Bildung und Datenbanken (Vorlesung Hrachovec, Sommer 2009)/Zusammenfassung 19. Juni

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Rekapitulation - Zwei Hauptlinien der Vorlesung

Eine Linie sieht die Vertreter eines humanistischen Bildungsideals als eine externe Katastrophe, die die Kultur ruiniert haben. Diese haben seit dem Wiener Kreis, dem logischen Positivismus und den Datenbankingenieuren das klassische Bildungsideal infragegestellt. Beispielhaft lasses sich die Vertreter des Bolognaprozesses anführen, die Bildung zählbar, verrechen- und damit verwaltbar machen wollen, um sie in letzter Konsequenz zu kommerzialisieren. Die zweite Linie sieht die Bildungstradition selbst als Ursprung des Übels an. Für Heidegger und Hegel als exemplarische Vertreter ist die Misere des Bildungsbegriffes bereits im Bildungsbegriff selbst als Keim angelegt, genauer in der griechisch-abendländischen Bildungstradition.

Darstellung beider Linien in der Zusammenfassung der 10. Sitzung

Rückgriff auf den Tractatus

Ganz allgemein lässt sich eine sehr starke Affinität zwischen Platon und dem Wittgensteinschen Tractatus feststellen. Konkret zum Bildungsbegriff kreist der Zusammenhang um die Frage der einen Bildung.

VO-Materialien: Wittgensteins Überlegungen

Lebensform vs. Lebensformen

Das Konzept der Lebensform ist für die Bildungsdiskussion fruchtbar, weil es in erster Annäherung darauf fokussiert, dass Menschen ihr Leben in eine bestimmte Bahn lenken bzw. ihrem Leben eine gewisse Gestalt geben sollen. Der Begriff „Lebensform“ selbst steht dafür, dass eine Person Halt gefunden hat, sich in ein eingespieltes Ganzes von Gewohnheiten gesellschaftlicher Praktiken einordnet. Dies impliziert (beispielhaft) so unterschiedliche Dinge wie den Halt in der Familie, im Sportclub oder im Beruf; eindeutig erkennbar ist die soziale Komponente dieser Konzeption. Denkt man nun den Teilbegriff „Form“ platonisch so zeigt sich ein normativer Anteil, eine wertbesetzte Vorstellung der guten, richtigen Form des Lebens. Der Formgebungsprozess ähnelt damit der platonischen Entwicklung der Selbstwerdung, des sich-Orientierens an Ideen.

Bei Platon findet sich darüber hinaus eine Unterscheidung zwischen der Schaulust der Menge, die sich für vieles interessiert, aber letztlich an der Herausforderung der ideengeleiteten Selbstgestaltung des Lebens scheitert und dem Idealzustand, auf den hin man sich orientieren kann, der also ein stabiles normatives Potential besitzt.

Im Tractatus von Wittgenstein findet sich nun ebenso eine Vorstellung zu Lebensform, die mit dem platonischen Ideal zu tun hat, ein Unterschied ist allerdings, dass sie bei Wittgenstein von einer Werthierarchie abgekoppelt ist. Noch interessanter bei Wittgenstein ist die häufige Verwendung des Plurals „Lebensformen“. Er akzentuiert damit die Möglichkeit verschiedener Formen und damit den Gegensatz zu Platons einer Form. Hier taucht auch dessen Unterscheidung zwischen Schaulust der Menge (οἱ πολλοί – hoi polloi) und dem Idealzustand wieder auf.

Die Perspektive der Lebensform[en] lässt sich auch fruchtbar in den Diskurs um den Bildungsbegriff einbringen, kann für eine gewisse Unbeschwertheit abseits gängiger Phrasen stehen.

