Überblick Diskussionsbeiträge 13.11. - 27.11. (PSI)
"Die Gesetze genießen ein dauerhaftes Ansehen und verfügen über einen Kredit, nicht etwa, weil sie gerecht sind, sondern weil sie Gesetze sind: das ist der mystische Grund ihrerer Autorität; es gibt keinen anderen [...] Wer immer auch den Gesetzen gehorcht, weil sie gerecht sind, folgt ihnen nicht auf angemessene Weise, so, wie er ihnen folgen soll und muß".(Montaigne) Benutzer:Andyk/Mitschriften/PSI 13 11 08
"Recht könne vielmehr jeder beliebige Inhalt sein, der sich in ein Ordnungsystem einfüge und durch die Wirksamkeit von Zwang Geltung erfahre." (Rechtspositivismus, Wikipedia)
Vergleiche Thrasymachus: Dies nun ... ist das, wovon ich meine, dass es in allen Staaten dasselbe Gerechte ist, das der bestehenden Regierung Zuträgliche. Diese aber hat die Gewalt, so dass also, wenn einer alles richtig zusammennimmt, herauskommt, dass überall dasselbe gerecht ist, nämlich das dem Stärkeren Zuträgliche." (Politeia 339a)
Der Experte des Lebens, der der die meiste Zeit hatte, seine Erfahrungen zu sammeln und seine Einstellungen zu überdenken, also der alte Mann kommt in der Befragung durch Sokrates zu der Weisheit, dass es wichtig ist, gerecht und ehrfürchtig zu sein. Kephalos Befragung ergibt sozusagen eine Evidenz, die noch vor dem Start einer intensiven Studie über Gerechtigkeit erhoben wird.
Nochmals radikaler formuliert: Wir müssen uns Gerechtigkeit näher ansehen, weil der alte Mann ganz natürlich und noch gar nicht bedacht darauf, welche Worte er verwendet, zum Thema Gerechtigkeit kommt? Die Frage: "Wie sollen wir leben?" / "Was sollen wir tun?" wird als die Frage: "Was ist Gerechtigkeit?" gefasst. Benutzer Diskussion:Andyk/Mitschriften/PSI 13 11 08
Vielleicht so: Mit welcher Auffassung von Gerechtigkeit wird man alt? Und welche Umwälzungen werden dabei ausgeblendet?
- Antwort: Ad 1; Mit der "Gerechtigkeitsauffassung" Dinge anzunehmen und das Beste daraus zu machen, kann man - meiner Meinung nach - gut alt werden. Ad 2: Ausgeblendet werden dabei alle emotional-individuellen Aspekte (wie z. B. "das habe ich nicht verdient", "warum gerade ich?" etc.).
WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
Da Gerechtigkeit ferner ausschließlich auf G u t e s zielt, quälen jedoch seiner Natur nach in keiner gesunden Seele etwas Gutes bewirken kann, hat ein derartiger Terminus weder einen Bezug zur Gerechtigkeit, noch überhaupt zur Richtigkeit der Maxime eines ethisch korrekten Handelns. Das Quälen ist somit kein Gegenstand der Gerechtigkeit. Platon erkennt völlig zu Recht (vgl. Staat 433): "Gerechtigkeit ist der Besitz und das Tun dessen, was einem zukommt - sie ist eine taxis kai kosmis; sie ist der Seele, was dem Körper die Gesundheit". Buch 1 (PSI)
"Per aspera ad astra."? Was ist Gesundheit? würde Sokrates fragen. "Du denkst vielleicht an Wellness, aber was ist mit den Bewegungsübungen nach einem Schienbeinbruch?"
- Insofern Sokrates gefragt haben würde: 'Was ist Gesundheit?', so lautet meine immerwährende, WHO-konforme Antwort, aus dem Jahre 1947, auch noch heute: "Gesundheit ist nicht nur das Fehlen von Krankheit und Gebrechen, sondern ein Zustand eines vollkommen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens" (vgl. Emer. Univ.-Prof. Dr. Wucherer-Huldenfelds Handout vom WS 2006/07, Universität Wien).
