Buch 1 (PSI)
335b-e
Es gehört also, sagte ich, zu einem gerechten Manne, daß er irgend jemandem schade?
Allerdings, antwortete er, den Schlechten und Feinden muß man schaden.
Werden Pferde, denen man Schaden antut, besser oder schlechter?
Schlechter.
In bezug auf das, was die Tüchtigkeit der Hunde ausmacht, oder was die der Pferde ausmacht?
Letzteres.
Werden also auch Hunde, denen man Schaden tut, schlechter in bezug auf ihre Tüchtigkeit als Hunde, aber nicht als Pferde?
Notwendig.
Von den Menschen aber, mein Freund, werden wir nicht sagen müssen, daß sie, wenn man ihnen Schaden antut, schlechter werden in bezug auf die menschliche Tugend?
Freilich.
Ist aber die Gerechtigkeit nicht eine menschliche Tugend?
Auch das ist notwendig.
Die Menschen also, mein Lieber, denen man schadet, müssen notwendig ungerechter werden?
So scheint es.
Können nun aber die Tonkünstler jemand durch die Tonkunst zum Tonkunstlaien machen?
Unmöglich.
Aber die Reitkünstler durch die Reitkunst zum Nichtreiter?
Kann nicht sein.
Aber also die Gerechten durch die Gerechtigkeit zum Ungerechten? Oder überhaupt die Guten durch die Tugend zum Schlechten?
Unmöglich.
Denn nicht der Hitze Sache ist es, denke ich, kalt zu machen, sondern des Gegenteils.
Ja.
Und nicht der Trockenheit, feucht zu machen, sondern des Gegenteils.
Allerdings.
Also auch nicht des Guten, zu schaden, sondern des Gegenteils.
Offenbar.
Der Gerechte aber ist doch gut?
Allerdings.
So ist es also, Polemarchos, nicht des Gerechten Sache, zu schaden, weder einem Freunde noch sonst jemandem, sondern des Gegenteils, des Ungerechten.
Du scheinst mir vollständig recht zu haben, Sokrates, erwiderte er.
Wenn also jemand sagt, gerecht sei, daß man jedem gebe, was man ihm schuldig sei, und darunter das versteht, daß der gerechte Mann den Feinden Schaden schuldig sei und den Freunden Nutzen, so war der nicht weise, der so gesprochen hat; denn er hat etwas gesagt, was nicht wahr ist, da wir nirgends gefunden haben, daß gerecht sei, irgend jemandem zu schaden.
Ich gebe es zu, sagte er.