Wittgensteins frühe Position (Tractatus 1921)

Bei Wittgenstein lassen sich die Überlegungen zur Lebensform vor allem anhand dreier Sätze (siehe Link weiter oben) finden, die sich dahingehend verdichten lassen, dass man mit Wittgenstein sagen kann: „Ich bin meine Lebensform“. Der Mensch bewegt sich in einem allumfassenden Sprach-Lebenswelt-Zusammenhang über den es kein Hinauskommen gibt. Das Mystische ist das Wissen, dass es diese Lebensform als Ganzes gibt. Für Wittgenstein kann die Form als Ganzes aber nicht über einzelne Stufen erreicht werden. Die antike Vorstellung des Aufstiegs des Menschen aus der Höhle wird also gekappt, bezogen auf heutige Verhältnisse könnte dies als Kritik an dem stufenweisen Bildungsprozess (Volksschule, Höhere Schule, Ausbildung/Universität, etc.) verstanden werden.

Wittgensteins späte Position (1937)

Wittgensteins Position verändert sich im Lauf der Zeit, verdeutlichen lässt sich das besonders gut mit einem Zitat:

Ich will sagen: es ist charakteristisch für unsere Sprache, daß sie auf dem Grund fester Lebensformen, regelmäßigen Tuns, emporwächst. (MS 119, 74v)

Der späte Wittgenstein postuliert nun also eine Vielzahl an möglichen Lebensformen und nimmt seinem ursprünglichen Konzept der einen Lebensform, welches auf Platon beruht, seinen normativen Charakter, er stellt an die Stelle der Einheit eine Vielheit

Die Änderung Wittgensteins’ Sprachverständnisses

Diese Wandlung ergibt sich auch aus Wittgensteins Einsicht in den Faktor „Praxis“ der Sprache. Während der frühe Wittgenstein die Sprache als klares logisches Gebilde beschreibt und darauf eine Erkenntnistheorie und Ontologie aufbaut, ist dem späten Wittgenstein bereits die Einbettung der Sprache in soziale Handlungsmuster klar, neben ihrer logischen Struktur. Dies zeigt sich auch in seinen Manuskripten, Handlungen und Handlungsformen werden als Grundlage von Sprache(n) begriffen. Wittgensteins geht damit – um mit Platon zu sprechen – in den Zustand der Schaulustigkeit zurück. Interessant ist dabei, dass er Platons Weg in gewisser Weise retour geht, er kommt von der einen, guten Form und geht zur Formenpluralität. Das Besondere ist allerdings, dass er sich selbst kritisiert, er stellt seine eigene Platonrezeption zur Diskussion. Als Konsequenz dessen kann ihm ab diesem Zeitpunkt ein Relativismus unerstellt werden, ein sich-zurückziehen aus der klassischen Philosophie.

Der Exegetenstreit

Unter WittgensteinexpertInnen gibt es eine vielgestaltige Diskussion zur Frage der Lebensform(en), als Widerspruch zwischen normorientiertem Vernunftbegriff und einer relativistischen Sichtweise. Hervorzuheben unter den WittgensteinforscherInnen ist Newton Garver, der für eine besonders provokante Interpretation des Lebensformdiskurses bekannt ist. Zunächst hat er gezeigt, dass ein bestimmtes Wittgensteinzitat aus den „Philosophischen Untersuchungen“ („… und eine Sprache vorstellen, heißt sich eine Lebensform vorstellen.“, engl. Original: „And to imagine a language means to imagine a form of life“ PU §19) von einigen WissenschaftlerInnen falsch wiedergegeben wurde, sie schrieben von Lebensformen. Garver verknüpft diese Fehler mit unserem postmodernen, multidimensionalen Verständnis von Wittgenstein, welches uns intuitiv einen Plural im genannten Zitat erfassen lässt. Schlussendlich zielt seine Interpretation des Zitates darauf ab, dass „eine“ (engl. Original: „a“) auch als Zahlwort verstanden werden kann und damit eine Reminiszenz an den Tractatus, also den frühen Wittgenstein, darstellt. Garver postuliert eine Kontinuität im Werk Wittgensteins bezogen auf die Frage der Lebensform[en], indem er dem späten Wittgenstein unterstellt ebenfalls eine Gesamtheit im Auge gehabt zu haben.

Darstellung der Zitate von Hrachovec (*.pdf)

Quelle des Zitates: http://users.rcn.com/rathbone/lw11-20c.htm, §19

Wie sieht die menschliche Lebensform aus?