- Ich gestehe aber nach wie vor gerne ein, dass ich dabei weder an 'Wellness', noch an 'Schienbeinrekonvaleszenz' und erst recht nicht an per aspera ad astra gedacht habe bzw. denke, weil ich ohnedies der Überzeugung bin, dass uns die Gesundheit a priori eher (unbewusst) gegeben ist, als dass sie durch irgendwelche Anstrengungen überhaupt erzeugt werden kann; ihre gegebenenfalls mögliche Wiederherstellung suspendiert meine Protasis nicht.
WHH --A0400343 19:11, 2. Dez. 2008 (CET)
Und ein zweiter Punkt: Gerechtigkeit ist der Besitz und das Tun dessen, was einem zukommt? WAS kommt einem denn zu? Ist es möglich, dies vollständig zu beantworten? Dem Menschen kommt zu: neugierig zu sein. Das impliziert zu experimentieren (Versuch und Irrtum). Doch das sind nie und nimmer alle Eigenschaften und Handlungen von dem, was einem zukommt. Ist diese Bestimmung von Gerechtigkeit nicht zu schwach? Ist sie nicht fast tautologisch? Alle inhaltlichen Modifikatoren des Begriffs wurden weggenommen und übrig bleibt eine Struktur, die das Begreifen des Begriffs (für mich) offen lässt. Erinnert ein bisschen an Parmenides und "Das Sein IST." Buch 1 (PSI)
- Dennoch sehe ich mich - besonders auch der Nachfolgesätze wegen - auch hierbei verifiziert (vgl. meinen Versuch einer adäquaten Antwort zum Thema 'Pferde quälen').
WHH --A0400343 19:11, 2. Dez. 2008 (CET)
"So höre denn zu, sagte ich, ob ich recht habe. Was wir nämlich von Anfang an, als wir den Staat gründeten, als überall erforderlich aufstellten, das, oder eine Art davon, ist, wie mir scheint, die Gerechtigkeit. Wir haben ja aufgestellt und, wenn du dich recht erinnerst, oft gesagt, daß jeder Einzelne von dem, was zum Staat gehört, ein einziges Geschäft treiben müsse, zu dem seine Natur am geschicktesten angelegt sei.
Das haben wir allerdings gesagt.
Und auch, daß das Seinige tun und nicht vielerlei zu treiben, Gerechtigkeit ist, auch das haben wir von vielen andern gehört und selbst oft gesagt.
Freilich haben wir's gesagt.
Dies nun, mein Freund, sprach ich, daß man das Seinige tut, scheint mir, wenn es auf eine gewisse Weise geschieht, die Gerechtigkeit zu sein." (Politeia 433af)
Aus Hans Kelsens "Platonic Justice"
S. 388
The dialogues written by Plato in his youth while he was yet underthe influence of Socrates,wherein he treats either directly or indirectly of the problem of justice, lose themselves in a sterile analysisof concepts, in empty tautologies;they are more of or less without result. Especially characteristic of this early and wholly rationalistic period of Plato's creativity is the Thrasymachus, a work probably begun after Plato's first voyage to Syracuse. It was not entirely finished, at any rate it was not separately published; but it was later incorporated in the first book of the Republic. After a rather protracted discussion in which Socrates has tried by every available means to reach a definition of justice, this section of the Republic finally ends in Socrates' declaration that for him the result of the entire discussion is merely the information that he knows nothing, for the real and decisive question as to the essence of justice has not been discussed. As long as one does not know what the just is, one can hardly arrive at a decision as to whether or not it is a virtue, or whether the just man is happy. ... Socrates, with all his rationalistic speculation upon concepts, had not been able to lead Plato to a knowledge of the nature of justice.
...
