Bildung und Datenbanken (Vorlesung Hrachovec, Sommer 2009)/Zusammenfassung 12. Juni
Rekapitulation – 2 Linien der Entwicklung der Bildungsdiskussion
1. Linie: Platon – Platonismus des Tractatus – Positivismus
Diese Linie läuft von Platon über Wittgenstein bis zum Wiener Kreis und später den Datenbanken. Postuliert wird nach Wittgenstein ein Auseinanderfallen von Bildung und Datenbanken, Ansprüche des Subjekts fallen aus der Entwicklungstradition heraus. Kritik daran übt Heinz Zemanek. Er hält die Abkopplung von Bildung und Datenbank für nicht sinnvoll, gerade in der Computerwelt wird der hohe Anspruch an Präzision nicht immer erreicht, es gibt auch hier vielfältige Probleme. Zemanek tritt dafür ein über den Tractatus von Wittgenstein hinauszugehen – wie es die Informatik praktisch tut – und fordert eine postpositivistische Betrachtungsweise. Diese wurde auch in der Vorlesung vorgestellt.
2. Linie: Hegel – Heidegger
Heidegger wirft der klassischen Philosophie vor geradezu auf Datenbanken herauszulaufen. Er spricht von einem Wesenswandel der Wahrheit, die sich letztlich von Unverborgenheit in Kontrolle entwickelt hat und damit einer Idealisierung unterliegt, die wiederum zu Typisierung führt. Kritik von Hrachovec: Heidegger denkt nicht über Nietzsche hinaus sondern bleibt dort stehen. Der Vorwurf Heideggers ist also eine radikale Kritik der Bildungstradition, die aus der Bildungstradition kommt, er hält diese für verdorben und will daher nicht mehr von Bildung oder Humanismus sprechen.
Überschneidungen: Heideggers Konzept der Unverborgenheit
Heidegger ist der Meinung, dass am Höhlengleichnis gezeigt werden kann, wie sich die Typologie des Seienden gegenüber der Wahrheit in den Vordergrund rückt. Seine Wahrheitskonzeption ist die sich entbergende und wieder verbergende Bewegung des Menschen in der Welt. Beginnend mit Platon steht aber im Vordergrund, wie sich etwas zeigt (Art und Weise, Typologie) und nicht das Ob. Diese typologische Erfassbarkeit ist aber jedenfalls zu hinterfragen.
Beide Linien sind philosophische Reaktionen auf den Befund der zerstörten Bildung, die Überschneidung findet sich in der Kritik an der Zerstörung, hier kann eine funktionale Kompatibilität von Heidegger und Wittgenstein konstatiert werden.
Vom Tractatus zu den Datenbanken
Heinz Zemanek
Er ist ein Wiener Computerpionier, war bei IBM beschäftigt und Professor an der TU und konstruierte bereit in den 50/60er Mainframe Computer. Wichtig für die Philosophie ist er aufgrund seiner grundlegenden Überlegungen zum Zusammenhang vom Tractatus mit modernen Computersystemen, sowie seine differenzierten Betrachtungen des Wiener Kreises und Wittgenstein.
Wittgenstein und der Wiener Kreis – Zemaneks grundsätzliche Position
Zemanek begreift Wittgenstein eher als Verwandten denn als Mitglied des Wiener Kreises. Das Mystische bei Wittgenstein, worüber er zu Schweigen empfiehlt, wird vom Wiener Kreis geleugnet. Bezogen auf die die Welt als Ganzes neigen sowohl logische Positivisten als auch Informatiker zu der Annahme, dass sie sich im Computer simulieren lasse. Hier setzt Zemaneks Kritik an, er stellt fest, dass eine solche Annahme aus philosophischer Sicht nicht vertretbar ist, aber auch durch die Praxis der Informatik nicht gestützt wird. Ganz nach Wittgenstein will Zemanek das Mystische ausgrenzen, aber nicht leugnen: Was sich nach Kriterien der Genauigkeit nicht sagen lässt, ist auch nicht durch Sprache zu verurteilen.
Gemeinsamkeiten von logischen Operationen und Wahrheitsfunktionen
Zentral ist nach Zemanek, dass logische Operationen des Computers (u.a.: und, oder, nicht) auf der Grundlage der Wahrheitsfunktionen, wie sie sie im Tractatus vorkommen, modelliert sind. Die Wahrheitsfunktionen beruhen auf Elementarsätzen, die wiederum als Abbilder der Welt verstanden werden können und durch den wahrheitsfunktionalen Kalkül verkettet werden. Für die Informationstechnik nutzbar gemacht wurden die logischen Operationen u.a. von Shannon und Eigen, die Wittgensteins Überlegungen anwendungsorientiert konkretisierten und die logische Algebra damit neu erfanden. Beide Entwicklungszweige wurzeln wiederum in der formalen Logik Freges. Durch diese Entwicklungsgemeinsamkeiten wird auch der Brückenschlag zwischen Informatik und dem Wiener Kreis nochmals akzentuiert.