Aus Garvers Interpretation ergibt sich nun die Problematik wie die menschliche Lebensform denn aussieht, wenn dieser kein klarer mathematisch-logischer Hintergrund – wie im Tractatus beschrieben – zugrunde liegt. Garvers Antwort darauf stellt auf die Tatsache ab, dass auch der späte Wittgenstein Gemeinsamkeiten der menschlichen Sprachen postuliert: Wittgenstein sieht Sprache als ganzheitliche metaphysische Struktur, expliziert sie jedoch nicht als Vernunftstruktur, sondern sieht sie als Faktum der Naturgeschichte. Diese hat Kommunikationssysteme zwischen Organismen hervorgebracht (Biene-Biene, Ameise-Ameise, Mensch-Mensch), das menschliche Kommunikationssystem – unterschieden von anderen Kommunikationssystemen – ist die Sprache. Beispielhaft erläutert Wittgenstein dies an einer Kommunikation Hund-Mensch: Man kann Hunden zuschreiben, dass sie sich freuen wenn sie ihre „Bezugsperson“ sehen, was man ihnen nicht zuschreiben kann, ist, dass sie an Vergangenes denken. Bekannt ist diese Überlegung unter dem Zitat: „Wenn ein Löwe sprechen könnte, dann könnten wir ihn nicht verstehen.“

Einwand aus dem Auditorium

Sprache ist aber nicht alles in der Kommunikation, nur 40% des Verständnisses ergibt sich aus der Sprache, der Rest nonverbal.

Erwiderung

Das Meiste was über Sprachvermittlung gilt lässt sich auch für einen allgemeinen Kommunikationszusammenhang sagen: Auch ohne Sprache – nur mit Gesten – können wir Menschen ein Huhn nicht davor bewahren in ein Auto zu laufen.

Die Besonderheit menschlicher Kommunikation und Kommunikationsform

Die zentrale Frage, die sich nach Wittgenstein im Zusammenhang mit der Besonderheit menschlicher Kommunikation ergibt, ist die Frage ob Kommunikationsformen in ihrer Vielzahl zugelassen werden sollen. Praktisch lässt sich diese Frage eindeutig mit „Ja“ beantworten, täglich kommunizieren wir notwendigerweise auf unterschiedlichste Arten. Demgegenüber steht aber weiterhin die Frage der Besonderheit der menschlichen Sprache. Diese lässt sich in Verbindung mit dem Bildungsdiskurs der VO bringen. Es geht dabei um die Idee dessen, was wir werden sollen und können, die besondere – allen Menschen gemeinsame – Form, die theoretisch alle erreichen können und auf die hin der Bildungsdiskurs praktisch orientiert ist.

Ein neuer Zugang zu Wittgenstein

Das Gewimmel als Hintergrund

Auch für Wittgenstein ergab sich in der Praxis ein anderes Bild der Lebensgestaltung, als es der Tractatus theoretisch vorgelegt hat. Zwei Zitate verdeutlichen, dass er das Gewimmel bzw. das Getriebe als Hintergrund des menschlichen Lebensbegriff:

Wie könnte man die menschliche Handlungsweise beschreiben? Doch nur, indem man die Handlungen der verschiedenen Menschen, wie sie durcheinanderwimmeln, zeigte. Nicht was Einer jetzt tut, sondern das ganze Gewimmel ist der Hintergrund." (MS 137, S. 54b)
Wir beurteilen eine Handlung nach ihrem Hintergrund im menschlichen Leben. Der Hintergrund ist das Getriebe des Lebens. Und unser Begriff bezeichnet etwas in diesem Getriebe. (MS 137, S. 29a)

Daraus ergibt sich ein neuer Zugang zu den Themen Vielgestaltigkeit, Schaulust und Begriffsbildung. Wittgenstein fragt sich nun wie man sich die Vielfältigkeit und damit gleichzeitig die Desorientierung vorstellen soll und in dieser Vielfältig auch noch eine Form finden kann. Zugespitzt meint dies: Wer nicht fähig ist in der Vielfältigkeit Formen auszubilden, der verliert sich in dieser Vielfältigkeit.