S. 389
It might appear, and it may so have seemed to Plato when he wrote the Gorgias, that with the formula of retribution he has given the answer to the question concerning the nature of justice. But this answer is only an apparent answer; it gives no real information as to the nature of justice. Fundamentally it describes only the actual function of positive law, which merely connects the facts of injustice in one of the deeds conceived as evil with the compulsory consequences of that injustice. It only reflects the external structure of the existing social order which is a system of sanctions; and this order is justified by representing the mechanism of guilt and punishment as a special case of the general law of retribution, i.e., as the will of divinity. Taken by itself the concept of retribution is just as meaningless as is that of equality, which is usually considered to be the characteristic of justice. Indeed, justice is itself the formula of equality, since it says nothing more than that the good will be for the good, evil for the evil; that like is for like, which, in its primitive meaning, amounts to saying "To each his due." But what is the good, what exactly is the nature of that good of which evil must be the negation? This decisive question remains unanswered. The question as to the nature of justice thus resolves into the question concerning the nature of the good. This is exactly the turn taken by the problem of justice in the doctrineof ideas; for the central idea - the idea from which all other ideas derive their illumination, the idea which lies beyond the sphere of all other ideas in a realm of pure being - is the of idea of the good.
Protokoll
Verfasserin: sarah foetschl
• Programmieren einer Filmserie erfordert ebenso Wissen über die Organisation der Stadt, die Strukturen der soziokulturellen Verbindungen und Beziehungen der Menschen, die Beschaffenheit der Seelen, etc.
• Hachrovec: State of Nature/ Urzustand als Metapher auch für den Stand des Seminars, nimmt Bezug auf die Passage von Hans Kelsen, diese steht online
- Hachrovec [sic]; richtig ist: Prof. Hrachovec WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
Das Verharren beim ersten Buch:
Hrachovec befindet die lockeren sophistischen Konzeptionen, quasi "kleine Zauberkunststücke" der Sophisten als ideal, um die Komplexität der Staatskonzeption zu demonstrieren
• Fortsetzung bei § 348
• Arete als moralische Komponente der Ius; Expertendemokratie mit einem Philosophenkönig als Oberhaupt- so die platonische Konzeption als Ideal- aber woher weiß der Experte, was er weiß? Hachrovec beantwortet die Frage nicht
- Soviel ich weiß, resp. mich erinnere, hat Herr Prof. Hrachovec diese Frage sehr wohl beantwortet; und zwar insofern, als er (sinngemäß) meinte: der Experte bezieht dasjenige was er weiß, aus dem durch ihn selbst angeeigneten (Erfahrungs-)Wissen, d. h. aus der er- und gelernten Schulung seines Geistes (sozusagen aus seinem Gewissen). WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
- Woher kommt das Wissen der Expertinnen? Das hängt davon ab, wofür sie Expertinnen sind. Für Schuhe oder für die Ordnung des Gemeinwesens insgesamt. Im letzteren Fall bedarf es einer globalen Wissensquelle.
- Und diese "globalen Wissensquellen" für die Ordnung eines jeden Gemeinwesens sind stets die nationalen und/oder internationalen Gesetze (nomoi); z. B. ABGB etc. etc.
WHH --A0400343 19:22, 2. Dez. 2008 (CET)
• Derrida featuring Kelsen wird erwähnt/ Montaigne: Zitat über Gesetze: "dauerhaftes Ansehen und Kredit weil sie Gesetze sind, nicht weil sie gerecht sind, daraus resultiert der mystische Grund ihrer Wirkung"
• der Rechtspositivismus (lat. ponere: setzen, stellen) ist die wesentliche Grundlage Kelsens' Konzeptionen bzw. kann als Eigenschaft von Gesetzen gesehen werden, die ihre Bedeutung ja erst dadurch bekommen, dass sie gesetzt sind, d.h. es werden verbindliche Gesetze überhaupt erst einmal formuliert, somit kann man sich überhaupt erst auf etwas berufen, durchaus ist die Angst vor Sanktionen u.U. der einzige Grund, warum Gesetze eingehalten werden;
• Diskussion: unter welchen Bedingungen geniessen Gesetze (oder jene Personen, die diese definieren) kein dauerhaftes Ansehen? Bsp. Anti-Zigarettenrauchgesetze soll nicht die Raucher bestrafen, sondern die Nichtraucher schützen
- Selbstverständlich soll das Anti-Rauchergesetz (welches übrigens nicht nur Zigaretten-, sondern z. B. auch Pfeifen- oder Zigarrenraucher und nicht bloß deren Rauch) betrifft, die Raucher unter Umständen auch bestrafen (vgl. § 14a i. S. des § 17, Abs. 3 des Tabakgesetzes; BGBl. I, Nr. 167/2004 - Geldstrafe: dzt. ca. 40 bis 720 Euro) - und das tut es gegebenenfalls auch.