Beispiel – Das Mikrophon
Illustriert kann die Überlegung am Beispiel eines Mikrophons werden. Es ist ein unintelligentes Werkzeug, es befinden sich zwar Chips im Inneren, trotzdem kann es nicht „rechnen“, es ist notwendig hineinzusprechen um etwas herauszubekommen. Demgegenüber steht ein Computer, der aufgrund seiner logischen Fundierung rechnen kann und damit ein Allzweckwerkzeug ist. Sein Potential scheint so groß, dass man alle kognitiven Funktionen damit modellieren und simulieren kann. Datenbanken sind dabei eine Unterabteilung.
Rückblick auf den Tractatus
Zemaneks greift für seinen Brückenschlag auf den 6. Abschnitt des Tractatus zurück, die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion. Was gesagt werden kann muss angegeben werden. Wittgenstein meint im Absatz 4.1273, dass sich das allgemeine Glied der Formreihe aus dem ersten Glied und der allgemeinen Form der Operation, welche das Folgelied erzeugt, bestimmen lässt. Am Beispiel der Definition von natürlichen Zahlen lässt sich dies nachvollziehen: Wittgenstein entwickelt auf Basis der Logik Freges eine Theorie, die sich nach Platon mit der Frage beschäftigt, was dass Gemeinsame aller Zahlen ist. Zentral ist das allgemeine Glied, das Urbild: Das erste Glied und die Nachfolgeoperation führen zur allgemeinsten Satzform. Wittgenstein wendet diese Überlegung aus der Zahlenwelt nun auch auf die Sprache an. Aus Elementarsätzen lassen sich weitere Sätze ableiten. Angenommen es wären nun alle Elementarsätze gegeben, so ließen sich alle Sätze daraus bilden. Der Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie ist in diesem Fall durch die unterschiedlichen Inputs gegeben, die Philosophie erhält sie aus Sinneseindrücken, hat also eine empirische Komponente. Input sind also Elementarsätze und die Wahrheitsfunktion, daraus ergeben sich zusammengesetzte Sätze. Diese Sätze sind die Gesamtheit dessen, was aus den Elementarsätzen folgt. Rein formal ist eine Vereinfachung mittels Schefferstrich möglich, damit werden alle Wahrheitsfunktionen auf eine reduziert. So können bei entsprechendem „weltumfassenden“ Input alle Sätze generiert werden, die sinnvoll etwas über die Welt aussagen. In den Elementarsätzen liegen die Informationen über die Welt in einer atomisierten Form vor, durch Verkettung ergibt sich dann die Gesamtheit aller Sätze und auch die Gesamtheit aller Informationen. (6. Satz des Tractatus) Für Wittgenstein ergibt sich daraus, dass die Welt eine Gestalt hat die vernunftmäßig und komplett erfassbar ist.
Zemaneks Kritik
Zemanek postuliert und kritisiert zugleich eine positivistische Grundeinstellung der Informatik und führt diese eben auf Wittgenstein’sche Denkansätze zurück. Beispielhaft für diese führt er die Überzeugung vieler an, dass mit den Beobachtungsfaktoren der Naturwissenschaften als Input und einem entsprechenden Computerprogramm, das diese verknüpft, die Welt erschöpfend beschrieben werden kann. Die Frage was ein solches formales System nun tatsächlich aussagen kann bzw. was sich in ihm beweisen lässt führt zur Entscheidbarkeitsfrage von Hilbert, die Gödel später negativ beantwortet hat: Es gibt Teile in komplexen formalen Systemen, die sich nicht beweisen oder widerlegen lassen. Zemanek fragt ob die Identifikation der Realität mit der Berechenbarkeit in diese Identifikationsabsicht durch die Fortentwicklung der Logik in die Informatik gefördert oder bestätigt wird und beantwortet dies ambivalent: gefördert ja, bestätigt nein. Umsetzungsversuche „der Welt“ in Computerprogramme haben niemals den Charakter des „Bestätigens“. Betrachtet man die Informatik empirisch, dann scheint sich die Überlegung, dass alles berechen- und beweisbar ist eher nicht zu bestätigen. Auch hier gilt: Ab einem gewissen Komplexitätsgrad können leicht unvorhergesehen Dinge passieren. Insgesamt kann die Informatik daher als gigantische Realisierung des positivistischen Grundgedankens verstanden werden und zeigt durch ihre Praxis gleichzeitig die Unvollständigkeit des positivistischen Kerns.