Die Notwendigkeit und der Preis der Formen

Aus der genannten Problematik lässt sich die Bedeutsamkeit von Formen herauslesen, ohne diese fehlt der Halt im Gewimmel. Es gilt also Formen zu finden bzw. nach gewissen Kriterien zu definieren. Der Preis für den Halt, für die Form ist die Tatsache, dass die Formalisierung/Formgebung etwas anderes in den Hintergrund schiebt. Dies zeigt ein weiteres Zitat Wittgensteins:

Das Band zieht an mir vorbei und ich sage einmal "dies ist das Muster S", und einmal "das ist das Muster V", Manchmal weiß ich für einige Zeit nicht, welches es ist; manchmal sage ich am Ende "Es war keins von beiden." (MS 169, S. 69r)

Wir sind konfrontiert mit einem nicht endenden Band von Erfahrungen. Manchmal können wir ein bestimmtes Muster identifizieren, manchmal nicht und manchmal sind die Grenzen zwischen verschiedenen Mustern fließend bzw. nicht eindeutig identifizierbar.

Beispielgedankengang: Überleben im Straßenverkehr

Beispielhaft lässt sich diese Problematik an einem Bilder aus dem Straßenverkehr visualisieren, das eine komplizierte Kreuzungssituation zeigt:

Markierung9.jpg

Als Teil des Lebenszusammenhangs, des Gewimmels befindet man sich an dieser Kreuzung und kann – wenn man diese nicht kennt – leicht desorientiert sein. Dabei kann man zu sich sagen, ich habe Muster 1 (bspw. rechte Spur, rechts abbiegen) gefunden und folge ihm, vielleicht bin ich mir aber auch nicht sicher, ob es sich nicht um Muster 2 handelt oder ein gänzlich anderes. Man ist mit einer Übermenge an Impulsen (Erfahrungsband) konfrontiert und muss sich innerhalb dieser Impulsmenge orientieren und ein Muster suchen/anwenden (=handeln), nicht zuletzt auch deshalb, weil man nicht einfach auf einer Kreuzung/Abbiegespur stehen bleiben kann.

VO-Materialien: Weitere Bilder von Entscheidungssituationen

Die Kompetenz des Wechsels

Aus dem Beispiel lassen sich beide Bezugsmomente zu Wittgensteins Überlegungen erkennen. Einerseits gibt es keine Alternative dazu sich Formen zu suchen bzw. sie zu finden, andererseits nehmen externe Normativa (im Beispiel vielleicht ein Polizist, der eine Geldstrafe erteilen will, weil man die falsche Spur genommen hat) nur einen Teil des Gesamtproblems wahr, jenen der Reglementierung und Regularisierung. Das Gesamtproblem stellt sich ebenfalls zweiteilig dar, zum ersten können die Fahrspuren in sich problematisch werden, da sie nicht absolut eindeutig sind (man weiß nicht immer 100% sicher welche Spur zu nehmen ist) und zum zweiten unterliegen sie auch einer Möglichkeit des Wechsels (bspw. wenn es Umdefinitionen aufgrund von Bauarbeiten gibt). Wir haben also nicht nur bestimme Möglichkeiten Fahrspuren zu finden und ihnen zu folgen, sondern müssen auch bedenken, dass sich die Spuren an sich ändern können. Es geht also um die Kompetenz des Wechsels, wir müssen Muster erkennen, ebenso wie die Tatsache, dass Muster gewechselt werden können. Bezieht man diese Überlegung auf das Thema Datenbanken, so lässt sich feststellen, dass sie nichts Fixes sind, sondern sich eben auch verändern können.

Bildung nach Hrachovec

Die genannte Kompetenz des Wechsels ist das zentrale Moment der Bildung nach Hrachovec. Es geht darum zu erkennen und damit umzugehen, dass Formen notwendig sind und demnach die eine Form nicht erreicht werden kann. Wir sind in der Vielfältigkeit der Formen gefangen, und sollten vor dem Hintergrund des Gewimmels die Funktionalität und den notwendigen Wechsel der Form beherrschen. Bildung besteht also darin zwischen verschiedenen Deutungsmustern auf die richtige Art und Weise zu unterscheiden.

