat sich die Problematik der Trennung von Forschung und Lehre verstärkt. Der ursprüngliche Sinn der Universität besteht doch darin eine Einheit von Forschung und Lehre zu bilden. Durch den Bolognaprozess tritt aberoft eher eine Berufsausbildung als eine wissenschaftliche Berufsvorbildung in den Vordergrund. Durch modularisierte und durchstrukturierte Studien wird die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung stark eingeschränkt. Durch den Bologna-Prozess ist es, denke ich, unmöglich ein relativ ausgeglichenes Spannungsverhältnis zwischen produktivem und reproduktivem Wissen zu ermöglichen. Ich denke, auch wenn die zahl der Studienabschlüsse auf Grund der Reformen steigen wird, bergen sie für mich, besonders als Philosophiestudentin, eher einen Nachteil, da diese durchstrukturierung des Studiums eine Selbstbestimmung und Freiheit des Forschens eher einschränkt. Durch ECTS-Punkte, Modularisierung wird jede Vorlesung, jedes Seminar strategisch bewertet. Wir stehen unter dem Druck eine bestimmte Anzahl solcher Leistungspunkte zu erreichen. Dieser Druck könnte dazu führen, dass weniger der Inhalt, die Sache selbst im Zentrum steht sondern mehr, die Leistungspunkte, Modulzugehörigkeiten und Anrechnungsvarianten. Unter diesen Voraussetzungen, sinkt könnte die Neugierde an der Wissenschaft selbst sinken. Da jedes erworbene Wissen einem Punktesystem untergeordnet ist. Ich bin auch der Meinung, dass die momentane Situation an den Universitäten, die heutige Gesellschaft und ihre Wertevorstellungen spiegelt. Wichtig ist eine bestimmte Anzahl von Leistungspunkten zu erreichen um schnell in die Berufswelt eintreten zu können. Ziel ist, das Studium kostensparend und ohne Zeitverlust zu absolvieren. Doch der ursprüngliche Sinn einer Universität liegt nicht oder weniger in einer beruflichen Ausbildung sondern besonders in der Entwicklung von Wissenschaft und Forschung. Eine Verschulung der Universitäten kann dies aber nicht ermöglichen.
Besonders in den geisteswissenschaftlichen Fächern, sind meiner Meinung nach, die neuen Regelungen stark beeinträchtigend, denn gerade in diesen Fächern ist es doch fast absurd individuelle, originelle Forschungsansätze zu behindern. Aber auch in Fächern, in denen ausschließlich anwendungsorientiertes, verwertbares Wissen erworben werden soll, ist es doch ebensowichtig dieses erworbene Wissen zu reflektieren, anstatt bloßes Faktenwissen wiedergeben zu können. Ich denke, dass die Philosophie auch in den oberen Fakultäten einen wichtigen (und oft unterschätzten) Stellenwert hat, da sie notwendig ist um das erworbene Faktenwissen reflektieren und kritisieren zu können, um das Spannungsverhältnis aufrecht erhalten zu können.