WHH (12/08) A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
• Diskussion: Sitte/ Brauch versus Gesetz - Was sind Sanktionen? Werden Sitten/Bräuche/Moral/Ethik ebenfalls sanktioniert? Eine Rechtspositivistin würde sagen: Ja! Gerade dadurch, dass, allgemein gesprochen, Normen durch sozialen Druck innerhalb einer Gruppe, eines Gefüges von Menschen aufrechterhalten werden, werden sie ja erst zu Normen. Der Begriff sozialer Druck muss hier nicht als negativ konnotiert, viel eher als strukturgebend verstanden werden. Sind also Bräuche keine Normen? Die Rechtspositivistin würde sagen: Ja, sicherlich!
- Der Rechtspositivist sicher auch! WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
• Unterschied zwischen εθη (ethe) und εθος (ethos) muss geklärt werden;
• Wie kann die Position Thrasymachos' zusammengefasst werden?
- Ganz einfach: Gerechtigkeit ist das "dem Stärkeren zuträgliche" (vgl. Pol. 339 a, bzw. Prof. Hrachovec: Überblick Diskussionsbeiträge 13.11. - 27.11 PSI).WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
• Was würde Kelsen zu Thrasymachos sagen? Kelsen: Hic et nunc- weil die Gesetze gesetzt sind, genießen sie Ansehen- Kelsen würde T. vorwerfen, dass T. einen Schritt zuviel machte; Student: T. trifft keine normative, sondern eine deskriptive Aussage
- Letzters trifft auch meiner Ansicht nach zu; bei ersterem jedoch würde sich Kelsen (metaphorisch gesprochen) geradezu im Grabe umdrehen, denn die Antwort passt "wie die Faust aufs Auge". WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
• Kephalus Befragung von Sokrates vs. Abschnitt von Neschke-Hentschke
• Bezug zu wiki-posting: quälen/ Qualen versus Gerechtigkeit: rein sprachliche Ähnlichkeit oder auch semantisch/pragmatisch sinnvoller Bezug zwischen "sich quälen" und "Tiere quälen"? Kann die Frage nach Ethos auch gestellt werden, wenn sich jemand selbst quält indem er/sie sich zB. einen Berg hoch-quält; Arbeitsmoralen -vgl. diverse ethische Konzeptionen- divergieren durchaus;
- Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich". WHH (12/08)A0400343 18:04, 1. Dez. 2008 (CET)
• Diskussion über § 348, I. Buch: Vergleich der Übersetzungen: Schleiermacher schwächt Ironie ab, in der deutschen wiki-online version wird der Sinn entfremdet,
Stichwort: Schalk!
Thrasymachos scheint Sokrates schlussendlich rhetorisch zu überbieten, nachdem Sokrates ein Feuerwerk an Rhetorik "verschossen" hat;
Diskussion: Entlarvung von Hintergrundwissen: Bsp. Lächeln- darf jedes Lächeln eines Menschen als "ungerecht", da "berechnend" eingestuft werden?
• Thrasymachos scheint derjenige zu sein von den beiden, der einen "engagierteren" Zugang zu "Gerechtigkeit" hat
• Ergo: Gerechtigkeit ist als Kompromiss zwischen rechtspositivistischem und kritischem Zugang zu sehen.
-All Right?-
Fortsetzung der Textlektüre: 348b-350c (PSI)
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