Kommentare/Überlegungen des Auditoriums

Die Sprache der Mathematik und Logik

Wittgenstein trägt die Verantwortung dafür, dass der Wiener Kreis die Sprache vor die Formel stellt, obwohl Wittgenstein selbst das Formelhafte als Basis des wissenschaftlichen Erkennens betrachtet. Der Wiener Kreis zieht Wittgenstein zu Verdeckung der Tatsache, dass Wissenschaft in der Philosophie bei Verwendung der Sprachen der Mathematik und Logik möglich ist, heran.

Erwiderung Hrachovec: Wittgensteins Hasen-Ente

Wittgensteins Hasen-Ente soll hier als Gegenbeispiel zum vorgebrachten Vorwurf dienen. Vom Tractatus aus gesehen steht tatsächlich eine Vorstellung von Kalkül und Sprache, von Berechenbarkeit im Vordergrund, der ganz allgemein entgegengehalten werden kann, dass Kommunikation an vielen weiteren Stellen stattfindet. Der Zusammenhang ergibt sich also aus dem Tractatus selbst, hier wurden allerdings Kommunikationszusammenhänge betrachtet, es geht um gelebte Zeichen und Gesten. Diese Überlegungen gehen nicht soweit von Wittgenstein weg, wie sein Beispiel der Hasen-Ente zeigt: Verschiedene Muster wirken auf mich ein, manchmal erkenne ich sie, manchmal nicht. Die Mustererkennung als Ganzes ist aber nicht sprachgesteuert.

Verbindung der Hasen-Ente mit dem Bildungsbegriff

Eine/r erkennt im Bild einen Hasen, der/die andere eine Ente, jede der beiden Einschätzungen ist eine Form. Diese Form erfasst nicht das Gewimmel der Sinneseindrücke, diese können vielfältig sein, sodass sie von der Form nicht erfasst werden. Angeknüpft werden kann hier wiederum auch an den Bildungsbegriff nach Hrachovec: Wir können uns nicht ersparen das Gewimmel zu definieren, aber wir müssen uns bewusst sein, dass diese Definitionen – ob sprachlich oder gestikulatorisch – einem zusätzlichen Prozess unterliegen.

VO-Materialien: Wittgensteins Hasen-Ente

Erwiderung aus dem Auditorium: Syntax vs. Semantik

Wittgenstein sagt, dass die Syntax entscheidend ist (die Formeln/Formen) und per se das Einzige ist, was Verstehen und Erkenntnis ermöglicht. Vielmehr ist es doch aber so, dass zusätzlich eine Semantik zum Verstehen nötig ist um die Hintergründe der Formen/Formeln zu Verstehen.

Antwort Hrachovec: Zustimmung

Die Position, in der rein die Syntax als notwendig betrachtet wird, ist aus dem Tractatus und damit eine Position des frühen Wittgenstein.

Frage aus dem Auditorium: Der Satz vom Widerspruch

Welche Rolle spielt der Satz vom Widerspruch/vom ausgeschlossenen Dritten? Die Hasen-Ente scheint ja aus zwei einander widersprechenden Formen bzw. Bildern zu bestehen.

Antwort: Immer wieder dasselbe Gespenst

Darauf gibt ein Zitat Wittgensteins Antwort: Der Satz Widerspruch. Immer wieder dasselbe Gespenst, das ist doch sehr verdächtig. Für den Tractatus ist der Satz vom Widerspruch zentral. Es kommt darauf an, dass die Welt in kleinen Einheiten erschlossen wird, die von einander unterscheidbar sind. Das Beispiel der Hasen-Ente und auch die Überlegungen zu den Mustern sind Hinweisen darauf, dass Wittgenstein von dieser Position abweicht und dem Widerspruch nicht mehr die zentrale Rolle zubilligt, wie er sie noch bei Russel hatte, gegen den sich obiges Zitat konkret richtet. Der Berliner Religionsphilosoph Klaus Heinrich benannte – im Widerspruch zum Satz vom ausgeschlossenen Dritten – eines seiner Bücher „tertium datur“ (etwas Drittes existiert).

