Philosophische Schock/Therapie (OSP)
Plato, Politeia, 495b - 496a
Während nun einerseits diese auf jene Weise entarteten Abtrünnigen der wahren Wissenschaft, deren nächste Angehörige sie ist, eben darum, weil sie sie sitzen und im Stiche lassen, ihrerseits kein ihren Anlagen entsprechendes, wahres Leben führen, drängen sich ihr, wie einer von ihren nächsten Verwandten verlassenen Waise, andere Unberufene auf und hängen ihr dann dadurch solche Schmach und Schande an, wie sie deiner Aussage nach von ihren Anklägern vorgeworfen werden, von denen, die sich tiefer mit ihr einließen, wäre ein Teil zu nichts nütze, der größte Teil sogar verdiente das größte Unglück.
Ja, versetzte er, das sind die Äußerungen, die getan werden.
Und sie werden ganz mit Recht getan, erwiderte ich. Wenn nämlich andere Menschen sehen, daß dieser Platz leer steht und schöne Titel und Würden mit sich bringt, so springen, wie die Zuchthäusler in die heiligen Freistätten entlaufen, ebenso freudig aus ihren Alltagsberufen in das Bereich der Wissenschaft alle jene, die etwa im beschränkten Kreise ihres ursprünglichen Handwerks die Nase etwas hoch tragen. Denn der Wissenschaft, wenngleich sie im erwähnten schlimmen Zustande sich befindet, bleibt doch, wenigstens im Vergleich zu den übrigen Professionen, noch ein Ansehen übrig, das alle überstrahlt. Danach trachten nun bekanntlich die meisten, obgleich sie erstlich schon von Natur unvollkommene Anlagen haben und dann auch unter dem Drucke ihrer Berufe und Handwerke infolge der Stubenhockereien ebenso hinsichtlich ihrer Seelen zusammengeschrumpft und ausgemergelt sind, wie sie auch schon am Körper die Zeichen der Verkrüppelung tragen, oder ist das nicht eine notwendige Folge?
Ja, sicher, sagte er.
Gewähren denn nun, sprach ich, jene Leute wohl einen anderen Anblick als etwa ein zu einem Sümmchen Geld gekommener Gesell in einer Schmiede, neulich erst der Sklavenkette entwischt, jetzt aber in einem Bade rein gewaschen, in ein neues Gewand gekleidet, wie ein Bräutigam herausgeputzt und bereit, die Tochter seines Herrn zu heiraten, weil sie verarmt und von ihren nächsten Verwandten verlassen ist?
Kein sehr verschiedener Anblick, sagte er.
Was für Geburten müssen nun solche Leute hervorbringen? Nicht bastardartiges und schlechtes Zeug?
Ganz notwendig.
Nun hiervon die Anwendung: Wenn Leute, die für eine höhere Bildung gar keine Fähigkeiten haben, ohne die gehörige Ebenbürtigkeit sich mit dieser verehelichen, was für Hirngeburten und Ansichten müssen diese dann erzeugen? Nicht wohl solche, die in Wahrheit den Namen Sophistereien verdienen, und was gar keine Spur eines edlen Ursprungs und auch nicht den Wert eines gründlichen Nachdenkens an sich trägt?
Ja, das allerdings, sagte er.
zurück zu Open Source Philosophie (Vorlesung Hrachovec, Winter 2008)