Historische Entwicklung von Datenbanken am Beispiel der Organisation einer Bibliothek
Prinzipiell geht es im Zusammenhang mit Datenbanken immer um Probleme der Datenmodellierung, d.h. ein Modell zur Datenspeicherung zu schaffen, welches der Wirklichkeit nahe kommt und praktikabel handhabbar ist. Eine (aus jetziger Sicht) frühe Form einer „Datenbank“ ist der Zettelkasten in Bibliotheken der einem intuitiven Konzept der Bücherorganisation folgt. Für jedes Buch gibt es ein Kärtchen auf dem zumindest Titel, Autor Erscheinungsjahr/-ort und Verlag stehen. Die Entwicklung des Datenmodells bestand darin, was wichtig für die Identifizierung und damit Kategorisierung eines Buches war und welche Angabe vernachlässigt werden konnten. In dieser Auswahl gibt es auch eine ontologische Komponente: Jedes Buch besteht aus einem kreativen Einfluss des Autors, jemandem der es gedruckt hat und dann publiziert. Problematisch wird bzw. wurde der Zettelkasten mit steigender Anzahl der Bücher, die zentrale Frage wandelte sich von „Braucht man eine Typisierung?“ hin zu „Wie geht man am besten mit der Typisierung um?“. Ein zentrales Problem mit wachsender Buchanzahl ist die massive Redundanz des Zettelkastensystems. Bei 25 Büchern eines/r AutorIn sind 25 Zettel notwendig. Bei komplizierten Namen können sich Schreibfehler ergeben, heiratet ein/e AutorIn oder lässt sich scheiden müssen alle Zettel überarbeitet werden, ähnliches gilt für Verlage wo es zu Fusionen oder Umbenennungen kommen kann. Bei solchen Änderungen müssen u. U. etliche Zettel modifiziert werden, es könnten aber welche übersehen werden, da bspw. auch Einzelbeiträge eines/r AutorIn in Sammelbänden betroffen wären. Nachdem der Zettelkasten von Menschen gewartet wird kann mit solchen Problemen zwar prinzipiell umgegangen werden, allerdings bedeuten sie ein erhebliches Mehr an Aufwand und Arbeit. (und in Zeiten der Marktwirtschaft damit auch ein Mehr an Personalkosten)
Das Prinzip einer relationalen Datenbank kommt nun all diesen Problemen entgegen. Eine solche Datenbank besteht aus verschiedenen Tabellen, die miteinander verknüpft werden können. Für die Organisation einer Bibliothek bedeutet dies konkret, dass es (zumindest) Tabellen für Bücher, AutorInnen, Verlage gibt. In der Tabelle Buch gibt es nun für jedes Buch einen Eintrag, der/die AutorIn und der Verlag werden allerdings nicht „direkt“ beim Buch gespeichert, sondern bekommen einen Eintrag in ihrer entsprechenden Tabelle und werden dann mit dem jeweiligen Buch verknüpft. Ein/e AutorIn wird über die Beziehung „hat geschrieben“ mit einem Buch verknüpft (1:n Beziehung), da ein/e AutorIn viele Bücher geschrieben haben kann. Gleiches geschieht mit dem Verlag. Eine graphisch-konzeptionelle Darstellung findet sich in den sog. Entity-Relationship-Diagrammen. Hier werden die einzelnen Datenfelder, ihre Zugehörigkeit zu einer Tabelle und die Verknüpfungen untereinander dargestellt.
LINK ZUM BSP. ODER BILD
Bezogen auf die genannten Probleme mit Zettelkästen zeigen sich hier eindeutig die Vorteile einer relationalen Datenbank. Es gibt für jede/n AutorIn nur einen Eintrag, der dann allen Büchern zugeordnet wird. Ändert sich jetzt der Name, muss dieser nur einmal in der Tabelle der AutorInnen geändert werden. Entsprechendes gilt für die Verlage.
Verbindung zwischen Wittgenstein und Datenbanken
Unabhängig von der Art der Umsetzung (relationale Datenbank oder Zettelkasten) des Datenmodells, impliziert bereits dessen Konzeption eine Verbindung zu Wittgenstein. Die Modellbuchwelt ist für uns durchsichtig, eine in sich abgeschlossene Welt, die wir durch die Modellierung unter Kontrolle haben und die in gewisser Weise berechenbar ist. Eine Bücherdatenbank ist in gewisser Weise die Umsetzung der allgemeinen Weltformel auf den kleinen und künstlichen Bereich der Bücherorganisation. Wittgenstein meint, dass die Sprache so erfasst werden muss, dass sie alles enthalten muss, was die ganze Welt sein kann. Bezogen auf die Buchwelt bedeutet dies, das durch einen Entwurf (und technisch durch ein – diesen erzeugendes – Script) die Welt festgelegt ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass etwaige Vorgänge – die verwunderlich erscheinen –durch Analyse des zugrundeliegenden Konzeptes erklärt werden können. Nicht ausgeschlossen ist dadurch aber die Möglichkeit oder etwaige Notwendigkeit einer Modifikation des Konzepts, sowie Frage ob die Modellierung der Realität nahe genug kommt oder etwas abbildet, was gar nicht abgedeckt sein soll. Solche Fragen gehen über die Funktion von Datenbankbanken hinaus, mit diesen muss sich der/die „WeltkonstrukteurIn“ auseinandersetzen. Praktisch geht es in dieser VO um eine sinnvolle Verbindung zwischen der philosophischen Reflexion über ein Modell und dessen praktischer Umsetzung.