Der Unterschied von Syntax und Semantik

Um die Unterscheidung zwischen Syntax und Semantik zu betonen sei auf die Frage verwiesen, wie man Unschärfe in Datenbanken hineinbringt. Konkret geht es darum, wie der Unterschied zwischen der Negation und dem Nichtvorhandensein eines Wertes sichtbar gemacht wird. Praktisch könnte diese Unterscheidung bedeuten, dass ich einerseits jemanden habe, der mir widerspricht und andererseits jemanden, mit dem ich gar nicht gesprochen habe. Interessant ist also welche verschiedenen Varianten von Negationen es gibt und wie sich in der Zweiwertigkeit der formalen Logik unterbringen lassen. Historisch hat sich diese Zweiwertigkeit in der logisch-theoretischen Debatte entwickelt, ist also keineswegs „natürlich“. Die Problematik von Syntax vs. Semantik lässt sich auch am Operationsoperator Negation verdeutlichen. Klassisch wird dieser als Nein im Sinne des Gegenteils betrachtet. Eine doppelte Negation wäre demnach wieder eine Zustimmung. Nun kann aber auch eine andere Semantik an den Operator „gehängt“ werden, beispielsweise die intuitionistische Semantik, innerhalb derer die Negation der Negation nicht zurück zur ursprünglichen Aussage führt, sondern zu etwas ganz anderem. Ein Beispiel ist die Aussage „Ja, Ja“ eines/r Zuhörers/in, auf die Ausführungen eines/r Vortragenden hin. Das „Ja, Ja“ ist rein formal eine doppelte Affirmation, meint praktisch jedoch eine Ablehnung bzw. Negation. Für Wittgensteins Hasen-Ente gilt ähnliches, es treten Schichten auf, die durch Negation gekennzeichnet sind. Ein Hase ist nicht eine Ente. Trotzdem schließen sich diese beiden möglichen Ergebnisse meiner visuellen Betrachtung des „Dings/Bildes“ nicht aus. Es gibt also eine Überlagerung unterschiedlicher Muster.

Das Maximum an Erkenntnis

Die Erkenntnis die aus der Überlegung zur Hasen-Ente nun tatsächlich zu gewinnen ist, besagt nicht, dass ich sage „Hase“ oder „Ente“, sondern dass ich es riskieren muss es als eines der beiden zu behaupten um zu erkennen, dass auch eine andere Betrachtung möglich ist. Formaler gesprochen muss ich das Risiko der Formfestlegung übernehmen um die Form dann auch zu relativieren und vielleicht sogar zu brechen.

Frage aus dem Auditorium: Wissenschaft vs. universitäre Bildung

Inwiefern ist Wissenschaft zumindest auf der Universität Basis der universitären Bildung?

Antwort Hrachovec

Die Frage lässt sich übersetzen in: „Brauchen wir Philosophie auf der Universität?“ Der Kontrast zwischen Wissenschaft und universitäre Bildung ist im universitären Mischbetrieb durchaus zu erkennen. Es gibt eine Reihe „handfester“ Wissenschaften und dann die Philosophie, die sich selbst gerne als die Basis des Ganzen sieht, da die universitäre Bildung ja zivilisationsgeschichtlich auf der Philosophie fußt. Worum es demgegenüber in dieser VO ging, ist Neugierde und eine Skepsis bezogen auf die Grundeinstellung der Philosophie („universitäre Bildung hat einen Wert an sich“) aufkommen zu lassen. Darüber hinaus kann – ganz im Sinne der Logik der Tractatus von Wittgenstein – nichts gesagt werden.

Exkurs: Wittgensteins Nachlass

Der gesamte Wittgensteinsche Nachlass ist online verfügbar, in der so genannten Bergen Electronic Edition (BEE). Es handelt sich dabei um 20.000 digitalisierte Seiten.

Link: http://library.nlx.com/

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